Das Verbindungshaus der Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg wurde Opfer eines Farbanschlags – hier Fotos aus einem Weblog, das verbindungsfeindliche Straftaten dokumentiert:
https://iftuz.wordpress.com/2021/05/24/bamberg-politische-schmaehungen-gesprueht/
In dieser massiven Form zeigt sich eine neue Qualität verbindungsfeindlicher Straftaten nun auch in Bamberg. Die gesellschaftliche Polarisierung und die Erosion des Rechtsstaates machen auch vor einer Universitätsstadt wie Bamberg nicht halt. Es gibt keinen Grund, dass Korporationen sich verstecken, sie sollten durchaus selbstbewusst auf solche Straftaten reagieren. Wenn solche Straftaten verharmlost werden, ist die Freiheit ernsthaft in Gefahr.
Monat: Mai 2021
Namensstreit an der Universität Münster
Kaiser Wilhelm II. erhob die Münsteraner Akademie 1902 durch eine Kabinettsordre zur Universität. Seit 1907 trägt sie deshalb den Namen ihres Gründers: Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster. Nach Greifswald (Ernst-Moritz-Arndt-Universität) oder Tübingen (Eberhard-Karls-Universität) ist jetzt auch in Münster ein Namensstreit ausgebrochen: Taugt der Hohenzollernkaiser weiterhin als Namensgeber? Diesen Streit zu klären, hat die Universität ein Projekt ins Leben gerufen – mit dem Titel: Zur Sache WWU. Durch Veranstaltungen, Diskussionsforen und wissenschaftliche Recherche, begleitet von einem Wissenschaftlichen Beirat, soll geklärt werden, wie die Universität künftig heißen soll. Das Projekt kann öffentlich kommentiert werden. Erste Kommentare sind mittlerweile online. Axel Bernd Kunze, selber Absolvent der Universität Münster, schreibt:
„Es ist ein guter Brauch, Universitäten nach ihren Gründern zu benennen. Damit ist kein Werturteil über das gesamte Wirken einer Person verbunden. Wer sich zu seiner Geschichte und Tradition bekennt, weiß auch um deren Bedingtheit. Jede historische Persönlichkeit hat Licht und Schatten. Auch wir wissen nicht, wie künftige Generationen einmal über unsere Zeit und ihre Akteure urteilen werden. Die Geschichte hingegen beckmesserisch an heutigen Überzeugungen messen zu wollen, ist geistige Bilderstürmerei, moralisierend und anmaßend – und ein hermeneutisches Armutszeugnis für eine Universität. Wer Namen aus dem öffentlichen Bewusstsein und aus dem öffenltichen Raum tilgen will, untergräbt die Fundamente unseres kulturellen Zusammenlebens. Wo identitätsstiftende Merkmale kollektiver Selbstvergewisserung (und dazu gehört auch die Erinnerung an den ersten deutschen Nationalstaat, das Kaiserreich) abgeräumt werden, gewinnt die orientierende Funktion alltäglicher Konvention und versteckter politischer Vorgaben an Einfluss – und in der Folge eine daraus abgeleitete, aber nur unzureichend reflektierte Moral.“
Schlaglicht: „Gendern“ hat wenig mit Sprachwandel, aber viel mit politischem Aktivismus zu tun
Für den öffentlichen Raum sollte ein Mäßigungsgebot gelten. Sprache ist ein zentrales Kulturgut und ein wichtiges Identitätsmerkmal der deutschen Kulturnation, das nicht einseitig durch weltanschauliche Positionen vereinnahmt werden darf. Daher ist es richtig, dass es Regeln gibt, etwa der amtlichen Rechtschreibung. Sie bewahren davor, dass wir unsere Freiheitsräume beständig neu ausgehandelt werden müssen und sie helfen sichern, dass nicht eine einzelne Gruppe durchsetzt, was recht ist. Ich muss meine Muttersprache angstfrei gebrauchen können – ohne damit rechnen zu müssen, beständig in ein politisches Minenfeld zu treten. Wo der Sprachgebrauch politisiert und moralisiert wird, geht ein entscheidender Freiheitsraum verloren.
Mittlerweile ist es so, dass „Studierende“ in Lehrveranstaltungen Gendersprache einfordern; in nicht wenigen Lehrveranstaltungen lernen sie, dass vermeintlich nur Gendersprasche „gerecht“ und „inklusiv“ sei. Die Anmaßung, die hinter einem solchen Ansinnen steckt, wird nicht mehr wahrgenommen: Wer sich anmaßt, den Sprachgebrauch eines anderes zu normieren, verhält sich autoritär und übergriffig. Mit „Gerechtigkeit“ und „Inklusion“ hat dies nichts zu tun. Es besteht keine Wahlfreiheit, so oder so zu schreiben, auch wenn das Freiheitsargument immer häufiger dazu verwandt wird, jene als Freiheitsgegner hinzustellen, die sich einer genderpolitischen Überformung der Sprache in den Weg stellen. Denn Gendersprache hat wenig mit natürlichem Sprachwandel zu tun, aber viel mit einer aktivistischen Agenda.
Wo die Sprache zur Arena für Politaktivisten wird, wird die Freiheit absorbiert vom Zwang, sich beständig moralisch rechtfertigen zu müssen. Dies hat am Ende auch wenig mit Wissenschaftsfreiheit zu tun, da zu dieser auch die Freiheit gehört, seine Gedanken sprachlich so auszudrücken, dass man sich nicht einem ständigen moralisierenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sieht. Zum Kampf um die Freiheit gehört für mich auch das Ziel, die Sprache vor Politisierung und moralisierender Vereinnahmung zu bewahren.
Wir haben uns schon viel zu sehr daran gewöhnt, dass öffentliche Organe (dazu zählen auch Senate und Frauenbeauftragte) steuernd eingreifen, wo es staatlich nichts zu steuern geben sollte – alles natürlich immer ganz sanft, getarnt im Schafspelz von „Tipps“, „Best-practice-Beispielen“ oder Qualitätmanagementinstrumenten. Der freie Bürger und der freie Wissenschaftler braucht keine Gängelung. Ferner: All diese „Beispiele und Tipps“ aus der schönen, neuen Hochschulwelt setzen unausgesprochen Prämissen voraus, die gar nicht diskutiert werden. Gendersprache ist nicht „geschlechtergerecht“, sie ist aus meiner Sicht einseitig egalitaristisch („Damit wir ALLE DIESELBE Sprache sprechen“), während das Freiheitsmoment kleingeschrieben wird. Gerechtigkeit aber verwirklicht sich im polaren Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit.
Ein Sprachwandel, der sich aus freien Stücken im Rahmen der Sprachgemeinschaft vollzieht, hätte zumindest eine andere Qualität als ein politisch gesteuerter, wobei die Verfechter der Gendersprache sehr häufig diesen Unterschied verschleiern und das Durchsetzen von Gendersprache als „natürlichen Sprachwandel“ deklarieren – wenn dem so wäre, bräuchte es ja gerade keine Beschlüsse von Senaten, „Tipps“ von Frauenbeauftragen usw. Der Verlust an Konsens innerhalb der Sprachgemeinschaft ist schon älter als der Genderstern. Sehr oft höre ich das Argument, das generische Maskulinum sei nicht neutral, wobei dann in der Regel auch noch linguistische und sprachsoziologische Begründungen durcheinandergeworfen werden. Das Argument setzt allerdings eine Politisierung der Sprache im Rahmen sozialer Bewegungen bereits voraus – mit der Folge, dass wir jetzt in der Tat keine „neutrale“ Sprachform mehr haben. Damit bleibt es aber immer noch unredlich, wenn Verfechter der Gendersprache dann allein für ihre Varianten die Etiketten „geschlechterneutral“, „geschlechtergerecht“ oder „geschlechterinklusiv“ einseitig in Anspruch nehmen. Gegen die machtförmigen Interventionen der „Gendersprachler“ können wir nicht die Neutralität, wohl aber die Freiheit in Stellung bringen.
Offener Brief für „Freiheit im Bildungssystem“
Der forschungs- und wissenschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im hessischen Landtag, Frank Grobe, erinnert in seiner Stellungnahme zur Wissenschaftspolitik von Ministerin Dorn an den von Jan Dochhorn vor rund zehn Jahren initiierten Offenen Brief an den Herrn Bundespräsidenten „Für Freiheit im Bildungssystem“ – eine grundlegende Richtungsänderung an den Hochschulen ist seitdem ausgeblieben.
Neue Rezension: Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik
Axel Bernd Kunze rezensiert in der aktuellen Ausgabe der Theologischen Literaturzeitung (146. Jg., H. 5, Sp. 473 – 475):
Claudia Gärtner, Jan-Hendrik Herbst (Hgg.): Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik. Diskurse zwischen Theologie, Pädagogik und Politischer Bildung, Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaft 2020, XII + 649 Seiten, 69,99 Euro.
Nicht jedes beliebige Infragestellen des Bestehenden ist schon rationale Kritik. Wenn Gerechtigkeit nicht einfach aus ein für alle Mal gültigen Normen und Regeln abgeleitet werden kann, hat Schule die Aufgabe, die Lernenden in die Verfahren (sozial-)ethischer Urteilsbildung einzuführen. Dabei werden sich unterschiedliche handlungspropädeutische Zugänge verbinden. Für eine politisch interessierte Religionspädagogik wäre es wichtig, den Zusammenhang zwischen den verschiedenen gesellschaftsbezogenen Teilpraxen aus der Perspektive des eigenen Faches auszuleuchten und auszuweisen, wie andere Zugänge mit dem spezifischen Reflexionshorizont der eigenen Disziplin vernetzt werden können. Dies gelingt im Band nur begrenzt, bleibt aber eine zentrale didaktische Herausforderung. Die Aufgabe, die hier zu leisten wäre, ist keinesfalls trivial, wenn für die Educandi am Ende nicht ein unverbundener Flickenteppich verschiedener Perspektiven übrigbleiben soll, sondern sich diese unter Berücksichtigung der verschiedenen Dimensionen ein tragfähiges Handlungskonzept zur Bewältigung sozialer Praxis erarbeiten sollen. (Sp. 475)
Neue Kolumne: Gendern – Sprache als Kampfplatz
Die neue sozialethische Kolumne in der Wochenzeitung „Die Tagespost“ vom 14. Mai 2021 setzt sich kritisch mit „Gendersprache“ auseinander. Drei aktuelle Anlässe stehen im Hintergrund: Erst kürzlich hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken für seinen Amtsbereich das Gendern in Wort und Schrift verpflichtend gemacht. Unterstützt durch den Verein Deutsche Sprache, führt ein Mitarbeiter des Volkswagenkonzerns eine Musterklage gegen den neuen Genderleitfaden bei Audi; der Arbeitnehmer fühlt sich durch den Zwang zum Gendern in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. In Baden-Württemberg haben die Grünen auf Bitte des Koalitionspartners von der CDU im neuen Koalitionsvertrag auf den Genderstern verzichtet.
„Das Diskriminierungsverbot gilt – keine Frage! Doch Sprache ist der falsche Kampfplatz“, gibt sich Kolumnist Axel Bernd Kunze überzeugt: „Schon die unausgesprochene Prämisse der Befürworter des Genderns ist fraglich. Dieses ist weder geschlechtergerecht noch inklusiv, sondern übergriffig und exkludierend. Der öffentliche Raum wird einseitig durch eine radikalkonstruktivistische Theorie besetzt, die gegen linguistische Erkenntnisse grammatikalisches und biologisches Geschlecht ineinssetzt. Sprasche, die allen gehört, wird politisiert und moralisiert. Wer anderer Meinung ist, wird ausgegrenzt.“ Dabei zeige der Verzicht auf den Genderstern im neuen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, dass es doch „mehr um Machterhalt“ gehe und „weniger um das, was man für Gerechtigkeit hält.“
Axel Bernd Kunze: Gendern: Sprache als Kampfplatz, in: Die Tagespost 74 (2021), Nr. 19 v. 14. Mai 2021, S. 28.
Petition gegen Genderzwang und für das Recht auf freie Rede
Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) hat eine weitere Petition gegen den Genderzwang und für das Recht auf freie Rede gestartet:
https://rcds.de/petition-kein-genderzwang/
Bleibt zu hoffen, dass die Petition auch in den eigenen Mutterparteien gehört wird, wenn diese immer heftiger links blinken und dann in Richtung Grün abbiegen. Immerhin war es auch eine frühere Unionsministerin, die vor Jahren „Gendermainstreaming“ als Strategie der Bundesregierung durchsetzte.
Gesegnete Pfingsten
Liebe Leser und Leserinnen meines Weblogs,
ich wünsche Ihnen gute, gesegnete Pfingsttage. Vielleicht können die folgenden Gedanken ein paar Akzente hierfür setzen.
Ich freue mich weiterhin auf die sozial- und bildungsethische Auseinandersetzung mit Ihnen und danke Ihnen für Ihr Interesse an meinen Beiträgen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Axel Bernd Kunze
Christen leben in einer Zwischenzeit: Sie wissen, dass mit Jesus Christus die Erlösung bereits unwiderruflich begonnen hat. In seiner Person ist das endzeitliche Heilshandeln des Vaters sichtbar angebrochen. Dies ist es, was Jesus mit „all dem“ meint, dass nun offenbar geworden ist.
Aber Jesus ist Realist genug, er weiß um den Sündenstrudel dieser Weltzeit und damit um die Grenze, die bleibt: Die Macht der Sünde ist gebrochen, aber noch nicht aus der Welt geschafft. Menschen können sich der Wahrheit verschließen, sich der Liebe des Vaters, die sich im Sohn offenbart hat, verweigern und sich von der christlichen Botschaft abwenden.
Die Annahme der kirchlichen Botschaft ist kein Selbstläufer. Die Zwischenzeit der Kirche, die mit Pfingsten begonnen hat, ist eine Zeit der Bewährung, des Wachsens und Reifens. Gefragt ist das beharrliche Bemühen, Jesu Worte und Taten vor der Welt zu bezeugen, sich von Fehlschlägen nicht entmutigen zu lassen und bei Erfolgen nicht selbstherrlich zu werden. Alles kommt letztlich vom Vater.
Er wird die Welt einmal vollenden. Das macht Jesus heute unmissverständlich deutlich: In seinem Kommen hat Gottes Heilsangebot sichtbar Gestalt angenommen, ist seine Liebe real geworden. Und dieses Heilsangebot wird Gott nicht mehr zurückziehen.
Der Apostel Paulus spricht im Epheserbrief vom Siegel des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist der Garant dafür, dass Gottes Erlösungshandeln, an dem wir durch die Taufe Anteil erhalten haben, Bestand hat. Durch Jesus Christus haben wir Zugang zum Vater, haben wir Anteil am Leben Gottes.
Und so leben Christen im Bewusstsein zwischen einem „Schon jetzt“ und einem „Noch nicht“. Sie wissen um den unwiderruflichen Beginn der Heilszeit in Jesus Christus. Und sie strecken sich zugleich aus nach der Vollendung des Heiles. Das Kirchenjahr macht dies auf seine Weise deutlich: An Pfingsten feiern wir den Beginn der Kirche. Am Christkönigsfest am Ende des Kirchenjahres blicken wir aus auf die Vollendung der Gottesherrschaft.
Zwischen der Himmelfahrt Jesu und Pfingsten waren die Apostel im Gebet um Maria versammelt, wie Lukas in seiner Apostelgeschichte berichtet. Maria wird für die junge Christenschar zu einem wichtigen Vorbild im Glauben und im Gebet. Papst Franziskus hat die besondere Rolle, die Maria für die Kirche spielt, vor ein paar Jahren mit einem neuen Mariengedenktag gewürdigt: In der Pfingstwoche gedenken wir ihrer als Mutter der Kirche. Als Glaubende sind wir mit der Mutter Jesu in geistlicher Mutterschaft verbunden. Sie ist durch den Tod und die Auferstehung Jesu auch unsere Mutter geworden.
Maria steht für die Zwischenexistenz der Kirche. Der Theologe Hugo Rahner hat dies einmal so ausgedrückt: „Die Kirche ist Jungfrau und Mutter, sie ist unbefleckt empfangen und trägt die Last der Geschichte, sie leidet und ist doch jetzt schon in den Himmel aufgenommen.“ Auf der einen Seite steht Maria, die schon Vollendete, der Kirche mütterlich bei, in allen Gefahren und Nöten, in allen Kämpfen und Sorgen dieser Erdenzeit. Auf der anderen Seite haben wir in Maria ein großes Zeichen der Hoffnung. An ihr erkennen wir die große Berufung, die Jesus im heutigen Evangelium so jubelnd besingt. An Maria können wir erkennen, zu welcher Vollendung wir alle berufen sind, wenn Gottes Heilshandeln einmal in voller Fülle an uns sichtbar werden wird.
Auszug aus: Axel Bernd Kunze: Zwischenzeit der Kirche [Lesejahr B. Pfingstmontag], in: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen 18 (2021), H. 3, S. 513 – 527.
Zwei Neuerscheinungen zur Erzieherausbildung und zur Elementarbildung
Im Onlinehandbuch www.kindergartenpaedagogik.de ist in der Rubrik „Erzieher/in: Ausbildung an Fachschulen“ ein Beitrag zur Rolle von Internaten an Fachschulen für Sozialpädagogik erschienen:
Axel Bernd Kunze: Art. Welche Rolle spielen Internate an Fachschulen für Sozialpädagogik? Überlegungen aus bildungsethischer Sicht, in: Martin R. Textor/Antje Bostelmann (Hgg.): Das Kita-Handbuch (Klax Kreativ UG, Berlin, 2021).
Das neue Themenheft TPS spezial 4/2021 der Zeitschrift TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik widmet sich Gerechtigkeitsfragen in der Elementarpädagogik. Weitere Informationen zum Heft finden sich unter:
Als Autor habe ich folgenden Beitrag zum Themenheft beigesteuert:
Axel Bernd Kunze: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Gerechtigkeit kommt nicht von allein. Unser Autor beschreibt, wie Fachkräfte Kinder dabei unterstützen können, moralische Konflikte zu lösen, Empathie zu trainieren – und warum er Mündigkeit besser als Beteiligung findet, in: TPS spezial – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik [Das Prinzip Gerechtigkeit] (2021), H. 4/Sonderheft Frühling, 2021, S. 32 – 35.
Schlaglicht: Freispruch für Kirchenasyl in Münsterschwarzach – kommentierende Anmerkungen zu einem Urteil, das Signalwirkung haben könnte
Ein Mönch des Benediktinerklosters Münsterschwarzach musste sich wegen Kirchenasyls vor Gericht verantworten. „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ohne erforderlichen Aufenthaltstitel“, lautete der Vorwurf. Nun wurde er freigesprochen. Der Ordensmann habe zwar eine Straftat begangen, so die Richterin, doch sei ihm keine Schuld nachzuweisen – begründet wurde das Urteil mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Eine Politik, die nicht mehr rational, sondern affektgeleitet und moralisierend argumentiert, schafft den Resonanzraum für solche Urteile. „Wir schaffen das.“, „Humanität kennt keine Obergrenze.“, „Zum Volk gehört jeder, der im Land lebt.“ – gleich, was die Verfassung sagt. Diese lässt sich umdeuten, Spitzenpolitiker machen es vor. Am Ende wird die Verfassungsordnung beliebig und sehr dehnbar, nicht nur politisch, auch juristisch. Wenn es egal ist, was die Verfassung sagt, und es nur um ein moralisierendes Wohlfühlen geht, macht das gute Gewissen alles wett. Und noch etwas kommt hinzu: Gerade in der Migrationspolitik wurde von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlern und Politik gleichsam der ethische Ausnahmefall als Normalzustand proklamiert. Es kann Situationen geben, in denen wir auch massenhaft Asyl gewähren sollten – aber das sind historisch einmalige Situationen, nicht ein Dauerzustand, der jetzt schon sechs Jahre anhält. Im permanenten moralischen Notstand wird leicht alles zu einer unhinterfragbaren Gewissensentscheidung. Wer will da noch so kleinlich sein und nach ausländerrechtlichen Regelungen fragen …
In der Folge gehen wir sehr verschwenderisch mit den Institutionen unseres Gemeinwesens um: Verfassung, Föderalismus, Grenzregime, Tarifautonomie … Wir haben einen Grundkonflikt, der unser Land seit dem Sommer 2015 spaltet: zwischen gesinnungsethischen und verantwortungsethischen Konzepten. Wenn es um vermeintlich humanitäre Gründe geht, sind die Ansprüche des Staates, der Nation oder des Staatsvolkes irrelevant geworden. Im Band „Wiederentdeckung des Staates in der Theologie“ wird von einem moralischen Individualismus, der aber nur vermeintlich humanitär ist, weil er Raubbau betreibt an den verlässlichen, institutionellen, rechtsstaatlich kontrollierten Grundlagen unseres Gemeinwesens. Wer diese aber infrage stellt, löst den Staat auf – und am Ende damit auch die Möglichkeiten des Staates, humanitäre Nothilfe zu leisten.
Und die Justiz, die nicht mehr lange ein konservatives Bollwerk gegen politischen Leichtsinn bilden wird, schwenkt auf diese Linie ein. Am Ende bleiben auch Juristen Kinder ihrer Zeit. Die Menschenwürde ist keine lex, sondern ratio legis. Wer sich auf sie beruft, muss konkret werden. Und ein Freispruch wäre etwa begründet, wenn der Ordensmann nachweislich aus einem Notstand heraus richtig gehandelt hätte, weil der Staat in ein konkretes Menschenrecht gravierend (!) eingegriffen hätte und alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft gewesen wären. Der Mönch sagt in einem Zeitungsinterview, er wolle einem Menschen helfen – das ist für eine Gewissensentscheidung zu wenig. In diesem Fall geht es um eine Abschiebung nach Rumänien, also in ein EU-Land, auf Basis des Dublinabkommens. Dann hat bereits eine Härtefallentscheidung stattgefunden. Vor diesem Hintergrund braucht es schon sehr gute Gründe, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Erstaunlich (oder vielleicht besser: auch nicht), dass die Medien gerade über die konketen Hintergründe sehr wenig sagen. Der Anwalt pocht darauf, dass Seelsorger nicht voreilig für ihre Amtsausübung bestraft werden dürfen – das ist grundsätzlich richtig und gilt auch für andere Berufe. Aber die Kirchenautomonie ist kein Freibrief. Sie gilt nur im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Soweit die Presseberichte ein Urteil erlauben, hat der Ordensmann gegen diese Grenzen kirchlicher Verfassungsautonomie verstoßen – oder anders herum: Die Presseberichte lassen nicht erkennen, warum eine starke Gewissensentscheidung, die es ohne Frage geben kann, in diesem Fall straffrei bleiben sollte.
Eine pauschale Berufung auf Glaubens- und Gewissensfreiheit führt in die Irre. Sind damit alle Handlungen zum Schutz von Migranten gleich rechtlich und moralisch einwandfrei? Hat der Staat keine Rechte mehr, eine robuste Ausländergesetzgebung zu erlassen? Oder: Sind demnächst auch linksradikale Brandanschläge oder Körperverletzungen gegenüber misslieben Politikern entschuldbar und vor Gericht freizusprechen, weil sich der Täter auf seine Gewissensfreiheit beruft? Ein Staat, der noch etwas auf sich hält, muss gegen ein solches Urteil Berufung einlegen.
Ein solches Urteil verdankt sich einem politisch-gesellschaftlichen Klima, in dem migrationsethisch offenbar keine rationale Güterabwägung mehr möglich sein soll. Die romantisch-utopische Verklärung von Migration, die hier aufscheint, muss sozialpsychologische Ursachen haben – aber das wäre ein weiteres Kapitel …
Der Freispruch ist politisch, rechtlich und ethisch grundlegend interessant, er könnte Präzendenzwirkung haben. Warum wird über die konkreten Gründe, weshalb das Kloster die Rechtmäßigkeit der Abschiebung anzweifelt, nicht gesprochen? Das kann im Persönlichkeitsschutz begründet sein. Möglicherweise wird aber stillschweigend von einem unbegrenzten Niederlassungsrecht ausgegangen, weshalb staatliche Abschiebungen grundsätzlich unter Verdacht stehen – nicht der Mönch müsse sich dann rechtfertigen, sondern der Staat. Und Politikeräußerungen wie die Stralsunder Rede, die von der Bundeskanzlerin bis heute nicht widerrufen wurde (auch Schäuble hat sich als Bundestagspräsident schon vor dem Plenum in gleicher Weise geäußert), befördern ein solches Klima: Wenn sowieso jeder, der im Land lebt, schon zum Volk gehört, sind Abschiebungen in der Folge ein Verbrechen des Staates. Wer schiebt schon sein eigenes Volk ab!?
In der Berichterstattung auf katholisch.de, dem offiziellen Internetportal der Deutschen Bischofskonferenz, wird sehr deutlich, dass der Verteidiger dem schon so benannten moralischen Individualismus folgt: „Sauers Verteidiger Franz Bethäuser sagte in seinem Plädoyer, Bruder Abraham stütze sich auf die im Grundgesetz verankerte Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dies sei ein Individualrecht, das höher zu werten sei als das Kollektivrecht des Staates auf Strafverfolgung. Zudem verwies Bethäuser darauf, dass in einer Ausführungsverordnung zum entsprechenden Strafrechtsparagrafen 95 darauf verwiesen werde, dass sich Menschen nicht der Beihilfe strafbar machten, wenn sie aufgrund ihres Berufes soziale Betreuung aus humanitären Gründen leisteten, mit dem Ziel eines menschenwürdigen Lebens. Explizit genannt sei in der Verordnung der Beruf des Seelsorgers. Außerdem sei der Asylbewerber nicht unverzüglich abgeschoben worden. Damit sei es zu einer faktischen Duldung gekommen.“
Individualrecht stehe immer höher als ein Kollektivrecht des Staates. Interessen des Staatsvolkes, Gemeinwohlbelange oder eine Staatsräson, die Helmut Schmidt noch kannte („Der Staat darf sich nicht erpressen lassen.“) sind damit ausgeschlossen. Dann bleibt die Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächlich noch von Seelsorge gesprochen werden kann. Oder hat der Ordensmann die Grenzen der Seelsorge bereits verlassen? Auch im Bereich der Sozialen Arbeit wird der Ausländergesetzgebung sehr häufig kein eigenes Recht mehr zugestanden: Vor einigen Jahren erklärte eine Stellungnahme von Vertretern der Sozialen Arbeit es berufsethisch als unannehmbar, dass Vertreter der Disziplin an Abschiebungen mitwirken, auch wenn diese legal seien. Abschiebungen seien grundsätzlich illegitim. Damit wird ein Widerstandsrecht gegen ausländerrechtliche Maßnahmen des Staates proklamiert. Nun zeigt sich diese Position auch in richterlichen Entscheidungen.
Im Interview mit dem Domradio aus Köln sagt ein Kirchenasyllobbyist: „Insofern hat sich das bestätigt, was wir immer sagen: Kirchenasyl ist zwar kein niedergeschriebenes Recht, aber wir machen es gelegentlich, weil der Rechtsstaat im Asylrecht versagt, auch in den vielen Fällen, die Bruder Abraham betreut hat. Wir machen das aus unserer religiösen und christlichen Überzeugung heraus – Matthäus 25:35 – das Gebot, sich um Fremde zu kümmern und sie aufzunehmen, sie nicht ins Verderben zu schicken. Das beherzigen wir und das hat auch Bruder Abraham so getan, was jetzt die Richterin offenbar bestätigt hat.“
Auch hier wieder: Man wird nicht konkret. Welches Verderben droht im EU-Land Rumänien? Es ist eine moralisierende Sprache ohne konkrete Güterabwägung. Und es wiederholt sich, was seit dem Sommer 2015 zu beobachten ist: Kategorien der Nächstenliebe werden als normethische Kriterien auf staatliches Handeln angewandt. Deutschland zeigt ein freundliches Antlitz, dafür entschuldige man sich nicht. Der Staat hat eine Fürsorge nicht nur gegenüber den eigenen Staatsangehörigen, sondern auch Verpflichtungen gegenüber Fremden, die sich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten – aber das heißt noch nicht, dass Fremde aufgenommen werden müssen. Wenn sich jemand unberechtigt in einem Staat aufhält, darf dieser auch Zwangsmittel anwenden. Im weiteren Verlauf des Interviews geht es um die Rechtsauffassung des Freistaates Bayern: „Das ist ein bayerisches Phänomen. Ganz Deutschland wundert sich, warum man in Bayern das strafbar sein soll, was woanders nicht strafbar ist. Wir sehen ja, dass auch die bayerischen Gerichte einfach nicht mitspielen bei dieser Strategie, die offen von der Staatsregierung gesteuert wird, auch von Herrn Söder.“
Es fällt der Vorwurf politischer Einflussnahme auf das Justizsystem in Bayern auf – hier wäre genau hinzuschauen: Richter müssen unabhängig sein; offenbar gilt dies in Bayern, wie der Freispruch beweist. Die Staatsanwaltschaften arbeiten in Deutschland weisungsabhängig, was justizpolitisch immer wieder kritisiert wird. Hier ist auch in anderen Politikbereichen der Vorwurf, die bayerische Politik nehmer stärker als Einfluss als anderswo, schon länger bekannt. Unbeantwortet bleibt im Interview aber die Frage, warum Bayern in einem föderalen Staatswesen, das in der Coronapolitik gegenwärtig deutlich unterlaufen wird, nicht anders verfahren darf. Aus moralisierenden Überlegungen wird ein zentraler Bestandteil unserer Verfassungsordnung in Frage gestellt. Wenn Bayern tatsächlich Menschenrechte unterlaufen sollte, wäre Rechtsschutz durch das BVerfG möglich.
Das Ökumenische Netzwerk für Asyl in der Kirche in NRW schreibt: „Das Kirchenasyl beruft sich vielmehr auf Grund- und Menschenrechte, weil es die Menschenwürde von Geflüchteten schützt. Der Freispruch von Bruder Abraham Sauer sollte somit auch Signalwirkung für die Kirchenasylbewegung haben: wir lassen uns nicht von staatlichen Behörden vorschreiben, welchen Kriterien ein Kirchenasyl genügen muss, um anerkannt zu werden. Wir können uns mutig auf die eigene Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen.“
Auch hier wieder: unkonkret. Um welche Grund- und Menschenrechte etwa geht es? Fehlender Rechtsschutz in Rumänien? Das müsste konkretisiert werden. Verräterisch ist die Aussage, dass man sich von staatlichen Behören nicht vorschreiben lasse, welchen Kriterien Kirchenasyl genügen muss – nein, die Kirche muss sich in der Tat vom Staat keine Kriterien für ihr Handeln vorschreiben lassen, aber sie muss damit leben, dass ihre Kriterien staatlich und gerichtlich überprüft werden. Hier wird ein Widerstandsrecht gegen den Staat in Anspruch genommen, das es menschenrechtlich und ethisch tatsächlich gibt – aber in gravierenden Ausnahmefällen. Und was heißt hier Staat? Den Sozialstaat, der am Ende alles bezahlt, will man sehr wohl, aber den Rechtsstaat, der seine Ansprüche und Interessen mit rechtsstaatlichen Mitteln durchsetzt, will man nicht.
Wie man es auch dreht und wendet: Migration wird nicht mehr als ein irregulärer Zustand wahrgenommen, den es abzustellen gilt. Vielmehr erscheint Migration in einer globalisieten Welt als ein ganz normaler Zustand, der zu gestalten ist – und zwar unter der unausgesprochenen Annahme, dass es ein Niederlassungsrecht in Europa gibt. Der UN-Migrationspakt atmet diesen Geist. Der politische Umgang mit der Migrationskrise seit dem Sommer 2015 atmet diesen Geist – bis in hohe Staatsämter. Selbst der Bundesinnenminister war nicht mehr bereit, die Verfassung durchzusetzen. Die Wissenschaft (Ausnahmen sind etwa die beiden Sozialethiker Schröder und Körtner), die Medien und die Kirchen treiben diese Auffassung voran. Das Asylnetzwerk aus NRW spricht von einer Signalwirkung des Urteils – mag sein. Wenn sich diese Linie fortsetzt, wird sich die Polarisierung des Landes weiter vertiefen. Der bekannte Migratiionsberater Gerald Knaus warnt: Jede Migrationspolitik, die nicht auch Abschiebungen durchführt, wird scheitern. Alledings wäre es – anders als Knaus dies sagt –noch besser wäre, auch die territoriale Integrität des Landes zu schützen, damit Abschiebungen möglichst gar nicht erst notwendig werden. Doch dieser Konsens wurde seit dem Krisensommer 2015 bis tief hinein ins bürgerliche Lager aufgegeben, und die Kirchen mischen dabei selber politisch kräftig mit. Schengen hat den Grenzschutz abstrakt werden lassen, war aber nie darauf gerichtet, den Schutz der Außengrenzen aufzugeben, wie Knaus es fordert.