Rezension: Die Universität braucht Geselligkeit – ein bedrohtes akademisches Gut

Matthias Asche, Dietmar Klenke (Hgg.) unter Mitarbeit von Sabrina Lausen (2017): Von Professorenzirkeln, Studentenkneipen und akademischem Networking. Universitäre Geselligkeiten von der Aufklärung bis zur Gegenwart (Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen; 19), Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 246 Seiten.

Selten haben Sammel- und Tagungsbände eine derart klare Ausgangsthese wie der Band der beiden Wissenschaftshistoriker Matthias Asche und Dietmar Klenke: „Allein eine geselligkeitspolitisch gut positionierte Universität vermag der Gefahr zu trotzen, zu einer Bildungsanstalt zu werden, bei der die prekäre Balance von wissenschaftlich notwendiger Autonomie und berechtigten Ausbildungsanforderungen von Staat und Gesellschaft zugunsten der Außensteuerung verloren geht. In der Interessenwahrnehmung der Universitäten sind Geselligkeitsformen und geselligkeitspolitische Strategien ein häufig verkannter Faktor der Selbstbehauptung gegenüber der Umwelt“ (S. 10).

Geselligkeit ist mehr als Zeitvertreib. Sie schafft eine politisch bedeutsame Gegenwelt persönlicher, ungezwungener Kontaktpflege und Kommunikation. Interessen lassen sich hier leichter ausgleichen, formale Zwänge leichter umgehen. Vor allem aber, so die Annahme der Herausgeber, hält diese besondere Spielform der Vergesellschaftung eine akademische Kultur lebendig, die nicht nur ein äußeres Programm bleibt, sondern persönlichkeitsbildende Kraft besitzt. Nur eine Universität, die diese Kraft akademischer Kultur bewahrt, wird sich auch gegen Zumutungen und äußere Zwecke zur Wehr setzen können.

Und genau diese Kraft, geht nach Ansicht der Herausgeber der heutigen Universität zunehmend verloren: Marktkonforme Außensteuerung und Binnenhierarchisierung drängten den Anspruch ungehinderter Wahrheitsfindung zunehmend in den Hintergrund. „Emphatischen Aufklärungsgeist treffen wir eher in der Universität des 19. als an derjenigen des 21. Jahrhunderts an“ (ebd.). Der einst „bildungsaristokratische“ Hochschullehrer sei zunehmend zum Dienstleister mutiert, das Studentsein werde nicht mehr als akademische Lebensform verstanden. Das Urteil in der Einleitung des Bandes fällt hart aus: Die Universität wandle sich zusehends zu einer „binnenhierarchisierten Fachschule“ (S. 18) – ein Wandel, der sich, wie der Titel des Bandes deutlich macht, an der akademischen Geselligkeitskultur deutlich ablesen lasse: Die „ideelle Substanz“ der Hochschule werde zunehmend aufgezehrt vom „kühlen Charme“ eines „corporative design“; Elemente der kommerziellen Populärkultur bemächtigen sich der Universität. Es sind nahezu fast nur noch die Studentenverbindungen, die an den verblassten Geist früherer akademischer Geselligkeit erinnerten.

Drei Beiträge beleuchten ausdrücklich die Rolle studentischer Korporationen bei deren Herausbildung. Harald Lönnecker geht der persönlichkeitsprägenden Kraft korporativer Geselligkeitsformen nach: „Der Hochschüler brachte klar und deutlich zum Ausdruck, daß für ihn die Regeln der bürgerlichen Welt nur bedingt galten, er Mitglied und Teil einer Metakultur war, die jenseits einer klar strukturierten Erwachsenenwelt bestand“ (S. 142). Dieser Wirkung konnten sich zumindest bis zum Ersten Weltkrieg selbst solche Verbindungen nicht entziehen, die ausdrücklich mit einem reformatorischen Anspruch gegründet worden waren. Das Spannungsfeld von bürgerlichem und antibürgerlichem Habitus, das die „Alte Burschenherrlichkeit“ prägte, wird von Matthias Stickler im Anschluss näher beleuchtet. Aufs Ganze gesehen waren – so Stickler – aber die Domestizierungs- und Verbürgerlichungstendenzen in der klassischen Phase der Korporationen stärker, die Rückbindung an die Werte des gehobenen Bürgertums sehr groß. Dies änderte sich erst mit zunehmender Pluralisierung des gesellschaftlichen Lebens in der frühen Bundesrepublik; die Verbindungen gerieten zunehmend unter Legitimationszwang und büßten ihren Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit ein. Christian George stellt dar, wie sich bei Wiedergründung der Korporationen nach dem Zweiten Weltkrieg nach anfänglichen Reformansätzen vor allem aufgrund des Widerstands der Alten Herren zunehmend die überkommenen Formen couleurstudentischer Geselligkeit wieder durchsetzten – ein Beleg dafür, dass sich sinn- und identitätsstiftende Rituale nur sehr begrenzt und wenn äußerst behutsam ändern lassen.

Der Inhalt des Bandes geht aber deutlich über Verbindungsgeschichte hinaus. Thematisiert werden Logen als professorale Form der Geselligkeit im Rahmen der vormodernen Universität oder das universitäre Professorenkränzchen als bewusst gesuchte Form geschlossener Privatheit. Wolfgang Müller untersucht, wie sich im nach dem Krieg zunächst französischen Saarland neue Vernetzungen mit europäischem Flair herausbildeten. Sabrina Lausen zeigt auf, wie polnische Verbindungen in der Zwischenkriegsära der Selbstvergewisserung und Festigung der nationalen Identität dienten.

Und wie sieht es heute aus? Zum Wandel universitärer Geselligkeitskultur hat auch der sogenannte „Di-Mi-Do-Professor“ beigetragen, der zwischen Familie und Hochschulort pendelt und an letzterem nur noch das notwendige Minimum an Zeit verbringt. Dietmar Klenke, einer der beiden Herausgeber, erinnert daran, wie Nordrhein-Westfalen dieser Entwicklung 1999 durch rigide Präsenzvorschriften administrativ einen Riegel vorschieben wollte – ein Versuch, der kläglich scheiterte: nicht nur, da solche Vorschriften zwangsläufig von den Betroffenen als Strafe und Misstrauensvotum empfunden werden mussten, sondern auch als Überlastung erlebt wurden. Wer politisch mehr Kommunikation zwischen Hochschullehrern und Studenten erreichen will, muss an anderer Stelle für Entlastung sorgen – stattdessen fressen bildungsadministrative Aufgaben in der Selbstverwaltung zunehmend mehr Zeit.

Die Bewahrung einer substantiellen, durch kurzlebige Trends nicht irritierbaren und auf wissenschaftliche Autonomie bedachten Geselligkeitskultur zeigt sich an dieser Stelle auch als ein Ressourcenproblem. Nicht zuletzt leidet die marktgerechte Bolognauniversität unter einem Mangel an disponibler Zeit ihrer akademischen Akteure. Der Band zeigt an einem Thema, das nicht unbedingt im Rampenlicht der Hochschulforschung steht, auf, in welch prekärer Lage sich die Universität gegenwärtig befindet. Wer sich akademisch starke Universitäten, eine leistungsfähige Wissenschaftskultur und ein geistig anregendes Studienklima für die junge Generation wünscht, den kann diese Diagnose nicht unberührt lassen. Wie sich die prekäre Lage zum Besseren wandeln lässt, ohne in Nostalgie oder Verklärung alter Zeiten zu verfallen, bleibt am Ende allerdings offen – oder dem geselligen Austausch an anderer Stelle aufgegeben.

(Erstveröffentlichung: Burschenschaftliche Mitteilungen der Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg und der Burschenschaft Alemannia zu Leipzig, Heft 1/2018)

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s