Neuerscheinung: Bildungsgerecht – Überlegungen zur Gestaltung des Schulsystems vor dem Hintergrund bildungspolitischer Debatten um Sozialindizes und Vermeidung von Übergängen

„Der Beitrag des Erziehungswissenschaftlers Axel Bernd Kunze thematisiert aus gegebenem Anlass grundsätzliche Fragen der Bildungsgerechtigkeit vor dem Hintergrund von Überlegungen und Visionen zu einer sozialpolitisch motivierten Neuausrichtung des Schulsystems.“ (Lars Strotmann im Editorial zu „Bildung aktuell“, Heft 6/2020)

Axel Bernd Kunze: Bildungsgerecht. Überlegungen für ein Schulsystem, das dem Einzelnen gerecht wird, in: Bildung aktuell 71 (2020), H. 6/2020 (November), S. 6 – 8.

Schlaglicht: „Volkspädagogische Bevormundung“ oder kulturpolitische Daseinsvorsorge?

… „auslisten“ ist eine sehr euphemistische Umschreibung für das, worauf Josef Kraus in einer aktuellen Kolumne aufmerksam macht. Von Volks-„Pädagogik“ wird man auch nur mit Sarkasmus sprechen können. Denn Pädagogik sollte ja zum Selberdenken, zur Selbstbestimmung und zum freien Prüfen fremder Geltungsansprüche anleiten, nicht zur Zensur. Die kann es nicht allein von staatlicher Seite aus geben, sondern auch durch einflussreiche gesellschaftliche Kollektive. Es ist keine gute Entwicklung, welche der Börsenverein hier vorantreibt. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie wir seinerzeit im sozialethischen Oberseminar über den Amazonboykott diskutiert haben (ja, damals konnte man über solche Themen noch diskutieren …) – ich hatte damals schon ein ungutes Gefühl, aber leider war ich in der Minderheit. Es ist Ausdruck eines schwindenden Freiheitsbewusstseins, wenn unliebsame Meinungen nicht mehr dem freien Diskurs ausgesetzt werden, sondern unter der Ladentheke verschwinden. So waren Zensurverbot, Meinungs- und Pressefreiheit des Grundgesetzes ursprünglich nicht gemeint gewesen. Sollte der Börsenverein diese Verbandspolitik weiter umsetzen, wären kulturpolitische Schutzmechanismen wie der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Bücher und die Buchpreisbindung nicht mehr gerechtfertigt. Diese Instrumente sind Ausdruck einer kulturpolitischen Daseinsvorsorge, der sich der Börsenverein offenbar nicht mehr verpflichtet sieht.

Neuerscheinung: Gottesdienstmodell für den zweiten Weihnachtsfeiertag

Der zweite Weihnachtsfeiertag ist dem Gedächtnis des heiligen Stephanus, des ersten Märtyrers, gewidmet. Das Heiligenfest ist ein guter und leider notwendiger Anlass, das christliche Martyrium theologisch wieder stärker ins Blickfeld zu rücken – ein kurzer Auszug aus dem Predigtvorschlag:

Gerade einmal ein Tag und eine Nacht – und die Weihnachtsidylle ist wie weggeblasen. Ein neues Kapitel bricht in den heutigen Lesungen für das junge Christentum an: Die Steinigung des Stephanus ist Auftakt für die Verfolgung und Zerstreuung der Jerusalemer Urgemeinde.

Weitere Verfolgungen werden folgen, bis in unsere Tage. Papst Johannes Paul II. schrieb vor der Jahrtausendwende: „In unserem Jahrhundert sind die Märtyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt, gleichsam ‚unbekannte Soldaten‘ der großen Sache Gottes.“ Ein Ende ist nicht abzusehen. Das Christentum sei die am stärksten verfolgte Religionsgemeinschaft weltweit, urteilen Nichtregierungsorganisationen. Das Hilfswerk „Open Doors“ spricht von rund 160 Millionen verfolgten Christen; in 69 Ländern seien sie Bedrohungen oder Benachteiligungen ausgesetzt.

Axel Bernd Kunze: Anfrage an uns (Lesejahr B: Fest des heiligen Stephanus), in: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen 17 (2020), Heft 6, S. 1119 – 1134, hier: 1122 f.

Offener Brief: Ein Abonnent geht von Bord

… und wieder hat ein sog. Flaggschiff einen Abonnenten verloren. Professor Brenner, der schon früher in einem Offenen Brief seine Mitgliedschaft in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft gekündigt hat, hat nun auf dieselbe Weise sein Abonnement der FAZ beendet.

Einige der genannten Kommentare und Beiträge haben auch bei mir Unmut erzeugt. In der Hochzeit des „Stillstands“ hatte ich dann die NZZ im Probeabonnement. Die journalistische Qualität ist dort grundsätzlich (noch?) höher; allerdings reicht mir die Deutschlandberichterstattung auch bei der NZZ-Deutschlandausgabe dann am Ende doch nicht aus. So sehe ich momentan keine Alternative zur FAZ, wenn die journalistische Qualität dort auch bedenklich nachgelassen hat.

Der Offene Brief findet sich unter folgendem Link: https://www.tumult-magazine.net/post/peter-j-brenner-k%C3%BCndigung-der-faz

Schlaglicht: Gesellschaftliche Freiheit durch mehr staatlichen Einfluss?

Michaela Wiegel schreibt im Leitartikel der F.A.Z. vom 22. Oktober 2020 in Reaktion auf den brutalen Mord an einem Lehrer in Frankreich, dass „jedes Kind ungeachtet seiner Herkunft und Religion Anspruch auf einen von familiären Einflüssen freien Raum hat, in dem es sich zu einem aufgeklärten mündigen Bürger entwickeln kann“. Die Staatsgläubigkeit, die aus einer solchen Lesart des Elternrechts spricht, mutet gerade unter der Überschrift „Kampf für die freie Gesellschaft“ seltsam an: Zu einer solchen gehört, dass Kinder vorrangig durch ihre Eltern und nicht durch öffentliche Kollektive erzogen werden. Gewiss: mit zunehmendem Alter nach der Formel „schwindendes Elternrecht – wachsendes Kinderrecht“. Der Beweis, dass ein laizistisches Gemeinwesen, das Religion zur Privatsache erklärt und aus den Schulen verbannt, bei der Integration erfolgreicher ist, steht auf tönernen Füßen. Mündigkeit wird gefördert, wenn Kinder zur eigenständigen, reifen Urteilsbildung in religiösen Fragen befähigt werden. Hierfür braucht es einen robusten Rechtsstaat, der Extremismus entschieden bekämpft, aber keinen Staat, der religiöse und familiäre Orientierung staatlich nivelliert und damit selber zum übergriffigen Weltanschauungsstaat wird.

Josef Kraus und Heinz-Peter Meidinger nehmen Stellung zu Lehrermord in Frankreich

Josef Kraus, ehemaliger Präsident des Deutschen Lehrerverbandes nimmt in einem Kommentar in der „Tagespost“ die deutschen „(Nicht-)Reaktionen“ auf den terroristischen Mord an einem Lehrer in Frankreich ins Visier: https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/kommentar-staerkt-endlich-den-lehrern-den-ruecken;art315,212984

Immerhin hat der bayerische Landtag am 21. Oktober, zu Beginn einer Plenarsitzung, in einer Schweigeminute des Opfers gedacht.

Kraus Nachfolger, Heinz-Peter Meidinger, forderte in einer Stellungnahme seines Verbandes, Lehrern den Rücken zu stärken und verwies auf zunehmende Gewalt und Einschüchterungsversuche ihnen gegenüber:
https://www.lehrerverband.de/tag/mord/

Sollen Lehrer weiterhin „systemrelevant“ bleiben, muss der Staat auch die pädagogische Freiheit schützen.

Petition: Freie Sprache – Für eine freie Meinungsäußerung!

Politisch motivierte Eingriffe in den freien Gebrauch der Sprache sind ein gewichtiger Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeit. Dagegen wendet sich eine aktuelle Petition unter dem Titel: „Freie Sprache – Für eine freie Meinungsäußerung!“. Aber wie immer gilt auch gegenüber dieser Petition: Sapere aude! Jeder Leser prüfe und entscheide selbst, wie er zu diesem Thema steht.

Schlaglicht: Nachricht oder Kommentar?

Mitunter sind es nur ganz kleine Sätze, die eine Menge offenbaren. Die F.A.Z. berichtet in ihrer heutigen Samstagsausgabe vom 17. Oktober 2020 auf Seite 1 über Eilentscheidungen, mit denen Gerichte die im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes erlassene Sperrstunde gekippt haben – mit folgenden Worten: „Während die Bundesregierung die Länder und Kommunen neuerlich zu frühem und entschlossenem Handeln gegen die Ausbreitung des Coronavirus aufgefordert hat, haben Verwaltungsgerichte in mehreren Bundesländern wichtige erst kürzlich erlassene Einschränkungen wie das Beherbungsverbot für inländische Urlauber aus Risikogebieten oder ein Sperrstunde für Gaststätten ganz oder teilweise aufgehoben.“ Man reibt sich die Augen: Wie war das noch mit der Trennung von Nachricht und Kommentar, die man eigentlich schon im ersten Semester der Journalistenschule lernen sollte!? Über die gerichtlichen Eilentscheidungen zu berichten, ist Chronistenpflicht eines Journalisten. Ob eine Maßnahme „wichtig“ ist oder nicht, gehört aber doch wohl in einen Kommentar oder Leitartikel. Beides zu vermischen, manipuliert den Leser.

Schlaglicht: Zeiterfassung auch für Lehrer und Professoren?

In der aktuellen Ausgabe der GEW-Zeitschrift „Erziehung und Wissenschaft“ weist die Bildungsgewerkschaft auf das EuGH-Urteil vom 14. Mai 2019 zur Arbeitszeiterfassung hin – … das auch für Lehrkräfte und Wissenschaftler umgsetzt werden sollte (GEW: „Selbstausbeutung bekämpfen“). Die Sache ist m. E. zweischneidig: Zum einen wäre es in der Tat wichtig, einmal den realen Aufwand in lehrenden Berufen zu erfassen – das gehört zur Fürsorgeverpflichtung des Dienstgebers. Andererseits ist die Zeithoheit ein hohes Gut. Gewonnen wäre nichts, wenn am Ende ein bürokratisches Monster steht, das die Mitarbeiter nicht schützt, sondern erdrosselt.

Über die Probleme der Umsetzung der europäischen Vorgaben im Schul- und Hochschulbereich gibt es mittlerweile auch rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen. Professoren, so einer der Juristen, die hierzu publiziert haben, wäre dann auch die Möglichkeit versperrt, Arbeit auf Mitarbeiter im Mittelbau abzuwälzen – denn dies würde durch die Zeiterfassung sichtbar gemacht.

Im GEW-Interview wird die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber jede Arbeitsstunde erfassen müsse. Die Gewerkschaften hoffen, dass damit endlich eine empirische Grundlage zur Verfügung stehen könnte, die Anlass für arbeits- oder verwaltungsrechtliche Klagen bieten würde – mit der Folge, dass der Gesetzgeber gezwungen werden könnte, regelnd einzugreifen. Denn die Arbeitszeit von Lehrkräften oder Professoren dürfe nicht höher sein als bei anderen Beamten oder Angestellten. Ferner geht der interviewte Jurist davon aus, dass das EuGH-Urteil eine Selbsterfassung der Arbeitzseit ausschließe, das heißt: Der Dienstgeber müsste die Arbeitszeit erfassen  und dürfte diese Aufgabe nicht durchgängig an die Dienstnehmerseite delegieren (diese Lesart des EuGH-Urteils ist aber juristisch umstritten). Und alle Dokumentationslasten, die der Dienstnehmer erbringt, müssten in die Arbeitszeit eingerechnet werden, dürften also nicht zulasten der Freizeit gehen. Hauck-Scholz, der in der „Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht“ über die Thematik geschrieben hat, spricht zum Beispiel davon, dass Wissenschaftler im Falle von Bibliotheks-, Archivrecherchen oder Studienreisen gezwungen sein könnten, eine Selbsterfassung ihrer Dienstzeit selbst vorzunehmen. Momentan gibt es einen Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium zur Umsetung des EuGH-Urteils. Dieser berücksichtigt aber nicht die Spezifika von Lehrkräften und Hochschulmitarbeitern, da Beamte nicht im Blick des Ministeriums sind. Es wird noch viel Wasser die Spree runterfließen … Doch bleibt die Frage, ob DGB und DBB/Tarifunion, wenn es dabei bleibt, für den Schul- und Hochschulbereich dann mit Musterklagen dagegen vorgehen werden und eine Zeiterfassung auch hier zu erzwingen versuchen. Das Urteil zeigt, wie stark europäische Rechtsakte mittlerweile in nationale Kulturen und überkommene Traditionen, etwa eines historisch gewachsenen Dienstrechts, einzugreifen im Stande sind.

Rezension: Plädoyer für das Fach Rechtskunde …

„Im ersten seiner beiden Beiträge ‚Wird der Rechtsstaat noch verstanden“ tritt Axel Bernd Kunze als Pädagoge für die Einführung eines Fachs Rechtskunde ein. Schule als Raum der Erziehung zur Freiheit unter dem Verbot der Vereinnahme für Sonderinteressen: ‚Nicht ist es Aufgabe des Staates, das Glück der Menschheit herbeizuführen, und nicht es daher seine Aufgabe, neue Menschen zu erschaffen.‘ (Joseph Ratzinger) Die Volks-, Kultur- und Willensnation als natürlicher Bezugsrahmen dürfe keinesfalls übersprungen werden, denn: ‚Die Freiheitsbewegung des 19. Jahrhunderts wußte, wie das ‚Lied der Deutschen‘ aus der Feder Hoffmanns von Fallersleben zeigt, um den Zusammenhang von Einigkeit und Recht und Freiheit.‘ Die egalitäre ‚Zivilgesellschaft‘ sei nicht in der Lage, den Menschen in seiner Komplexität, die sich auch in gemeinsamer Herkunft, Sprache, Kultur und Werten manifestiere, abzubilden. Er kritisiert die Überfrachtung von Politik am Beispiel naiver Hilfsphantasien des EKD-Vorsitzenden Bedford-Strohm und der deutschen Ordensobernkonferenz. Christliche Politik muß vor falscher Moralität warnen, Verhältnismäßigkeit wahren, statt Alternativlosigkeit zu predigen. In der Frage ‚Woraus lebt ein Gemeinwesen‘ setzt er sich abschließend mit der staatlichen Neutralitätspflicht auseinander und stellt fest, daß dem Staat letzte Frage entzogen seien: ‚Das Kreuz in öffentlichen Gebäuden markiert jene ‚Leerstelle‘, die der freiheitliche Rechts- und Verfassungsstaat nicht selbst füllen kann, will er nicht übergriffig werden.'“

Bernhard Grün in einer Rezension (Von der volkspädagogischen Entgrenzung des Linksstaats, in: Burschenschaftliche Blätter, 135. Jg., H. 3, S. 137 f.) über den Band:

Alexander Dietz/Jan Dochhorn/Axel Bernd Kunze/Ludger Schwienhorst-Schönberger: Wiederentdeckung des Staates des Staates in der Theologie, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020.