Reisen bildet: Bier, Barock und Burschenschaft … – Eindrücke aus Bamberg

Jetzt reicht mir Stab und Ordenskleid

der fahrenden Scholaren.

Ich will zur schönen Sommerszeit

ins Land der Franken fahren,

valeri, valera, valeri, valera,

ins Land der Franken fahren!

Von Bamberg bis zum Grabfeldgau

umrahmen Berg und Hügel

die breite stromdurchglänzte Au.

Ich wollt’, mir wüchsen Flügel,

valeri, valera, valeri, valera,

ich wollt’, mir wüchsen Flügel.

 

(Joseph Victor von Scheffel)

Seit einigen Jahren gibt es den Interkorporativen Stammtisch Stuttgart, kurz: IKSS, der sich monatlich trifft: ein Treffpunkt für Korporierte unterschiedlicher Dachverbände oder verbandsfreier Bünde, die es aus familiären oder beruflichen Gründen in die schwäbische Metropole verschlagen hat. Seine Teilnehmer kommen aus den schönsten Universitätsstädten Deutschlands. Und so entstand die Idee, auch einmal gemeinsam auf Reisen zu gehen sowie die Studienorte und Verbindungen der anderen Stammtischbrüder kennenzulernen. Gesagt, getan: Das diesjährige verlängerte Wochenende vor dem Tag der Arbeit bot dazu eine günstige Gelegenheit.

Und wo sollte man besser damit beginnen als in Bamberg!? Am Samstagmorgen ging es also am Stuttgarter Hauptbahnhof los – in die Stadt der drei „Bs“: Bier, Barock und Burschenschaft – für einige der Reiseteilnehmer ein kleiner „Kulturschock“: vom protestantisch-nüchternen Württemberg in das katholisch-barocke Oberfranken.

B – wie Bier, Brauereien und Bierkeller

Wie könnte es anders sein: Ein Besuch in Bamberg ohne Bier wäre wie ein Burschenschafter ohne Band. So lernten unsere Corpsstudenten auf der Fahrt auch, dass Bier kein Alkohol ist, sondern vaterländischer Trank … Da das Hotelzimmer noch nicht bezugsfertig war, landete die Gruppe gleich bei Rauchbier, Kloß und Schäuferla – des Franken Leibspeise – im bekannten „Schlenkerla“, das auch als Drehort für „Das fliegende Klassenzimmer“ mit Blacky Fuchsberger diente. Mindestens einem Teil der Gruppe schmeckte gleich der erste Schluck des rauchigen, dunklen, süffigen Bieres – und nicht erst das dritte Seidla, wie in Bamberg ein halber Liter Bier genannt wird.

Den Bamberger Bierbachelor haben wir nicht geschafft (laut Modulhandbuch sind hierfür alle neun Bamberger Biere an einem Tag zu probieren), aber die Vielfalt der Bamberger Biere kam nicht zu kurz.  Ein besonderes Erlebnis war nach dem sonntäglichen Kirchgang bei bestem Frühlingswetter der Frühschoppen auf dem Spezikeller (Keller – so heißen in Franken die Biergärten, weil traditionell direkt über den Lagerkellern das Bier ausgeschenkt wird) – mit Blick auf Bambergs sieben Hügel und seine Kirchtürme. Am 1. Mai besuchten wir noch den Greifenklaukeller, von dem aus man einen wunderschönen Blick auf die Altenburg hat.

Den krönenden Abschluss bildete am 1. Mai eine Führung durch die „Schlenkerla“-Brauerei am Stephansberg. Wir erfuhren nicht nur, wie mit Hilfe eines Buchenholzfeuers das Rauchmalz hergestellt wird, sondern wir stiegen auch in die alten Felsengänge unterhalb der Bamberger Bergstadt hinab, wo noch heute das Bier gelagert wird.

Bevor der falsche Eindruck entsteht: Auch wenn wir ein – wenngleich akademischer – Stammtisch sind, drehte sich nicht alles nur ums Bier. Bamberg ist nicht nur Bier-, sondern auch Weltkulturerbe-, Gärtner-, Barock-, Bischofs- oder Universitätsstadt.

B – wie Bergstadt, Bamberger Reiter und barocker Katholizismus

Also ging es gleich am ersten Nachmittag nach dem „Schlenkerla“ auf den Domberg hinauf: zum Kaiserdom mit dem berühmten Bamberger Reiter und dem einzigen Papstgrab nördlich der Alpen, zur Alten Hofhaltung, zur Neuen Residenz und zum Rosengarten. Wir hatten im Dom einen sehr kundigen Führer: Als Theologe erschloss er der Gruppe Kaiser Heinrichs Stein gewordene Idee, Bamberg zur „Roma secunda“ zu machen.

Bamberg wurde wie Rom auf sieben Hügeln gegründet: Stephans-, Kaul-, Dom-, Jakobs-, Michels-, Abts- und Altenburgberg. Da die Stadt im Zweiten Weltkrieg weitgehend von Zerstörungen verschont blieb, zeigt sich bis heute die für Bamberg typische Dreiteilung in die geistliche Bergstadt, die bürgerliche Inselstadt zwischen den beiden Regnitzarmen und die Gärtnerstadt. Neben dem Bamberger Reiter am bekanntesten dürfte das Brückenrathaus sein, das in der Flussmitte zwischen Berg- und Bürgerstadt errichtet wurde. Seit 1993 ist Bamberg UNESCO-Weltkulturerbe.

Der Sonntag begann mit einer Messe in der Karmelitenkirche und einem Besuch im Kreuzgang des dazugehörigen Klosters. Der aus dem vierzehnten Jahrhundert stammende Kreuzgang besticht vor allem durch seine Kapitelle mit reichhaltiger Tier- und Pflanzensymbolik. Am Nachmittag besichtigten wir die Kaisermäntel und den Papstornat im Bamberger Diözesanmuseum, wo wir aufgrund des schon sommerlichen Wetters mehr oder weniger die einzigen Besucher waren. Die aktuelle Sonderausstellung zum vierhundertjährigen Jubiläum der von den Jesuiten begründeten Marianischen Herren- und Bürgersodalität vermittelte überdies einen Einblick in die Entwicklung des katholischen Lebens von der Gegenreformation bis in die Gegenwart.

Dass der Volkskatholizismus in Bamberg noch lebendig ist, davon konnten wir uns am 1. Mai bei  der Festmesse und Maiandacht der Sodalität in St. Jakob selber überzeugen. Die ursprünglich romanische Kirche zählt zu den ältesten Bambergs; um sie nach Auflösung des Stifts vor möglichem Abriss zu bewahren, wurde sie im Zuge der Säkularisierung der Marianischen Sodalität übertragen. Am 1. Mai wird in Bayern Maria als Schutzfrau des bayerischen Landes verehrt. Natürlich wurde an diesem Tag auch mit Weihrauch nicht gespart.

Zelebrant und Prediger war der Bamberger Ordinarius für Kirchengeschichte und Patrologie, Farbenbruder Prof. Dr. Peter Bruns. In deutlichen Worten verteidigte er anlässlich der Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten, in Ämtern des Freistaates Kreuze aufhängen zu lassen, die Präsenz dieses zentralen Symbols unserer christlichen Kultur und Religion im öffentlichen Raum. Dabei sparte er auch nicht mit Kritik an beschämenden Äußerungen mancher Bischöfe, die jetzt wortreich vorgeben, die genuin religiöse Bedeutung des Kreuzes zu verteidigen, sich aber nicht zu schade waren, genau dieses auf dem Tempelberg zu verstecken. Das Kreuz, so der Prediger, sei ein öffentliches Zeichen, weil der Tod Jesu ein öffentliches Ereignis gewesen sei. Das Kreuz stehe für die Grundlagen unserer Kultur, die ethischen Werte unserer Staats- und Gesellschaftsordnung und die Identität unseres Gemeinwesens – auch im säkularen Staat. Wo  dieser sich nicht mehr zu seinen geistigen Wurzeln bekennen will, verliert unser Zusammenleben an Humanität. Das Kreuz im Gerichtsgebäude etwa, so Prof. Bruns, erinnere daran, dass wir alle noch einer anderen Instanz gegenüber verpflichtet sind, es mahne den Ankläger oder Zeugen nicht leichtfertig oder gar falsch Zeugnis abzulegen, und es mahne den Richter, das Recht nicht zu beugen. Es ist kein gutes Zeichen, wenn versucht wird, religiöse oder auch nationale Symbole zunehmend aus dem öffentlichen Raum und damit aus dem kollektiven Gedächtnis zu verdrängen.

Beim Rückweg in die Stadt, an den Domkurien vorbei, galt es noch, der Bamberger Staufersäule des Degerlocher Historikers Gerhard Raff Reverenz zu erweisen. Auch der Oberen Pfarre am Kaulberg statteten wir einen Besuch ab. Die dortige freudenreiche Gnadenmutter wird jährlich am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt in feierlicher Prozession zur schmerzhaften Mutter in der ehemaligen Jesuitenkirche St. Martin getragen.

Geteilte Gefühle löste der in der gleichnamigen Kapelle des Domes verehrte heilige Nagel aus, eine Reliquie, die Bamberg dem heiligen Kaiser Heinrich II. verdankt. Bis heute ist diese Berührungsreliquie ein Objekt frommer Verehrung. Man mag über die Reliquienverehrung denken, wie man will – dass auch der moderne Mensch sich Wirklichkeit nicht allein rational zu erschließen und zu deuten sucht, zeigen – wie auch in anderen Städten – die zahlreichen Schlösser am Geländer der Kettenbrücke.

Bamberg spielt auch für die deutsche Romantik eine wichtige Rolle. Wackenroders Besuch auf dem Bamberger Henricifest wurde zu einem Schlüsselmoment dieser Epoche. Nicht zuletzt wirkte in Bamberg der Romantiker E. T. A. Hoffmann – und so besichtigten wir nicht nur sein Wohnhaus und die Altenburg, auf der er häufig arbeitete, sondern begegneten auch dem Türknauf am Stephansberg, der ihn zum „Apfelweiblein“ inspirierte, oder beim abendlichen Bummel durch den Hain der Stelle, an der er den sprechenden Hund Berganza getroffen haben soll. Die Altenburg mit einem weiten Blick über Fränkische Schweiz und Steigerwald erreichten wir mit einem umgebauten Straßenbahnwagen, der heute Bamberger Touristen über sechs der sieben Hügel bringt.

B – wie Burschenschaft, Bamberger Widerstand und Bamberger Verfassung

1647 gründete Fürstbischof Melchior Otto Voit von Salzburg die Academia Bambergensis, die sich im Laufe der Zeit zur klassischen Vierfakultätenuniversität entwickelte, als solche die Säkularisierung des Hochstiftes aber nicht überlebte. Nur die beiden Fakultäten Theologie und Philosophie bestanden fort. 1972 erfolgte dann die Wiedergründung der heutigen Otto-Friedrich-Universität in Form einer Gesamthochschule. Aktuell zählt die Universität rund dreizehntausend Studenten (bei einer Einwohnerschaft von rund fünfundsiebzigtausend).

Selbstverständlich durfte auch ein Besuch bei der einzigen örtlichen Burschenschaft, der Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg, nicht fehlen, nach ihrer Gründung in Leipzig und einer Zwischenphase in Erlangen seit 1991 in der noch jungen Universitätsstadt Bamberg ansässig. Auf dem Weg zum Alemannenhaus durchstreiften wir noch den zweiten Teil des Bamberger Weltkulturerbes: das Gärtnerviertel. Seit dem siebzehnten Jahrhundert bis heute wird in der Stadt Gemüsegartenbau betrieben, etwa der Anbau von Zwiebeln, Samen oder Süßholz.

Als Referentin für den Sonntagabend konnten wir die Bamberger Pädagogin Mechthildis Bocksch aus dem Vorstand der örtlichen Willy-Aron-Gesellschaft gewinnen. Sie stellte den Bamberger Bundesbrüdern und Stuttgarter Gästen die Erinnerungsarbeit des Vereins vor und beleuchtete in ihrem lebendigen Vortrag markante Aspekte des Bamberger Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Dieser wird vor allem durch drei Köpfe repräsentiert, die gemeinsam mit einem Denkmal im Bamberger Harmoniegarten gewürdigt werden: Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht für den militärischen Widerstand, der Rechtsanwalt Hans Wölfel für den christlichen Widerstand und der jüdische Waffenstudent sowie Sozialdemokrat Willy Aron für den Widerstand der Arbeiterbewegung. Am „Stolperstein“ vor Arons Wohnhaus in der Luitpoldstraße wurde vor einigen Jahren die fränkische Regionalgruppe des Lassalle-Kreises, des Zusammenschlusses korporierter Sozialdemokraten, gegründet. Und kurz vor dem kommenden Jubiläumsjahr sollte nicht vergessen werden, dass in der Neuen Residenz am Domplatz am 14. August 1919 mit der sogenannten Bamberger Verfassung in der Stadt die erste demokratische Verfassung Bayerns verabschiedet wurde.

Da Stuttgarts bekanntester Bierorgler mit von der Partie war, klang der Abend musikalisch aus. Frankens inoffizielle Hymne aus der Feder Victor von Scheffels durfte dabei selbstverständlich nicht fehlen. Am folgenden Montag war dann Gelegenheit, den Originalschauplatz des Frankenliedes zu erleben: den Gottesgarten im Oberen Maintal mit der Adam-Riese-Stadt Bad Staffelstein, der Korbmacherstadt Lichtenfels, dem Staffelberg, Kloster Banz und der beeindruckenden Wallfahrtsbasilika Vierzehnheiligen. 1445 erhielt an dieser Stelle ein Schäfer des Klosters Langheim  eine Vision der vierzehn Nothelfer, zu deren Ehren schon bald eine Kapelle errichtet wurde. Die heutige Basilika aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt von Balthasar Neumann.

Und wie bei jeder guten katholischen Wallfahrt durfte nach dem Gebet und dem Kerzenopfer in der Basilika eine Brotzeit und ein „Nothelfertrunk“ in der unmittelbar daneben liegenden Brauerei nicht fehlen – so schließt sich wieder der Kreis …

Es waren vier ereignisreiche, anregende und erfüllte Tage mit guten Gesprächen und eindrücklichen Erlebnissen. Fortsetzung folgt hoffentlich. Denn es gibt sicherlich noch zahlreiche weitere Universitäts- und Studentenstädte in deutschen Landen, die einen Besuch lohnen.

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