Neuerscheinung: Gottesdienstmodell zum Michaelissonntag

Mit dem Michaelistag beginnt die dunklere Zeit des Jahres. In früheren Zeiten wurden an seinem Vorabend Michaelisfeuer entzündet. Eine alte Redensart sagt: „Mariä Lichtmess bläst das Licht aus, Sankt Michael zündet’s wieder an“. Auch wenn wir heute durch elektrisches Licht nicht mehr abhängig sind von den natürlichen Lichtverhältnissen, behält Licht für uns eine starke Symbolkraft. Die Verehrung des Wortes Gottes kann heute mit einer Lichtdanksagung verbunden werden. Einen Vorschlag hierfür bietet das folgende Gottesdienstmodell:

Axel Bernd Kunze: Jesu Leitbild [Lesejahr B. 26. Sonntag im Jahreskreis], in: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen 18 (2021), H. 5, S. 833 – 848.

Neuerscheinung: Mit Leib und Seele

„Inkarnation im post/humanen Zeitalter“ lautet das neue Themenheft der Zeitschrift CONCILIUM. Axel Bernd Kunze bespricht dort folgende zwei Titel zur Inkarnationstheologie:

Daniel Remmel: Die Leiblichkeit der Offenbarung. Zur anthropologischen, offenbarungstheologischen und christologischen Relevanz der Lebensphänomenologie Michael Henrys. Ausgezeichnet mit dem Karl-Rahner-Preis für theologische Forschung 2020 (Innsbrucker theologische Studien; 97), Innsbruck/Wien: Tyrolia 2021, 630 Seiten.

Hans-Martin Rieger: Leiblichkeit in theologischer Perspektive, Stuttgart: Kohlhammer 2019, 317 Seiten.

Axel Bernd Kunze (Rez.): Mit Leib und Seele, in: Concilium 57 (2021), H. 3, S. 366 – 371.

Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg wird hundertsechzig Jahre alt

Hundertsechzig Jahre: Auf dieses stolze Alter kann die Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg im diesjährigen Sommersemester zurückblicken. Ihr Haus hat die 1861 in Leipzig gegründete christliche Burschenschaft gegenüber der Ottokirche im Bamberger Norden. Anlässlich des Jubiläums wurde die Hausfassade saniert und strahlt nun wieder in frischen Farben.

Öffentlich gefeiert werden konnte das Jubiläum in diesem Jahr coronabedingt leider nicht. Lediglich Onlineconvente fanden statt, auf denen ein neuer Vorstand gewählt wurde: Der Wirtschaftsinformatiker Alexander Meier wird künftig die Geschicke des Verbandes Alter Herren leiten, unterstützt durch Schriftführer Axel Bernd Kunze und Kassenwart Stefan Schürger, die in ihren Ämtern bestätigt wurden. „Mit unserem Haus stellen wir Studenten günstigen Wohnraum zur Verfügung, zentral gelegen zwischen den drei Universitätsstandorten Innenstadt, ERBA und FeKi“, erläutert der neue Vorsitzende.

Alemannenhaus im Weltkulturerbe

Erworben und saniert wurde das Alemannenhaus, das im Weltkulturerbe der Gärtnerstadt liegt, 1998. Erkennbar ist das Haus an der schwarz-rot-goldenen Fahne in den Farben der Alemannia, die in den Vorlesungswochen aufgezogen ist. War die Alemannia aufgrund der politischen Umstände nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in Erlangen wiedergegründet worden, zog man Anfang der Neunzigerjahre nach Bamberg um, weil es dort noch keine Burschenschaft gab. Studentenverbindungen sind in Bamberg selbstverständlicher Bestandteil des städtischen und universitären Lebens. Doch Vorurteile zeigen sich auch hier: „Schon mehrfach ist unser Haus Opfer von Farbanschlägen geworden, zuletzt in diesem Sommersemester“, beklagt Alexander Meier. Die notwendigen Sanierungen müssten aus eigenen Mitteln bestritten werden. „Öffentliche Gelder erhalten wir nicht“, so Meier weiter.

Freundschaftsbund und Bildungsgemeinschaft

Burschenschaften verstehen sich als überparteilich und überkonfessionell, wollen aber ihre Mitglieder zur Übernahme demokratischer Verantwortung befähigen. „Wir möchten junge Studenten in ihrem Studium begleiten: nicht nur durch günstige Studentenzimmer, sondern durch eine starke Gemeinschaft, die ein Leben lang trägt“, erläutert Meier den Auftrag seiner Alemannia. Diese verstehe sich als lebenslanger Freundschaftsbund und akademische Bildungsgemeinschaft. Ziel sei es, neben dem Fachstudium ganzheitliche Persönlichkeitsbildung und Erfahrungen einer umfassenden akademischen Kultur zu vermitteln: „Auf diese Weise lernen die Studenten bei uns wichtige Schlüsselkompetenzen, die im akademischen Beruf und im gesellschaftlichen Leben wichtig sind“, ist Meier überzeugt.

Im Rahmen des Semesterprogramms finden interdisziplinäre Vortrags- und Diskussionsabende zu wissenschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Themen statt; in den letzten Monaten waren diese coronabedingt nur online möglich. Aber auch der Spaß kommt nicht zu kurz. So lädt die Aktivitas der Alemania jeweils zu Semesterbeginn dazu ein, den „Bierbachelor“ zu erwerben, bei dem man nicht nur Bambergs Brauereien kennenlernen, sondern auch neue Kontakte zu Studienbeginn knüpfen kann. 

Die Bamberger Alemannia ist eine nichtschlagende Burschenschaft, die aus christlicher Überzeugung das Schlagen von Mensuren ablehnt. Ihr gehören aktive Studenten und Alte Herren aller Fachrichtungen an. Wer Interesse hat, die Alemannia kennenzulernen, ist herzlich eingeladen, über www.alemannia-bamberg.de Kontakt aufzunehmen.

Schlaglicht: Kultusministerin im Südwesten will für Gendersprache sensibilisieren – oder: Wie der Kulturstaat übergriffig wird

Die neue baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (vgl. F.A.Z. v. 28. Juli 2021, S. 4) will die Schüler des Landes für eine vermeintlich geschlechtergerechte Sprache sensibilisieren. Ein solches Ansinnen des Staates ist übergriffig. Schon die unausgesprochene Prämisse des Genderns ist fraglich. Dieses ist weder geschlechtergerecht noch inklusiv, sondern übergriffig und exkludierend. Der öffentliche Raum wird einseitig durch eine radikalkonstruktivistische Theorie besetzt, die gegen linguistische Erkenntnisse grammatikalisches und biologisches Geschlecht ineinssetzt. Der liberale Kultur- und Verfassungsstaat darf im wissenschaftlichen Diskurs nicht einseitig Partei ergreifen oder sogar sprachwissenschaftliche Argumente gänzlich ignorieren. Sprache, die allen gehört, wird durch das Gendern politisiert und moralisiert. Wer anderer Meinung ist, wird ausgegrenzt. Gendersprache ist nur ein Beispiel, bei dem das Mäßigungsgebot im öffentlichen Raum gegenwärtig gefährdet ist. Dies führt zu einem permanenten Bekenntniszwang und macht unfrei. Überdies: Gendersprache zerstört Schönheit und Differenzierungs­fähigkeit unserer Sprache. Wir müssen uns nicht wundern, wenn Schüler am Ende nur noch ungern lesen oder nicht mehr zu einem differenzierten Textverstehen in der Lage sein werden.

Schlaglicht: „Nicht im Team Aiwanger sein“ – zwangsgebührenfinanziertes Fernsehen trommelt für freiheitsfeindliche Impfpflicht

„Jetzt gibt’s den Impfanreiz schlechthin: Nicht im Team Aiwanger sein.“ So eine pseudowitzige Satire des zwangsgebührenfinanzierten Magazins „extra 3“ des Norddeutschen Rundfunks. Es ist schon allein skandalös, welch totalitäre Impfpropaganda hier mit den Zwangsgebühren der Fernsehzuschauer oder eben auch nicht NIchtfernsehzuschauer, die gleichfalls zur Kasse gebeten werden, betrieben wird. Herr Aiwanger ist ein höchst respektabler Politiker- jedenfalls in dieser Hinsicht. Einer der wenigen Politiker, wenn man sich die aktuelle Debatte ansieht, der noch etwas von Freiheit und Selbstbestimmung versteht. Wer – wie der bayerische Ministerpräsident – für eine Impfpflicht angesichts der neuartigen, genbasierten, in ihren Langzeitfolgen noch nicht erforschten Impfstoffe plädiert, stellt die Wert- und Freiheitsordnung unserer Verfassung auf den Kopf. Unser Land verliert gegenwärtig seine Würde. Menschen- und Grundrechte sollten gerade in einer Krise tragfähig sein. Vor einer Impfpflicht, die aus Gemeinwohlbelangen nur ultima ratio sein kann, sind mildere Mittel auszuschöpfen, z. B. der Einsatz bereits eingekaufter, hoffentlich bald vor der Zulassung stehender Proteinimpfstoffe auf Basis konventioneller Technologie. Ein Staat, der sich anmaßt, in die körperliche Unversehrtheit seiner Untertanen – Verzeihung: Staatsbürger – einzugreifen, verrät sich selbst und nimmt totalitäre Züge an. Die Menschenrechte sind unteilbar. Jeder, der noch einen Sinn für Freiheit hat, wird – frei nach Kennedy – sagen: „Ich gehöre zum Team Aiwanger.“

Was ist aus Deutschland geworden? Ein Land, in dem wieder einmal nach Sündenböcken gesucht wird. Ein Land, das sich immer stärker polarisiert. Ein Land, in dem das Freiheitsbewusstsein rasant schwindet. Ein Land, in dem die selbstbestimmte Entscheidung des Einzelnen nicht mehr ausgehalten wird. Ein Land mit einem Klima der Verdächtigung und permanenten Moralisierung. Ein Land mit einer Zweiklassengesellschaft. Ein Land, in dem totalitäre Tendenzen wieder hoffähig werden. Ein Land, in dem immer häufiger affektgeleitet regiert wird. Ein Land, das immer weniger zu einem differenzierten Diskurs in der Lage ist und in dem die öffentliche Debatte zusehends verfällt.

Debatte um Gendersprache im Bistum Hildesheim: Alles nur ein Vorschlag?

Der Norddeutsche Rundfunk berichtet über die neue Handreichung des Bistums Hildesheim zur vermeintlich geschlechtersensiblen Sprasche: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Gendergerechte-Sprache-Bistum-Hildesheim-geht-neue-Wege,hallonds67344.html

„Alles nur ein Vorschlag“ – diese Ausflucht ist schon zur Genüge bekannt. Der damit verbundene, freiheitsfeindliche Bekenntniszwang wird ausgeblendet.

Schlaglicht: Grundlegende menschenrechtliche Missverständnisse in der aktuellen Impfdebatte

Ich bin in keiner Weise ein Impf- oder Technikgegner. Wer aber die aktuelle Impfdebatte verfolgt, muss sich schon wundenr, wie wenig im Zusammenhang mit den neuen, genbasierten Impfstoffen eine ernsthafte öffentliche Diskussion und Aufklärung über die noch offenen Fragen und dann auch möglichen Risiken oder Nebenwirkungen stattfinden. Ich teile an dieser Stelle, was der Historiker Volker Reinhardt im „schweizer monat“ vom Juni d. J. geschrieben hat: „Die gegenwärtige Debatte über die Art und Weise, wie sich die Ansteckung durch Covid-19 am effizienteten bekämpfen lässt, hat nicht zu einer Freiheit des Diskurses, sondern zur extremen Verengung, mehr noch: zu einer ideologischen Polarisierung, geführt, die an Lagerbildungen des Kalten Krieges erinnern. […] Zuzugeben, dass das Meinungsspektrum zur effizienten Bekämpfung von Covid-19 – dem vernünftigen und für alle verbindlichen Ziel – durchaus geteilter und das gesicherte Wissen über die Pandemie geringer ist, als der Anschein erweckt wird, wäre wahrscheinlich die beste Methode, Coronaleugnern und anderen Verschwörungstheoretikern das Wasser abzugraben.“ Zwangsmaßnahmen des Staates werden das ohnehin schon fragile Vertrauen in die Politik weiter schwächen, die öffentliche Polarisierung vorantreiben und am Ende weitere Freiheitseinschränkungen nach sich ziehen. Denn ein Staat, der kein Vertrauen mehr genießt, muss umso stärker zu Zwangsmitteln greifen.

Jede Impfung erfordert eine sorgfältige medizinische und ethische Abwägung. Dabei sehe ich durchaus einen Unterschied zwischen der Pockenschutzimpfung, zu der ein jahrzehntealtes Impfurteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, und den neuen, genbasiserten Impfstoffen, bei denen selbst nach Aussage des Robert-Koch-Instituts Langzeitfolgen noch nicht ausreichend getestet worden sind. Im Falle der bereits bestellten, hoffentlich bald auch zugelassenen Impfstoffe auf konventioneller Proteintechnologie fällt eine ethische Güterabwägung deutlich anders aus, auch wenn ich selbst dann weiterhin gegen eine Impfpflicht bin. Wohlgemerkt: Jede Entscheidung, ob für oder gegen eine Impfung, wirft gravierende Fragen auf. Denn jede Impfung birgt Chancen und Risiken und verlangt nach einer differenzierten Abwägung. Und diese kann in einer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung nur der Einzelne treffen, wenn er nicht für Zwecke der Gemeinschaft einseitig funktionalisiert oder kollektiviert werden soll.

Und hier sehe ich einen entscheidenden Unterschied im Grund- und Menschenrechtsverständnis zwischen den verschiedenen Positionen der aktuellen Impfdebatte. Die Grund- und Menschenrechte richten sich an den Staat, nicht an den Einzelnen. Sie binden – als notwendiges Gegenstück zu dessen Gewaltmonopol – das Handeln des Staates, der keine uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den Körper seiner Staatsbürger besitzt. Die Verkehrung der Menschenrechte von Freiheitsrechten zur Legitimationsfigur für staatliche Eingriffe zeigt sich nicht allein in der Impfdebatte, sondern in vielen anderen Bereichen, die grund- und menschenrechtsrelevant sind, auch in der bildungsethischen Debatte. Ein Staat, der auf Zwangseingriffe, statt auf Aufklärung, Information und die mündige Entscheidung der Einzelnen setzt, gerät auf die schiefe Bahn und bekommt totalitäre Züge. Die Impfdebatte ist nicht das einzige Beispiel, bei dem die Menschenrechte immer häufiger nicht mehr als Abwehrrechte gegenüber dem Staat, sondern als Kollektivrechte verstanden werden, die den Staat zum Eingreifen ermächtigen. Dies ist eine fragwürdige Interpretation, die über kurz oder lang unser Freiheitsbewusstsein und Freiheitserleben erheblich beschneiden wird.

Es wird immer Wertkonflikte und Dilemmasituationen geben, die Grundrechtseinschränkungen verlangen. Diese dürfen aber um der Unteilbarkeit der Grundrechte willen nicht einseitig zulasten eines bestimmten Grundrechtes, etwa der körperlichen Unversehrtheit, gehen. Vielmehr ist im praktischen Vollzug nach einer Lösung zu suchen, bei der alle betroffenen Werte weitestgehend berücksichtigt werden. Und die notwendigen Einschränkungen müssen sich um der Freiheit willen rechtfertigen lassen.

Bevor in einer gravierenden Frage wie der nach einer Impfpflicht der – sehr schwerwiegende – Vorwurf des Egoismus oder der Verantwortungslosigkeit gegenüber einer Seite erhoben wird, sollten um des gerechten Spargrundsatzes willen freiheitsschonendere Eingriffe geprüft werden. Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass sowohl eine Entscheidung für als auch gegen eine Impfung eine ethisch verantwortliche sein kann, wenn sie nach sorgfältiger Güter- und Übelabwägung getroffen wird. Wenn ich etwas anderes unterstellen wollte, bräuchte ich dafür sehr gute Gründe. Schonendere Wege als eine Impfpflicht wäre die freie Wahl zwischen genbasierten und konventionellen Impfstoffen.

Schlaglicht: Bedrohte Freiheit – oder: Die politischen Narben einer Pandemie

Die Coronapolitik, die uns jetzt schon länger in Atem hält, greift tief in die Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft ein. Betroffen sind der Mittelstand, Familienbetriebe, der Kulturbetrieb, der Amateursport, die Bildungsinstitutionen, die Foren gesellschaftlicher Debatte, die Lebendigkeit des öffentlichen Raumes, das Vereinsleben … Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist auch noch ungewiss, in welchem Maße es im kommenden Wintersemester wieder möglich sein wird, universitäres Leben in Präsenzform zu erfahren. Es werden politische Narben bleiben. Die Politik verliert an ohnehin schon fragilem Vertrauen, wenn sie den Eindruck erweckt, sie hätte die Macht, durch obrigkeitsstaatlichen Aktionismus  alle Gefährdungen auszuschließen. Auf Dauer werden sich verordnete Freiheitsbeschränkungen nicht als ihr Gegenteil verkaufen lassen. 

Doch die Debatte verschärft sich weiter: Das zunehmend lauter werdende Trommeln für eine ethisch nicht zu rechtfertigende, weder mit einem christlichen noch humanistischen Menschenbild zu vereinbarende Impfplicht (und dies leider auch von Politikern in erster Front, die sich eigentlich zum burschenschaftlichen Freiheitsideal bekennen sollten) ist nur ein Beispiel, wie rasant das Freiheitsbewusstsein in unserem Land schwindet – und viele scheinen ist nicht zu merken. Dabei sollten die Erfahrungen der vergangenen Monate ein neues Gefühl für den Wert der Freiheit wecken, und eben nicht die Phantasie neuer Freiheitseinschränkungen beflügeln. Allemal Gründe genug, sich einmal mehr sozialethisch Gedanken über die Freiheit zu machen.

An der Wiege des modernen Rechts- und Verfassungsstaates steht der Wille zur Freiheit. Die Idee der Burschenschaft wurde geboren aus der Sehnsucht nach dem größeren Vaterland, dem einen Deutschland, und seiner inneren Freiheit. Der moderne Verfassungsstaat strebt als Ideal die Freisetzung des Einzelnen an, garantiert als den hierfür notwendigen rechtlichen Rahmen Gleichheit und gewährleistet als Fundament soziale Sicherheit auch über existentielle Notlagen hinweg. Freiheit aber ist niemals allein ein Recht, sondern ein politisch-pädagogischer Anspruch. Wer geistig erschlafft, sich der Trägheit, der Gleichgültigkeit, der Bequemlichkeit oder einschläfernder Sicherheit hingibt, wird über kurz oder lang auch freiheitsunmündig.

Im Prinzip der Freiheit findet die Aufgabe des Staates, den staatslegitimierenden Zusammenhalt und die innere Bindung des Staatsvolkes zu formen und zu festigen, ihre Grenze: „Der freiheitliche Staat baut auf Werte und Gebundenheiten, welche die Freiheitsberechtigten entwickeln und an ihn herantragen. […] Die Freiheit des Bürgers ist dem Staat vorgegeben, das Freiheitsrecht wahrt eine staatsfreie Sphäre des Berechtigten, schirmt diese gegen ein Eindringen der öffentlichen Gewalt ab und stellt jeden Staatseingriff unter Rechtfertigungszwang“ – so der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof. In dieser Perspektive ist der Staat zunächst einmal gehalten, sich zurückzunehmen und den Entfaltungsraum seiner Bürger nicht zu beschränken.

Zwar ist der Staat zugleich zur Freiheitsvorsorge aufgerufen: Als Sozial- oder Kulturstaat hat er eine Verpflichtung zur Daseinsvorsorge, zur Hilfe bei existentieller Not oder auch zum Schutz derjenigen, die aus eigener Kraft (noch) nicht voll freiheitsfähig sind. In der politischen Philosophie wie der politischen Praxis wird es aber immer wieder neu darauf ankommen, Freiheit in Beziehung zu setzen zum Anspruch auf Gerechtigkeit, Gleichheit und (soziale) Sicherheit – und zwar so, dass der umfassende und unteilbare Anspruch auf Freiheit, wie er für ein freiheitliches Gemeinwesen typisch ist, nicht reduziert oder unter Wert verkauft wird.

Der Staat trägt somit eine dreifache Freiheitsverpflichtung: Er hat die Freiheit der Individuen vom Staat zu achten und gleichzeitig für die Freiheit Vorsorge zu treffen, zum einen durch die Erfüllung bestimmter Schutzpflichten, zum anderen durch Teilhabe- und Leistungsansprüche. Das komplementäre Verhältnis von Freiheit und Gleichheit, das den liberalen Rechts- und Verfassungsstaat kennzeichnet, muss in bleibender Spannung gehalten werden und darf weder einseitig in die eine noch die andere Richtung aufgelöst werden. Andernfalls droht im Extrem entweder ein unfreiheitlicher, egalitaristischer Umverteilungsstaat oder eine rein besitzindividualistische Gesellschaft, in der eine Politik des sozialen Ausgleichs von vornherein aufgegeben ist und soziale Folgeprobleme allenfalls als Sicherheits- und Machtfragen diskutiert werden.

Die Balance zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten zu wahren, bedarf es einer Kultur des Maßes und eines robusten Toleranzgebotes. Der öffentliche Raum darf nicht durch partikulare Weltanschauungen, einen ideologischen Diskursgebrauch, Superlativtatbestände, Maximalforderungen ohne den notwendigen Willen zum Kompromiss oder verdeckte Zensurmaßnahmen einseitig besetzt werden.  Gendersprache ist nur ein Beispiel, bei dem das Mäßigungsgebot im öffentlichen Raum gegenwärtig gefährdet ist. Gendersprache führt zu einem permanenten Bekenntniszwang und macht unfrei. Sie besetzt den öffentlichen und zunehmend auch kirchlichen Raum mit einer radikalkonstruktivistischen Weltanschauung, politisiert und moralisiert den alltäglichen Sprachgebrauch, zerstört Schönheit und Differenzierungs­fähigkeit unserer Sprache …

Die Demokratie lebt entscheidend von einer produktiven Freiheit zu, nicht von Tabus, (Denk- und Sprach-) Verboten oder Normierung. Dies setzt die Bejahung einer pluralen gesellschaftlichen Öffentlichkeit voraus; eine solche wird nur erhalten bleiben, wenn die Einzelnen zur Selbsttätigkeit freigesetzt werden und die Freiheit zum gesellschaftlichen Diskurs gesichert ist. Alles muss sagbar und publizierbar sein, wie Voltaire in Opposition zu Rousseau vertreten hat. Ansonsten wird der Mensch unmündig gehalten. Ein Staat aber, der den Einzelnen zu seinem Besten unmündig halten und erziehen wollte, macht sich der Täuschung schuldig. Erst die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt bringe absurde Vorstellungen hervor, ist der Historiker Volker Reinhardt überzeugt – im „schweizer Monat“ vom Juni d. J. schrieb er: „Die gegenwärtige Debatte über die Art und Weise, wie sich die Ansteckung druch Covid-19 am effizienteten bekämpfen lässt, hat nicht zu einer Freiheit des Diskurses, sondern zur extremen Verengung, mehr noch: zu einer ideologischen Polarisierung, geführt, die an Lagerbildungen des Kalten Krieges erinnern. […] Zuzugeben, dass das Meinungsspektrum zur effizienten Bekämpfung von Covid-19 – dem vernünftigen und für alle verbindlichen Ziel – durchaus geteilter und das gesicherte Wissen über die Pandemie geringer ist, als der Anschein erweckt wird, wäre wahrscheinlich die beste Methode, Coronaleugnern und anderen Verschwörungstheoretikern das Wasser abzugraben.“

Der Staat darf nicht zu normieren beanspruchen, welchen Gebrauch die Einzelnen von ihrer Freiheit machen. Das Leitbild einer so verstandenen Demokratie ist nicht eine beständige Politisierung des Privaten, sondern der interventionsfähige Bürger, der zur selbständigen sittlich-politischen Urteilsbildung fähig ist und der sich politisch einmischen kann, wenn es darauf ankommt. Der freiheitliche Staat kann eine solche Handlungsfähigkeit wecken; er muss sich aber versagen, will er den Einzelnen nicht politisch überwältigen oder vereinnahmen, eine bestimmte Handlungsbereitschaft zu erzwingen. Und nur dann wird auf Dauer auch die notwendige produktive Spannung zwischen freiheitsberechtigter Gesellschaft und freiheitssicherendem Staat aufrechterhalten bleiben.

Freiheit muss immer von neuem errungen und mit Leben gefüllt werden. Auch über das rechte Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Staatsbürgern muss immer wieder neu diskutiert werden. Die Freiheit kann sowohl von Seiten des Staates als auch durch mächtige gesellschaftliche Kollektive bedroht werden: durch den Staat, der in die Privatsphäre seiner Bürger eindringt und das gesellschaftliche Leben seiner Dominanz unterwirft, aber auch durch eine Gesellschaftsformation, in der sich das nichthierarchische Zusammenspiel der verschiedenen Teilpraxen auflöst. Eine Gesellschaft, die sich des hohen Wertes der Freiheit nicht mehr bewusst ist, „dankt ab“; in der Folge wird dem Staat eine immer größere Deutungs- und Gestaltungshoheit eingeräumt – auch über solche Bereiche, über deren Ausgestaltung im freien gesellschaftlichen Diskurs gerungen werden muss.

Eine „erwachsene Freiheit“ (wie es vor Jahren einmal in der „Zeit“ hieß), eingebettet in eine umfassende akademische Kultur, die produktiv sein will und sich nicht falscher Sicherheit hingibt, zu verteidigen, bleibt ein zentrales Element einer bürgerlichen Gesellschaft – auch und gerade post coronam. Lassen wir das letzte Wort heute unserem National- und Freiheitsdichter Schiller: „Du weißt, wie wohl einem bei Menschen ist, denen die Freiheit des anderen heilig ist.“

Gerechtigkeitsfragen in der Elementarbildung

Der folgende Beitrag wurde am 23. Juli 2021 als Schulleitungsrede im Rahmen einer feierlichen Zeugnisübergabe am Ende des schulischen Teils der Erzieherausbildung gehalten.

Ein in vielerlei Hinsicht denkwürdiges und besonderes Schuljahr liegt hinter uns. Gleiches gilt für Ihre Arbeit in der Praxis. Aus der schulischen Ausbildung, die Sie heute abschließen, wissen Sie, wie wichtig die Frage nach Nähe und Distanz, nach dem ausgewogenen Verhältnis von Nähe und Distanz für den pädagogischen Beruf ist. Die pandemiebedingten Einschränkungen haben vielfach Distanz erzwungen. Und auf diese Weise konnte der besondere Wert von Nähe, Beziehung und Präsenz, die für pädagogische Arbeit unverzichtbar sind, wenn auch schmerzlich, aufs Neue bewusst werden.

Dennoch gingen Schule und Ausbildung weiter, wenn auch mit deutlichen Einschränkungen. Sie konnten Ihre schulische Ausbildung erfolgreich abschließen. Und das wollen wir heute im feierlichen.

Freispielzeit am Morgen – plötzlich gibt es Streit zwischen zwei Jungen, die sich um ein Spielzeugauto balgen. Die Erzieherin muss schlichten: „Ich will auch mal. Der hat schon die ganze Zeit das Auto“, mault einer der beiden Kontrahenten. Oder gemeinsames Essen am Nachmittag: Ein Kind in der Gruppe feiert Geburtstag, der Kuchen ist aufzuteilen. Soll jedes Kind ein gleich großes Stück vom Kuchen erhalten? Oder sollen die kleineren Kinder weniger große Stücke als die älteren in der Gruppe erhalten? – Die Beispiele zeigen: Immer wieder stellen sich im Kindergartenalltag Gerechtigkeitsfragen. Die Kindergartengruppe ist ein wichtiger Ort, an dem Kinder schon sehr früh Gerechtigkeitsprobleme erleben. Und die Erzieherin spielt dabei eine wichtige Rolle: An ihrem Vorbild können die Kinder konkret erleben, wie im sozialen Miteinander mit Gerechtigkeitsproblemen umgegangen werden kann.

Im Kindergartenalltag stellen sich immer wieder Gerechtigkeitsprobleme, die von den Kindern und pädagogischen Fachkräften gelöst werden müssen. Die Kinder erleben in der Gruppe, wie reale Verteilungsfragen gelöst werden und nach welchen Kriterien dabei vorgegangen wird.

Zum pädagogischen Auftrag von Kindertageseinrichtungen gehört es, dass die Kinder mit diesen Erfahrungen nicht allein gelassen werden. Im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags sollen die Erzieherinnen und Erzieher den Kindern helfen, diese Erfahrungen zu ordnen, zu verarbeiten und zu reflektieren. So sollen die Kinder schrittweise auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden. Sie sollen in ihrer Moralentwicklung gefördert werden und immer stärker jene Fähigkeiten erwerben, die notwendig sind, um Gerechtigkeitsprobleme zu erkennen, sich damit auseinanderzusetzen und moralische Konflikte konstruktiv zu lösen.

Kurz gesagt: Es geht um die Befähigung zu Mündigkeit und Selbständigkeit. Sie als angehende Erzieherinnen und Erzieher haben die wichtige Aufgabe, Kinder in den entscheidenden frühen Jahren ihrer Entwicklung dabei zu begleiten, ihre Fähigkeit zum Freiheitsgebrauch und zur Verantwortungsübernahme zunehmend auszubauen und weiterzuentwickeln.

Wird unser Bildungs- und Erziehungssystem, werden unsere Kindertageseinrichtungen diesen Ansprüchen gerecht? Die Frage kann nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden, und schon gar nicht abschließend, ein für alle Mal. Gerechtigkeit ist dynamisch zu denken. Das heißt: Es bleibt eine fortdauernde Aufgabe, die bestehenden Institutionen immer wieder einer beständigen, nicht abschließbaren Selbstüberprüfung zu unterziehen. Ein vollständig „gerechtes“ Bildungs- und Erziehungssystem – wie immer man sich dieses auch vorzustellen hätte – wäre notgedrungen statisch und nicht mehr verbesserungsfähig.

Die entscheidende Frage lautet nicht: Wann ist ein Kindergarten gerecht, wann ist eine Pädagogische Fachkraft gerecht? Vielmehr sollte gefragt werden: Wie kann ein Kindergarten, wie können die Pädagogischen Fachkräfte, die dort arbeiten, den einzelnen Kindern gerecht werden?

Ich hoffe, Sie haben an der Fachschule und am Lernort Praxis das nötige Rüstzeug erhalten, diesen und anderen Fragen eigenständig nachzugehen und eigene Antworten zu finden. Ihr Abschlusszeugnis dokumentiert dies. Wir sind sicher, dass sie den Ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen gerecht werden können. Unsere herzlichen Glück- und Segenswünsche begleiten Sie in Ihre neuen Aufgaben, die jetzt kommen werden.