Neuerscheinungen: Beiträge zur Erzieherausbildung an Fachschulen

Aus dem neuen Sonderheft 2023 „Unterrichten an Fachschulen und Fachakademien für Sozialpädagogik“ der Zeitschrift „PädagogikUNTERRICHT“:

Wenn Manfred Müller-Neuendorf (2006) vor einigen Jahren gefragt hat: „Ist die Ausbildung der Erzieher und Erzieherinnen an Fachschulen noch zukunftsfähig?“, so wird man diese Frage gegenwärtig wohl mit einem Ja beantworten. Hochfliegende Erwartungen an eine Vollakademisierung erzieherischer Tätigkeiten und Betreuungsaufgaben haben sich nicht erfüllt, und zwar nicht allein mangels finanzieller Ressourcen für eine flächendeckende, akademischen Ansprüchen genügende Höhergruppierung in diesem Berufsfeld. Nicht nur der Fachkräftemangel, auch ausbildungstheoretische Überlegungen haben diese gedämpft. Mittlerweile besteht ein differenziertes Geflecht unterschiedlicher Qualifizierungswege, das unterschiedlichen Bedürfnissen, Lebenssituationen, berufsbiographischen Erwartungen (etwa für Berufseinsteiger oder Berufswechsler) oder Lernwegen gerecht wird. Auszubildende mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen und Vorerfahrungen finden einen Zugang in das professionelle, sozialpädagogische Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen. Was Müller-Neuendorf noch als Vision formulierte, ist mittlerweile schon Realität geworden: Durch neue Formen der Durchlässigkeit und Vernetzung haben die Fachschulen für Sozialpädagogik ihren Platz in einer differenzierten Ausbildungs- und Studienlandschaft behauptet.

aus: Axel Bernd Kunze: Arbeitsfeld Erzieherausbildung. Bildungs- und berufspolitische Entwicklungen im Kontext sozialpädagogischer Ausbildungsgänge, in: Pädagogikunterricht, Sonderheft 2023: Unterrichten an Fachschulen und Fachkademien für Sozialpädagogik, S. 16 – 20.

Wer ein Auslandspraktikum wagt, erwirbt nicht allein fachliche Kenntnisse, welche der Entwicklung der eigenen Professionalität zugutekommen. Ein Auslandsaufenthalt erweitert den eigenen Horizont durch tiefere Einblicke in eine anders geprägte Kultur im Allgemeinen sowie in andersartige Bildungs- und Erziehungsvorstellungen im Besonderen, damit verbunden ist ein wichtiger Beitrag zur Persönlichkeitsbildung. Leben und Arbeiten im Ausland vertieft für die pädagogische Arbeit zentrale Kompetenzen und verspricht darüber hinaus einen Gewinn an Selbständigkeit, Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung.

Auch Schwierigkeiten oder Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, tragen hierzu bei. Denn nicht immer läuft alles glatt: Es kann vorkommen, dass jemand mit dem Erziehungsstil in der Partnereinrichtung nicht zurechtkommt und sich möglicherweise vor Ort einen anderen Einsatzort suchen muss. Mal kommt es zu Schwierigkeiten bei der Unterkunft, sodass eine erneute Wohnungssuche notwendig wird, mal drückt doch das Heimweh, weil man vor Ort erst langsam neue Kontakte aufbauen muss oder ein Freund, mit dem man Probleme teilen kann, fehlt.

Eines soll am Ende nicht vergessen werden: Die angehenden Erzieher und Erzieherinnen erfahren im Ausland eine hohe Anerkennung und Wertschätzung für die Qualität und das Niveau ihrer Ausbildung, und dies auch im Vergleich mit akademisierten Qualifikationswegen im europäischen Ausland.

aus: Axel Bernd Kunze: Auslandspraktika in der Erzieherausbildung, in: Pädagogikunterricht, Sonderheft 2023: Unterrichten an Fachschulen und Fachkademien für Sozialpädagogik, S. 54 – 56.

Weitere Informationen zur Zeitschrift „Pädagogikunterricht“: https://www.vdp.org/materialien/zeitschrift-pu

Wer sich für eine Lehrtätigkeit in der Erzieherausbildung interessiert, findet hier weitere Adressen und Publikationen:

Quelle: Axel Bernd Kunze: Für alle, die sich noch weiter informieren wollen, in: Pädagogikunterricht, Sonderheft 2023: Unterrichten an Fachschulen und Fachkademien für Sozialpädagogik, S. 30 f.

Kongress: ZAAVV will Coronapolitik außerparlamentarisch aufarbeiten

Der Bundestag hat einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Coronamaßnahmen abgelehnt. Ein Kongress vom 9. bis 11. Juni 2023 in Frankfurt will die zivilgesellschaftliche Aufarbeiitung vorantreiben, „die ein Unterschungsausschuss hätte leisten müssen“, wie es in einer Pressemitteilung vom 21. April 2023 heißt:

„Mit der Ablehnung der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Corona-Zeit durch den Bundestag haben unsere Abgeordneten ein klares Signal für eine außerparlamentarische
Aufarbeitung dieser Zeit gesetzt.
Das Zentrum zur Aufarbeitung, Aufklärung, juristischen Verfolgung und Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschheit (ZAAVV) wurde auch mit der Intention gegründet, die wichtigen Aspekte der Coronazeit aufzuarbeiten, wie z.B. die Handhabung der Pandemie durch die Bundesregierung und die Legitimation für massive Eingriffe in die Freiheits- und Grundrechte der Menschen, Schulschließungen, Demonstrationsverbote, Betriebsschließungen, existenzielle Vernichtung eines großen Teils der Kunst-  und Kulturszene, einrichtungsbezogene Impfpflicht, Einschränkungen durch Maßnahmen wie 2G und 3G.“ (aus einer Pressemitteilung des ZAAVV)

Weitere Informationen: https://zaavv.com/de-de/

Neuerscheinung: Unterrichten an Fachschulen und Fachakademien für Sozialpädagogik

Druckfrisch erschienen – das neue Sonderheft der Zeitschrift PädagogikUNTERRICHT:

Carsten Püttmann, Axel Bernd Kunze (Red.): Gelingende Erziehung reflektiert praktizieren, PädagogikUNTERRICHT, Sonderheft 2023: Unterrichten an Fachschulen und Fachakademien für Sozialpädagogik.

Das Heft richtet sich an Studenten, Referendare und weitere Interessierte, die sich für eine Lehrtätigkeit in der Erzieherausbildung interessieren und sich über das Arbeitsfeld Fachschule bzw. Fachakademie informieren möchten. PädagogikUNTERRICHT ist die größte Fachzeitschrift für pädagogische Fachdidaktik im deutschsprachigen Raum.

Autorinnen und Autoren des Sonderheftes sind: Aliu Tabitha (Berufliche Schulen der Marienschule Fulda), Amelie Bernal Copano (Katholische Hochschule NRW), Larissa Hakopians (Berufskolleg der Kaiserswerther Diakonie), Holger Küls (Berufsbildende Schulen Vechta), Axel Bernd Kunze (Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik Weinstadt), Julia March (Katholische Hochschule NRW), Michael Obermaier (Katholische Hochschule NRW), Carsten Püttmann (Berufskolleg Canisiusstift Ahaus), Carmen Raschka (Berufliche Schulen der Marienschule Fulda), Esther Sattler (selbständige Elementarpädagogin und Fortbildungsreferentin), Susanne Sistig (Ministerium für Schule und Bildung NRW) und Detlef Zech (Ministerium für Schule und Bildung NRW).

Das Heft ist über die Geschäftsstelle des Verbands der Pädagogiklehrer und Pädagogiklehrerinnen (VdP) zu beziehen: VdP, Fabian Knöpfel, Hubertusstraße 32, 46485 Wesel, geschaeftsstelle@vdp.org.

Weitere Informationen zur Zeitschrift PädagogikUNTERRICHT finden Sie unter: https://www.vdp.org/materialien/zeitschrift-pu

Offener Brief: Bischof von Dresden-Meißen soll Verantwortung für seine Aussagen zur Coronapolitik übernehmen

Vorbemerkung der Redaktion: „Bildungsgerechtigkeit“ dokumentiert einen Offenen Brief des Physikers Prof. Dr. Klaus Morawetz an den Bischof von Dresden-Meißen. Dieser kritisiert, dass der Bischof mit seinen coronapolitischen Aussagen über eine Impfpflicht und strenge 2G-Regeln seine bischöfliche Autorität missbraucht habe. Eine Aufarbeitung einer Coronapolitik, die mehr auf Moralisierung und Panik als rationale Begründung und sorgfältige Abwägung setzte, steht weiterhin aus – auch innerkirchlich. Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Autonomie der irdischen Wirklichkeiten sind nichttheologische Sachfragen mit den Methoden der jeweiligen Fachdisziplin zu klären. Das ist vom Lehramt zu beachten, wenn sich dessen Vertreter in ethischen Fragen zu Wort melden. Der Offene Brief wird hier mit Zustimmung des Verfassers wiedergegeben.

Sehr geehrter Herr Bischof Timmerevers,

da Sie sich als Amtsperson öffentlich in Interviews zum Thema Corona und Impfen geäußert haben, schreibe ich Ihnen diesen Brief ebenfalls öffentlich. Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz haben Sie sich für eine Impfpflicht ausgesprochen [1]. Ja, wie andere Bischöfe auch, haben Sie diese als „moralische Pflicht“ angesehen und es mit Begriffen wie „Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe“ verbrämt.

Nach geschätzten zehntausenden Impftoten und über eine Million z.T. schwer geschädigten Geimpften allein in Deutschland, dem Nachweis, dass die mRNA Spritze gegen Covid das Ansteckungsrisiko mit Covid und anderen Krankheiten durch die Beschädigung des Immunsystems wesentlich vergrößert hat und nach dem offengelegten Betrug der Pharmakonzerne bei der Zulassung, so dass überhaupt ein positiver Effekt dieser Gentherapie sehr fraglich ist, werden Sie sicher einwenden, dass Sie das ja damals nicht wussten und wie Sie selbst bereits vorausschauend im Interview der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ ausführten [2], wir uns gegenseitig „viel zu vergeben haben werden“. Darf ich Sie daran erinnern, dass vergeben werden kann, erst und nur, wenn Schuld eingestanden und bereut wird? Welches Schuldeingeständnis und welche Reue sehen Sie für Ihre bereits damals widerlegbaren falschen Aussagen: „Ich sehe, dass der Staat im Moment noch mit dem milden Mittel der Überzeugung versucht, die Verantwortung beim Einzelnen zu belassen. Ich halte es ethisch aber vertretbar, eine Impfpflicht einzuführen“ und „wo die eigene Freiheit um den Preis der Gefährdung anderer definiert wird, macht sie unser gesellschaftliches Solidarsystem kaputt und ist Egoismus mit Scheuklappen für die Not des Anderen“ oder „Deswegen wäre mir sogar lieber, wenn wir noch konsequenter wären und neben 2G in den kommenden Wochen für alle auf Testungen setzen, also das sogenannte 2G plus“. Nehmen Sie jetzt Verantwortung für die lebenslang Geschädigten auf sich? Denn wie Sie selbst sagten, sei die „Pandemie“ ja ein „Charaktertest“. Sie haben mit Ihrem Anspruch einer bischöflichen Autorität falsche und gefährliche Empfehlungen für Gutgläubige abgegeben. In wie weit könnte solche Irreführung als Amtsmissbrauch gewertet werden? Bereits zum Zeitpunkt Ihres Interviews waren die Informationen seriöser wissenschaftlicher Studien verfügbar, die kritisch das offizielle Narrativ in Frage stellten. Die Verherrlichung der Maskenpflicht, für die der Nachweis einer positiven Nutzen-Schadensbilanz bis heute aussteht, ist ein zweites Versagen Ihrer administrativen Autorität. Es wurden Gläubige bei Gottesdiensten sogar Weihnachten abgewiesen, wenn sie ungeimpft waren bzw. schon, wenn Sie keine Maske trugen. Habe ich da etwas falsch verstanden vom Evangelium über die Einladung zur Feier und dem Besuch von Aussätzigen, bei denen auch nicht anzunehmen ist, dass sie geimpft waren? Hat nicht Jesus recht drastische Worte über Heuchler und Pharisäer gefunden? Als Fazit dieses systemischen Versagens der offiziellen Kirchenadministration kann man nur glücklicherweise konstatieren, dass Bischöfe einem mündigen Katholiken einfach in Lebensfragen nichts mehr zu sagen haben. Selbst das Abendmahl wurde auch ohne Priester gefeiert, da die offizielle Amtskirche die Gläubigen ausschloss. Hoffnungsvoll deutet sich hier eine zukünftige Erneuerung und Bereinigung von überholten Amtsverständnissen an.

Mit hochachtungsvollen Grüßen
Prof. Klaus Morawetz

[1] https://www.domradio.de/artikel/gerechtigkeit-solidaritaet-und-naechstenliebe-katholische-bischoefe-sehen-impfung-als
[2] Dresdner Neueste Nachrichten vom 22.11.2021, https://www.genios.de/presse-archiv/artikel/DNN/20211122/-eine-impfpflicht-ist-ethisch-vertr/doc7iie21ra4axkj54mj4h.html

Universität Münster: Bezug auf Kaiser Wilhelm II. soll getilgt werden

Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster will den Bezug auf ihren Gründer, Kaiser Wilhelm II., aus ihrem Namen streichen. Notwendig ist noch die Zustimmung der Landesregierung. Wenn diese vorliegt, nennt sich die Universität ab 1. Oktober 2023 nur noch „Universität Münster“: ein Allerweltsname, der einmal mehr demonstriert, wie wenig Tradition und nationale Identität an deutschen Universitäten noch zählen. Es bleibt ein Trauerspiel und ein Armutszeugnis zugleich.

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit: „Hochschulen sind Orte der intellektuellen Auseinandersetzung“

Pressemitteilung des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit zur Freiheit der Lehre vom 19. April 2023

Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit begrüßt die Entscheidung der ArbG München vom 10.1.2023, durch welche eine Abmahnung der Hochschule für angewandte Wissenschaften München gegenüber ihrem Mitglied Prof. Dr. Günter Roth für rechtswidrig erklärt wurde. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Bedeutung der Lehrfreiheit herausgestellt und gerügt, dass eine Abmahnung nicht pauschal Darstellungen und Wertungen der Beschwerden von Studierenden übernommen hat. Insbesondere existiert kein Recht von Studierenden, in Lehrveranstaltungen mit bestimmten Fragen nicht konfrontiert zu werden. Auch und gerade in emotionalen und polarisierenden Themen ist es das Recht des Dozenten, eine Diskussion in seinen Lehrveranstaltungen zu eröffnen, sofern er abweichende Auffassungen respektiert und die Grenzen der Rechtsordnung und Verfassung respektiert.

Hochschulen sind Orte der intellektuellen Auseinandersetzung und des Diskurses. Deswegen ist es umso befremdlicher, dass die Hochschule hier offenbar das hochschulinadäquate Begehren einzelner Studierender übernommen hat, mit bestimmten Fragen nicht konfrontiert zu werden.

Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit fordert sämtliche Hochschulleitungen auf, entsprechend der Entscheidung des ArbG München die Lehr- und Wissenschaftsfreiheit der Dozenten zu respektieren.

Quelle: www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de

Rezension: Erfahrungen – Einstellungen – Emotionen

Axel Bernd Kunze rezensiert in der neuen Ausgabe von CONCILIUM drei Titel zum Themenkreis Rassismus und Christentum:

Axel Bernd Kunze (Rez.) Erfahrungen – Einstellungen – Emotionen, in: Concilium 59 (2023), H. 1, S. 115 – 119. Sammelrezension zu: Andreas Benk: Christentum, Antisemitismus und Schoah. Warum der christliche Glaube sich ändern muss, Ostfildern: Matthias Grünewald 2022; Sarah Vecera: Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus, 2. Aufl., Ostfildern: Patmos 2022; Ute Leimgruber (Hg.): Catholic womann. Menschen aus aller Welt für eine gerechtere Kirche, Würzburg: Echter 2021.

Vortrag: Tradition und Idee einer christlichen Burschenschaft

Der folgende Impulsvortrag wurde am 15. April 2023 auf einem burschenschaftlichen Studientag in Bamberg gehalten.

Ich denke, der erste Entschluss, sich näher für einen Lebensbund zu interessieren, geht nicht in erster Linie über die Auseinandersetzung mit Traditionen, Ideen und Prinzipien, die anfangs vermutlich auch mehr oder weniger abstrakt bleiben müssen. Am Anfang stehen konkrete Begegnungen, Erfahrungen – und nennen wir es: „Atmosphärisches“.

Im folgenden Impuls möchte ich zwei Themen ansprechen. Als Erstes: Was charakterisiert eine christliche Burschenschaft? – im Blick auf ihre Traditionen, aber auch im Blick auf die Herausforderungen, die sich heute stellen, ein solches Profil zu leben. Und damit sind wir beim zweiten Punkt: Was kann, was sollte eine christliche Burschenschaft heute leisten?

Teil I: Zwei Charakteristika einer christlichen Burschenschaft

Mit der Bezeichnung „christliche Burschenschaft“ grenzte Hans Waitz (1864 – 1942) in seiner „Geschichte des Wingolfsbundes“ die 1836 gegründete Erlanger Uttenruthia und die 1851 gegründete Burschenschaft Germania zu Göttingen von seinem eigenen Bund ab. 1862 schlossen die Göttinger Germania und die Leipziger Alemannia ein Kartell als vertragliche Grundlage ihres Freundschaftsverhältnisses. Auch wenn das Kartell bereits 1866 formal abgebrochen wurde, als die Alemannia stark zusammengeschmolzen war, besteht das besondere Freundschaftsverhältnis mit wechselnder Intensität bis heute – aus einem Beitrag in den Burschenschaftlichen Mitteilungen der Alemannia: „Das Bündnis verstand und versteht sich […] als Wahrer eines christlich-burschenschaftlichen Wertekanons, der sich direkt auf die Urburschenschaft bezieht und mit seiner besonderen Prägung eine spezifische Strömung in der burschenschaftlichen Bewegung darstellt.“  Zwei Charakteristika möchte ich im Folgenden näher herausheben: die christlich-deutsche Gesinnung und die burschenschaftliche Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft.

1. Christlich-deutsche Gesinnung

Die für die Moderne geltende Autonomie der Bildung setzt eine eigene religiöse Praxis nicht zwingend voraus, das zeigen die Selbstverständnisse der christlichen Burschenschaften. Im Rahmen des Richtigen können verschiedene religiöse oder konfessionelle Bekenntnisse nebeneinanderstehen. Der einzelne bleibt aber herausgefordert, zwischen ihnen eine subjektive Entscheidung zu treffen.

Das Christianum fordert kein persönliches Glaubensbekenntnis, doch ist mit der Bindung an dieses Prinzip eine gewichtige Wertvorentscheidung getroffen. Gemeint ist ein formales Prinzip, ähnlich wie beim Gottesbezug des Grundgesetzes, so der Kulturpolitiker Thomas Sternberg: „Es geht um die Anerkennung einer Verantwortung über die bloße Mehrheitsmeinung oder Opportunität hinaus.“ Es geht um die Gründung der sittlichen Person, die noch einer anderen Instanz, ihrem Gewissen, gegenüber verpflichtet ist. Es geht um eine Rückversicherung gegenüber totalitären Tendenzen und einer Selbstüberschätzung des Menschen. Ohne Letztbezug wäre eine Bildung der sittlichen Person nicht möglich.

Ein kulturethischer Bezug zwischen Gott und Nation findet sich von der Zeit der Befreiungskriege bis zum Gottesbezug in der Präambel unseres heutigen Grundgesetzes. Auch wenn die Gottesformel nichtkonfessionell gemeint ist und für unterschiedliche individuelle Bekenntnisse offenbleibt, ist sie keineswegs wertneutral. Sie markiert als „Leerstelle“ jenes geistige Fundament, auf dem unser Gemeinwesen aufruht und das der moderne Staat, der selbst der Legitimation bedarf, nicht selbst garantieren kann.

Der Nationalstaat hat nicht ohne das Ringen mit der Kirche das Licht der Welt erblickt; der Kulturkampf in Deutschland hat bis heute Spuren hinterlassen. Die Hochzeiten nationaler Lutherdeutung und die für Deutschland prägenden „Los-von-Rom-Mythen“ waren alles andere als frei von antikirchlichen und antiklerikalen Affekten. Doch auch der säkularisierte Nationalstaat kann nicht gänzlich auf ein geistig-religiöses Fundament verzichten. In der Tradition, der sich die christlichen Burschenschaften verpflichtet fühlen, drückt sich dies in der Formel „christlich-deutscher Gesinnung“ aus.

Die Mitgliedschaft in einer christlichen Burschenschaft setzt ein persönliches Bekenntnis nicht zwingend voraus, wohl aber die ernsthafte geistige Auseinandersetzung mit religiösen und ethischen Fragen und die Bereitschaft, das besondere Profil einer christlichen Burschenschaft aktiv mitzutragen. Und dies bedarf, wie der leider viel zu früh verstorbene frühere Sprecher des Cartells Christlicher Burschenschaften, Marinus Klenk, angesichts abnehmender religiöser Sozialisation deutlich macht, auch fester Orte in den Semesterprogrammen und im Aktivenleben. Denn die aktuelle Ausformung des Christianum benötige – so Klenk in einem Beitrag für „Die Schwarzburg“ – „eine gewisse Grundanzahl von christlich fest gebundenen Aktiven in einer jeden Aktivitas, um verstanden zu werden“, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen seiner offenen Auslegung.                                                                             

An dieser Stelle haben christliche Burschenschaften, verstanden als akademische Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften, einen entscheidenden Bildungsauftrag gegenüber ihren Mitgliedern, noch einmal Klenk: „Die Vermittlung des Christianum […] muss letztlich auf zwei Ebenen, der praktischen und der geistig-intellektuellen stattfinden. Die praktische hat hierbei zuvorderst zu erfolgen, da sie schlicht die für die meisten unmittelbar leichter zugängliche ist. […] Das große Ziel ist, dass ein jeder […] hierüber den persönlichen, inneren Schritt für die eigene Persönlichkeit von einer bloßen automatischen und letztlich noch unreflektierten Anwendung der Werte hin zu einer voll darüber durchreflektierten Haltung mit daraus abgeleiteten Handlungsoptionen geht. Um den neuen Füxen überzeugend nahe zu bringen, was das Christianum ist und worin es besteht, muss ein jeder Bundesbruder […] das Selbstverständnis einer christlichen Grundhaltung aktiv […] vorleben wie auch die hieraus erfolgten Handlungen in sich konsistent begründen können.“

Klenk macht in den meisten Bünden neben den beiden oben genannten Deutungen des Christianum eine mittlerweile überwiegend vorherrschende, dritte Deutung aus, die er als eine „säkulare“ kennzeichnet. Seine Diagnose lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Diese faktisch gelebte (Aktiven-)Realität umfasst bestenfalls – und dies nicht durchgängig – bloß noch die Einhaltung der goldene [sic!] Regel der praktischen Ethik ‚Was du nicht willst, dass man dir tu, das füge keinem anderen zu‘ und darüber hinausgehend – dafür aber mit absolut zuverlässiger Durchgängigkeit – die effektive Maximierung des eigenen Spaß- und Lustgewinnes.“

Wir sollten diesen Fragen nicht ausweichen, wenn uns das Element christlich-deutscher Gesinnung weiterhin lieb ist. Die christlich geprägte Wertordnung unseres Vaterlandes wird gegenwärtig nicht allein durch Säkularisierung und Entkirchlichung infrage gestellt. Wir erleben auch einen beschleunigten Wertewandel, durch den sich Politik und Gemeinwesen immer stärker von einem christlich geprägten Personalismus und Humanismus verabschieden. In meinen Hochschulseminaren ist das immer stärker spürbar, etwa bei den Themen Abtreibung und Sterbehilfe.

2. Burschenschaftliche Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft

Die Idee der Burschenschaft wurde geboren aus der Sehnsucht nach dem größeren Vaterland, dem einen Deutschland, und seiner inneren Freiheit. Und dies getragen durch ein Bildungsverständnis, das den Einzelnen zur Selbsttätigkeit freisetzen will.

Denn die Nationalstaatsbildung konnte nicht gelingen, indem „Nation“ einfach zum Bildungsziel erhoben wurde. Nationwerdung beginnt vielmehr damit, dass die Einzelnen dazu befähigt werden, eine eigene Vorstellung von Nation zu entwickeln. Stellvertretend für diese Sicht kann Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) zählen. Keine Nation gleicht für Herder einer anderen. Ihre unverwechselbare Gestalt aber erhalte diese durch Bildung: Eine Nation müsse sich erst in ihrer Besonderheit erkennen und schließlich auch darstellen. Herder sprach von einem – pädagogisch zu weckenden – Erkenntnisprozess der eigenen Sitten und Gewohnheiten, der von ihm als „Bildung einer Nation durch sich“ bezeichnet wurde.

Gesellschaftliche Weiterentwicklung kann nur durch Bildung der Individuen gefördert werden, so der Bonner Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin: „Bildung bezieht sich […] auf jenen Bereich des Menschen, der von der Natur nicht festgelegt ist und von der Gesellschaft nicht geformt werden kann oder soll.“ Die Universität hat der studierenden Jugend traditionell ein „Entwicklungsmoratorium“ zur Verfügung gestellt: eine Zeit, in der sich der einzelne nicht allein auf die Ausübung eines bestimmten Berufes vorbereiten sollte, sondern auf eine umfassende, aktive Rolle in Staat und Gesellschaft. Dabei geht es darum, den einzelnen zu befähigen, selbst tätig zu werden und eigenständig sittliche Urteile zu fällen. Das Studium bereitet nicht einfach auf eine Zukunft vor, die bereits vorgegeben ist, sondern soll den einzelnen dazu befähigen, diese Zukunft erst im Verein mit anderen hervorzubringen. An der historischen Rolle der burschenschaftlichen Bewegung lässt sich dies sehr deutlich ablesen. Diese war ein wichtiger Vorkämpfer für ein geeintes Deutschland.

Was Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit bedeuten, lässt sich nicht einfach aus ein für alle Mal gültigen Normen und Regeln ableiten, sondern muss immer wieder von neuem gesucht und angestrebt werden – im gemeinsamen Ringen um die höchsten Ziele und Inhalte des Lebens. Dies setzt selbständige Persönlichkeiten voraus, die gelernt haben, frei zu denken und zu handeln und für das einzustehen, was sie als gut und richtig erkannt haben.

Doch ist Bildung kein zwangsläufig ablaufender Prozess. Sich zu bilden, wird weder durch vollkommene Ungebundenheit noch durch bloße Beliebigkeit gelingen. Befähigung zur Mündigkeit setzt bestimmte Standards im sozialen Umgang voraus. In diesem Sinne ist eine Bildungsgemeinschaft normativ, aber unter dem Zwang zur Selbstbeschränkung; sie darf ihre Mitglieder nicht normieren und auf bestimmte Zwecke festlegen wollen. Ein Studium soll dazu befähigen, die „Welt selber zu denken“.

Hinzu kommt die Aufgabe gegenseitiger Erziehung: Die Gemeinschaft kann den Einzelnen dabei unterstützen, seine Freiheit zunehmend zu kultivieren und eine eigenständige Haltung zum Gelernten aufzubauen. Sie kann ihm Möglichkeiten aufzeigen, wie das Gelernte zu einem gelingenden Leben beitragen kann und wie mit ihm verantwortlich und gemeinwohlförderlich umzugehen ist. Sie kann den Einzelnen fördern – und zwar, indem sie den Einzelnen herausfordert, über das bisher Erreichte hinauszuwachsen. Wem die Forderung und Herausforderung, sich anzustrengen, fehlt, dem wird es schwerfallen, zu entdecken, was in einem steckt, und die eigene Persönlichkeit zunehmend eigenständiger in der Bewältigung der Herausforderung zu entwickeln. Wenn Erziehung nicht in Uniformierung, Manipulation oder Indoktrination umschlagen soll, ist eines aber nicht möglich: Die Aufgabe, „Ich“ zu sagen – zu entscheiden, wer ich sein will und wie ich leben will –, kann niemand dem Einzelnen abnehmen. Befähigung zur Selbstbestimmung ist nur als Aufforderung zur Selbsttätigkeit denkbar. Eine Burschenschaft vermittelt gehaltvolle soziale Erfahrungen und kann dem Einzelnen Hilfestellung geben, diese geistig zu verarbeiten. Dabei geht es um mehr als Wissen oder formale Fähigkeiten. Aus diesen soll vielmehr eine akademische Haltung werden: in der schöpferischen Auseinandersetzung mit kulturellen Werten und Traditionen, mit Sitte und Brauchtum, durch die Einübung gemeinsamer Regeln und das Ringen um gemeinsame Überzeugungen und durch Einbindung in eine gelebte Verantwortungsgemeinschaft, die durch das Tragen der Farben auch sichtbar nach außen gezeigt wird und den Einzelnen verpflichtet.

Bildung kann nicht selbst Sinn schaffen. Doch setzt Bildung, will der Einzelne nicht bloß ein Funktionär der bestehenden Verhältnisse oder der Interessen der Gemeinschaft sein, die Überzeugung voraus, dass es im menschlichen Leben etwas geben sollte, das über die Mittel der bloßen Daseinserhaltung hinausgeht. Andernfalls würde das Bewusstsein des Subjekts auf das Überlebensinteresse des Kollektivs reduziert. Der Dreiklang von „Gott – Freiheit – Vaterland“ in den christlichen Burschenschaften zeigt ein Wissen um diesen Zusammenhang. Die Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft einer christlichen Burschenschaft bietet dem Einzelnen eine Orientierung gebende Wertegemeinschaft, und damit jenen Raum, in dem die Sinnfrage gestellt und gemeinsam um Antworten gerungen werden kann. Die persönliche Antwort auf die Sinnfrage muss allerdings jeder selbst geben. Bildung kann zwar den Raum eröffnen, die Sinnfrage zu stellen, einen letzten Lebenssinn findet der Einzelne in ihr jedoch nicht. Bildung verweist den Einzelnen auf sich selbst, seinen Lebenssinn zu suchen und jene Wahrheit zu erkennen, die ihn frei macht – frei jenseits aller menschengemachten Bildungsanstrengungen.

Teil II: Verantwortung, Individualität und Freiheit

Blicken wir noch einmal auf die Anfänge der burschenschaftlichen Bewegung zurück. Einer ihrer Vordenker, Ernst Moritz Arndt, schreibt im „deutschen Studentenstaat“: „Wer diese höchste Zeit des Daseins, diese deutsche Studentenzeit durchlebt und durchgespielt und durchgefühlt hat, wer in ihr gleichsam alle Schatten eines dämmernden Vorlebens und alle Masken einer beschränkteren und mühevolleren Zukunft in verkleideten Scherzen und mutwilligen Parodien durchgemacht hat, der nimmt in das ärmere Bürgerleben, dem er nachher heimfällt, und dem er seinen gebührlichen Zins abtragen muss, einen solchen Reichtum von Anschauungen und Phantasien hinüber, der ihn nie ganz zu einer chinesischen Puppe und zu einem hohlen und zierlichen Lückenbüßer und Rückenbücker der Vorzimmer werden lässt.“

Wie sieht es heute aus? Was können wir aus den burschenschaftlichen Ideen für heute lernen? Ich möchte ein paar Impulse anhand der Stichworte Verantwortung, Individualität und Freiheit versuchen.

1. Befähigung zur Verantwortung

Vieles hat sich seit diesen Zeiten verändert. Immer wieder müssen wir danach fragen, wie unser burschenschaftlicher Auftrag, wie unsere akademische Freiheit und unsere politische Verantwortung im Kontext ihrer jeweiligen Zeit gelebt werden können. Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz, der pointierte Formulierungen keinesfalls scheut und immer wieder scharfzüngig mit dem schwindenden Freiheitsbewusstsein unserer Zeit abrechnet, zählen zu den gegenwärtigen Umbrüchen innerhalb der universitären Kultur gerade jene „Professoren, die lieber Lehrer sein möchten, und die Studenten, die lieber Schüler bleiben wollen. Verklärt wird das Ganze durch die konsumistische Rhetorik vom Studenten als Kunden.“

Können uns Arndts Worte angesichts einer solchen Zeitdiagnose überhaupt noch etwas sagen? Ich meine: Ja.

Ein befreundeter Kollege aus der Erziehungswissenschaft, Bernd Ahrbeck, schreibt in seinem neuesten Band „Jahrmarkt der Befindlichkeiten“: „Die Gesellschaft ändert sich gravierend, in einer Geschwindigkeit und Richtung, die noch vor einem Jahrzehnt unvorstellbar war. Grundfeste der bürgerlichen Ordnung werden infrage gestellt: Nicht nur punktuell, wie es im Laufe der Zeit immer wieder und teils mit erfrischender Wirkung geschah. Nunmehr kumulieren einzelne, ursprünglich separierte Anliegen zu einer Bewegung, die sich machtvoll in Szene setzt und zunehmend an Einfluss gewinnt. Sie strebt einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel an, ein neues kulturelles Selbstverständnis, das mit dem bisherigen an entscheidenden Stellen bricht.“

Angesichts einer derartigen Zeitdiagnose scheint es nicht fern zu liegen, von Kulturkämpfen zu sprechen, die wir in unseren Tagen erleben. Dem damit verbundenen moralischen Druck kann sich kaum noch jemand entziehen, schon gar nicht in akademischen, politiknahen, pädagogischen oder wissenschaftlichen Berufen. Und ein Zweites: Was kann heute Einsatz für das Vaterland, Einsatz für den Staat bedeuten – in einer paradoxen Stimmung: Einerseits ist viel von Gesellschaft die Rede; die Rede von Gesellschaft hat akademisch sehr häufig die Rede vom Staat ersetzt. Von Letzterem ist allenfalls noch als Sozialstaat die Rede, dem gegenüber wir Ansprüche haben. Andererseits dringt der Staat immer deutlicher in immer mehr gesellschaftliche Bereiche ein und unterwirft diese seiner Steuerung.

Angesichts einer solchen Entwicklung werden Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften – etwa Burschenschaften –  umso wichtiger: Ihre Aufgabe bleibt es, zu Arndts Zeiten wie heute, ihre Mitglieder zu eigenständigen, reifen, verantwortungsfähigen Persönlichkeiten heranzubilden – nicht als strategischer Karrierevorteil (das kann es dann auch sein, aber sekundär), sondern als Ausdruck einer humanen Haltung, die dem Einzelnen Großes zutraut und davon überzeugt ist, dass nur so auch dem Gemeinwesen am besten gedient ist. Unser Gemeinwesen lebt von der Produktivität und freien Selbsttätigkeit der Einzelnen.

Akademische Berufe verlangen dem Einzelnen ein hohes Maß an Freiheit im Denken und Handeln, an Eigenverantwortung und sittlicher Reflexion, an Entscheidungsfähigkeit und Führungsstärke, an sprachlichem Differenzierungsvermögen und gedanklicher Klarheit ab: Fähigkeiten, die im Studium von Anfang an grundgelegt werden müssen. Eine Burschenschaft bietet einen Schutzraum, solche Fähigkeiten zu erproben: in der Führung von Conventen, beim Führen eines Präsidiums, in der akademischen Rede auf Bundesveranstaltungen oder im Schreiben von Beiträgen für die eigene Bundeszeitschrift. Aber: Diese Möglichkeiten müssen auch genutzt werden. Alten Herren ermöglicht die Burschenschaft – wie schon anfänglich gesagt – die Erfahrung einer Auszeit. Wir können wieder „auftanken“, den Konventionalitäten des Alltags für eine bestimmte Zeit entfliehen. Wir können uns gegenseitig stärken. Und das bleibt nicht ohne Wirkung und Ausstrahlung

2. Befähigung zur Freiheit

Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften können ihren Mitgliedern wertvolle Handlungsfähigkeiten vermitteln, die für eine aktive Rolle in Staat, Beruf und Gesellschaft unverzichtbar sind. Eine habituell disponierte Handlungsbereitschaft zu erzeugen, kann allerdings nicht ihr Ziel sein. Gemeinschaften, die eine solche – heute gern „woke“ – „Mission“ zu verfolgen versuchten, überwältigen, statt zur denkenden Auseinandersetzung anzuregen. Sie würden damit aber gerade das verfehlen, worauf der demokratische Verfassungsstaat unverzichtbar angewiesen bleibt: die Befähigung zum Vollzug von Freiheit. Und gerade diese ist es, die das Spezifikum des demokratischen Rechtsstaates ausmacht (eine an sozialer Gerechtigkeit oder Gleichheit orientierte Politik ist auch in anderen politischen Ordnungen denkbar).

Damit ist nicht gesagt, dass die freiheitliche Demokratie des engagierten Diskurses über republikanische Tugenden und Leitkategorien entbehren kann – im Gegenteil: Es braucht die leidenschaftliche Debatte um den Stellenwert von Freiheit, Gleichheit und Solidarität, es braucht eine Vorstellung von Gemeinschaft und nationaler Zugehörigkeit, es braucht den engagierten Einsatz für das Recht und einen gesellschaftlichen Grundkonsens, es braucht den Willen zum Kompromiss und zur Kooperation. Umfassende Persönlichkeitsbildung, politisch-ethische Bildungsarbeit und interdisziplinäre „Brückenschläge“ sowie die Einführung in eine bildungsbezogene Kultur und deren Wertigkeit leisten hierzu einen unverzichtbaren Beitrag.

Wertorientierte Gruppierungen, die am Prinzip starker Individualität festhalten wollen und sich dem gegenwärtigen Trend zu einer „massendemokratischen Neujustierung der [sic!] Verhältnisses von Einzelnem und Gruppe“ widersetzen, haben in der gesellschaftlichen Landschaft aktuell aber einen schweren Stand. Das scharfe Urteil über den gegenwärtigen Trend zur Entindividualisierung stammt noch einmal aus der Feder Norbert Bolz. Erst jüngst hat eine polarisierende, aggressive Coronapolitik gezeigt, wie schnell viele bereit sind, einen autoritären, biopolitischen Neokollektivismus mitzutragen, wie schnell grundlegende Freiheitsrechte ohne sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung außer Kraft gesetzt werden und Andersdenkende ausgegrenzt und diffamiert werden können.

Nicht mehr die individuelle Persönlichkeit, sondern der Rhythmus der Gruppe, nicht mehr die Freiheit der eigenen Meinung, sondern der „Teamgeist“, nicht mehr die individuelle Leistung, sondern die Gruppenzugehörigkeit stehen für Bolz gegenwärtig im Vordergrund: „Die Wissenschaft ist längst in den Dienst des Gruppenkults getreten: Und an dem typischen Campus-Phänomen der Politischen Korrektheit kann man sehen, dass heute nicht mehr die Wissenschaft verfolgt wird, sondern sie selbst die Verfolgung des heterodoxen Geistes organisiert. Auch an Universitäten darf man heute dumm sein, aber man darf nicht von der Parteilinie abweichen.“

Deutlich beschreibt Bolz jenes Klima, unter dem prinzipienorientierte Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften, beispielsweise studentische Korporationen, im Zeitalter schneller Internetkommunikation, flüchtiger „Freundschaften“ in sozialen Netzwerken oder temporärer, projektbezogener Bindungen leiden. Ein Lebensbund, erst recht ein männlicher, – dem Thema werden wir uns noch widmen – gilt als elitär, konservativ, irgendwie „rechts“, diskriminierend und verachtenswert. Hässliche Farbflecken an der Hauswand bezeugen es.

Den Kritikern geht es dabei oft weniger um ein bestimmtes äußeres Verhalten als vielmehr um Gesinnungskontrolle, weniger um Pluralismus und freie Vergemeinschaftung als um pseudopartizipatorische Selbstbekenntnisse und gesellschaftliche Gleichförmigkeit, weniger um Toleranz und den fairen Wettstreit konkurrierender Positionen als um Programme der Bewusstseinsbildung. Die Entwicklungen, die politisch und gesellschaftlich dahinterstehen, haben in den vergangenen Jahren noch deutlich an Fahrt aufgenommen – und werden wohl noch weiter an Dynamik gewinnen.

Wollten sich Burschenschaften auf die inquisitorische Prüfung von Gesinnungen und deren Kontrolle einlassen, würden sie, solange sie ihren jeweiligen spezifischen Charakter nicht verleugnen und das Toleranzprinzip nicht preisgeben wollen, vermutlich nur verlieren. Ein schneller „Klimawandel“ ist nicht in Sicht, Burschenschaften werden „unzeitgemäß“ bleiben. Sie werden aber Zukunft haben (wenn auch nicht mehr als milieugebundenes „Massenphänomen“), wenn sie das bieten, was das gegenwärtige, stark auf gesellschaftliche Zwecke finalisierte Bildungssystem möglicherweise immer weniger bietet: eine Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft, die groß vom Einzelnen denkt, die das Individuum zur Selbsttätigkeit freisetzen und nicht betreuen will, die zum Selbstdenken herausfordert und die den Mut zum eigenen Gedanken weckt, die um den Ernst des Daseins weiß (und daher auch religiöse Fragen nicht ausspart) und jene Kräfte stärkt, die notwendig sind, sich dem Zwang zum unproduktiven Gruppendenken zu widersetzen. Dies ist ein anspruchsvolles Programm und verlangt, den Einzelnen zu fördern, ihn aber auch zu fordern. Ein Lebensbund ist keine Einbahnstraße. Der Unterstützung im Lebensbund stehen die Verantwortung im Studium und das akademische Streben nach Studienerfolg gegenüber. Beides sind Kehrseiten ein und derselben Medaille. Wir werden später noch überlegen müssen, was dies für die Keilarbeit bedeutet.

Ausblick

Unser burschenschaftlicher Auftrag hat nicht an Bedeutung verloren. Und er kann, davon bin ich überzeugt, auch heute noch anziehend sein. Wir sollten unser burschenschaftliches Profil aber auch ins Fenster legen. Wir sollten es nicht verstecken, wir müssen es dann aber auch leben. Wir sollten unser burschenschaftliches Profil nicht unter Wert verkaufen. Denn wenn ich am Ende doch nur das finde, was alle bieten, muss ich mich keinem Lebensbund anschließen. Das kann ich auch anders haben.

Noch einmal gefragt: Was hat jeden von uns in den Lebensbund geführt? Wovon hat er sich anziehen und überzeugen lassen? Was ist es heute, weshalb ich mich für meine Burschenschaft engagiere? Was sind heute die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, wenn wir unserem burschenschaftlichen Auftrag treu bleiben wollen? … Wenn wir uns als eine akademische Bildungsgemeinschaft begreifen, die starke Einzelne, eben Persönlichkeiten und Originale, keine Kopien oder Serienstücke in ihren Reihen haben will, dann kann die Antwort auf diese und ähnliche Fragen nur jeder Einzelne von uns selber geben. Damit ist die Diskussion eröffnet.

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit: Einschüchterungsversuch im Vorfeld von Migrationskonferenz

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zum Versuch des SPD-Landtagsabgeordneten Jan Pasternack in die Wissenschaftsfreiheit von Prof. Susanne Schröter einzugreifen

Pressemitteilung vom 15. April 2023

Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit verurteilt den Einschüchterungsversuch des SPD-Landtagskandidaten Jan Pasternack anlässlich der für den 28. April geplanten Konferenz an der Frankfurter Goethe-Universität zur Migrationspolitik. In seiner Stellungnahme fordert Pasternack den Ministerpräsidenten auf, der Konferenz die Schirmherrschaft zu entziehen, und die Wissenschaftsministerin, das veranstaltende Forschungszentrum Globaler Islam zu überprüfen. Pasternacks Forderung stützt sich auf die Auswahl von Rednern wie Boris Palmer oder Ahmad Mansour.

Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit sieht in solchen übergriffigen Stellungnahmen einen Versuch, die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken. Es obliegt nicht der Politik, angeblich „objektiv“ die wissenschaftliche Qualität von Universitätsveranstaltungen zu beurteilen und Konsequenzen zu fordern. Deshalb fordern wir die Parteiführung der SPD in Hessen auf, sich von dieser Cancel Culture zu distanzieren, und die hessische Wissenschaftsministerin, den Angriff zurückzuweisen.

Zur Konferenzankündigung: https://www.ffgi.net
Zur Ausgangsmeldung: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/kritik-an-migrationskonferenz-in-frankfurt-mit-palmer-und-mansour-18821032.html

Quelle: www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de