Neurotheologie

Das neue Themenheft der internationalen Zeitschrift für Theologie „Concilium“ beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Theologie, Anthropologie und Neurowissenschaften. Herausgeber sind Thierry-Marie Courau, Regina Ammicht Quinn, Hille Haker und Marie-Theres Wacker. „Concilium“ erscheint im Matthias-Grünewald-Verlag.

Axel Bernd Kunze bespricht am Ende in einer Sammelrezension unter dem Titel „Kein neuer Gottesbeweis“ aktuelle Veröffentlichungen aus der neurotheologischen Debatte: Michael Blume: Neurotheologie. Hirnforscher erkunden den Glauben, Marburg 2009; Hans Goller: Wohnt Gott im Gehirn? Warum die Neurowissenschaften die Religion nicht erklären, Kevelaer 2015; Gerhard Roth/Nicole Strüber: Wie das Gehirn die Seele macht, 5. Aufl., Stuttgart 2015.

„Die Neurowissenschaften sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten äußerst populär geworden und haben eine erstaunliche Karriere durchlaufen. Fast schon begierig wurden ihre Erkenntnisse innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften aufgesogen. Was man schon immer ahnte, so die Hoffnung, sollte nun endlich neurowissenschaftlich erklärt werden können. Was bisher nur alltagstheoretisch begründet werden konnte, sollte endlich auf eine evidenzbasierte Grundlage gestellt werden.“ (S. 503)

„Die Frage des Glaubens, was (oder nach christlicher Überzeugung: wer) uns jenseits der Todesgrenze erwartet, kann neurowissenschaftlich nicht geklärt werden. Oder anders gesagt: Die Neurowissenschaften werden die Theologie nicht ersetzen können. Beide unterscheiden sich in ihren Sachbereichen. Es kann also nicht darum gehen, beide Wissenschaften miteinander zu kreuzen, wohl aber, sie miteinander in ein interdisziplinäres Gespräch zu bringen.“ (S. 507)

Religion als Teil des allgemeinen Bildungsauftrags

Das Zusammenleben braucht sinnstiftende Lebensdeutungen und einen Grundkonsens an sozialen Tugenden. Doch Bürgersinn steht nicht einfach als Ressource zur Verfügung. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können nicht darüber hinwegsehen, dass sie auch unter der Bedingung des Pluralismus weiterhin religiös beeinflusst werden. Der Staat gut daran, diese Grundlagen seiner eigenen Existenz nicht zu vergessen.
Die Ausbildung einer kulturellen oder religiösen Identität sowie soziale Integrationsfähigkeit werden nur als ein vom Einzelnen aktiv zu gestaltender Prozess gelingen. Religiöse Bildung ist daher nicht in erster Linie von gesellschaftlichen Anforderungen, sondern vom sich bildenden Subjekt und seiner praktischen Urteilskraft her zu denken. Die für die Moderne typische Autonomie setzt eine eigene religiöse Praxis nicht voraus. Gleichwohl wird von umfassender Persönlichkeitsbildung nur dann gesprochen werden können, wenn der Einzelne in der Lage ist, sich und die Welt unter Bezug auf religiöse Sprachformen wahrzunehmen. Religiöse Lernprozesse bleiben unverzichtbarer Bestandteil des allgemeinen Bildungsauftrags der Schule – nicht im Sinne religiöser Rede, sondern im Blick auf die Befähigung zum Reden über Religion.

Die Freiheit in religiösen Dingen, auch die selbstbestimmte Entscheidung zu einer religionsabstinenten Lebensführung, wird der Einzelne nur dann realisieren können, wenn religiöse Fragestellungen im Bildungsprozess nicht politisch funktionalisiert oder bis zur Unkenntlichkeit domestiziert werden. Schüler müssen sich mit den Glaubensgrundlagen der einzelnen Religionen argumentativ beschäftigen und ansatzweise auch mit gelebter Religion in Kontakt kommen können.
Irritationen werden dabei nicht ausbleiben. Diese können niemals vollständig überwunden, sondern nur reflexiv bearbeitet werden. Toleranz ist nicht pädagogisch-intentional zu erzeugen, sie wird aber leichter fallen, wenn religiöse Fragestellungen im schulischen Leben von Bedeutung sind. Doch bleibt die Wirksamkeit des Staates in religiöser Hinsicht um der individuellen Freiheit willen eng begrenzt – und zwar sowohl im Blick auf die Förderung bestimmter religiöser Bekenntnisse als auch umgekehrt im Blick auf eine vermeintlich neutrale Werterziehung, die gerade durch die Verleugnung weltanschaulicher Horizonte zur Weltanschauung werden und so gerade dem eigenen Selbstanspruch auf Neutralität widersprechen würde. Beide Grenzen werden gegenwärtig prekär: Ob einerseits der Staat im Zuge des stark integrationspolitisch motivierten Islamunterrichts die Grenzen seiner eigenen Wirksamkeit in religiösen Dingen tatsächlich einhält, wird sich auf Dauer erst noch erweisen müssen. Andererseits erweckt die Forcierung von Menschenrechtsbildung, Demokratiepädagogik und Interkultureller Pädagogik in jüngerer Zeit den Eindruck, hier könnte eine Art zivilreligiöser Unterricht entstehen, der den Rückgriff auf nicht verallgemeinerbare religiöse Horizonte letztlich überflüssig machen soll.
Keine Werterziehung wird aber ohne Rückgriff auf letzte Grundüberzeugungen die verwirrende Vielzahl an Werten in eine stimmige Ordnung bringen können. Die staatliche Neutralität in religiösen Dingen meint die Diskriminierungsfreiheit religiös-weltanschaulicher Überzeugungen, nicht deren Nivellierung zu einer staatlich betriebenen Zivilreligion. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem „Kopftuchurteil“ von 2003 gerade keiner religiösen Enthaltsamkeit der staatlichen Schule das Wort geredet: „Die Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinander treffen und wo sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt. Ein tolerantes Miteinander mit Andersgesinnten könnte hier am nachhaltigsten durch Erziehung geübt werden. Dies müsste nicht die Verleugnung der eigenen Überzeugungen bedeuten, sondern böte die Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunkts und zu einer gegenseitigen Toleranz, die sich nicht als nivellierender Anspruch versteht.“
Bei tragischen Ereignissen wird mehr als deutlich, dass der Staat auf Religion nicht verzichten kann. Zur deutschen Tradition gehört, dass sich der Staat aus historischen Gründen bei der Pflege einer eigenen Zivilreligion zurückhält und deren Aufgaben vielfach an die großen Kirchen delegiert hat. Der zunehmende religiöse Pluralismus bringt es mit sich, den Kreis derjenigen Akteure zu öffnen, die am zivilreligiösen Konsens mitarbeiten – auch in der Schule, wie das Beispiel Islamunterricht zeigt. Der liberale Rechts- und Verfassungsstaat kann die gesellschaftlichen Teilsysteme nicht an eine gemeinsame, für alle verbindliche Weltanschauung binden. Umgekehrt bleibt das politische System aber grundsätzlich darauf angewiesen, dass die verschiedenen Bekenntnisse dieses auch aus religiösen Gründen anerkennen.

Wir sehen im Falle der großen Kirchen, wie sich diese wechselseitige Anerkennung in langer Übung ausbalanciert hat. Neue Konflikte zeigen sich gegenwärtig im Auftreten der katholischen Kirche gegen Bestrebungen in den westlichen Ländern, die Ehe für andere Lebensformen zu öffnen. Treten neue Akteure in den Diskurs um die zivilreligiöse Frage ein, muss dies keinesfalls konfliktfrei vonstattengehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich auch im Fall des Islams eine solche Balance einstellen wird, wenn dieser eine zunehmend wichtigere gesellschaftliche Rolle spielen sollte. Die Rede von einem „europäischen Islam“ suggeriert dies. Doch scheint das zivilreligiöse Konfliktpotential, das hier schlummert, gegenwärtig durchaus unterschätzt zu werden. In der Beschneidungsdebatte hat es sich jüngst recht überraschend und unvermittelt gezeigt.
Religion und Politik brauchen einander, soll sich nicht jeweils eine Seite absolut setzen – was in der Geschichte noch nie gut ausgegangen ist. Die politisch denkenden Bürger sind zugleich Träger religiöser Haltungen im weitesten Sinne – und umgekehrt. Daher wird es keine Zivilreligion ohne Bezug zur verfassten Religion geben können, wie umgekehrt die verfasste Religion stets auf politische Rahmenbedingungen trifft. Die Bildung ist der Ort, dieses Ineinander politischer und religiöser Fragestellungen reflexiv zu bearbeiten. Aus pädagogischer Sicht wird es nicht allein darauf ankommen, bestimmten politischen Bedingungen zu entsprechen, sondern diese selbst zum Gegenstand der bildenden Auseinandersetzung zu machen und bildungsförderlich zu gestalten. Insofern wird sich der politische Rahmen religiöser Bildungsprozesse durch diese selbst immer wieder verändern.

Wie sollte in der öffentlichen Schule über Religion gesprochen werden?

Die Schule kann – sowohl aus pädagogischen als auch menschenrechtlichen Gründen – auf Ebene der Glaubensüberzeugung religiöses Lernen nicht zur Pflicht erheben. Sie hat aber einen Auftrag zu umfassender Persönlichkeitsbildung und damit die Aufgabe, die ihr anvertrauten Schüler in das Gesamt kultureller Möglichkeiten einzuführen. Auf der allgemeinbildenden und sittlich-erzieherischen Ebene wird die öffentliche Schule daher die religiöse Dimension nicht ausklammern dürfen.
Interreligiöses Lernen umfasst mehr als alltagstaugliche Strategien zur Vermeidung kultureller Fauxpas bei der Begegnung mit Menschen, die einer anderen Kultur oder Religion angehören. Gefragt ist der Aufbau differenzierter, situationsübergreifender und nachhaltiger Denkstrukturen, die es dem Einzelnen ermöglichen, eine Urteils- und Entscheidungskompetenz gegenüber religiösen Geltungsansprüchen zu entwickeln und auch mit fremdartigen religiösen Phänomenen verantwortlich umzugehen. Hierfür ist zunächst einmal der Erwerb eines entsprechenden Sach- und Orientierungswissens notwendig. Dabei ist der heutige religiöse Pluralismus ernst zu nehmen, auch im konfessionellen Religionsunterricht. Wenn religiöse Vielfalt auch nicht in jeder Lerngruppe gleich unmittelbar spürbar ist, so tragen nicht zuletzt die Medien dazu bei, dass die Wahrnehmung religiöser Phänomene insgesamt entgrenzter, globaler und vielfältiger, zugleich aber auch selektiver, plakativer und virtueller geworden ist. Eine tragfähige religiöse Identität wird der Einzelne nur gewinnen können, wenn er fähig ist, die eigene religiöse Tradition in Beziehung zu setzen zur faktisch vorgefundenen Pluralität religiöser Positionen.
Urteilskraft und Selbstverantwortung entwickeln sich in Auseinandersetzung mit bestimmten Bildungsinhalten. Interreligiöses Lernen entbindet religiöse Kompetenzen, und nur so werden religiöse Inhalte schulisch kompatibel. Aber ohne Zentrierung auf das sich bildende Subjekt wird die existentielle Dimension interreligiöser Lernprozesse verfehlt werden. Im besten Falle bliebe ein solcher Unterricht im Blick auf die religiöse Identitätsentwicklung der Heranwachsenden an der Oberfläche, im schlechteren Falle würde diese durch deskriptive Fehldeutungen oder gemeinschaftsorientierte Verzerrungen blockiert.

Gelingende interreligiöse Bildungsprozesse bleiben auf zwei Voraussetzungen angewiesen: Zum einen werden Schüler ein Verständnis für religiöse Phänomene und ein mündiges, gereiftes Urteil im Hinblick auf religiöse Fragestellungen nur dann entwickeln, wenn der Bildungsgehalt von Religion nicht allein auf deren kulturell-politische Funktionen reduziert wird – eine Gefahr, die im Fach Religionskunde größer sein mag als im konfessionellen Religionsunterricht. Kategoriale Einsichten in religiöse Fragestellungen werden Schüler nur dann erreichen können, wenn sie zumindest ansatzweise auch mit gelebter Religion und mit religiösen Überzeugungen in Kontakt kommen. Eine Ethosbildung, die bewusst von allen Formen gelebter Religion und Sittlichkeit abstrahieren wollte, würde auf Dauer an motivationsbildender Kraft verlieren.
Zum anderen wird sich ein Verständnis für das Fremde nur vom Standpunkt des Eigenen her entwickeln können, in der wechselseitigen Verschränkung von Selbst- und Fremdverstehen. So wie Kinder erst im Ausgang von einer Muttersprache andere Fremdsprachen erlernen können, so der Berliner Pädagoge Dietrich Benner, werden fremde Religionen erst verständlich, wenn der Educandus sich einen relativen eigenen Standpunkt erarbeitet hat. Interreligiöses Lernen wird einen Schwerpunkt setzen, in der Regel bei jener Religion, die in der kulturellen Lebenswelt der Lernenden am stärksten verankert ist. Es ist nicht möglich, in alle Religionen gleichgewichtig und gleichzeitig einzuführen. Auch würde der interreligiös angezielte Austausch letztlich zum Erliegen kommen. Denn interreligiöser Austausch setzt voraus, etwas einbringen zu können. Die Andersartigkeit des anderen zeichnet sich erst vor dem Hintergrund des Eigenen ab – und erst dann kann ich auch ein begründetes Urteil fällen. Wo alles gleich ausfällt, kann nicht mehr argumentativ gestritten werden. Eine zwar religionsfreundliche, aber letztlich plural-indifferente, diffuse Lernumwelt wird die religiöse Identitätsbildung eher erschweren als erleichtern.
In der Schule lernen Schüler nicht allein Sachverhalte, sondern zugleich die Bedeutung, die der Lehrer einer Sache gibt. Von einem Religionslehrer werden die Schüler in besonderer Weise wissen wollen, wie die Inhalte von ihm selbst gesehen werden. Ein neutrales „Lehren über Religion“ wird sich nur künstlich durchhalten lassen. Vielmehr wird von einem fließenden Übergang auszugehen sein, bei dem die Beschäftigung mit religiösen Wissensinhalten zum „Lehren von der Religion her“ wird. Der Lehrer wird es gar nicht vermeiden können, selbst zum Modell zu werden. Wer unterrichtet, kann nicht neutral über Religion reden, ohne selbst seine subjektive Haltung gegenüber Religion zu offenbaren. Leben Sie Ihren Glauben?, Was halten Sie persönlich an der Bibel für wahr?, Was halten Sie vom Islam? … – Selbst wenn der Lehrer solche Fragen mit dem Hinweis „Das gehört jetzt nicht hierher“ beiseiteschieben wollte, würde er damit eine bestimmte Haltung des Redens über Religion kundtun, auch außerhalb des konfessionellen Religionsunterrichts.

In einer pluralen Gesellschaft werden unterschiedliche religiöse Bekenntnisse nebeneinander stehen. Der Einzelne bleibt herausgefordert, eine subjektive Entscheidung zu treffen. Je mehr die Schule vom Lern- zum Lebensraum wird, desto wichtiger wird es an der analytischen Unterscheidung von Bildung und Erziehung festzuhalten: Die Aufgabe religiös-ethischer Erziehung ist nicht in erster Linie Sache des Unterrichts, schon gar nicht eines einzelnen Faches, sondern der Schule insgesamt. Für die Kirchen stellt sich die Frage, wie sie auf den zunehmenden Trend zu Ganztagesschulen reagieren wollen.
In der Schule sollten Heranwachsende plurale religiöse und ethische Lebensformen finden können, die ihrem Streben nach religiös-moralischer Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit gerecht werden. Der in Neutralität zu erfüllende Erziehungsauftrag der staatlichen Schule wäre selbst nicht mehr neutral, wenn er dazu genutzt würde, Fragen religiöser Erziehung weitgehend aus der Schule herauszuhalten, zugunsten einer vermeintlich neutralen staatlichen Lebenskunde, Demokratie- oder Menschenrechtspädagogik.

Anhörungsphase zu den baden-württembergischen Bildungsplänen 2016 läuft noch eine Woche

Bis 30. Oktober 2015 läuft in Baden-Württemberg noch die Frist für Rückmeldungen zur Anhörungsfassung der überarbeiteten Bildungspläne 2016, die mit Schuljahresbeginn veröffentlicht worden war. Weitere Informationen zum Anhörungsverfahren finden sich auf der Internetseite Bildungspläne 2016. Eine Analyse der vorliegenden Anhörungsfassung finden Sie hier. Gefragt wird insbesondere, ob die neuen Bildungspläne dem Indoktrinations- und Überwältigungsverbot sowie dem Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses entsprechen.

Der folgende Vortrag – gehaltem am 9. September 2014 in der Katholischen Akademie Schwerte – fasst die pädagogischen und bildungsethischen Hintergründe der Kontroverse um die baden-württembergische Bildungsplanreform und die erste Fassung der neuen Bildungspläne zusammen. Der Beitrag sollte ursprünglich innerhalb der Reihe „Forum Sozialethik“ publiziert werden. Er konnte schließlich nicht in der geplanten Tagungsdokumentation erscheinen, nachdem die Herausgeber sprachpolitisch motivierte Eingriffe in den Text verlangt hatten; diesen konnte der Verfasser nicht zustimmen, da sie die Aussagen des Textes substantiell verändert hätten.

 

Erziehung zur Toleranz oder Indoktrination?
Schule soll zum kritisch-reflexiven Umgang mit Geschlechtlichkeit befähigen.
Bildungsethische Überlegungen zu Reichweite und Grenzen des pädagogischen Auftrags
Das grün-rot regierte Baden-Württemberg hat Anfang 2014 erlebt, wie sehr Bildungsfragen die Gemüter erhitzen und zum Anlass für gesellschaftliche Auseinandersetzungen werden können. Vermutlich handelt es sich um den ersten Bildungsplan, bei dem die Polizei gegen gewalttätige Ausschreitungen vorgehen musste. Der Württemberger Landesbischof, Otfried July, sprach in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen am 24. März 2014 von „Fanatismus“, der sich bei den Stuttgarter Demonstrationen der Reformgegner gezeigt habe (vgl. July, Sexuelle Vielfalt, 2014).
Auch wenn sich die großen Kirchen und Lehrerverbände im Land auf den inzwischen ausgehandelten Kompromiss verständigt haben, halten die Proteste weiter an. Bei der Demonstration am 18. Oktober 2014 konnten die Reformgegner noch einmal mehr Teilnehmer mobilisieren als bei den Protesten zuvor, und das trotz des gleichzeitigen Streiks der Lokführer. Zuvor hatte der Landtag am 8. Oktober die Petition „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ abgelehnt, die über hundertneunzigtausend Unterschriften erreicht hatte (vgl. Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU, EAK-Landesverband, 2014).
Inzwischen geht es nicht mehr allein um ein einzelnes landespolitisches Vorhaben, das aufgrund der besonderen religionspolitischen und konfessionellen Gemengelage im Südwesten Deutschlands heftigen Widerspruch auslöste. Ähnliche Widerstände zeichnen sich auch gegen die Bildungsplanreformen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ab. Ferner hat sich die Kritik deutlich ausgeweitet und richtet sich nun insgesamt auf gendertheoretische Konzepte einer „Sexualpädagogik der Vielfalt“, die gegenwärtig an Schulen und Hochschulen breiten Raum einnehmen (vgl. z. B. Saur, sexuelle Vielfalt, 2014; Schmelcher, Sexualaufklärung, 2014; Voigt, Aufklärung, 2014; Weber, Sex, 2014).

1. Der Anlass: Die umstrittene Bildungsplanreform 2015 in Baden-Württemberg
Die Bildungspläne von 2004 sind nach Ansicht des Stuttgarter Kultusministeriums aufgrund unklarer Kompetenzformulierungen überarbeitungsbedürftig. Künftig werden nur noch drei Niveaustufen umschrieben, schulartenspezifische Bildungspläne sind nicht mehr vorgesehen. Die geplante Reform soll die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schularten erhöhen und stärker querschnittbezogene Leitprinzipien berücksichtigen. Ursprünglich ging es dabei um fünf Leitprinzipien, deren Auswahl fachdidaktisch nicht näher begründet wurde: berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung sowie Verbraucherbildung (vgl. Arbeitspapier, 2013, S. 1). Bei alldem will sich das Land konsequent an den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz orientieren.
Anfang 2014 machte die genannte Onlinepetition Gabriel Stängeles die geplante Reform der grün-roten Landesregierung schlagartig bundesweit bekannt. Der Realschullehrer stieß sich an einem Arbeitspapier vom November 2013, das den Bildungsplankommissionen als Orientierung dienen sollte und die Forderung nach „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als Querschnittaufgabe festlegte. So heißt es in dem Papier zum Beispiel: „Schülerinnen und Schüler kennen die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTTI-Menschen und reflektieren Begegnungen in einer sich wandelnden, globalisierten Welt“ (ebd., S. 12). Oder: „Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der eigenen geschlechtlichen Identität und Orientierung auseinander mit dem Ziel sich selbstbestimmt und reflektiert für ein ihrer Persönlichkeit und Lebensführung entsprechendes Berufsfeld zu entscheiden“ (ebd., S. 9). Wie die Akzeptanz sexueller Vielfalt mit den vorgesehenen Leitprinzipien, hier den Themen nachhaltige Entwicklung beziehungsweise Berufsorientierung, zusammengejocht wird, wirkt reichlich gezwungen. Oder soll die Berufswahl der Schüler doch stärker durch ihre sexuelle Orientierung als deren fachliche Interessen bestimmt werden? Und ob das Kunstwort „LSBTTI-Menschen“, das Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle umschließt, wirklich geeignet ist, Vorbehalte und Verkrampfungen im Umgang mit unterschiedlichen Lebensformen abzubauen, soll hier gleichfalls dahingestellt bleiben.
Die Reformgegner warfen der Kultuspolitik vor, statt Diskriminierung zu verhindern, würden die Schüler manipuliert und indoktriniert. Die Befürworter der Reform, die zwei Gegenpetitionen auf den Weg brachten, sprachen von Intoleranz, Hetze und Homophobie. Eine Strafanzeige gegen Stängele wegen Volksverhetzung wies die Staatsanwaltschaft Tübingen unter Verweis auf die Meinungsfreiheit jedoch ab.
Alle drei Onlinepetitionen berühren einen Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit, in dem staatliche Übergriffe besonders sensibel erfahren werden. Beide Seiten greifen mit ihrer Fokussierung auf das Thema sexuelle Vielfalt allerdings pädagogisch zu kurz. Das Arbeitspapier wirkte insgesamt unausgegoren, eine bildungstheoretische Rahmung fehlte gänzlich. Im Folgenden soll zunächst skizziert werden, wo das pädagogische Problem der Bildungsplanreform liegt [2]. Anschließend soll – am Beispiel der mangelnden Unterscheidung zwischen Toleranz und Akzeptanz – der schulische Auftrag zur Werterziehung näher beschrieben werden [3]. Schließlich soll gefragt werden, wie pädagogisch mit dem Thema Geschlechtlichkeit in der Schule umgegangen werden sollte [4].

2. Ein „Gesinnungslehrplan“ – oder: Das eigentliche pädagogische Problem
Schule bietet dem Einzelnen grundsätzlich zwei Hilfen zur umfassenden Persönlichkeitsbildung an: Sie vermittelt unterrichtlich jene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche die Schüler für ein selbstbestimmtes Leben und eine aktive Teilnahme am sozialen Leben benötigen. Erzieherisch bietet sie dem Einzelnen Orientierung, wie die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten lebensdienlich und gemeinwohlförderlich eingesetzt werden können (vgl. Rekus, Begabung, 2006, S. 116).
Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gehören zusammen: Das im Unterricht Gelernte soll mit einem persönlichen Werturteil verknüpft werden. Die Schüler sollen das Gelernte werten und nach der Bedeutung ihres Urteils für das eigene Handeln fragen. Dies ist kein beliebiger Bildungszweck neben anderen, sondern zentrales Moment einer durch Bildung substantiell bestimmten Lebensform. Denn würde Bildung auf Kompetenzvermittlung und damit letztlich auf Performanz reduziert, würde der Einzelne nur das nachvollziehen, was andere bereits vor ihm gedacht haben. Individualität, Kreativität, Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung blieben auf der Strecke – damit aber auch zentrale Innovationspotentiale, auf die Staat und Gesellschaft um ihrer Weiterentwicklung willen dringend angewiesen bleiben.
Die Stuttgarter Bildungsplanreform folgt der Umstellung des Bildungssystems auf Kompetenzorientierung: ein Trend, der für alle Bundesländer in ähnlicher Weise gilt. Allgemein durchgesetzt hat sich die aus der Psychologie stammende Kompetenzdefinition Weinerts, der auch Baden-Württemberg folgt (vgl. Landesinstitut für Schulentwicklung, Arbeitsfassung, o. J., S. 1): Kompetenzen sind demnach „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, Leistungsmessung, 2001, S. 27 f.).
Die vorliegenden Bildungsplanentwürfe wollen dementsprechend nicht allein den Erwerb spezifischer Handlungsfähigkeiten steuern, sondern auch eine bestimmte Handlungsbereitschaft. Verletzt wird die Freiheit des Lehrens und Lernens aber dort, wo bestimmte Einstellungen oder Überzeugungen als zu erreichende und messbare Unterrichtsziele festgeschrieben werden, sei es etwa „Akzeptanz“, „Interesse“ oder „Offenheit“. Heike Schmoll hat in einem Leitartikel für die Frankfurter Allgemeine allein für die fünfte und sechste Klasse zweihundertzwei Einstellungen gezählt, die vom Bildungsplan vorgegeben werden (vgl. Schmoll, Gesinnungslehrplan, 2014). So hieß es beispielsweise in einer ersten Version des Bildungsplans für das Fach Geschichte: „Die Schülerinnen und Schüler haben Interesse an anderen Kulturen und deren historischen Wurzeln in Gegenwart und Vergangenheit und setzen sich sowohl tolerant als auch kritisch mit ihnen auseinander (Alterität, Vielfalt der Einen Welt)“ [zitiert nach der vom Landesinstitut für Schulentwicklung zum Schuljahr 2013/14 herausgegebenen Arbeitsfassung zur Erprobung der Bildungsplanreform 2015 [inzwischen nicht mehr online verfügbar].
Der Schüler soll die Unterrichtsanforderungen nicht nur gut, sondern auch noch gern erfüllen. Und die Deutung des Gelernten wird gleich mitgeliefert, nicht mehr dem denkenden Nachvollzug des Schülers überantwortet: Die faktische Vielheit an Kulturen, die in der Beschäftigung mit historischen Fragen deutlich wird, wird auf eine bestimmte Deutung zugeschnitten und soll ausdrücklich als „Vielfalt der Einen Welt“ betrachtet werden. Hier überschreitet der liberale Verfassungs-, Rechts- und Kulturstaat seine Grenzen, indem er das Denken der Schüler zu normieren versucht sowie Bildung und Erziehung miteinander verwechselt. Heike Schmoll spricht dann auch in ihrem Kommentar von einem „Gesinnungslehrplan“.
Unterricht, für den der Staat im Rahmen seiner verfassungsmäßig garantierten Schulaufsicht Lehr- und Bildungspläne erlässt, soll die Schüler entscheidungs- und handlungsfähig machen. Damit dies gelingt, müssen Lehrende wie Lernende die Freiheit haben, den Unterrichtsstoff selbsttätig auf Sinn hin auszulegen. Die Schüler sollen zum eigenständigen Werten befähigt werden. Nicht als Stoff vermittelbar sind hingegen bestimmte Tugenden, Bürgerhaltungen oder Dispositionen. Diese entwickeln sich im personalen und gemeinschaftlichen Umgang, sind also eine Frage der Erziehung und des Zusammenlebens in der Schulgemeinde.
Unterschiedliche Werthaltungen können dabei mitunter recht heftig aufeinanderprallen. Der Pädagoge muss möglicherweise den zu Erziehenden dazu herausfordern, seine Position zu überdenken, er muss schwache Positionen advokatorisch stärken und Hilfen geben, ein Problem multiperspektivisch in den Blick zu nehmen. Doch darf er sich nicht in einen pädagogisch-politischen Rollenkonflikt treiben lassen, der die Beziehung möglicherweise abbricht oder das erzieherische Handeln in Überwältigung umschlagen lässt.

3. Erziehung zur Toleranz – oder: Toleranz und Akzeptanz sollten nicht verwechselt werden
Fragen der sexuellen Identität führen schnell in das Feld der Tugend- und Werterziehung. In den Blick geraten sowohl Fragen der individuellen Moral wie des gesellschaftlichen Ethos – und damit unweigerlich das menschenrechtliche Nichtdiskriminierungsverbot und der schulische Auftrag, zur Toleranz zu erziehen, ohne die ein friedliches Zusammenleben nicht gelingt.
„‘Toleranz‘ beinhaltet zugleich Ablehnung und Geltenlassen von Haltungen oder Handlungen von Personen mit dem Ergebnis einer Duldung oder einer friedlich bleibenden Koexistenz, eventuell sogar gesteigert bis hin zum gegenseitigen Respekt“ (Hastedt, Toleranz, 2012, S. 13 [im Original insgesamt kursiv gesetzt]) – so der Rostocker Philosoph Heiner Hastedt. Toleranz (oder im Deutschen: Duldsamkeit) meint mehr als bloße Gleichgültigkeit oder Beziehungslosigkeit, ist aber auch nicht einfach mit Akzeptanz oder Anerkennung gleichzusetzen: „Toleranz, Pluralismus und Freiheit zielen darauf, mit der Ambivalenz der Moderne klarzukommen, und wollen sie gerade nicht im Ordnungswahn ersticken. Die Fähigkeit zur Ambivalenz ermöglicht ein Leben in der Zweideutigkeit. Versuche, Ambivalenz gedanklich aufzulösen, neigen zum Fanatismus; mit der Zweideutigkeit umgehen zu können, ist deshalb die Aufgabe“ (ebd., S. 95). Toleranz, die Widerstreit und das Ringen um Widersprüche nicht mehr zulässt, verkommt zur Intoleranz.
Wo die Unterscheidung zwischen Toleranz und Akzeptanz nicht gewahrt wird, verschwimmt die Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre: „Öffentliches Verhalten unterliegt einer stärkeren universalistischen Normierung zur Rücksichtnahme als im Privaten bleibende Handlungen und Gesinnungen“ (ebd., S. 91). Der Staat darf ein bestimmtes äußeres Verhalten fordern, beispielsweise in Form eines Gebots zur Toleranz. Solange nicht die Freiheit anderer berührt ist, hat niemand hat das Recht, den anderen in seinen Lebenschancen zu beschneiden, nur weil ein fremder Lebensentwurf den eigenen Auffassungen zuwiderläuft. Solche Toleranz hat zur Voraussetzung, dass es eine Pluralität an Entwürfen des guten Lebens geben darf, die im Rahmen des Richtigen gleichermaßen zulässig sind. Die Schule darf diese Pluralität nicht einebnen, sondern sollte diese gerade als Anlass zum Lernen und zur gedanklichen Auseinandersetzung begreifen.
Mittlerweile spricht die Regierung von einer Bildungsplanreform 2015/16. Die angekündigte Verschiebung um ein Jahr ist nicht allein der lang anhaltenden, äußerst emotional verlaufenden gesellschaftlichen Kontroverse um das Vorhaben geschuldet, sondern auch schlechten Rückmeldungen aus jenen Schulen, welche die Entwürfe seit dem Schuljahr 2013/14 bereits erproben. Am 8. April 2014 legte das Kultusministerium ein verändertes Arbeitspapier vor, in dem nunmehr von „Leitperspektiven“ die Rede ist (vgl. Arbeitspapier, 2014, S. 2). Dies sind: Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt, Prävention und Gesundheitsförderung (allgemeine Leitperspektiven) sowie Berufliche Orientierung, Medienbildung und Verbraucherbildung (themenspezifische Leitperspektiven).
Nicht zuletzt durch die Einflussnahme der Kirchen und des Philologenverbandes wurde – unter Rückgriff auf Formulierungen aus dem Menschenrechtsdiskurs – die Perspektive geweitet, sodass nun von Toleranz im Blick auf alle äußeren Merkmale gesprochen wird, die vom Diskriminierungsverbot erfasst werden. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die neuen Bildungspläne Bezug nehmen auf ein christliches Menschenbild, das auch dem besonderen Schutz von Ehe und Familie zugrunde liegt, den das Grundgesetz in Artikel 7 garantiert.
Zwar konnte auf diese Weise das sexualpädagogische „Minenfeld“ entschärft werden; kompetenzkritische Vorbehalte gegenüber einer politisch motivierten Steuerung habitueller Dispositionen durch die neuen Bildungspläne bleiben jedoch bestehen. Auch wenn die Landesregierung die neugefasste Leitperspektive lediglich „im Sinne der Befähigung zu […] Akzeptanz“ (ebd.) verstanden wissen will, verstößt dies nach Ansicht des Hohenheimer Juraprofessors Ulrich Palm weiterhin gegen elementare Grundsätze des freiheitlichen Rechts- und Verfassungsstaates (vgl. Wieschemeyer, Professor, 2014). Dieser dürfe Akzeptanz nicht erzwingen. Denn im Gegensatz zur Toleranz steht diese für positiven Zuspruch und drückt ein zustimmendes Werturteil aus. Wer sich tolerant verhält, behält seine eigene Überzeugung. Wer akzeptiert, übernimmt die Meinung des anderen – und dies ist nur in Freiheit möglich. Von der Schule erzwungene, durch Noten sanktionierte Werturteile sind moralisch wertlos und widersprechen dem Indoktrinationsverbot.
Bei einer Landtagsanhörung der CDU-Fraktion im Mai 2014 zeigte sich dann auch, wie wenig überzeugend die neue Formulierung wirkt. Eine systematisch eindeutige Unterscheidung zwischen Toleranz und Akzeptanz sieht anders aus. Es bleibt die Frage: Wie soll Schule mit sexueller Vielfalt pädagogisch umgehen?

4. Sexualität als Bildungsaufgabe – oder: Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit

4.1 Schule soll zum kritisch-reflexiven Umgang mit Sexualität befähigen
Der Mensch ist ein soziales Wesen; seine Autonomie vollzieht sich immer schon intersubjektiv, leiblich, geschichtlich und kulturell vermittelt. Erst Bildung verhilft dazu, die verschiedenen Selbst-, Fremd- und Welterfahrungen zu ordnen und darauf zu antworten, zu ihnen in Distanz zu treten und das Leben aktiv zu gestalten. Dies gilt auch hier: Erst Bildung ermöglicht dem Einzelnen, ein Bewusstsein der eigenen Geschlechtlichkeit auszubilden und sich mit den damit verbundenen Möglichkeiten auseinander zu setzen. Dies gilt sowohl für die natürlichen Bedingungen der eigenen Geschlechtlichkeit als auch für die verschiedenen Möglichkeiten des kulturellen Umgangs damit. So kann beispielsweise der Prozess des Coming-outs genuin als ein Bildungsprozess beschrieben werden.
Schule soll den einzelnen Schüler zu einem kritisch-reflexiven Umgang mit dem Gesamt kultureller Möglichkeiten befähigen. Die Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen Faktum sexueller Vielfalt, den Formen des kulturellen Umgangs damit und den verschiedenen theoretischen Deutungen dieses Phänomens gehört daher zu Recht in die Bildungspläne der Schule. Die Themen sind dem Alters- und Entwicklungsstand angemessen didaktisch aufzubereiten, damit die Heranwachsenden diese gedanklich nachvollziehen können. Andernfalls wäre der Vorwurf einer unangemessenen „Sexualisierung“ des Unterrichts berechtigt.
Fragen der Sexualität und unterschiedlicher Lebensformen sind in den Fächern jeweils unter spezifischer fachdidaktischer Perspektive zu behandeln. Der Politikunterricht wird beispielsweise die Familienpolitik in den Blick nehmen, der Ethikunterricht wird fragen, wie Ehe, Familie und Partnerschaft verantwortlich gelebt werden können, und der Religionsunterricht wird die religiöse Dimension menschlicher Beziehungen und Intimität thematisieren.
Für das erzieherische Handeln bleibt es wichtig, den allgemeinen Anspruch auf Bildung in Beziehung zu setzen zur Mannigfaltigkeit der Individuen. Dies verbietet sowohl einen strikten Essentialismus auf der einen als auch einen Egalitarismus auf der anderen Seite, der jegliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern pädagogisch einebnen wollte. Pädagogik wird nicht vom konkreten Menschen abstrahieren können, und zwar weder zugunsten einer gesellschaftlichen Vorstellung von dem, was der Mensch sein soll, noch zulasten von dem, was der Einzelne an Vorprägungen mitbringt. Wer erziehen will, muss sich „mit den jeweils bemerkbaren faktischen Unterschieden auskennen und sich mit ihnen auseinandersetzen. […] Jungen und Mädchen nehmen sich nicht soziologisch, neurowissenschaftlich oder psychologisch wahr, sondern als Subjekte und Objekte der Zuneigung oder Ablehnung, der Gleichheit oder Differenz, der Identifikation oder Ablehnung. Das gilt auch für die Beziehungen zum Lehrer […]“ (Ladenthin, Kulturschulen, 2012, S. 86 [Hervorhebung im Original]).
Die besondere pädagogische Herausforderung besteht darin, dass weder die kulturelle noch die natürliche Seite von Geschlecht für sich allein zu haben sind. Wir können zwar zwischen beidem unterscheiden, aber wir können zwischen dem natürlichen und dem kulturellen Geschlecht nicht trennen. Dies gilt für die Genderforschung genauso wie für eine Naturrechtsethik. Erstere kann Körperlichkeit nicht vollends negieren; letztere bedient sich der Natur immer schon im Rahmen einer kulturellen oder anthropologischen Interpretation (vgl. Marschütz, Wachstumspotenzial, 2014).
Heranwachsende müssen lernen, sich zur Wahrnehmung ihrer eigenen Geschlechtlichkeit, sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zu verhalten. Sie müssen lernen, sich mit den Konstruktionen von Geschlechtlichkeit auseinander zu setzen. Sie müssen lernen, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, in der geschlechtliche Unterschiede eine Rolle spielen. Und sie müssen herausfinden, was sie selbst im Umgang mit diesen Konstruktionen für richtig und angemessen erachten. Dies kann ihnen niemand abnehmen, weder Eltern noch Schule, weder die Politik noch eine Lehrplankommission oder eine andere gesellschaftliche Agentur (vgl. Ladenthin, Kulturschulen, 2012, S. 87 f.).
Damit dies gelingt, dürfen die Schüler nicht für eine bestimmte Deutung der Welt vereinnahmt werden und müssen sie die Möglichkeit haben, das Gelernte selbsttätig zu prüfen und sich dazu verhalten zu können.

4.2 Schule muss Indoktrinationsverbot und Kontroversitätsgebot achten
Die großen Kirchen in Baden-Württemberg, die sich weder einseitig auf die Seite der Befürworter noch der Gegner der Bildungsplanreform schlagen wollten, erinnerten zu Beginn der öffentlichen Kontroverse zu Recht an das Indoktrinationsverbot und das Kontroversitätsgebot des „Beutelsbacher Konsenses“, denen Schule verpflichtet sein sollte (vgl. Baur/Schneider-Harpprecht/Augustyniak-Dürr/Mehlmann, Bildungsplan, 2014). Der Beutelsbacher Konsens von 1976, benannt nach seinem Entstehungsort, wollte durch die Formulierung verbindlicher, bis heute gültiger Fördergrundsätze für die politische Bildungsarbeit die seinerzeitigen Kontroversen zwischen den verschiedenen politikdidaktischen Lagern befrieden. Festgelegt wurden drei Prinzipien, die nicht allein für den Bereich politischer Bildung, sondern überhaupt für ein freiheitliches Bildungssystem von Belang sind: das Prinzip der Schülerorientierung, ein Überwältigungs- und Indoktrinationsverbot sowie ein Kontroversitätsgebot.
In der Schule kann die Welt nicht einfach eins zu eins abgebildet werden, jeder Unterricht muss zwangsläufig didaktisch reduzieren. Wenn die Schüler sich ein eigenständiges Urteil bilden sollen, müssen Themen jedoch alters- und entwicklungsangemessen aufbereitet werden und dürfen sie nicht derart vereinfacht werden, dass unterschiedliche Sichtweisen vorschnell harmonisiert werden. Was gesellschaftlich strittig ist, muss auch im Unterricht kontrovers dargestellt werden. Ansonsten würden die Schüler überwältigt, manipuliert oder für bestimmte Zwecke vereinnahmt.
Beim bildungspolitischen Umgang mit sexueller Vielfalt darf die restriktive Norm der betroffenen Grundrechte (z. B. Recht auf freie Persönlichkeits¬entfaltung, Diskriminierungsverbot, Gleichheit der Geschlechter, Schutz von Ehe und Familie oder Freiheit zur Eheschließung, Partner- und Elternschaft) nicht mit deren interpretierenden Prinzipien verwechselt werden.
In der Menschenrechtsdebatte, an der die veränderten Vorgaben der Bildungsplanreform ausdrücklich Maß nehmen, bleibt stets zu unterscheiden zwischen der unbedingten restriktiven Norm des Menschenrechts und seinen interpretierenden Prinzipien (vgl. Spieß, Religionsfreiheit, 2009, der diese Unterscheidung für das Recht auf Religionsfreiheit und das Prinzip der Toleranz ausführt). Letztere können immer nur eine historisch-vorläufige Gültigkeit für sich reklamieren. Derartige Prinzipien sind durchaus normativ gehaltvoll, müssen aber kontextuell präzisiert werden. Sie sind nicht als Gegensatz zum universalistisch gefassten Menschenrecht zu verstehen, sondern dessen Ausdifferenzierung und Spezifizierung im partikularen Raum der verschiedenen Gesellschafts-, Bildungs-, Familien-, Lebensformen- und Geschlechterpolitiken.
Auf Basis dieser Unterscheidung können das universale Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung, Nichtdiskriminierung oder Bildung so offen bestimmt werden, dass diese politisch ausgelegt, kontextuell realisiert und ethisch ausgestaltet werden, ohne dass die dabei jeweils in Anschlag gebrachten Prinzipien die volle Begründungslast eines universellen Menschen- und Grundrechts tragen müssen. Eine solche Unterscheidung mindert nicht die Relevanz der Menschenrechte, sondern entspricht dem Anliegen, denkbar weite Spielräume für die Ausgestaltung und Interpretation individuell gelebter Freiheit zu eröffnen – und unterstreicht somit deutlich den Charakter der Menschenrechte als Freiheitsrechte.
Das Beispiel Baden-Württemberg zeigt, wie erbittert einzelne Interessengruppen (z. B. gewerkschaftlich oder kirchlich orientierte Kreise) mitunter um Einfluss auf die Ausgestaltung des Bildungssystems ringen. Im Hintergrund steht zugleich der Kampf um die Verteilung begrenzter finanzieller oder personeller Mittel zugunsten eigener parteipolitischer oder verbandlicher Interessen. Pädagogische Argumente besitzen in der politischen Arena dabei allenfalls noch den Rang eines strategischen Mittels. Tendenzen, die Grenze zwischen universal gültigen Wesensgehalten und historisch-vorläufigen Interpretationen im Menschenrecht zu verwischen und damit auch die Spielräume fachpolitischer Aushandlung zu begrenzen, finden sich gleichfalls von staatlicher wie von zivilgesell¬schaftlicher Seite. Die Aussagen der verschiedene Akteure auf beiden Seiten sind entsprechend kritisch zu reflektieren und auf ihre Verbindlichkeit hin zu befragen. Werden politische Entwürfe und Konzepte vorschnell unter Verweis auf ihre vermeintlich menschenrechtliche Dignität quasi „dogmatisiert“ und damit der Diskussion entzogen, erweist dies dem Menschenrecht auf Dauer sowohl in sittlicher als auch sachlicher Hinsicht einen Bärendienst.
Zum einen würde gerade das unterbunden, was Menschenrecht zu schützen beansprucht: die freie Vergemeinschaftung der Einzelnen und damit den freien gesellschaftlichen Diskurs. Von beidem kann sinnvoll nur dann gesprochen werden, wenn auch eine legitime Pluralität an pädagogischen Konzepten und Vorstellungen des guten Lebens vorausgesetzt wird. Der Einzelne soll im Prozess der Bildung nicht auf eine bestimmte Vorstellung von Welt oder einen bestimmten Lebensplan festgelegt werden, weder politisch noch pädagogisch. Er soll gerade dazu befähigt werden, sich begründet eine eigenständige Meinung zu bilden und diese zu vertreten oder selbstbestimmt und eigenverantwortlich eine eigene Vorstellung von gelingendem Leben zu entwickeln und dieser nachzustreben sowie sich gleichzeitig an jenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zu beteiligen, in denen das Gemeinwohl immer wieder von neuem gesucht und angestrebt werden muss.
Zum anderen wäre es letztlich aber auch nicht mehr möglich, die Menschenrechte weiterzuentwickeln; sie wären dann nur noch Antwort auf vergangene Unrechts- und Leiderfahrungen, könnten aber immer schwerer ihre Protest- und Widerstandsfunktion gegenüber veränderten Herausforderungen und neuartigen Erfahrungen von Ungerechtigkeit erfüllen.
Inzwischen geht es in der gesellschaftlichen Debatte nicht mehr allein um die Darstellung sexueller Vielfalt in den Bildungsplänen, sondern allgemein um den Stellenwert gendertheoretischer Konzepte und daraus abgeleiteter Methoden im Raum der Schule. Diskutiert wird über die Monopolstellung dekonstruktivistischer, neoemanzipatorischer Ansätze in der sexualpädagogischen Forschung, Ausbildung und Praxis, über die Vernachlässigung generativer Aspekte in einer „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie um alters- und entwicklungsunangemessene Methoden, die für die schulische Praxis auf dieser Basis entwickelt werden: „Kinder sollen ihre ‚Lieblingsstellung’ zeigen, Puffs planen, Massagen üben. Die sexuelle Aufklärung missachtet Grenzen. Die Politik will es so. Kinderschützer schlagen Alarm“ (Schmelcher, Sexualaufklärung, 2014; vgl. auch Saur, sexuelle Vielfalt, 2014; Voigt, Aufklärung, 2014; Weber, Sex, 2014). Die Vorwürfe wiegen schwer: Eine „Sexualpädagogik der Vielfalt“ vollziehe pädagogische Grenzüberschreitungen, die missbräuchliche Praktiken begünstigten. Letztlich werde das Bildungssystem für das Anliegen einer totalen Gesellschaftsreform und die revolutionäre Umwälzung bestehender Werte missbraucht. Das Gesprächsklima ist mehr als gereizt. So sprach der Vorsitzende des baden-württembergischen Philologenverbandes von „heftigen persönlichen Angriffe[n]“ (Saur, sexuelle Vielfalt, 2014, S. [2]) gegen seine Person.
Die publizistische Auseinandersetzung kulminiert im Vorwurf, die Schule werde in den Dienst einer „Genderideologie“ gestellt. Eine Theorie mutiert dort zur Ideologie, wo dieser nicht mehr widersprochen werden darf. Schule kann dann nur noch ein bereits feststehendes, nicht selten moralisch aufgeladenes „Vor-Urteil“ exekutieren, nicht mehr aber die Schüler befähigen, sich ein eigenständiges Werturteil über deren Tragfähigkeit und Reichweite zu bilden. Die vorstehende Unterscheidung zwischen universalen Normen und interpretierenden Prinzipien hat auch für die vorliegende Frage Konsequenzen.
Die verschiedenen Gender-, Diversity- oder Queertheorien können als interpretierende Prinzipien des universalen Diskriminierungsverbots und als Aktualisierung des Toleranzgebots gelesen werden. Doch muss in einer freiheitlichen Gesellschaft über diese Interpretationen sowie Reichweite und Grenzen der daraus abgeleiteten Konzepte wie Gendermainstreaming, Diversitymanagement oder Ansätze von Queerpolitik weiterhin ein fachlicher, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Diskurs – und eben auch Streit – möglich bleiben. Dies hat auch für den Unterricht Folgen: Was geschlechter-, lebensformen- oder familienpolitisch kontrovers diskutiert wird, muss auch im Bildungsprozess kontrovers dargestellt werden. Andernfalls würden die Schüler unzulässig für ein bestimmtes Interpretationsangebot vereinnahmt.

5. Ertrag und Ausblick: Die Kategorie Geschlecht „selber denken“
Die skeptische Tradition weiß darum, dass Freiheit nur in maßvollen Systemen auf Dauer erhalten bleibt. So bleibt weiterhin um eine angemessene und maßvolle Interpretation gendertheoretisch fundierter Erkenntnisse zu ringen. Diese Auseinandersetzung ist eine Frucht der aktuellen Kontroverse um den baden-württembergischen Bildungsplan, der mehr als landespolitische Bedeutung zufällt – und das ist auch gut so. Wenn daraus eine profilierte Debatte um eine angemessene, vielgestaltige, alters- und entwicklungsangemessene Sexualdidaktik und -pädagogik erwächst, die sich zunächst für den einzelnen Schüler als lebensdienlich, dann aber auch unter den Bedingungen einer pluralen Gesellschaft als gemeinwohlförderlich erweisen, hätte sich der Streit gelohnt.
Der Einzelne soll in die Lage versetzt werden, seine Freiheit zunehmend zu kultivieren sowie eine eigene Vorstellung vom guten Leben auszubilden und dieser nachzustreben, ungeachtet des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität. Das Kernanliegen von Bildung besteht darin, Schüler anzuleiten, die Kategorie Geschlecht „selber zu denken“, im persönlichen wie im gesellschaftlichen Umgang. Dies zu lernen, ist eine wichtige Grundlage für gelingendes Leben, das Schule nicht garantieren, für das sie aber wichtige Voraussetzungen legen kann durch das, was sie jungen Menschen auf ihren Lebensweg mitgibt – oder eben auch nicht.
Besonders problematisch erweisen sich Übergriffe auf das Denken und Wollen der Schüler dort, wo die Festlegung bestimmter Einstellungen als „Emanzipation“, „Kritikfähigkeit“ oder „Toleranz“ verkauft wird. Staatliche Bildungs- oder Geschlechterpolitik, welche die Bürger glauben machen will, sie wollten immer schon das, was der Staat von ihnen verlangt, ist in hohem Maße ideologieanfällig und wenig freiheitlich. Am Ende stünden nicht Schüler, die vermeintlich richtig denken, sondern solche, die es verlernt haben, selber zu denken. Das Denken und Wollen der jungen Menschen muss unverfügbar bleiben. Pädagogisch wie bildungsethisch gilt es zu streiten für eine Kultur an den Schulen, welche den Mut zum eigenen Gedanken weckt und das Freiheitsbewusstsein des Einzelnen stärkt.

Literatur
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Arbeitspapier für die Hand der Bildungsplankommissionen als Grundlage und Orientierung zur Verankerung von Leitperspektiven (Stand: 08. April 2014): Bildungsplanreform – Verankerung von Leitperspektiven, in: http://www.kultusportal-bw.de/,Lde/Startseite/schulebw/Rahmenvorgaben_Eckpunkte#anker1855083 [letzter Zugriff: 02.11.2014].

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Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU, Landesverband Baden-Württemberg, EAK-Landesverband kritisiert Ablehnung der Petition zum Entwurf Bildungsplan 2015. Sabine Kurtz MdL: „Grüne und SPD nehmen berechtigte Bedenken der Bürgerinnen und Bürger nicht ernst, Pressemitteilung (9.10.2014), in: http://eak-badenwuerttemberg.de/image/inhalte/12_20141009_pressemitteilung_petitionen_bildungsplan.pdf [letzter Zugriff: 02.11.2014].

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Voigt, Martin, Aufklärung oder Anleitung zum Sex? Die Sexualpädagogik in den neuen Lehrplänen ist geeignet, den Kindesmissbrauch zu fördern. Die gesamte Gesellschaft soll umerzogen werden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.10.2014).

Weber, Christian, Was sie noch nie über Sex wissen wollten. Toleranz ist eine Tugend, doch was die Sexualpädagogik Schulkindern zumutet, um ihren Horizont über das traditionelle Familienbild hinaus zu erweitern, nimmt bizarre Züge an, in: Süddeutsche Zeitung (24.04.2014).

Weinert, Franz Emanuel, Leistungsmessung in Schulen, Weinheim/Basel 2001.

Wieschemeyer, Klaus, Professor zweifelt an Rechtmäßigkeit des Bildungsplans. Für Hohenheimer Verfassungsrechtler ist die Forderung nach Akzeptanz problematisch, in: Schwäbische Zeitung (09.05.2014).

(Axel Bernd Kunze)

Menschenrecht auf Bildung

Bildung ist spätestens seit der PISA-Studie – wie man manchmal hört – zu einem sogenannten „Megathema“ geworden. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß Bildung gar nicht so einfach zu fassen ist. Während sich in anderen Sprachen für diesen Begriff nur schwer ein Äquivalent finden läßt, hat der Bildungsbegriff in Deutschland eine lange geistesgeschichtliche Tradition. Für die deutsche Pädagogik ist er zu einem wichtigen, vielleicht sogar zu dem Zentralbegriff überhaupt geworden. Ich will nicht den Versuch unternehmen, Bildung an dieser Stelle zu definieren. Doch will ich – bevor ich ausdrücklich in insgesamt fünf Punkten auf das Recht auf Bildung zu sprechen komme – zunächst in einem ersten Punkt skizzieren, worum es geht, wenn von Bildung gesprochen wird.

(1) Von Bildung zu sprechen, führt in den Kernbereich pädagogischen Handelns und Denkens. Der Mensch ist weder vollständig durch seine Natur festgelegt noch wird er allein durch die äußeren Einflüsse seiner Umgebung – den Prozess der Sozialisation – bestimmt. Er ist vielmehr entwicklungsfähig und weltoffen. Dies ermöglicht dem einzelnen Menschen selbstverantwortliches Handeln: ein Handeln, das über zweckorientiertes, instinkt- oder fremdgesteuertes Verhalten hinausgeht; ein Handeln, das vernunftorientiert, sinngebunden und vom Willen des Subjekts abhängig ist. Ein solches Handeln muß aber erlernt und ausgestaltet werden. Der Mensch ist immer zugleich beides: bildungsbedürftig aufgrund seiner biologisch mangelhaften Existenzausstattung und bildungsfähig durch seine planende, wertende und urteilende Vernunft.
Bildung bezeichnet sowohl den Prozess der Formung und Selbstbestimmung des Menschen als auch das Ergebnis dieses Prozesses. Sie ist mehr als Wissen. Denn Bildung meint, – so hat es der Pädagoge Theodor Ballauf einmal beschrieben – „nachgedacht zu haben und nachdenklich, ja bedenklich geworden zu sein. […] Bildung heißt, Selbständigkeit in diesem Denken erlangt zu haben, für diese Selbstständigkeit freigesetzt zu sein.“ Das heißt: Bildung ist ein innerer Vorgang, die Selbstentfaltung jener Kräfte, die in jedem einzelnen von uns schlummern. Bildung kann ohne ein Mindestmaß an selbsttätiger Mitwirkung des zu Bildenden nicht gelingen. Sie ist Selbstgestaltung der eigenen Person und prägt einen aktiven Lebensstil aus. Der sich Bildende soll sein Leben nicht einfach nur ertragen oder erdulden, sondern verantwortlich gestalten. Der einzelne soll selbständig und verantwortlich Stellung nehmen können zu den sachlichen oder sittlichen Geltungsansprüchen, die an ihn herangetragen werden. Und – daran muß die Bildungspolitik in Zeiten wie den unsrigen nicht selten erinnert werden – dies braucht Zeit: Bildung ist nicht mechanisch herstellbar und beliebig zu beschleunigen. Bildung ohne Freiheit und Muße wäre Abrichtung. Johannes Rau hat es einmal so formuliert: „Aber ich glaube […] nicht, daß sich die Funktion von Schulen und Universitäten darin erschöpfen darf, Boxenstopp für Blitzkarrieren zu sein. Selbständig und frei denken zu lernen: darum geht es nach wie vor. Wer nicht denken gelernt hat, der kann diesen Mangel durch noch so viele Informationen nicht ersetzen, auch nicht durch modernste technische Hilfsmittel.“
Bildung führt den Menschen zu einem tieferen Verständnis seiner selbst, seiner Mit- und Umwelt. Wer sich um Bildung bemüht, erfährt ganz neu die Bedeutung vieler Dinge für sein eigenes Ich. Sein Leben gewinnt an Beziehungsreichtum – ein ganz wichtiger Grund dafür, daß Bildung nicht zuletzt als Bereicherung und als Lebensgenuß erfahren werden kann. Ich denke, daß viele von Ihnen, die einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Freizeit für einen höheren Bildungsabschluß opfern, dies bestätigen können.
Zur Bildung gehört zweierlei: zweckfreie Menschenbildung und Berufsbildung, Allgemein- und Fachbildung. Beide Pole in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu setzen, bleibt eine beständige Aufgabe. Doch wenn Berliner Oberstufenschüler, wie dieser Tage in einer Zeitung zu lesen war, ihre weitere Bildungskarriere mit Hilfe von Karrieretrainern den Erwartungen des Hochschul- und Arbeitsmarktes anzupassen versuchen, sollte dies als Warnung verstanden werden. Denn Bildung bereitet lebenslang auf das Leben vor, indem sie gerade nicht auf das Leben vorbereitet. Dies mag paradox klingen: Aber Bildung geht immer über Tradition und Konvention, über Gewohnheit und Routine hinaus. Heute steht Bildung immer stärker unter dem Maßstab einer „Bildung wozu?“ – zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes, zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit oder zur Stärkung der eigenen Arbeitsmarktfähigkeit … Bildung, die ohne kritische Distanz gegenüber äußeren Vorgaben und gesellschaftlichen Erwartungen, ohne Widerständigkeit und ohne den Mut zum Widerspruch auskommen will, verdient diesen Namen jedoch nicht mehr.
Dies ist nicht nur für den einzelnen wichtig, der nach Selbstbestimmung strebt. Auch unsere Gesellschaft als Ganze ist auf die freie Entfaltung der Potentiale ihrer Individuen angewiesen. Sie bedarf der ausdrücklich schöpferischen Aneignung von Kultur, von Traditionen und Kompetenzen durch ihre einzelnen Mitglieder um ihrer eigenen Kontinuität und Weiterentwicklung willen. Kulturelle und geistige Fähigkeiten, die nicht mehr gepflegt und nachgefragt werden, können auch kollektiv verlustig gehen.

(2) Die Menschenrechte erfüllen – allgemein betrachtet – im wesentlichen zwei Funktionen: Zum einen üben sie eine Schutzfunktion aus, indem sie fundamentale Rechte absichern, die durch die Festschreibung in Form von Menschenrechtspakten, Konventionen oder Grundrechtskatalogen dann auch politisch, sozial und nicht zuletzt rechtlich einklagbar sind. Zum anderen besitzen die Menschenrechte Protestcharakter. Denn wenn ein Menschenrecht formuliert wird, so ist davon auszugehen, dass dieses Recht gerade noch nicht schon überall und für alle Menschen verwirklicht ist. Die Menschenrechte machen daher immer auch aufmerksam auf Unrecht, Benachteiligung oder unwürdige Lebensumstände.
Die Menschenrechte bilden eine Einheit. Auch bei der konkreten Ausgestaltung des Bildungswesens greifen verschiedene Menschenrechte ineinander, so beispielsweise das Recht auf freie Berufswahl oder die Gleichheit vor dem Gesetz. Zum Menschenrecht kann nur etwas werden, das dem Menschen eben aufgrund seines Menschseins eigen ist. Das Menschenrecht auf Bildung, von dem heute abend die Rede sein soll, gründet – wie deutlich geworden ist – in den Grundbedürfnissen des Menschen. Ohne ein Mindestmaß an Bildung ist der Mensch nicht überlebensfähig. Bildung darf dem Menschen um seiner unveräußerlichen Würde willen nicht verweigert werden, sie kann ihm aber auch nicht abgenommen werden. Einzelne Bildungsvollzüge können rechtlich einforderbar sein, doch können sie nur durch die Verantwortlichkeit des einzelnen Subjekts zu wirklicher Bildung werden. Wird diese Verantwortlichkeit zunächst durch die Eltern wahrgenommen werden müssen, geht sie im Zuge der Persönlichkeitsreifung zunehmend auf den sich Bildenden über – dies auch im Sinne lebensbegleitender Bildung.
Bildung ist ferner eine zentrale Voraussetzung, um andere Rechte in Anspruch nehmen zu können. Denn erst durch Bildung wird der Mensch fähig, sich am gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben zu beteiligen. Wer keinen ausreichenden Zugang zu Bildung hat, wird sich auch in nahezu allen anderen Lebensbereichen schwer tun: auf dem Arbeitsmarkt oder im bürgerschaftlichen Engagement, bei politischer Beteiligung oder beim Konsum, in der eigenen Erziehungspraxis oder beim eigenen Gesundheitsverhalten, bei der Bewältigung des Alltags oder bei der privaten Selbstverwirklichung. Die Beteiligung an Bildung wird zudem immer wichtiger in einer Gesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert und spezialisiert, beschleunigt und pluralisiert. Der einzelne sieht sich heute einer Vielzahl konkurrierender Lebensentwürfe und Handlungsmustern gegenüber, aus denen er auswählen muß. Er muß seinen eigenen Lebenslauf immer stärker selbst bestimmen. Die Freiheit, die dem einzelnen aufgegeben ist, fordert ihm ständig Entscheidungen ab. Dies verlangt Orientierungswissen und die Kompetenz, begründet und selbstverantwortlich entscheiden zu können. Wer nicht gelernt hat, mit der Vielfalt an Angeboten und Meinungen, die auf ihn tagtäglich einstürmen, umzugehen, über den wird sehr leicht entschieden – aber eben von anderen.
Bildung ist zur entscheidenden Voraussetzung für die Verwirklichung eigener Freiheit geworden. Wenn die Lebenschancen des einzelnen aber immer stärker vom Zugang zu Bildung abhängen, wird die Frage, wie Bildungszugänge verteilt sind, immer mehr zu einer Frage sozialer Gerechtigkeit. Oder anders gesagt: Bildung ist heute – in stärkerem Maße als zu früheren Zeiten – zentraler Teil der Sozialen Frage. Nicht zuletzt die Debatte um die sogenannte „Unterschicht“ hat das in diesem Jahr einmal mehr gezeigt. Zum Recht auf Bildung gehört grundlegend zweierlei: zunächst einmal der diskriminierungsfreie Zugang zu Bildung. Niemand darf aufgrund äußerer Merkmale an Bildung gehindert werden. Die Menschenrechte sind universal und unverlierbar. Sie gelten also für alle Menschen, zeitlich unbegrenzt und unter wandelnden historischen Bedingungen. Der Zugang zu Bildung ist aber auch materiell und strukturell so abzusichern, daß das Recht auf Bildung nicht reines Postulat bleibt, sondern zu einer realen Beteiligung an Bildung führt. Die Hartz-IV-Reformen – um ein konkretes Beispiel zu nennen – erfüllen diesen Anspruch nicht hinreichend, solange Bildungsausgaben bei der Berechnung des soziokulturellen Existenzmininums weiterhin nicht angemessen berücksichtigt werden. Die Rede vom „Fordern und Fördern“ wird auf diese Weise im zweiten Teil nicht befriedigend eingelöst. Auf dem erreichten Stand der heutigen Auslegung der Menschenrechte wird der Staat durch das Recht auf Bildung dreifach in die Pflicht genommen: Er hat dieses Recht zu achten, vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu schützen und sich aktiv für seine Einlösung einzusetzen. Dies kann durch die Erleichterung, Förderung oder direkte Bereitstellung bestimmter Leistungen geschehen.
Bildung zu ermöglichen, ist zunächst Aufgabe der Eltern und Familien sowie des Staates. Beides wird durch das Grundgesetz garantiert: zum einen in Form eines umfassenden Elternrechts, das den Eltern die Erstverantwortung für Bildung und Erziehung ihrer Kinder sichert; zum anderen in Form einer umfassenden Schulaufsicht des Staates. Dieser setzt die Rahmenbedingungen für das Handeln der verschiedenen Bildungsträger und kontrolliert deren Einhaltung. Ein Schulmonopol kommt dem Staat durch den Schutz der Privatschulfreiheit und des Schulwahlrechtes der Eltern allerdings nicht zu. Mit dem Vorrang öffentlicher Schulen hat der Verfassungsgesetzgeber aber eine nicht ungewichtige Wertvorentscheidung vorgenommen. Bildung ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die eine Reihe verschiedener Akteure Verantwortung trägt, beispielsweise die Kirchen, Verbände, Parteien, Gewerkschaften, Stiftungen oder Unternehmen.

(3) Seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist das Menschenrecht auf Bildung in verschiedenen Konventionen und Deklarationen der internationalen Gemeinschaft festgeschrieben worden. Von zentraler Bedeutung ist bis heute vor allem der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966.
Die zentrale Kernforderung des Rechts auf Bildung besteht in der Gewährleistung einer unentgeltlichen und obligatorischen Grundbildung für alle Kinder. Darüber hinaus müssen nach Artikel 26 Absatz 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte höhere Bildungseinrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie der Hochschulbildung frei verfügbar sein und allen gemäß ihren Fähigkeiten offenstehen. In der Folge ist das Menschenrecht auf Bildung weiter entfaltet worden. Bei den Forderungen, die sich aus ihm ergeben, werden vier Merkmale unterschieden: Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit.
Zunächst einmal müssen Bildungseinrichtungen, Lehrmaterialien und ausgebildete Lehrkräfte in ausreichendem Maße verfügbar sein. Auch Erwachsenen, die im Kindes- oder Jugendalter keine Möglichkeit hatten, bestimmte Bildungsangebote zu nutzen, sollen entsprechende Bildungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Dann müssen die Bildungseinrichtungen auch zugänglich sein: zum einen körperlich, zum anderen wirtschaftlich. Das heißt zum Beispiel: Die Entfernung zum Unterrichtsort muß zumutbar sein; auch körperliche Einschränkungen dürfen nicht von Bildung ausschließen. Und Bildung muß für alle erschwinglich sein, sei es durch kostenlose Bildungsangebote oder die Bereitstellung von Stipendien. Das Merkmal der Annehmbarkeit meint, daß Form und Inhalt der Bildung, also beispielsweise die Lehrpläne und Lernmethoden, für die Lernenden und ihre Eltern kulturell angemessen, relevant und hochwertig sein sollen. Als grundlegende Bildungsziele nennen die Menschenrechtsdokumente regelmäßig die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Förderung der Menschenwürde; beides hat Vorrang vor jeder Nützlichkeitserwägung für ökonomische oder sonstige gesellschaftliche Zwecke. Ferner sollte die vermittelte Bildung, damit sie tatsächlich angenommen werden kann, anpassungsfähig sein, den sozialen und kulturellen Kontext berücksichtigen sowie den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler entsprechen, beispielsweise auch im Falle sprachlicher oder ethnischer Minderheiten.
Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Bildung ist in Deutschland weitgehend verwirklicht. Defizite bestehen allerdings bei Kindern mit prekären Aufenthaltstiteln, für die in einzelnen Bundesländern keine Schulpflicht oder nur ein Schulbesuchsrecht besteht. Handlungsbedarf besteht, wie die PISA-Studien gezeigt haben, vornehmlich bei der Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit von Bildung, nicht zuletzt bei Kindern mit Armuts- und Migrationshintergrund.
Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1966 und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von 1979 halten noch einmal das Gebot der Nichtdiskriminierung bei der Umsetzung des Rechts auf Bildung ausdrücklich fest. Das letztgenannte Dokument fordert die Sicherung gleicher Bildungsbeteiligungsrechte für Frauen in allen Bereichen der allgemeinen und der beruflichen Bildung sowie der Berufs- und Bildungsberatung mit jeweils gleichwertiger Ausstattung und Qualifikationsmöglichkeiten für beide Geschlechter, ferner geschlechtergerechte Chancengleichheit in Bezug auf Stipendien, Ausbildungsbeihilfen, Zugang zu Weiterbildungsprogrammen, insbesondere zu Alphabetisie¬rungs¬¬programmen. Festgeschrieben ist das Ziel geschlechtergerechter Bildungsbeteiligung auch im 2000 verabschiedeten Weltaktionsplan der UNESCO zur Grundbildung.
Mit diesem hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, bis 2015 das Recht auf Grundbildung für jedes Kind der Erde durchzusetzen. Entwicklungsexperten gehen allerdings davon aus, dass dieses Ziel angesichts der gegenwärtigen politischen Anstrengungen verfehlt werden wird. Das Menschenrecht auf Bildung ist zwar eine Verpflichtung, der die Staaten zunächst aus eigener Verantwortung nachkommen müssen, bei deren Wahrnehmung sie nach Notwendigkeit aber auch durch die internationale Gemeinschaft subsidiär unterstützt werden müssen.
Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 betont besonders die soziale und politische Dimension der Persönlichkeitsbildung: Bildung ist demnach unter anderem Vorbereitung „auf ein verantwortungsbewußtes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern“. Zu einer menschenrechtlichen Kultur gehören aus Sicht der Kinderrechtskonvention als Bildungsziele ferner „die Achtung [des Kindes] vor seinen Eltern, seiner kulturellen Identität und seinen kulturellen Werten, den nationalen Werten des Landes, in dem es lebt, und gegebenenfalls des Landes, aus dem es stammt, sowie vor anderen Kulturen als der eigenen“, die „Achtung vor der natürlichen Umwelt“ und – so schon frühere Dokumente – die Unterstützung der Friedensarbeit der Vereinten Nationen – Aspekte, die heute vielfach als globales oder interkulturelles Lernen zusammengefaßt werden.

(4) Wollte man den Sinngehalt des Menschenrechts auf Bildung in einem Grundgedanken zusammenfassen, könnte von Beteiligung an Bildung gesprochen werden. An dieser Stelle verschränken sich die individuelle und gesellschaftliche Seite von Bildung: Einerseits ergibt sich aus dem Gesagten die Ermächtigung der Subjekte zu einem selbstbestimmten Leben als eines der Kernziele von Bildung. Andererseits setzen Mitbestimmung, Mitwirkung und Selbstbestimmung, die für eine demokratische Gesellschaft zentral sind, jene Selbständigkeit im Denken und Handeln voraus, die ohne Bildung nicht zu erreichen sein wird. Am Maßstab gerechter Beteiligung für alle müssen sich das Bildungssystem, seine einzelnen Institutionen und Akteure sowie die Bildungspolitik immer wieder messen lassen.
Die Bildungschancen sind unter den einzelnen Individuen höchst ungleich verteilt. Die Ursachen können beispielsweise in der eigenen persönlichen Konstitution, im familiären Kontext, in der sozialen Herkunft oder auch der vorangegangenen eigenen Bildungsbiographie zu suchen sein. Ein Bildungssystem, das sich an der Idee eines individuellen Rechts auf Bildung orientiert und das – schon aus gesundem gesellschaftlichen Eigeninteresse – alle Bildungspotentiale bestmöglich ausschöpfen will, muß bestrebt sein, Bildungsbenach¬teiligungen möglichst weitgehend zu kompensieren. Allerdings sind nicht alle Ungleichheiten selbst bei bester pädagogischer Förderung zu kompensieren, beispielsweise aufgrund bestimmter psychischer oder physischer Voraus¬setzungen. Daher steht dem Ziel, ungleiche Ausgangsbedingungen für Bildungsbeteiligung ab¬zubauen, die Verpflichtung zur Seite, jedem durch geeignete Institutionen und Bildungsan¬gebote zu helfen, seine Potentiale entsprechend seiner individuellen Voraussetzungen bestmöglich entwickeln und nutzen zu können. Dies schließt begabungsgerechte Förderangebote und Instrumente zur Bildungsberatung mit ein. Nicht alle Bildungsgänge oder auch Lernwege sind für alle Lernenden gleichermaßen geeignet. Dies verlangt aber auch, den Lernenden Zeit zu geben, ihre Begabungsmöglichkeiten entfalten zu können.
Zum Ziel, die verschiedenen Bildungspotentiale bestmöglich zu entfalten, gehört genauso auch die Förderung bestimmter herausgehobener Begabungen – nicht auf Kosten anderer Begabungen, sondern im Sinne eines pädagogisch verantwortlichen „Forderns und Förderns“, das die Aktivierung der persönlichen Potentiale durch geeignete Problemstellungen herausfordert und zugleich mit der Fähigkeit zur sozialen Kooperation verbindet. Wo ein pädagogisch verantworteter Leistungsgedanke schwindet, greifen sehr schnell andere Selektionsmechanismen, die auf individuelle ökonomische oder soziale Ausgangsbedingungen Bezug nehmen. Wer Spitzenbegabungen fördern will, muß dafür sorgen, daß möglichst alle Begabungen gefördert werden. Eine möglichst frühzeitige Bewertung und Selektion von Begabungen (wobei noch zu fragen wäre: durch wen eigentlich?) läuft Gefahr, spätere Talente zu vergeuden oder durch Fehlentscheidungen auszusondern.
Die genannten Ziele werden ohne ein plurales und differenziertes Bildungsangebot – auch über den Zweiten Bildungsweg – nicht zu erreichen sein. Im Interesse eines effizienten und optimalen Ressourceneinsatzes ist ein Wettbewerb um die pädagogische Qualität der Angebote – unter Beachtung der notwendigen Kontroll- und Aufsichtspflicht des Staates – dabei durchaus wünschenswert.
Allerdings ist Bildung nicht in allem unter Marktbedingungen zu organisieren: Marktteilnahme setzt ein Mindestmaß an Macht voraus. Doch sind nicht alle Bildungsteilnehmer in der Lage, in diesem Sinne als marktfähige Subjekte zu agieren – zumal bestimmte Bildungsgüter die einzelnen erst einmal zur verantwortlichen und selbstbestimmten Teilnahme an ökonomischen, politischen oder kulturellen Prozessen befähigen sollen. Ferner ist Bildung in vielen Bereichen kein vollkommen symmetrisches Geschehen. Mit der Vergabe von Bildungsabschlüssen und Berechtigungen werden mitunter gewichtige Lebensentscheidungen getroffen. Die Vergabe von Bildungsabschlüssen ist – anders als manche Diskussion über den Beamtenstatus von Lehrern und Professoren suggeriert – durchaus ein Geschehen von hoheitlicher Qualität. Die Aufgabe der Leistungsbewertung verlangt von den Lehrenden ein Mindestmaß an Unabhängigkeit, das durch ein Kunden- oder Dienstleistungsverhältnis nicht angemessen garantiert werden kann.

(5) Abschließend möchte ich noch einen zweiten Gedanken ansprechen: die Beteiligung durch Bildung. Beginnen möchte ich mit Eindrücken der afrikanischen Schriftstellerin Doris Lessing, die sie von einem Besuch in einer Londoner Schulklasse mitgenommen hat: „Ich versuchte zu erklären, dass Schulbildung in manchen Teilen der Welt etwas ist, nach dem die Menschen sich sehnen, um das sie kämpfen; für das Eltern auf alles verzichten; für das schon Jungen und Mädchen von fünf oder sechs Jahren vier, fünf, sechs Meilen und mehr zur Schule und nach Hause zu Fuß gehen, das alles wegen dieses großen Traumes der armen Welt, dass Bildung sie aus den Buschdörfern herausholen [könnte] […] Aber das war den Mädchen und Jungen in London egal, das zeigten ihre Gesichter. Sie hatten nie von den großen Schlachten gehört, die Idealisten, Gewerkschaften, die Arbeiterbewegung für allgemeine Bildung ausgefochten hatten.“ Lessings Eindrücke zeigen, wie unterschiedlich der Wert des Rechts auf Bildung weltweit wahrgenommen wird. Sie zeigen aber auch, daß die Menschenrechte nicht nur ein Thema sind, das sich an politische Entscheidungsträger oder Vertreter der Rechtsordnung wendet. Sie sind zugleich relevante Bildungsinhalte. Nur jemand, der über seine Rechte zuvor aufgeklärt worden ist, wird in der Lage sein, diese auch tatsächlich einzufordern.
Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, mahnt, daß Deutschland auf dem Feld der Menschenrechtsbildung noch Nachholbedarf habe: „Etwas zugespitzt formuliert ist Deutschland, was die Menschenrechtsausbildung angeht, ein Entwicklungsland. Die Kenntnisse zu den Menschenrechten sind schlicht mangelhaft – selbst innerhalb der juristischen Zunft. […] Menschenrechte gehören aber nicht nur verstärkt in die juristische Ausbildung, sondern auch in die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Berufsgruppen wie Polizei und Entwicklungsdienst und nicht zuletzt in die Lehrpläne der Schulen.“
Menschenrechtsbildung erschöpft sich nicht allein in der Kenntnis der eigenen Menschenrechte. Ziel muss es gleichfalls sein, erstens auch die Menschenrechte der anderen zu kennen und für ihre Wahrung einzutreten sowie zweitens die Menschenrechte als Werte der eigenen Moral anzuerkennen und handlungsleitend werden zu lassen. Allerdings muss vor einer Verkürzung gewarnt werden: Die Menschenrechte nicht nur als relevanten Bildungsinhalt, sondern bereits als Bildungsziel zu betrachten, wäre eine unzulässige Verkürzung. Denn Menschenrechte können zueinander in Konkurrenz treten, sie müssen interpretiert und unter Umständen auch weiterentwickelt werden. Dies verlangt die Kompetenz, zwischen verschiedenen Rechtsgütern abwägen sowie Form, Gehalt und Geltungsanspruch der Menschenrechte reflektieren zu können. Zudem formulieren die Menschenrechte erst einmal Grundrechte, aber als solche noch keine Grundwerte. Daher liefe eine Menschenrechtsbildung ohne gleichzeitige Werteerziehung schnell Gefahr, in eine rechtspositivistische Sackgasse zu gelangen. Das Recht hat eine entlastende Funktion, auch für die Bildungs- und Erziehungspraxis. Doch steht das Recht unter einem sittlichen Geltungsanspruch. Daher kann Menschenrechtsbildung nicht gedacht werden, ohne ein weiteres wichtiges Bildungsziel hinzuzunehmen: die Befähigung zu moralisch vernünftigem Handeln und Urteilen.
Werden die Menschenrechte innerhalb des Unterrichts thematisiert, so bietet dies die Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass politische und soziale Rechte niemals „vom Himmel gefallen sind“, sondern immer erstritten und erkämpft werden mussten. Einen möglichen Zugang bieten die Biographien einzelner Vorkämpferinnen und Vorkämpfer für die Verwirklichung der Menschenrechte. Doch keiner ist gänzlich machtlos. Darüber hinaus sollten die Schülerinnen und Schüler daher auch erkennen können, welche Beteiligungsmöglichkeiten sie selbst haben, um auf die Verwirklichung und Durchsetzung bestimmter Rechte einzuwirken.

Die Veit-Stoß-Realschule leistet als Abendrealschule einen zentralen sowie für ihre ganz spezifische Zielgruppe für Nürnberg und seine Region einmaligen Beitrag, das Recht auf Bildung für alle umzusetzen. Zum fünfzigjährigen Jubiläum Ihrer Schule gratuliere ich Ihnen allen sehr herzlich. Ich möchte noch einmal Johannes Rau wiederholen: „Selbständig und frei denken zu lernen: darum geht es nach wie vor.“ Das ist die Bildungsaufgabe von Schule. Für diese anspruchsvolle und verantwortliche Aufgabe wünsche ich Ihrer Schule auch in Zukunft alles Gute und viel Erfolg.

(Axel Bernd Kunze)

Der Beitrag wurde am 14. Dezember 2006 als Festrede im Festakt zum fünfzigjährigen Jubiläum der Abendrealschule der Stadt Nürnberg gehalten.

Familienwahlrecht?

Sinnvolles Vorbild der Kirchen oder gefährlicher Irrweg?

Erstmals wurde ein Familienwahlrecht unter Bischof Dyba im Bistum Fulda eingeführt, andere Bistümer folgten. Die Kirchen zielen damit durchaus eine politische Vorbildfunktion an. Politische Befürworter finden sich in allen Parteien. Angesichts der anhaltenden Diskussion über den demographischen Wandel und seine Folgen ist zu erwarten, dass die Forderungen nach einem Familienwahlrecht innerhalb der politischen Diskussion nicht verstummen werden, auch wenn die betreffenden Ausschüsse des Deutschen Bundestages eine solche Wahlrechtsänderung bisher abgelehnt haben.
Die Befürworter eines Familienwahlrechtes betrachten die entsprechenden Wahlrechtsänderungen als Chance, Kindern und nachfolgenden Generationen politisch mehr Gewicht zu verleihen. Begründet wird dies zum einen mit der Annahme mit der Annahme, dass Eltern bei ihrer Wahlentscheidung stärker langfristigen und weniger kurzfristigen politischen Zielen den Vorrang geben. Zum anderen sind immer stärker kinderrechtstheoretische Argumente in der Debatte zu vernehmen: Wenn Partizipation ein Menschenrecht sei, dürfe dies Kindern nicht vorenthalten werden – allerdings ist dabei immer nur vom aktiven, nicht aber vom passiven Wahlrecht die Rede. Vermutlich wird es selbst eingefleischten Befürwortern eines Familien- oder Kinderwahlrechts dann doch etwas mulmig, wenn Kinder mit zehn oder zwölf Jahren über Beamtenpensionen, den Einsatz der Bundeswehr oder Währungspolitik entscheiden sollten.
Ein Familienwahlrecht nach einem Mehrstimmenmodell (ähnlich preußischen Dreiklassenwahlrecht bis 1918), bei dem Eltern zusätzliche Stimmen für ihre minderjährigen Kinder erhalten, gilt allgemein als nicht verfassungskonform. Anders hingegen sieht es beim Stellvertretermodell aus: Dieses geht davon aus, dass Kindern bereits mit der Geburt ein Wahlrecht zugesprochen wird; allerdings üben die Eltern bis zu einem gewissen Alter das Wahlrecht stellvertretend für ihre Kinder aus. Wäre eine entsprechende Verfassungsänderung tatsächlich sinnvoll und legitim?

Hieran bestehen erhebliche Zweifel. Die Forderung nach einem Familienwahlrecht rüttelt an den Grundfesten unserer demokratischen Ordnung und stellt die Prinzipien gleicher und geheimer Wahl in Frage, deren Durchsetzung in langen historischen Kämpfen erstritten worden ist. In den wahlpolitischen Konsequenzen lässt sich zwischen dem Mehrstimmen- und dem Stellvertretermodell kein wirklicher Unterschied erkennen.
Das Wahlrecht darf nicht um bestimmter politischer Ziele und Inhalte willen manipuliert oder die Wählerschaft so zusammengestellt werden, dass am Ende ein politisch gewünschtes Ergebnis herauskommt. Der gute Zweck heiligt noch lange nicht die Mittel. Nicht ausgeschlossen ist, dass auch andere Gruppen einmal mit ähnlichen Begründungen für ein größeres Gewicht ihrer Stimmen streiten werden. Anders als beispielsweise das Steuerrecht, nach dem Kinderlose schon heute anders besteuert werden als Angehörige mit Kindern, ist das Wahlrecht kein Instrument, das direkt strukturelle Benachteiligungen ausgleichen kann. Wenn überdies vorgeschlagen wird, mit zunehmendem Alter der Kinder sollte die Wahlentscheidung der Eltern in der Familie diskutiert werden, so untergräbt dies den hohen Wert des verfassungsmäßig garantierten Rechts auf geheime Wahl.
Das Wahlrecht ist keine Bagatelle. Wer dieses Recht ausübt, von dem kann zugleich verlangt werden, dass er auch genauso bereit ist, für die Konsequenzen seiner Entscheidung einzustehen (beispielsweise durch die Steuerpflicht). Daher ist es legitim, dass bei Kindern und Jugendlichen nicht nur die ihnen zugesprochene Verantwortung für ihr Tun (beispielsweise Geschäftsfähigkeit oder Strafmündigkeit), sondern auch die Ausübung politischer Beteiligungsrechte an das vernünftigerweise unterstellbare Maß ihrer Persönlichkeitsreifung gebunden bleibt. Zugleich bleiben lenkende Eingriffe in den Handlungsbereich der Wahlberechtigten in hohem Maße begründungspflichtig. Der Respekt vor den Regeln demokratischer Entscheidungsfindung gebietet es daher zugleich, dass ein einmal gegebenes Wahlrecht allenfalls in streng begrenzten Einzelfällen wieder entzogen werden kann. Dies spricht gegen sowohl pauschale Ausschlusskriterien als auch individuelle Wahlfähigkeitsprüfungen.

Jede Wahlentscheidung ist grundsätzlich eine persönliche Kompromissentscheidung, bei der eine Vielzahl von Interessen abgewogen wird und vielfältige Faktoren eine Rolle spielen, so sind auch zwischen den Interessen der Eltern und ihrer Kinder zwangsläufig Generationenkonflikte nicht ausgeschlossen. Die Befürworter eines Familienrechts unterstellen Eltern schlechthin ein höheres Maß an politischer Verantwortlichkeit. Diese Annahme entspringt wohl eher politischem Wunschdenken oder wirklichkeitsfremder Familienromantik. Dass Eltern bei ihrer Wahlentscheidung grundsätzlich die langfristigen Interessen ihrer Kinder in den Mittelpunkt stellen, lässt sich nicht belegen. Zumindest unbewusst scheint bei solchen Annahmen eine Idealisierung der Familie durch: Familien leisten ohne Zweifel Unverzichtbares und Wertvolles für unsere Gesellschaft.
Das Prinzip parlamentarischer Repräsentation geht davon aus, dass die gewählten Abgeordneten die Interessen des gesamten Gemeinwesens im Parlament anwaltschaftlich vertreten. Dass aber alle Interessen eins zu eins im Parlament abgebildet werden müssten, wäre eine Fehlannahme. Dann wären Wahlen überhaupt sinnlos und man könnte die zu vergebenden Sitze nach einem vorher festzulegenden Schlüssel verteilen. Wer Familien politisch mehr Einfluss geben will, der sollte dazu beitragen, ihre politische Handlungs- und Artikulationsfähigkeit zu verbessern: über den Weg politischer Interessenvertretung, eine Mitarbeit in Parteien oder die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Wer seine Interessen durchsetzen will, muss sich in einer Demokratie darauf gefasst machen, dass er dicke Bretter zu bohren hat. Einen einfacheren Weg gibt es nicht. Andere Forderungen sind entweder naiv oder auf Dauer sogar gefährlich.

200 Jahre Urburschenschaft

2015 jährt sich zum zweihundertsten Mal die Gründung der Jenaer Urburschenschaft, der Deutschland auch seine wichtigsten Nationalsymbole – die Farben Schwarz-Rot-Gold und seine Nationalhymne, verdankt. Das Cartell Christlicher Burschenschaften feierte dieses Jubiläum am 9. Mai 2015 im Gründungslokal, der „Grünen Tanne“, in Jena. Der folgende Impulsvortrag wurde an diesem Tag im Rahmen eines Seminars gehalten, das dem Burschenschaftlichen Dreiklang „Gott – Freiheit – Vaterland“, dem sich die christlichen Burschenschaften verpflichtet sehen, gewidmet war. Weitere Impulsvorträge beschäftigten sich mit dem Freiheits- und Vaterlandsbegriff.

 

„Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, […] in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.“ – so heißt es in Artikel 12 der baden-württembergischen Verfassung. Die Landesverfassung von Rheinland-Pfalz hält in Artikel 33 fest: „Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht […] zu erziehen.“ Und im Freistaat Bayern lautet der entsprechende Artikel 131 der Landesverfassung: „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.“ In den Länderverfassungen lassen sich weitere Beispiele finden. Derartige Formulierungen lösen in Lehrveranstaltungen immer wieder Verwunderung aus. Darf der Staat ein Bekenntnis zu Gott vorschreiben? Soll der Staat nicht vielmehr weltanschaulich neutral sein? Passt ein solcher Anspruch noch zu einer pluralen und offenen Gesellschaft? Und tatsächlich erhitzen sich gerade am Gottesbezug der Verfassung immer wieder die Gemüter; so war es bei der EU-Verfassung, so ist es aktuell einmal mehr in Schleswig-Holstein zu beobachten.

1. Warum ist ein Letztbezug wichtig?
Es geht – wie auch bei der religiösen Eidesformel – nicht um ein persönliches Credo oder ein bestimmtes konfessionelles Gottesbild, sondern um eine kulturethische Aussage. Mit dieser trifft der Verfassungsgesetzgeber eine gewichtige Wertvorentscheidung: „Es geht um die Anerkennung einer Verantwortung über die bloße Mehrheitsmeinung oder Opportunität hinaus.“ [1] Es geht um die Gründung der sittlichen Person, die noch einer anderen Instanz, ihrem Gewissen, gegenüber verpflichtet ist. Und es geht um die Rückversicherung gegenüber totalitären Tendenzen – wider eine Selbstüberschätzung des Menschen, wider einen Staat, der sich absolut setzt, wider jede Form des Materialismus, der den Menschen in letzter Konsequenz nur mehr als Funktionär der sozialen Verhältnisse betrachtet, ihm aber letztlich keine höheren geistigen Antriebe, Interessen oder Ziele zuzugestehen vermag. Der Gottesbezug hält jene Leerstelle offen, ohne die letztlich auch die Freiheit des Menschen auf der Strecke bliebe. Wir Deutschen haben dies in zwei Diktaturen deutlich erfahren. Die Ideologie der Freiheit darf niemals mächtiger werden als die konkrete Freiheit des Einzelnen.
Denn der Mensch muss selbst bestimmen können, wer er sein will und wie er leben will. Dies verleiht ihm eine besondere, nur ihm eigene Würde. Der Mensch hat aber nicht allein die Fähigkeit, sondern auch die Verpflichtung, sich zu entscheiden. Als akademische Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft können wir einander dabei unterstützen. [2] Die Aufgabe, Ich zu sagen, die Anstrengung echter Charakterbildung können wir aber nicht an andere delegieren.
Dabei ist eine „Erziehung zur Ehrfurcht“ vor Gott – oder wie anders wir davon sprechen wollen –, zur Freiheit im Denken und Handeln sowie zur sittlichen Verantwortung genauso wenig wie Liebe, Freundschaft oder Vertrauen operationalisierbar. Daran ist besonders zu erinnern in Zeiten wie diesen – und es sind die unsrigen, da Bildung gleichsam zum neuen Heilsversprechen der säkularisierten „Wissensgesellschaft“ geworden ist. Ein solcher Letztbezug schützt davor, den Anspruch auf Bildung quasireligiös zu überhöhen, in Gestalt einer pädagogischen Kontrollgesellschaft, einer Erziehungsdiktatur oder durch manipulative Pädagogisierung aller Lebensbereiche. Die Auseinandersetzung um die Bildungsplanreform in Baden-Württemberg sowie die Debatten um Gendererziehung oder eine Diversityerziehung zur „Akzeptanz von Vielfalt“ zeigen, welches Konfliktpotential hier schlummert. [3]
Ohne Letztbezug im weitesten Sinne, so die Überzeugung der Verfassungsväter, aber auch der Altvorderen unserer burschenschaftlichen Tradition, wäre eine Bildung der sittlichen Person gar nicht denkbar. Bildung kann zwar den Raum eröffnen, die Sinnfrage zu stellen, einen letzten Lebenssinn findet der Einzelne in ihr jedoch nicht. Bildung verweist den Einzelnen auf sich selbst, seinen Lebenssinn zu suchen und jene Wahrheit zu erkennen, die ihn frei macht – frei jenseits aller menschengemachten Bildungsanstrengungen.

2. Welche kulturethische Bedeutung besitzt der Gottesbezug?
Auch wenn die Gottesformel nichtkonfessionell gemeint ist und für unterschiedliche individuelle Bekenntnisse offen bleibt, ist sie keineswegs wertneutral. Sie markiert als „Leerstelle“ jenes geistige Fundament, auf dem unser Gemeinwesen aufruht und das der moderne Staat, der selbst der Legitimation bedarf, nicht selbst garantieren kann. Wir finden den Bezug auf Gott in dieser kulturethischen Bedeutung zur Zeit der Befreiungskriege beispielsweise in studentischen Stammbüchern, bei Theodor Körner oder im „Ermunterungslied“ von Ernst Moritz Arndt aus dem „Katechismus für teutsche Soldaten“. [4]
Der Nationalstaat hat nicht ohne das Ringen mit der Kirche das Licht der Welt erblickt, der Kulturkampf in Deutschland hat bis heute Spuren hinterlassen. Die Hochzeiten nationaler Lutherdeutung und die für Deutschland prägenden „Los-von-Rom-Mythen“ waren alles andere als frei von antikirchlichen und antiklerikalen Affekten. [5] Doch auch der säkularisierte Nationalstaat kann nicht gänzlich auf ein geistiges Fundament verzichten. In der Tradition, der sich die christlichen Burschenschaften verpflichtet fühlen, drückt sich dies in der Formel „christlich-deutscher Gesinnung“ aus, die das geistige Erbe abendländischer Kultur mit dem Streben nach nationaler Einheit verbindet.
Ein sprechendes Bild wird gern verwendet, wenn verdeutlicht werden soll, was die Idee des christlichen Abendlands ausmacht: Europa – mit seinen geschichtlichen Höhen wie Tiefen – gründet auf drei Hügeln: Golgatha, Areopag und Kapitol. Die drei genannten Berge stehen für jene drei Traditionen, die alle zusammengenommen das Spezifikum abendländischer Geistesgeschichte und der damit verbundenen Leistungen ausmachen: die Idee christlicher Barmherzigkeit und Solidarität, die Vorstellung von Demokratie, Individualität und menschlicher Würde sowie der Anspruch auf Herrschaft des Rechts und die Vorstellung eines Naturrechts (wegen seiner Lehre vom Naturrecht hat es Cicero als „edler Heide“ dann sogar in den Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 geschafft [6]). Die Verbindung von christlicher Erlösungsvorstellung, griechischer Philosophie und römischem Rechtsdenken zeigt sich auch noch in ihren säkularisierten Fassungen – zum Beispiel „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Der Historiker Heinrich August Winkler hat aufgezeigt, wie sich diese Verbindung zu Beginn der Moderne in Aufklärung und Französischer Revolution äußert, bis heute Gestalt und Bewusstsein Europas prägt und diesen Kontinent zusammenhält. [7]
Wir dürfen annehmen, dass in den Anfängen der burschenschaftlichen Bewegung der Gottesbezug als ein selbstverständliches Bekenntnis zu den christlichen Grundlagen deutscher Kultur übernommen wurde. Nicht umsonst war das Wartburgfest eine Lutherfeier. Auf Gott berief sich sowohl ein preußischer König wie Friedrich Wilhelm III. in der Verbindung von Thron und Alter als auch ein burschenschaftlicher Vordenker wie Ernst Moritz Arndt: „Dem Gott, der groß und wunderbar. / Aus langer Schande Nacht uns allen. / Im Flammenglanz erschienen war.“ [8] Nach Aufklärung und Französischer Revolution stellte die Chiffre „Gott“ ein Gegenprogramm dar: ein zivilreligiöses Bekenntnis zum Eingreifen Gottes in der Geschichte. Erst im Zuge der Erweckungsbewegung trat die christlich-konfessionelle Komponente stärker hervor. [9]
Heute stellt sich die Frage, wie dieses Erbe in einer zunehmend pluraler gewordenen Gesellschaft verstanden und bewahrt werden kann. Dabei geht es, wie der Bezug auf die abendländische Idee gezeigt hat, um mehr als ein konfessionelles Bekenntnis. Die christliche Identität besitzt für unser Gemeinwesen eine weitergehende kulturethische Bedeutung: für Politik und Kultur, für Bildung und Wissenschaft, für unser Zusammenleben in Staat und Gesellschaft. Nicht zuletzt die Trennung von religiöser und politischer Sphäre – „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ (Mk 12, 17) – bei gleichzeitiger Kooperation beider Gewalten wäre bedroht – und damit ein wichtiges Moment, das sich in der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte äußerst produktiv ausgewirkt und gewaltige Leistungen freigesetzt hat. Ob wir diese Tradition angesichts der demographischen Entwicklung, säkularer Tendenzen auf der einen und vermehrter Einwanderung auf der anderen Seite bewahren können, ist auf längere Sicht keineswegs ausgemacht.
Nur am Rande: Die Pegidademonstrationen haben diese Befürchtung offengelegt. Die aufgeschreckten Reaktionen hierauf haben eine Kluft offenbart, die oft vornehm durch Bezug auf die sogenannte „Zivilgesellschaft“ verschleiert wird: Auf der einen Seite steht die Meinungsmacht, die symbolisch und semantisch Druck ausübt, Stimmungen erzeugt und Kontrolle verlangt, der aber kaum widersprochen werden kann. Auf der anderen Seite steht die gesellschaftliche Lebenspraxis, die in der nach außen inszenierten Debatte wenig gilt.
Wir werden den christlichen Referenzrahmen nicht schadlos durch andere Traditionen ersetzen können. Würden wir uns auf andere Traditionen festlegen, würden sich auf Dauer unser Gemeinwesen und dessen Moral erheblich verändern. Es steht mehr auf dem Spiel als liebgewordene „Folklore“, wenn wir St. Martin durch ein „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ ersetzen, Weihnachtsgrüße zu unspezifischen „season’s greetings“ machen oder Ostern zum „Hasenfest“ herabstufen. Wer weiß, wie lange unsere Feiertagskultur in dieser Form noch erhalten bleibt. Das Tanzverbot am Karfreitag wird kaum noch verstanden, verkaufsoffene Sonntage durchlöchern den verfassungsrechtlich geschützten Sonntag und einzelne Parteien oder Politiker fordern immer mal wieder, einen Teil der christlichen Feiertage durch muslimische zu ersetzen. Der christliche Glaube geht nicht in seiner kulturethischen Bedeutung auf. Wir sollten uns aber nichts vormachen: Schwinden Erlösungsglaube und christliche Glaubenspraxis in unserem Land, wird auf Dauer auch das auf dem Christentum beruhende Wertefundament brüchig werden.
Bei alldem tragen wir eine soziale Verantwortung für Werte und Normen, Sitte und Brauchtum, Sprache und Wissenschaft, Kunst und Kultur oder Tradition und Religion, die weit über unsere eigene Gegenwart hinausreicht: Denn wie künftige Generationen leben, denken und handeln werden, wird wiederum davon beeinflusst werden, wie wir heute leben, denken und handeln. [10] Die Pflege burschenschaftlicher Tradition in unseren Bünden lebt mehr oder weniger bewusst aus dem Wissen um diese Verantwortung. Die Mitgliedschaft setzt ein persönliches Bekenntnis nicht zwingend voraus, wohl aber die ernsthafte geistige Auseinandersetzung mit religiösen und ethischen Fragen und die Bereitschaft, das besondere Profil einer christlichen Burschenschaft aktiv mitzutragen.

3. Welche Herausforderungen stellen sich in der pluralen Gesellschaft?
Im Rahmen des Richtigen können verschiedene religiöse Bekenntnisse nebeneinander stehen. Der Einzelne bleibt aber herausgefordert, zwischen ihnen eine subjektive Entscheidung zu treffen. So wurde das Christianum in der Tradition christlicher Burschenschaften immer wieder verstanden. Vorausgesetzt wird an dieser Stelle, dass Ethik und Religion unter den Bedingungen neuzeitlicher Autonomie jeweils eigenständige Dimensionen von Bildung und Wissenschaft bezeichnen und dass es schon aus Gründen der Gewissensfreiheit auch ethische Bildung geben kann, die programmatisch keinen Bekenntnisbezug voraussetzt. Doch wären Bildung und Wissenschaft keineswegs mehr neutral, wenn deren Autonomie dazu genutzt würde, religiöse Fragen gänzlich auszuklammern – zugunsten einer vermeintlich neutralen staatlichen Lebenskunde, Demokratie- oder Menschenrechtspädagogik. Rolf Schieder hat dies im „Handbuch Interreligiöses Lernen“ pointiert auf den Punkt gebracht: „Eigentlich will man eine staatseigene Zivilreligion, wagt aber nicht die offene Konkurrenz mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern erklärt sich selbst für ‚neutral‘, womit die Religionsgemeinschaften eo ipso parteiisch sind. Das Motto lautet: Die anderen sind religiös, wir sind normal.“ [11]

3.1 Befähigung zum Reden über Religion
Wo Lebensverhältnisse kontingent werden, stellen sich religiöse Fragen neu. Wer angesichts der vorhandenen Vielfalt an Lebenskonzepten, Wertorientierungen und Sinnangeboten nicht gelernt hat, sich zu entscheiden, über den wird sehr leicht entschieden, aber eben von anderen. Diese Entscheidungsfähigkeit zu vermitteln, bleibt eine wichtige Aufgabe akademischer Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften. Zugleich bedarf unser gemeinsames Zusammenleben sinnstiftender Lebensdeutungen, der Verpflichtung auf bestimmte verfahrensrechtliche Tugenden und eines Mindestkonsenses an substantiellen Einstellungen in Form einer Konzeption formaler Sittlichkeit. [12] Die Debatte um Integrationsdefizite hierzulande lässt berechtigte Zweifel aufkommen, ob wir uns einer solchen Konzeption formaler Sittlichkeit weiterhin hinreichend bewusst sein dürfen und ob wir bereit sind, diese auch hinreichend deutlich einzufordern. Bürgersinn oder zivilgesellschaftliches Bewusstsein stehen nicht einfach als Ressource zur Verfügung. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft können nicht darüber hinwegsehen, dass ihre jeweiligen Sachbereiche auch unter der Bedingung des Pluralismus weiterhin religiös bestimmt werden.
Weder betrifft gesellschaftliche Integration allein strukturelle Voraussetzungen noch geht es um die bloße Übernahme gesellschaftlich vorgegebener Erwartungen. Die Ausbildung einer kulturellen oder religiösen Identität sowie die Entwicklung sozialer Integrationsfähigkeit werden nur als ein subjektiv bestimmter, aktiv zu gestaltender Prozess gelingen. Religiöse Bildung ist nicht von den Anforderungen einer wie auch immer gedachten staatsbürgerlichen Religion her zu denken, sondern vom sich bildenden Subjekt und seiner praktischen Urteilskraft. Die für die Moderne geltende Autonomie der Bildung setzt eine eigene religiöse Praxis nicht zwingend voraus. Gleichwohl wird aber von umfassender Persönlichkeitsbildung nur dann gesprochen werden können, wenn der Einzelne in der Lage ist, sich selbst und die Welt um sich mit Bezug auf religiöse Sprachformen wahrzunehmen und zu werten. Religiöse Lernprozesse bleiben unverzichtbarer Bestandteil des allgemeinen Bildungsauftrags – nicht im Sinne religiöser Rede, sondern im Blick auf die Befähigung zum Reden über Religion. Hier haben christliche Burschenschaften einen entscheidenden Bildungsauftrag gegenüber ihren Mitgliedern. Wissenschaftliche Abende ad Christianum sollten im Semesterprogramm eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei wird die Freiheit in religiösen Dingen vom Einzelnen nur dann realisiert werden können, wenn religiöse Fragestellungen nicht durch politische Funktionalisierung neutralisiert oder bis zur Unkenntlichkeit domestiziert werden. [13]

3.2 Pflege der eigenen Identität
Ein Verständnis für das Fremde wird sich nur vom Standpunkt des Eigenen her entwickeln können, in der wechselseitigen Verschränkung von Selbst- und Fremdverstehen. Gelingender interkultureller und interreligiöser Austausch setzt voraus, dass alle Beteiligten auch etwas haben, das sie einbringen können – andernfalls kommt der Austausch letztlich zum Erliegen. Die Andersartigkeit des anderen zeichnet sich erst vor dem Hintergrund des Eigenen ab – und erst dann kann der Einzelne auch ein begründetes Urteil fällen. Wo alles gleich ausfällt, kann nicht mehr argumentativ gestritten werden. Eine zwar religionsfreundliche, aber letztlich plural-indifferente (Lern-)Umwelt wird religiöse Identitätsbildung eher erschweren als erleichtern. Dies hat nicht allein individuelle Folgen, sondern auch gesellschaftliche. Gelingende Integration setzt das Vorhandensein einer Kultur voraus, in die hinein Integration überhaupt möglich ist.
Dass uns hierzulande die Pflege unserer eigenen Kultur nicht immer leicht fällt, zeigt schon das diesjährige Jubiläum: Man muss nicht selbst Burschenschafter sein, um der Gründung der Urburschenschaft vor zweihundert Jahren zu gedenken. Angesichts der Tatsache, dass mit Nationalhymne und Flagge immerhin zwei der wichtigsten Nationalsymbole mit diesem Datum in Verbindung stehen, ist die Nichtbeachtung dieses Jubiläums in der Öffentlichkeit eine Schande.
Erfahrungen von Fremdheit und Irritation sind bei alldem nicht ausgeschlossen. Sie können niemals vollständig überwunden, sondern nur reflexiv bearbeitet werden. Toleranz ist nicht pädagogisch-intentional zu erzeugen, sie wird aber dort leichter fallen, wo religiöse Fragestellungen pädagogisch, akademisch, kulturell oder politisch nicht als Störfaktor ausgeklammert werden, sondern als Anlass zur geistigen Auseinandersetzung begriffen werden.
Die religiöse Entscheidung bleibt Sache des einzelnen Bundesbruders. Die Gemeinschaft unterstützt die freie geistige Auseinandersetzung des Einzelnen, im Ringen um die höchsten Ziele und Inhalte des Lebens. Doch wird ein Verständnis für religiöse Phänomene und ein gereiftes Urteil im Hinblick auf religiöse Fragestellungen auf Dauer nur dann erhalten bleiben, wenn zumindest ansatzweise der Kontakt mit gelebter Religion, mit religiösen Überzeugungen und Gewissheiten erhalten bleibt – ob man diese nun persönlich teilt oder nicht. Eine Ethosbildung, die bewusst von Formen gelebter Religion und Sittlichkeit abstrahieren wollte, würde auf Dauer an motivationsbildender Kraft verlieren. Heute geht es weniger darum, freiheitsbedrohende Übergriffe der Kirche abzuwehren, als vielmehr darum, Freiheitseinschränkungen durch einen übergriffig werdenden Säkularismus zu verhindern. Das Gleichgewicht zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit gerät zu Lasten der ersteren ins Trudeln.
Daher ist es gut, dass im Rahmen des Jubiläumsprogramms in Jena am Ende doch der Platz für den Gottesdienst am Sonntagvormittag freigehalten wurde – auch wenn es Entscheidung des einzelnen Bundesbruders bleibt, diesen mitzufeiern oder nicht. Und daher ist es auch kein Widerspruch, wenn beispielsweise die Bamberger Alemannia als nichtkonfessioneller Bund seit einigen Jahren an der Großen Fronleichnamsprozession teilnimmt. Religiöses Bekenntnis, Selbstvergewisserung über die eigene Identität im gemeinsamen Zusammenleben der Stadt sowie die kulturethische Pflege der eigenen Tradition sind an diesem Tag sicher nicht zu trennen.
Und diese Elemente werden auch im Raum einer christlichen Burschenschaft nicht zu trennen sein. Die Pflege jener kulturethischen Bedeutung des Christentums, auf dem unser Gemeinwesen aufruht, kann nicht davon absehen, dass dieses Christentum immer nur in konfessioneller Ausprägung zu haben ist. Es gibt kein „ökumenisches Christentum“, es gibt nur unterschiedliche Bekenntnistraditionen, an denen wir als Christen gegenseitig teilnehmen können und in denen wir voneinander lernen können. Was oftmals als „ökumenischer Gottesdienst“ verkauft wird, ist bei genauerem Hinsehen nur der Verzicht auf Feierlichkeit und ein Sicheinigen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Umgekehrt öffnen die einzelnen Bekenntnistraditionen einen Referenzrahmen, nicht allein in ästhetischer, sondern auch ethischer Hinsicht, dem eine kulturethische Bedeutung für das gemeinsame Zusammenleben in Staat und Gesellschaft weit über den Rahmen der eigenen Glaubensgemeinschaft hinaus zufällt.

3.3 Toleranz meint nicht Neutralität
Die Wirksamkeit des modernen Staates in religiösen Dingen bleibt um der personalen Freiheit des Einzelnen willen begrenzt – und zwar sowohl im Blick auf die Förderung bestimmter konfessioneller Bekenntnisse als auch umgekehrt im Blick auf einen forcierten Prozess vermeintlich neutraler „Demokratisierung“ aller Lebensbereiche, der Religion weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausklammert und gerade durch die Verleugnung weltanschaulicher Horizonte selbst zur Weltanschauung wird. Beide Grenzen werden gegenwärtig prekär: Ob einerseits der Staat im Zuge des neueingeführten, stark integrationspolitisch motivierten Islamunterrichts die Grenzen seiner eigenen Wirksamkeit in religiösen Dingen tatsächlich einhält, wird sich auf Dauer erst noch erweisen müssen. Ich habe hier meine Zweifel.
Andererseits erweckt die Ausdehnung menschenrechtlicher Forderungen nach Ende der Blockkonfrontation und die Berufung auf eine fast schon quasireligiös überhöhte Kultur der Menschenrechte in jüngerer Zeit den Eindruck, hier könnte eine neue Zivilreligion entstehen, die letztlich den Rückgriff auf partikular-weltanschauliche Horizonte gänzlich überflüssig machen soll und jegliche konfessionelle Identitätsbildung fast schon als Sakrileg betrachtet. (Am Rande gesagt: Die Kirchen wiederum erwecken mitunter den Verdacht, der Rekurs auf die Menschenrechte könne eigene theologische Anstrengung ersetzen; so entsteht der Eindruck, die menschenrechtliche Forderung selbst sei schon die eigentliche „Botschaft“ der Kirche.) Welche Vereinigung könnte es sich dann noch erlauben, bestimmte konfessionelle Merkmale zur Voraussetzung einer Mitgliedschaft zu machen, ohne in den Ruf zu gelangen, vermeintlich „undemokratisch“ und ausgrenzend zu sein. Das Recht auf freie Vergemeinschaftung ist bedroht, wie Korporationen schon länger merken. Wo weltanschauliche Bindungen abgelöst werden sollen und der öffentliche Streit um das bessere Argument ersetzt wird durch das Tabu – in Gestalt eines vermeintlich neutral gedachten „demokratischen Habitus“ –, besteht leicht die Gefahr, den Einzelnen – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne gesellschaftspolitisch erwünschter Meinungen zu überwältigen. „Demokratisierung“ wird dabei missverstanden als Gleichschaltung des öffentlichen Raumes.
Keine Werterziehung wird ohne Rückgriff auf letzte Grundüberzeugungen die verwirrende Vielzahl an Werten in eine stimmige Ordnung bringen können. Die staatliche Neutralität in religiösen Dingen meint die Diskriminierungsfreiheit religiös-weltanschaulicher Überzeugungen, nicht deren Neutralisierung oder Nivellierung zu einer staatlich betriebenen, einheitlichen Zivilreligion. Wie weit religiöse Bezüge im öffentlichen Leben zulässig sein sollen, wird nicht allein von der Exekutive oder den Gerichten zu entscheiden sein – eine legitimatorische Selbstbedienungsmentalität des Staates in Wertfragen könnte leicht die Folge sein. [14] Diese Frage muss im gesellschaftlichen Diskurs verhandelt werden, Entscheidungen bedürfen der parlamentarischen Legitimation. Das jüngste Urteil zum Kopftuch in der Schule ist nicht unproblematisch, insofern es zwar einerseits die Religionsfreiheit stärkt, andererseits Religion aber dann doch als Störfall für den öffentlichen Frieden deklariert. Die Lehrerverbände haben darauf hingewiesen, wie problematisch es ist, die Klärung entsprechender Konflikte an die Einzelschule weiterzureichen. Der Weisheit letzter Schluss ist das aktuelle Urteil nicht. Die gesellschaftliche Debatte um die religiöse oder politische Bedeutung des Kopftuches und seine Stellung in öffentlichen Institutionen dürfte noch weitergehen – und das ist auch gut so.
Auch auf europäischer Ebene müssen diese Fragen ernsthaft verhandelt werden, wenn es nicht durch judikative oder exekutive Alleingänge zu Verwerfungen innerhalb der nationalen Gesellschafts- und Rechtstraditionen kommen soll. Eine europäische Harmonisierung ohne Konflikte scheint kaum vorstellbar, sollte eine solche überhaupt wünschenswert sein.
Jede Gesellschaft, die handlungsfähig bleiben will, braucht „eine symbolische Vorstellung von sich selbst“ [15]. Bei tragischen Ereignissen wird mehr als deutlich, dass der Staat auf Religion nicht verzichten kann und will. Aus historischen Gründen sind wir in Deutschland sehr zurückhaltend mit der Pflege einer eigenen Zivilreligion und haben deren Aufgaben vielfach an die großen Kirchen delegiert. Der religiöse Pluralismus bringt es zwangsläufig mit sich, den Kreis derjenigen Akteure zu öffnen, die am zivilreligiösen Konsens mitarbeiten. Der liberale Rechts- und Verfassungsstaat kann die gesellschaftlichen Teilsysteme nicht an eine gemeinsame, für alle verbindliche Weltanschauung binden. Umgekehrt bleibt das politische System aber grundsätzlich darauf angewiesen, dass die verschiedenen Bekenntnisse dieses auch aus religiösen Gründen anerkennen. Nicht umsonst gründet das kooperative Staat-Kirche-Verhältnis darin, dass Bischöfe nach ihrer Ernennung den Eid auf die Verfassung ablegen müssen.
Im Falle der großen Kirchen hat sich diese wechselseitige Anerkennung in langer Übung und nicht ohne leidvolle Erfahrungen ausbalanciert. Neue Konflikte zeigen sich gegenwärtig im Auftreten der katholischen Kirche gegen Bestrebungen, die Ehe für andere Lebensformen zu öffnen und gleichgeschlechtliche Lebensformen weitgehend zu entdiskriminieren. Treten neue Akteure in den Diskurs um die zivilreligiöse Frage ein, muss dies keinesfalls konfliktfrei vonstattengehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich auch im Fall des Islams eine solche Balance einstellen wird, wenn dieser eine zunehmend gewichtiger werdende gesellschaftliche Rolle spielen sollte. Die Rede von einem „europäischen Islam“ suggeriert dies. Doch scheint das zivilreligiöse Konfliktpotential, das hier schlummert, gegenwärtig durchaus unterschätzt zu werden, genauso wie die emotionalen Verwerfungen, die drohen, wenn eine erstarkende Religion offensiv Felder besetzt, auf denen das Christentum an Terrain verliert. In der Beschneidungsdebatte oder in migrationsbedingten Formen eines neuerlichen Antisemitismus hat sich dieses Konfliktpotential in jüngster Zeit recht unvermittelt gezeigt. Die Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist zunächst einmal trivial. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass es diese Religion in Deutschland gibt und dass die Religionsfreiheit auch für Muslime gilt. Als politische Aussage ist der Satz hingegen mehr Wunsch als Wirklichkeit. Dass der Islam einen produktiven Beitrag zur oben beschriebenen, spezifischen Idee abendländischer Kultur beitragen kann, muss er erst noch unter Beweis stellen.

4. Ausblick
Religion und Politik brauchen einander, soll sich nicht jeweils eine Seite absolut setzen – was in der Geschichte noch nie gut ausgegangen ist. In der zivilreligiösen Fragestellung zeigt sich, wie religiöse und politische Fragen miteinander verwoben sind. Denn die politisch denkenden Bürger sind zugleich Träger religiöser Haltungen im weitesten Sinne – und umgekehrt. Daher wird es keine Zivilreligion ohne Bezug zur verfassten Religion geben können, wie umgekehrt die verfasste Religion stets auf politische Rahmenbedingungen trifft. Bildung und Wissenschaft sind Orte, dieses Ineinander religiöser und politischer Fragestellungen reflexiv zu bearbeiten. Dabei wird es nicht allein darauf ankommen, politischen Bedingungen zu entsprechen, sondern diese selbst zum Gegenstand der bildenden und akademischen Auseinandersetzung zu machen und bildungsförderlich zu gestalten. Wir sollten uns dieser Debatte stellen, zumal unsere Universität vielfach nicht mehr der Ort freier geistiger Auseinandersetzung ist, der sie dem eigenen akademischen Anspruch nach sein sollte.
Welchen Beitrag können christliche Burschenschaften in den zivilreligiösen Diskurs einspeisen? Welchen Beitrag können sie zur kulturethischen Pflege christlicher Traditionen in einer pluralen Gesellschaft beitragen? Wie können sie ihr spezifisches Profil bewahren, wenn selbst im eigenen Nachwuchs mit einer schwächer werdenden religiösen Sozialisation zu rechnen ist? Dies sind Fragen, denen sich das Cartell Christlicher Burschenschaften stellen sollte. –
Teilhabe statt Herrschaft, Richtung statt Sinnleere, Verbindlichkeit statt Beliebigkeit machen die – im weitesten Sinne – religiöse Grundstruktur einer Bildungs- und Erziehungsgemeinschaft aus. Religion und Bildung setzen Freiheit voraus und sind nur als zweckfreie Prozesse denkbar. [16] Wer erzieht soll gerecht handeln, nicht aus Gerechtigkeit, also um einer bestimmten Idee willen. Pädagogische Führung ist kein Herrschaftsverhältnis, sondern die freiwillige Bindung an den anderen um dessen Freiheit willen. Es geht um ein Vertrauensverhältnis, durch das der Einzelne lernt, sich selbst und seinen Fähigkeiten immer mehr zu vertrauen. Dies setzt ein Zutrauen in die Werturteilsfähigkeit des anderen voraus. Politisch folgenlos bleibt ein solches Tun nicht. Denn Gerechtigkeit als argumentative Forderung für das Zusammenleben ist keinesfalls voraussetzungslos, sondern bedarf der Liebe zur Gerechtigkeit. Ohne umfassende (akademische) Charakterbildung, die mehr ist als Wissen, wird diese Liebe nicht geweckt werden können. In diesem Sinne verbinden sich politischer Auftrag und akademisches Selbstverständnis miteinander. Wer wüsste das besser als die burschenschaftliche Bewegung, deren Gründung vor zweihundert Jahren wir 2015 feiern.

(Axel Bernd Kunze)

Für wertvolle studentengeschichtliche Hinweise danke ich Herrn OB a. D. Dr. Günter W. Zwanzig.

 

[1] Thomas Sternberg: Das Kreuz – religiöses oder kulturelles Symbol? Über Kreuze in öffentlichen Gebäuden, in: Engagement (2013), H. 1, S. 19 – 28, hier: 24.
[2] Vgl. Axel Bernd Kunze: Befähigung zur Freiheit. Beiträge zum Wesen und zur Aufgabe von Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften, München 2013.
[3] Vgl. Axel Bernd Kunze: Bildungsplanreform 2015 in Baden-Württemberg in der Kritik. Pädagogisch geht es um mehr als die Darstellung sexueller Vielfalt im Unterricht, in: Katholische Bildung 115 (2014), H. 5 (Mai 2014), S. 212 – 223; Ders.: „Kulturkampf“ in Baden-Württemberg: Kontroverse um den Bildungsplan 2015 verengt den Blick auf ein Reizthema: Schüler nicht beeinflussen, sondern stärken. Baden-Württembergs Bildungsplanreform 2015, in: Profil. Das Magazin für Gymnasium und Gesellschaft (2014), H. 3, S. 18 – 27.
[4] Gunnar Auth: Der burschenschaftliche Dreiklang „Gott-Freiheit-Vaterland“ und seine Bedeutung für den Schwarzburgbund, in: Die Schwarzburg (2003), H. 3/4, S. 11 – 12.
[5] Vgl. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin 2009.
[6] Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche (1992), Abs. 1956.
[7] Vgl. Heinrich August Winkler: Was hält Europa zusammen?, Stuttgart 2005.
[8] Ernst-Moritz Arndt: Allgemeines Deutsches Kommersbuch, Bundeslied, 1815,.
[9] Vgl. Harald Lönnecker: Die Burschenschaft im ersten Halbjahrhundert ihres Bestehens, in: Burschenschaftliche Blätter 130 (2015), H. 2, S. 53 – 59, hier: 56 f.
[10] Vgl. Peter Paulig: Die Verantwortung des Lehrers gegenüber Individuum und Gesellschaft, in: Margret Fell (Hg.): Erziehung, Bildung, Recht. Beiträge zu einem interdisziplinären und interkulturellen Dialog. Festschrift für Philipp Eggers zum 65. Geburtstag am 9. Juli 1994, Berlin 1994, S. 138 – 152, v. a. 143.
[11] Rolf Schieder: Politik und Religion in der Zivilgesellschaft, in: Handbuch Interreligiöses Lernen, Gütersloh 2005, S. 28 – 40, hier: 34.
[12] Vgl. Axel Bernd Kunze: Integration durch Bildung? Pädagogische und bildungsethische Klärungen zum Umgang mit Gleichheit und Differenz, in: Michelle Becka, Albert-Peter Rethmann (Hgg.): Ethik und Migration. Gesellschaftliche Herausforderungen und sozialethische Reflexion, Paderborn 2010, S. 165 – 184.
[13] Dies war 2011 ausdrücklich Thema der damaligen Kommersrede beim 150. Stiftungsfest der Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg gewesen: Vgl. Peter Bruns: Kommersrede „Wie viel Religion (Christentum) verträgt die Gesellschaft? Betrachtungen eines Patrologen“, in: Gunnar Auth, Axel Bernd Kunze (Hgg.): 150 Jahre Leipziger Burschenschaft Alemannia. Erinnerungsschrift zum Jubiläumsstiftungsfest 2011, hg. i. A. des Verbandes Alter Herren, Bamberg 2013, S. 45 – 52.
[14] Vgl. Schieder (2005), S. 33 – 35.
[15] Schieder (2005), S. 31.
[16] Vgl. Thomas Mikhail: Bilden und Binden. Zur religiösen Grundstruktur pädagogischen Handelns, Frankfurt a. M. u. a. 2009.

Wie viel Mama braucht das Kind?

Das Elternrecht ist ein zentrales Grundrecht.
Wie viel Mama braucht das Kind? Bei dieser Frage geht es ganz zentral um die Freiheit des Menschen. Hierüber haben nicht Staat, Gesellschaft oder sogar die Wirtschaft zu entscheiden. Wie viel Mama braucht das Kind? Diese Frage kann allein von der Familie beantwortet werden. So haben das auch die Väter unseres Grundgesetzes gesehen und in Artikel 6 formuliert: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Das Elternrecht schützt die intime Eltern-Kind-Beziehung vor staatlichen Übergriffen und sichert dem Kind das Recht, vornehmlich durch seine Eltern erzogen zu werden – und nicht durch öffentliche Institutionen oder andere Formen kollektiver Erziehung. Die Grund- und Menschenrechte setzen dem Staat auf diese Weise eine klare Grenze: Der Staat kann durch seine Rechtsordnung zwar ein Erziehungsverständnis fördern, welches das Recht der Kinder auf Selbstbestimmung achtet – er kann ein solches aber nicht erzwingen, wenn er gerade jene Autonomie nicht untergraben will, die er als liberaler Rechts- und Verfassungsstaat zu schützen beansprucht. Wollte der Staat Eltern und Kindern eine bestimmte Form von Bildung und Erziehung vorschreiben, bliebe die individuelle Freiheit auf der Strecke. Zur Freiheit der individuellen Lebensgestaltung zu finden (und diese Freiheit ist gerade das Ziel von Bildung!), wird nur dann gelingen, wenn die Erziehung grundsätzlich der gemeinsamen Praxis von Eltern und Kindern überlassen bleibt.
Nur wo Eltern ihre Rechte missbrauchen, darf der Staat von seinen Möglichkeiten Gebrauch machen und die Erziehungsgewalt der Eltern einschränken oder ihnen auch gänzlich entziehen. Jedes Engagement des Staates in Bildungs- und Erziehungsfragen bleibt in starkem Maße begründungspflichtig. Überall dort, wo der Staat einen Vorrang öffentlicher Erziehung behauptet, muss dieser gut begründet sein – nur dann ist der damit verbundene Eingriff in die Freiheit der Eltern und in die geschützte Eltern-Kind-Beziehung berechtigt.
Familienpolitik im freiheitlichen Rechts- und Verfassungsstaat kann immer nur familienergänzend tätig werden, darf aber nicht die Familie ersetzen. Auf der Ebene pragmatischer Bildungspolitik wird sich das öffentliche Angebot an Bildungs- und Betreuungsinstitutionen durchaus am gesellschaftlichen Bedarf orientieren, doch darf das Elternrecht dabei nicht beschnitten werden. Dieses tritt nicht in Konkurrenz zum Recht des Kindes auf Bildung und Erziehung, sondern ist ein notwendiges Korrektiv, damit der Staat seine Kompetenzen im Bildungsbereich nicht missbraucht und kein staatliches Bildungsmonopol entsteht.

Kinder brauchen emotionale Stabilität.
Richtig ist: Kinder erweitern immer mehr ihren Lebenskreis und wachsen schrittweise in öffentliche Verantwortung hinein. Ein erster wichtiger Schritt ist dabei die Einschulung; ein weiterer wichtiger Schritt ist der Übergang ins Berufsleben. Mit dem Aufwachsen der Kinder verändert sich auch die Eltern-Kind-Beziehung. Juristisch drückt sich dies in der Formel „Weichendes Elternrecht – wachsendes Kinderrecht“ aus. Mit dem Anwachsen öffentlicher Verantwortung der Heranwachsenden steigt die Bedeutung familienexterner, institutionalisierter Bildungsangebote. Das Erziehungsrecht der Eltern gegenüber kollektiven Formen öffentlicher Erziehung wird bei der Frage nach einer Krippen- oder Kindergartenpflicht stärker zu gewichten sein als im Falle der allgemeinen Schulpflicht, von der späteren Berufsschulpflicht einmal ganz abgesehen.
Pädagogische Fachkräfte haben – anders als dies im Kontext einzelner Konzepte einer Erziehungspartnerschaft mitunter behauptet wird – kein Mandat, sich wertend über die Paarbeziehung der Eltern oder die innerfamiliale Erziehung zu äußern. Über kurz oder lang würde dies die Primärbeziehungen in der Familie verändern und die geschützte Privatsphäre der Familie auflösen, beispielsweise indem gutgemeinte Helfermotive der pädagogischen Fachkräfte ausufern, das Vertrauen der intimen Mutter-Kind-Beziehung untergraben oder Grenzüberschreitungen und Erwartungshaltungen seitens der professionellen Fachkräfte das Familienleben unter Druck setzen.
Wer die Erzieherausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, weiß, wie wichtig sichere Bindung und emotionale Stabilität für die Entwicklung von Kindern sind. Ohne diese Voraussetzungen sind Kinder nicht in der Lage, die eigene Umwelt zu entdecken und sich auf Lernprozesse einzulassen. In den frühen Lebensjahren kann die Familie diese emotionale Sicherheit und diesen Halt am besten garantieren. Werden Kinder bereits sehr jung außerfamiliär betreut, häufig wechselnden Bezugspersonen ausgesetzt und zu früh in öffentliche Obhut gegeben, werden diese einem immensen Stress ausgesetzt.

Die Familie ist der erste und bevorzugte Bildungsort.
„Das Kind soll in der Geborgenheit der Familie zur Freiheitsfähigkeit heranwachsen, in seiner Muttersprache die Welt begreifen, in der Begegnung mit den Eltern Zuwendung und Sicherheit erfahren, im Vorbild der Eltern zur Religionsfreiheit fähig werden, Eigenständigkeit und wachsende Kräfte zunächst in der Familie erproben, unter der Obhut und Mitverantwortung der Eltern in einen sich ständig erweiternden Kreis von Menschen hineinwachsen, sich schließlich aus der elterlichen Obhut lösen und in Schule und Ausbildung, Beruf und der Gründung einer eigenen Familie Eigenständigkeit gewinnen“ (Kirchhof 2008, S. 311). – So hat der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof den spezifischen, vom Grundgesetz ausdrücklich geschützten Bildungs- und Erziehungsauftrag der Familie beschrieben. Das Alltagshandeln in der Familie und die besondere personale Bindung zwischen Eltern und Kindern besitzen eine ganz eigene Qualität und unterscheiden sich ganz grundsätzlich von anderen Erziehungsformen.
Familiale auf der einen sowie professionelle oder öffentlich-institutionalisierte Formen der Erziehung auf der anderen Seite sind aus pädagogischen wie psychologischen Gründen nicht einfach gegeneinander austauschbar. Die Erziehung in der Familie gründet in einem ganz besonderen Vertrauensverhältnis, das der Bonner Pädagoge Volker Ladenthin so beschreibt: „Kinder vertrauen darauf, von den Eltern in ihren Besonderheiten akzeptiert zu werden. Dass die Eltern von diesen Besonderheiten und Vorlieben wissen, macht den Kindern nicht viel aus. Die Eltern-Kind-Beziehung ist der Ort der Herausbildung von Unverwechselbarkeit, Individualität. Und Kinder vertrauen darauf, dass sie vor ihren Eltern diese Unverwechselbarkeit und Eigenheit nicht nur zeigen, sondern auch kultivieren dürfen“ (Ladenthin 2003, S. 82). Gerade durch das Alltagshandeln in der Familie werden von klein auf Fähigkeiten zu emotionalen Bindungen und zum Aufbau personaler Beziehungen ausgebildet, die für alle späteren Lern- und Bildungsprozesse – beispielsweise in der Schule oder im Beruf – von entscheidender Bedeutung sind. Die Familie ist daher der erste und bevorzugte Bildungsort. Öffentliche Erziehung kann Defizite immer nur bedingt kompensieren, da die institutionalisierten Ersatzformen für Familie genau diejenigen Fähigkeiten der Heranwachsenden nicht fördern, sondern als intakt voraussetzen, die für eine angemessene psychische Entwicklung und für selbstbestimmtes, verantwortliches Handeln zentral sind. Der Philosoph Georg W. F. Hegel hat dies in seiner Gymnasialrede vom 14. September 1810 auf sehr pointierte Weise ausgedrückt: Heranwachsende, die noch roh, unbotmäßig und unordentlich seien, müssten „den Eltern zurückgegeben werden“, damit diese „ihre Pflichten erst an denselben […] vollenden“. Denn Unterricht – so Hegel weiter – könne „auf einem ungeschlachten Boden nicht gedeihen“ (alle drei Zitate: Hegel 2011, S. 80).
Kinder brauchen die Familie als geschützten Bildungsort, um eine eigene Persönlichkeit auszubilden. Sie brauchen das lebendige Vorbild der Eltern. In der frühen Familienerziehung gründet die gesamte spätere Moralentwicklung. Werte wachsen in einem Klima, das selbst durch Werte geprägt ist. In der Familie wird die Wertorientierung für das gesamte weitere Leben grundgelegt, und dies gerade auch in religiöser Hinsicht.

Ein egalitaristisches Verständnis von Bildung ist freiheitsfeindlich.
Der auf den Menschenrechten fußende Rechtsstaat muss auch Sozialstaat sein, ohne dass soziale Sicherheit und individuelle Freiheit gegenseitig verrechnet werden könnten. Allerdings würde der Staat dem Anspruch auf Freiheit zuwiderhandeln, wenn er nicht auch in der Lage wäre, sich selbst zurückzunehmen, und wenn er dem Einzelnen nicht auch ermöglichte, seine individuelle Freiheit in privater, nichtpolitischer Form zu bestimmen. Eine Politisierung aller Lebensbereiche, einschließlich des Privaten und Intimen, wäre andernfalls schnell die Folge. Dies gilt auch für die Bildungspolitik. Für die freiheitliche Gesellschaft ergibt sich damit eine grundsätzliche Spannung, die niemals vollständig aufgelöst werden kann: Auf der einen Seite bleiben Staat und Gesellschaft um ihrer eigenen Zukunft willen auf eine bestimmte Qualität der Familienerziehung angewiesen. Auf der anderen Seite darf der Staat das Familienleben nicht einfach inhaltlich bestimmen oder sogar dominieren. Im schlimmsten Fall würde er unterstellen, dass gute elterliche Erziehung nicht der Regelfall sei, sondern allenfalls die rühmliche Ausnahme. Die logische Konsequenz wäre dann, einen Vorrang staatlicher Erziehung zu behaupten. Ein solcher Schritt würde die legitime Schutzpflicht des Staates in ein Instrument staatlicher Repression verkehren. Bildungsgerechtigkeit lässt sich nicht durch ein „pädagogisches Einheitsprogramm“ für alle Kinder erreichen, das der Staat den Familien überstülpt. Diskriminiert würden in der Folge jene Eltern, die den Bildungsanspruch ihrer Kinder auf andere, vielleicht eltern- und familiennähere Weise erfüllen wollen. Dies schließt nicht aus, verstärkt über Anreizstrukturen nachzudenken, damit bildungs- oder sozialpolitische Förderangebote und Unterstützungsleistungen auch tatsächlich jenen Kindern zugutekommen, die gegenwärtig nicht optimal gefördert werden.

Nicht Kosten sozialisieren und Gewinne privatisieren.
Der Ausbau öffentlicher Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen bindet enorme Ressourcen. Der Einsatz von Ressourcen aber ist niemals ethisch neutral. Was an der einen Stelle eingesetzt wird, fehlt möglicherweise an anderer Stelle. Daher muss über die nicht unerheblichen Kosten für einen Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung öffentlich diskutiert und transparent entschieden werden. Bildungs- und Sozialpolitik sind kein „Wünsch-Dir-was-Konzert“.
Wenn die Wirtschaft mehr familienexterne Betreuungskapazitäten will, darf die Gesellschaft nicht einfach auf den Kosten hierfür sitzen bleiben, während die Gewinne hingegen privatisiert werden. Letztlich zahlen wir alle dafür durch höhere Steuern und Abgaben. Wir geben in Deutschland sehr viele Ressourcen für eine verwirrende Vielzahl familienpolitischer Leistungen aus, ohne deren Effizienz, vor allem in demographischer Hinsicht, hinreichend zu prüfen. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir unser Wirtschafts- und Arbeitsmarktsystem intelligenter gestalten können, damit die Bedürfnisse der Kinder nicht unter die Räder kommen.

Der Staat hat die Autonomie der Familie zu achten und zu schützen.
Am Ende ist noch einmal zu betonen: Der Staat hat die Wahlfreiheit der Eltern und die Autonomie der Familie zu achten und zu schützen. Dies verbietet die einseitige Propagierung eines bestimmten Familienbildes wie auch die staatliche Bewirtschaftung von Geschlechterrollen. Wie wir leben wollen, als Einzelne und als Familien, kann nur im gesellschaftlichen Diskurs entschieden werden. Dabei wird es in einer pluralen Gesellschaft immer unterschiedliche Ansichten geben – und das ist auch gut so. Jeder hat das Recht, eine eigene Vorstellung vom guten Leben zu entwickeln und dieser nachzustreben, solange er dabei nicht die Freiheit der anderen verletzt. Wird außerhäusliche Betreuung einseitig propagiert, droht der freiheitliche Rechts- und Sozialstaat zum bevormundenden Tugend- und Versorgungsstaat zu verkommen. Die Freiheit bliebe auf der Strecke, damit aber auch Bildung. Denn die Freiheit, sich individuell entfalten zu können, wird dort unterlaufen, wo der Staat –beispielsweise im Namen eines Rechts auf Bildung – dazu ermächtigt wird, immer größere Bereiche der Gesellschaft seiner Planung, seiner Steuerung und seinen Vorgaben zu unterwerfen. Bildung ist Befähigung zur Selbstbestimmung – von Anfang an. Bildung ist kein Instrument staatlich betriebener Gleichmacherei oder sogar Indoktrination. Oder es wäre gar nicht von Bildung zu reden.

Literatur
Hegel, Georg W. F. (2011): Schule und Familie: Rede zum Schulabschluss am 14. September 1810, zitiert nach: Christoph Storck, Elmar Wortmann: Erziehung – eine Einführung (Perspektive Pädagogik; 1), Stuttgart/Leipzig, S. 80.
Kirchhof, Paul (2008): Normativ-rechtliche Vorgaben der Familienpolitik, in: Anton Rauscher (Hg.): Hand¬¬¬buch der Katholischen Soziallehre, Berlin, S. 311 – 330.
Ladenthin, Volker (2003): Zum Verhältnis von Familienbildung und Schulbildung, in: Jürgen Rekus (Hg.): Ganztagsschule in pädagogischer Verantwortung (Münstersche Gespräche zur Pädagogik; 20), Münster (Westf.), S. 64 – 85.

(Axel Bernd Kunze)

 

Der Beitrag war Teil einer Trialogrede, gehalten am Ende des Schuljahres 2013/14 als Rede zu einer feierlichen Zeugnisübergabe.

Engagement 3/2015

Ein neues Heft der von ENGAGMENT, der Zeitschrift für Erziehung und Schule, liegt druckfrisch vor. Der Themenschwerpunkt der Ausgabe 3/2015 (33. Jahrgang) beschäftigt sich mit Qualitätskriterien für Katholische Internate und Tagesinternate.

Im Rezensionsteil werden folgende Titel vorgestellt: Gemeinsam über Unterricht und Schule nachdenken. Reflexives Lernen und kollegiale Hospiation (Rezensent: Axel Bernd Kunze); Lehrerbildung auf dem Prüfstand. Welche Qualifikation braucht die inklusive Schule? (Rezensent: Tillmann F. Kreuzer); Was wirkt wirklich? Einschätzungen von Determinanten schulischen Lernens (Rezensent: Gottfried Kleinschmidt); Heterogenität – Diversity – Intersektionalität. Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz (Rezensent: Christopher Haep); Grundwissen Lehrerbildung. Leistung messen. Praxisorientierung, Fallbeispiele, Reflexionsaufgaben (Rezensent: Matthias Bär); Praxishandbuch Gesundheit in der Schule – So fördern Sie die Lehrer- und Schülergesundheit (Rezensentin: Beate Michaela Fliegner); 99 Tipps. Referendare begleiten und ausbilden (Rezensent: Tillmann F. Kreuzer); Gotteslob Dienstebuch (Rezensent: Axel Bernd Kunze); Katholische Soziallehre als politische Ethik. Leistungen und Defizite (Rezensent: Joachim Fischer); Studenten in Sachsen 1918 – 1945. Studien zur studentischen Selbstverwaltung, sozialen und wirtschaftlichen Lage sowie zum politischen Verhalten der sächsischen Studentenschaften (Rezensent: Axel Bernd Kunze); 2 1/2 Gespenster (Rezensentin: Astrid Frey) und Kindheit: wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete (Rezensentin: Astrid Frey).

Die Zeitschrift erscheint im Münsteraner Aschendorff Verlag.