In der aktuellen Ausgabe der GEW-Zeitschrift „Erziehung und Wissenschaft“ weist die Bildungsgewerkschaft auf das EuGH-Urteil vom 14. Mai 2019 zur Arbeitszeiterfassung hin – … das auch für Lehrkräfte und Wissenschaftler umgsetzt werden sollte (GEW: „Selbstausbeutung bekämpfen“). Die Sache ist m. E. zweischneidig: Zum einen wäre es in der Tat wichtig, einmal den realen Aufwand in lehrenden Berufen zu erfassen – das gehört zur Fürsorgeverpflichtung des Dienstgebers. Andererseits ist die Zeithoheit ein hohes Gut. Gewonnen wäre nichts, wenn am Ende ein bürokratisches Monster steht, das die Mitarbeiter nicht schützt, sondern erdrosselt.
Über die Probleme der Umsetzung der europäischen Vorgaben im Schul- und Hochschulbereich gibt es mittlerweile auch rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen. Professoren, so einer der Juristen, die hierzu publiziert haben, wäre dann auch die Möglichkeit versperrt, Arbeit auf Mitarbeiter im Mittelbau abzuwälzen – denn dies würde durch die Zeiterfassung sichtbar gemacht.
Im GEW-Interview wird die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber jede Arbeitsstunde erfassen müsse. Die Gewerkschaften hoffen, dass damit endlich eine empirische Grundlage zur Verfügung stehen könnte, die Anlass für arbeits- oder verwaltungsrechtliche Klagen bieten würde – mit der Folge, dass der Gesetzgeber gezwungen werden könnte, regelnd einzugreifen. Denn die Arbeitszeit von Lehrkräften oder Professoren dürfe nicht höher sein als bei anderen Beamten oder Angestellten. Ferner geht der interviewte Jurist davon aus, dass das EuGH-Urteil eine Selbsterfassung der Arbeitzseit ausschließe, das heißt: Der Dienstgeber müsste die Arbeitszeit erfassen und dürfte diese Aufgabe nicht durchgängig an die Dienstnehmerseite delegieren (diese Lesart des EuGH-Urteils ist aber juristisch umstritten). Und alle Dokumentationslasten, die der Dienstnehmer erbringt, müssten in die Arbeitszeit eingerechnet werden, dürften also nicht zulasten der Freizeit gehen. Hauck-Scholz, der in der „Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht“ über die Thematik geschrieben hat, spricht zum Beispiel davon, dass Wissenschaftler im Falle von Bibliotheks-, Archivrecherchen oder Studienreisen gezwungen sein könnten, eine Selbsterfassung ihrer Dienstzeit selbst vorzunehmen. Momentan gibt es einen Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium zur Umsetung des EuGH-Urteils. Dieser berücksichtigt aber nicht die Spezifika von Lehrkräften und Hochschulmitarbeitern, da Beamte nicht im Blick des Ministeriums sind. Es wird noch viel Wasser die Spree runterfließen … Doch bleibt die Frage, ob DGB und DBB/Tarifunion, wenn es dabei bleibt, für den Schul- und Hochschulbereich dann mit Musterklagen dagegen vorgehen werden und eine Zeiterfassung auch hier zu erzwingen versuchen. Das Urteil zeigt, wie stark europäische Rechtsakte mittlerweile in nationale Kulturen und überkommene Traditionen, etwa eines historisch gewachsenen Dienstrechts, einzugreifen im Stande sind.