Die Impfpflichtdebatte geht weiter: staatlich, gesellschaftlich, kirchlich … – doch wird sich diese nicht vorschnell befrieden lassen:
Monat: Januar 2022
Lässt sich die Impfpflichtdebatte noch befrieden? – ein Zwischenruf auf den Kölner Sozialethiker Elmar Nass
Andere Länder in Europa öffnen sich wieder stärker, fahren Coronaeinschränkungen zurück, nachdem sich Omikron als weniger gefährlich herausgestellt hat, als zunächst befürchtet. In Deutschland hingegen verschärfen sich die Fronten weiter, wird die Debatte um eine Impfpflicht weiter vorangeführt. Es verwundert nicht, dass die Coronaspaziergänge an Zulauf gewinnen Umso schriller werden die Töne aus der Politik. Am 31. Januar 2022 fragt Rainer Haubrich in der WELT: „Bei der aktuellen Debatte um Corona-Demonstrationen in Deutschland fragt man sich, wer da eigentlich mehr durchdreht: die Protestierenden oder die Politik?“ Dabei sollte im liberalen Rechts- und Verfassungsstaat klar sein: „In dubio pro Demo“ – so Rainer Haubrich. Nicht die Demonstrierenden müssen sich rechtfertigen, sondern der Staat bleibt in höchstem Maße begründungspflichtig, wenn er eine Demonstration verbieten will. Doch, nein: Im schwäbischen Ostfildern droht der Oberbürgermeister nun sogar mit Einsatz von Waffengewalt.
Ein Ende der Polarisierungsspirale ist nicht in Sicht. Sollte die Krise einmal ausgestanden sein, steht uns ein langwieriger nationaler Aussöhnungsprozess bevor. Dieser wird immer dringlicher, aber auch schwieriger.
Der Kölner Sozialethiker Elmar Nass hat im Januar auf katholisch.de, dem offiziellen Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland, dafür plädiert, die Debatte um eine Impfpflicht zu versachlichen und zu befrieden. Das hört sich gut an. Doch kann ein solcher Appell aufgehen?
Immerhin ist Nass einer der wenigen besonnen argumentierenden Sozialethiker, der sich differenziert zu diesem Thema zu Wort meldet und bei dem ein Gespür für die Schwere der zu verhandelnden Wertkonflikte sichtbar wird. Dennoch überzeugt seine Antwort nicht. Irenik ist gut, und zwar dort, wo sie hingehört. Das ist aber keineswegs bei allen Kontroversen der Fall. Warum?
Auch in der Frage nach einer Impfpflicht sollte es – wie es in einer freiheitlichen Gesellschaft grundsätzlich überhaupt der Fall sein sollte – einen freien Diskurs geben. Aber das heißt nicht, dass es zwingend auch eine ergebnisoffene Debatte geben muss. Eine Impfpflicht bei Impfstoffen mit (noch einmal verlängerter) bedingter Notfallzulassung, geringer Schutzwirkung, aber großer Eingriffstiefe widerspricht vorpositivem Menschenrecht. Wir haben es hier nicht mit alternativen politischen Positionen zu tun, die im Rahmen des Richtigen nebeneinander stehen bleiben können und über die nach Mehrheitsentscheidung abgestimmt werden darf.
Sollte die Entscheidung für eine Impfpflicht fallen, wäre es moralisch legitim und keinesfalls undemokratisch, diese Mehrheitsentscheidung nicht anzuerkennen (die Frage nach zivilem Ungehorsam, die sich daran anschließt, sei an dieser Stelle zunächst außen vor gelassen). Gleiches sollte im übrigen genauso für andere politische Vorhaben gelten, die uns in dieser Legislaturperiode aller Voraussicht nach noch ins Haus stehen werden, etwa die geplante Aufhebung des Werbeverbots für Abtreibungen, später vielleicht einmal sogar die vollständige Streichung des Paragraphen 218. Wer diese moralischen Konflikte wechselnden politischen Mehrheiten überlässt, macht die Menschenwürde verhandelbar.
Was für eine politische, zwangsbewehrte Impfpflicht gilt, gilt genauso für eine moralische. Letzterer gegenüber zeigt Nass wenig Distanz. Doch selbst eine „nur“ moralische Impfpflicht wäre in höchstem Maße begründungspflichtig. Auch mit der Forderung nach moralischen Pflichten sollten wir im politischen Zusammenleben vorsichtig umgehen, wenn Andersdenkende nicht ohne Not moralisch unter Druck gesetzt werden sollen. Nicht eine moralische Impfpflicht ist zu fordern, sondern die sorgfältige, differenzierte Güterabwägung des Einzelnen – hierzu besteht eine moralische Pflicht. Diese muss aber frei erfolgen können, ohne faktische Impfnötigung. Moralische Entscheidungen, die dem Einzelnen unter Zwang abgepresst werden, mögen vielleicht politisch wirksam sein, sittlich sind sie wertlos – und sie vergiften das gemeinsame Zusammenleben.
Der Caritasverband und seine oberste Vertreterin scheuen sogar nicht davor zurück, eine allgemeine Impfpflicht zu fordern, damit Pflege- und Gesundheitskräften der Wechsel in andere Berufe versperrt wird. Im Interview mit der F.A.Z. am 27. Januar 2022 verniedlichte die neue Caritaspräsidentin, Eva Maria Welskop-Deffaa, als „praxistaugliche Erweiterung der Impfpflicht“, was eine Funktionalisierung der Selbstbestimmung und Würde des Einzelnen für berufs- und sozialpolitische Zwecke darstellt. Ein weiterer Tabubruch von vielen innerhalb der gegenwärtigen Coronapolitik, der dem moralischen Ansehen der Kirche schadet. Dass am Ende der Krise nahezu alle politisch-gesellschaftlichen Akteure moralische Blessuren davontragen werden, macht die besondere Dramatik der gegenwärtigen Entwicklung aus: „Die Diskussion ist hoch explosiv“, schreibt Nass.
Die Coronapolitik, der schlampige Umgang mit Grundrechten, das mangelnde Bemühen der Politik, Freheitseinschränkungen sauber zu begründen, eine allzu große Nähe zwischen Judikative und Exekutive, die fortgesetzte Impfnötigung, vieles mehr und erst recht eine gesetzliche Impfpflicht hinterlassen bei vielen den Eindruck, als Rechtspersönlichkeit nicht mehr geschützt zu sein. Auch eine breite gesellschaftliche Debatte und eine Mehrheitsentscheidung ohne Fraktionsdisziplin im Bundestag wird in der gegenwärtigen Situation die gesellschaftliche Lage nicht einfach befrieden können, wie manche Politiker sich das offenkundig vorstellen – hierfür braucht es einen tiefergehenden nationalen Aussöhnungsprozess. Und es braucht hierfür andere Akteure. Der Deutsche Ethikrat, den Nass als großen Moderator ins Spiel bringt, ist mittlerweile viel zu sehr Partei, als dass er noch ein geeigneter Akteur wäre, eine solche gesellschaftliche Mammutdebatte unvoreingenommen zu moderieren.
Was Nass fordert, liefe gegenwärtig vor allem auf die Gefahr einer Scheindebatte hinaus. Politikern, die keine roten Linien mehr meinen einhalten zu müssen, würde der Wille zu einer sachlichen, befriedenden Debatte nur schwer abgekauft. Dafür ist mittlerweile schon zu viel Vertrauen zerstört worden, durch eine faktische Impfnötigung, die auch ohne explizite Pflicht tiefe Schäden an unser Wert- und Verfassungsordnung hinterlassen wird. Befrieden ließe sich die Debatte nur noch durch einen Rückzug, durch das Beenden der Impfpflichtdebatte.
Eine Impfpflicht steht medizinisch, rechtlich, politisch und moralisch sowieso auf mehr als tönernen Füßen. Nicht umsonst mehren sich Stimmen aus Politik und Wissenschaft, die eine langsame Abkehr von diesem Instrument andeuten. Allerdings ist es gar nicht so leicht, in einer Sackgasse, in der man feststeckt, zu wenden, wenn ein Wendehammer fehlt. Eine sozialethische Aufgabe müsste in dieser Situation darin liegen, Wege aufzuzeigen, wie den politischen Akteuren ein Notausgang geöffnet werden kann, sodass ein Rückzug aus der Impfpflichtdebatte gesichtswahrend möglich wird. Andernfalls könnten wir in diesem Jahr noch auf eine brandgefährliche Stimmung zusteuern.
Wenn die Wert- und Verfassungsordnung unseres Gemeinwesens noch trägt, dürfte der Bundespräsident ein Gesetz zur Impfpflicht gar nicht unterzeichnen. Mindestens müsste er von sich aus das Bundesverfassungsgericht zur Klärung anrufen, wollte er sein Amt nicht beschädigen. Aber ein Amtsinhaber, der ausdrücklich zur Impfdiskussion Mitte Januar in Schloss Bellevue einlädt und dann noch nicht einmal um die bedingte Notfallzulassung der bisherigen COVID-19-Impfstoffe weiß, wird diese politisch-moralische Weitsicht nicht aufbringen. Stattdessen verstärkte der höchste Repräsentant des Staates (ebenso wie seine persönliche Referentin) bei dieser Diskussion einmal mehr den Eindruck, dass Bildung und Wissen in der Politik mittlerweile weniger zählen als Moralisierung und Emotionalisierung – ein fataler Eindruck und kein gutes Omen für die Debatte, die uns in den kommenden Wochen bevorstehen wird.
Buchankündigung: Jahrmarkt der Befindlichkeiten
Ahrbeck, B. (2022): Jahrmarkt der Befindlichkeiten. Von der Zivilgesellschaft zur Opfergemeinschaft. Springe a. D.: Zu Klampen.

“Einen höheren Grad an Gleichberechtigung als in unserer Gesellschaft hat es kaum je in der Geschichte gegeben. In den gegenwärtigen Debatten jedoch scheint es häufig so, als seien noch nie so viele Menschen diskriminiert worden wie heute. Beständig drängen neue Interessengruppen mit Forderungen nach Entschädigung an die Öffentlichkeit, ein regelrechter Wettkampf, wem die größte Opferrolle gebührt, ist entbrannt. Befindlichkeit ist Trumpf. Mit den gesteigerten Empfindlichkeiten wächst das Bedürfnis nach Deutungshoheit und Sozialkontrolle. Gegen die Interessen und Lebensvorstellungen einer überwältigenden Mehrheit streben kleine Gruppierungen, getrieben von politischem Sendungsbewusstsein, den fundamentalen gesellschaftlichen Wandel und ein neues kulturelles Selbstverständnis an. Bernd Ahrbeck zieht eine ernüchternde Bilanz dieser Entwicklung und verweist auf ihre beachtliche Sprengkraft.“
Buchankündigung: Geboren im falschen Körper?
Ahrbeck, B.; Felder, M. (Hrsg) (2022): Geboren im falschen Körper? Gender Dysphorie bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart: Kohlhammer.
erscheint voraussichtlich Ende Februar/Anfang März 2022.
In dem Band findet eine intensive Auseinandersetzung mit einer Entwicklung statt, die immer problematischere Züge annimmt, da immer mehr Kinder, nun vor allem Mädchen, in eine gefährliche, sie potenziell schädigende Situation gebracht werden – die absehbar neue deutsche Gesetzeslage zeugt davon, dann werden dem Umwandlungsbegehren kaum noch Grenzen gesetzt sein. Führende Fachvertreter äußert sich dazu aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen.
„Die Impfpflicht ist keineswegs ein Klacks“ …
… meint Klaus Peter Krause und verweist in seiner Begründung auch auf die „7 Argumente“ der gleichnamigen Autorengruppe:
Die Impfpflicht sei ein Klacks, redet die FAZ ihren Lesern ein. Gemeint ist das Impfen gegen das Coronavirus. Dabei verwies der Redaktionsjurist des Blattes, Reinhard Müller, jüngst vergleichend auf die Wehrpflicht und Schulpflicht als staatliche Verpflichtungen, die sogar massiv in die Grundrechte eingriffen. Dagegen sei eine Impfung ein Klacks und die Impfpflicht ein weithin anerkanntes Instrument, das zum Arsenal auch des Rechtsstaates gehöre. Das betroffene Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit stehe keineswegs per se über anderen Werten von Verfassungsrang und sei im Prinzip relativ leicht einschränkbar. Man brauche dafür nur ein Gesetz mit legitimen Zweck und Verhältnismäßigkeit. So einfach ist das also. Die FAZ wirbt wie andere Mainstream-Medien immer wieder für das Impfen und die Impfpflicht. Aber diese Pflicht verbietet sich. Der Vergleich mit Wehr- und Schulpflicht verharmlost sie. Nach dem Rechtsgutachten des Staats- und Völkerrechtswissenschaftler Prof. Dr. Dietrich Murswiek ist bereits der indirekte Covid-19-Impfzwang schon verfassungswidrig. Nein, die Impfpflicht ist überhaupt kein Klacks.
Zum Weiterlesen:
https://kpkrause.de/2022/01/20/die-impfpflicht-ist-kein-klacks/
Christliches Forum: Warum Kardinal Müllers wegweisende Warnungen berechtigt sind
Das „Christliche Forum“ nimmt Stellung zum Offenen Brief der KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ gegen Kardinal Müller und seine Positionen in der Coronadebatte:
Christliches Forum: Bewirkt der neue CDU-Chef eine Wende?
Der Kommentar, übernommen aus BILDUNGSETHIK, äußert sich mehr als skeptisch:
Neuerscheinung: Dornbusch und Kreuz
Die Lesung vom brennenden Dornbusch aus dem Buch Exodus ist ein Schlüsseltext für das biblische Gottesverständnis: Gott offenbart sich dem Mose im brennenden Dornbusch. Mose erhält eine Antwort, die das jüdisch-christliche Gottesverständnis entscheidend prägt: Gott ist nicht einfach in menschlichen Kategorien greifbar. Doch Gott ist auch nicht einfach ein abstraktes Prinzip, er hat eine Beziehung zu seinem Volk. Mit der Offenbarung an Mose beginnt die Befreiungsgeschichte des Auszugs aus Ägypten. Hier verbinden sich philosophisches und personales Gottesverständnis.
Der Erzvater Jakob hatte bei seinem Kampf mit Gott auf dieselbe Frage keine Antwort erhalten. Anders Mose: Dieser muss nicht mit leeren Händen zu seinem Volk zurückkehren. Er kann antworten: Der „Ich-bin“ hat mich zu euch gesandt.
Gott erhält einen Namen, doch dieser bleibt rätselhaft. Denn Gott lässt sich nicht einfach benennen wie irdische Dinge. Das „Ich-bin“ verweist auf das Wesen Gottes: Gott ist der Seiende, der Beständige, aber auch der Unverfügbare. Der Mensch muss mit Gott rechnen. Aber Gott ist da, wie und wann er will.
Dies ist die eine Seite. In dem rätselhaften Namen, den Mose erhält, steckt aber noch eine andere: Das Wesen Gottes bleibt nicht abstrakt, so wie die Philosophie davon spricht. Es gehört zum Wesen Gottes, dass er nicht nur ist, sondern dass er mit uns ist. Er ist zuverlässig für uns da. Und er ist der Einzige, für den das gilt, von Geschlecht zu Geschlecht, für alle Zeiten. Dies ruft uns Menschen in die Entscheidung. Wollen wir uns auf Gottes heilsame Nähe einlassen?
Als Getaufte glauben wir, dass sich die Idee des Gottesnamens „Ich-bin“ in Jesus Christus vollendet hat. In ihm tritt Gott dem Menschen als Person gegenüber – so sehr, dass Jesus von sich sagen kann: Ich bin das Licht der Welt. Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.
Was das Mit-Sein Gottes für uns bedeutet, hat sich in letzter Konsequenz am Kreuz gezeigt. Benedikt XVI. kann daher in seiner Jesustrilogie formulieren: „Der brennende Dornbusch ist das Kreuz.“ Am Kreuz erweist Gottes Liebe ihre äußerste Kraft, die den ganzen Menschen umgreift und verwandelt – vom Tod zum Leben.
Die Gedanken werden in einem Gottesdienstmodell für den Dritten Sonntag der Österlichen Bußzeit näher ausformuliert:
Axel Bernd Kunze: Dornbusch und Kreuz [Lesejahr C. Dritter Sonntag der österlichen Bußzeit], in: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen 19 (2022), H. 2, S. 261 – 276.
Kommentar: Friedrich Merz – der neue Heilsbringer der Union?
Friedrich Merz ist aufs Schild gehoben. Die CDU hat ihren Heilsbringer gefunden. Wird der neue Vorsitzende die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen? Zunächst: Einzelne „Heilsbringer“ können allein wenig bewirken, sie können allenfalls Stimmungen in der Partei unternehmerisch aufgreifen und politisch handlungsfähig machen. Doch ist gegenwärtig nicht zu erkennen, dass es einen ernstzunehmenden Willen in der Partei zur geistig-moralischen Erneuerung gibt, allenfalls halbherzige Ansätze, die schon aus Unentschiedenheit scheitern werden.
Die CDU als Volkspartei hat viel zum staatlichen Substanzverlust der letzten Jahre beigetragen. Und dieser Raubbau an den geistig-politischen Grundlagen unseres Zusammenlebens geht unvermindert weiter, quer durch unsere Parteienlandschaft. Wir erleben eine Politik, die grundlegende Prinzipien unserer Wert- und Verfassungsordnung offen angreift. Ein Kollege hat es vor kurzem so ausgedrückt: Wir werden nach dieser Coronakrise eine ethische Neugründung unserer Verfassungsordnung benötigen. In einer Situation, in der ein nicht unerheblicher Teil des Souveräns sich nicht mehr in seiner Rechtspersönlichkeit geschützt sieht (die „Spaziergänge“ sind Ausdruck hierfür), wird es einen nationalen Aussöhnungsprozess brauchen.
Doch wie und von wem sollte ein solcher angestoßen werden? Das ist gegenwärtig schwer zu sagen. Ich vermute, dass es hierfür neue politische Koalitionen geben muss, vielleicht auch partiell neue Parteien, etwa zwischen AfD und CDU. Aus den bisherigen Volksparteien heraus wird dies nicht gelingen. Zum einen vertreten diese längst einen großen Teil des demokratischen Spektrums ganz bewusst nicht mehr. Zum anderen stehen diese in zentralen Politikbereichen nicht mehr für staatlichen Substanzerhalt.
Durch die Coronakrise fast schon vergessen sind die Vorgänge um die Wahl eines F.D.P.-Ministerpräsidenten in Thüringen. Was im Anschluss an diese Wahl passiert ist, war ein demokatischer Tabubruch. Nun plädiert der Thüringer CDU-Mann Mike Mohring anstelle einer Impfpflicht für eine radikalisierte, fortgesetzte staatliche Impfnötigung durch 1G-Regel, die breite Teile des Souveräns von sozialer Teilhabe ausschließt. Einer Partei, aus der solche Töne kommen, ist ein moralischer Erneuerungsprozess und ein substantieller Beitrag zur gesellschaftlichen Aussöhnung kaum zuzutrauen, auch nicht in der Opposition. Ich selbst habe nach achtundzwanzig Jahren mein eigenes Parteibuch Ende November ganz bewusst zurückgegeben, weil ich eine Politik ohne rote Linien nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Eine Politik ohne rote Linien überschreitet eindeutig die roten Linien der Verfassung. Und es spricht für den moralischen Zustand unseres Gemeinwesens, dass ein solcher Extremismus von der sog. bürgerlichen Mitte mittlerweile nahezu unwidersprochen mitgetragen wird.
Wenn es nach dem straußschen Diktum geht, rechts von der Union dürfe es keine Partei geben, dann war damit gemeint, dass die CSU demokratische Positionen im Spektrum rechts der Mitte selber abdecken sollte. Das gilt schon lange nicht mehr, daher ist auch dieser Satz überholt. Stattdessen haben die Unionsparteien viel dazu beigetragen, das politische Klima zu vergiften, indem sie demokratische Positionen und deren Vertreter ausgrenzen und diffamieren, statt den streitbaren politischen Diskurs zu pflegen – selbst dann, wenn es um Positionen geht, welche die C-Parteien früher selber einmal vertreten haben. Solche Strategien widersprechen demokratischem Anstand und beschädigen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir werden dies noch bitter bereuen, wenn wir die moralischen Schäden dieser Krise aufarbeiten müssen. Die notwendige nationale Aussöhnung wird nicht mit billiger Münze zu haben sein.
Gegenwärtig sehe ich nur, dass Merz mit leichten Akzentverschiebungen und kosmetischen Veränderungen in der gegenwärtigen Spur seiner Partei bleibt: einer Partei, die ihren konservativen Flügel längst abgestoßen hat. Laschet hat ja sogar einen konservativen Traditionsstrang innerhalb der CDU geleugnet. Ich bin kein CDU-Mitglied, aber ich vermute, dass die Partei mit dem Erbe Merkels intern noch einiges aufzuarbeiten haben wird. Will sie auf Dauer eine sozialdemokratisierte Partei bleiben, macht sich die CDU selbst überflüssig.
Daher bleibt eine Neugründung neben ihr durchaus denkbar. Dauerhaft erfolgreiche Neugründungen von Parteien sind immer schwierig, schon aus Ressourcengründen, aber nicht unmöglich, wie die Grünen und die AfD bewiesen haben. Entscheidend bleiben politische „Unternehmen“, die eine Bewegung aufgreifen und institutionalisieren. Ich meine, dass eine solche Neugründung durchaus notwendig wäre, wenn die Wert- und Verfassungsordnung unseres Landes wieder neu gesichert werden soll. Allerdings bedarf es dann auch einer Koalitionsfähigkeit der verschiedenen Parteien im konservativ-freiheitlichen Spektrum. Sollte sich die diffamierende Ausgrenzung konservativer und freiheitlicher Postionen, die gewiss niemand parteipolitisch teilen muss, wohl aber demokratisch tolerieren sollte, ungehemmt weiter fortsetzen, wird die Polarisierung des Landes weiter gefährlich zunehmen.
Neuerscheinung: Erziehen als Beruf
Traditionell erfolgt die Ausbildung pädagogischer Berufe im Bereich Erziehung, Bildung und Betreuung an Berufsfachschulen (Sozialassistenten- oder Kinderpflegeausbildung) sowie Fachschulen oder Fachakademien für Sozialpädagogik (Erzieherausbildung). Seit 2004 haben sich im Zuge der PISA-Debatte und der Hochschulreformen im Gefolge des sogenannten Bolognaprozesses – aus der Sozialpädagogik und der Sozialen Arbeit heraus – eigene spezialisierte Fachhochschulstudiengänge zur Pädagogik der frühen Kindheit und das akademisierte Berufsbild des Kindheitspädagogen herausgebildet.
Zum Weiterlesen:
Axel Bernd Kunze: Art. Erziehen als Beruf. Überblick über eine sich dynamisch entwickelnde Ausbildungslandschaft, in: Martin R. Textor/Antje Bostelmann (Hgg.): Das Kita-Handbuch (Klax Kreativ UG, Berlin, 2022), https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/ausbildung-studium-beruf/ausbildung-allgemeines-gender-aspekte/erziehen-als-beruf.