Harald Martensteins Kolumnen in der Wochenzeitung „Die Zeit“ oder im Berliner „Tagesspiegel“ gehören für viele Lehrer zur wöchentlichen Pflichtlektüre … Pointiert und scharfzüngig spießt Martenstein dabei auch immer wieder bildungspolitische Themen auf. Der Kolumnist kämpft für eine Schule, die zur Freiheit im Denken und Handeln erzieht, die den Einzelnen fördert, aber auch fordert und nicht jeder Mode des pädagogischen Zeitgeistes hinterher läuft. Dabei scheut Martenstein den Konflikt nicht; so legte er sich vor noch nicht allzu langer Zeit mit den Vertretern der Genderwissenschaften an. Sein Roman „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ aus dem Vorjahr erzählt vordergründig die fiktive Geschichte einer DDR, die durch Ölfunde plötzlich reich geworden ist und dadurch überlebt hat; in Wirklichkeit aber handelt es sich um eine bitterböse Abrechnung mit Entwicklungen unserer freiheitlichen Gesellschaft, die zunehmend an Halt und Freigeist verliert.
Wie nicht anders zu erwarten, war auch Martensteins Hauptvortrag auf dem bundesweiten Gymnasialtag des Deutschen Philologenverbandes, des Philologenverbandes Baden-Württemberg und des Verbandes Bildungsmedien Anfang März im Stuttgarter Haus der Wirtschaft ein satirisches Feuerwerk wider die politische Korrektheit in Schule und Lehrerbildung – sprachlich wie denkerisch ein Genuss. Wenn Bildungsforscher und Bildungsreformer von Bildung redeten, sei das mitunter so, als wenn Nordkorea mehr Meinungsfreiheit fordere – sprich: Viele Bildungsreformen liefen am Ende auf „weniger Bildung“ hinaus, nicht selten mit der Begründung, dies schaffe mehr soziale Gerechtigkeit und Gleichheit. Eine wundersame Vermehrung höherer Bildungsabschlüsse durch Niveauabsenkung im Abitur nütze am Ende weder dem Arbeitsmarkt noch dem Schüler. Der Kolumnist und Romanautor verteidigte das Sitzenbleiben und das gegliederte Schulsystem, verneinte das „Turboabitur“, das auf den minderjährigen Hochschulabsolventen zulaufe, beharrte darauf, dass Schule auch Leistung einfordern müsse, und er lobte die Lehrer: Dass er heute vom Schreiben leben könne und vieles mehr, habe er seinen Lehrern zu verdanken, und zwar sowohl denen, die er als Schüler geliebt, wie auch denen, die er gehasst habe. Schule dürfe sich, so Martensteins Plädoyer, nicht allzu einseitig an der Lebenswelt der Schüler orientieren: „Dann dürfte im Deutschunterricht des Gymnasiums nur noch das Buch ‚Die besten Flirt-Tipps für Jungs und Mädchen‘ gelesen werden.“ Schule sollte ihren Schülern vielmehr neue geistige Horizonte erschließen und sie über ihr momentanes Erleben hinausführen. Der langanhaltende Beifall zeigte, dass der Berliner Journalist dem Publikum aus der Seele gesprochen hatte.
Begleitet wurden die Vorträge und Workshops des Kongresses, zu dem ich als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Philologenverbandes eingeladen worden war, durch eine Bildungsmedienausstellung, auf der Verlage und andere Mediendienstleister ihre Neuheiten vorstellten. Beim Stehempfang in der Mittagspause gab es darüber hinaus zahlreiche Gelegenheiten, sich mit Kollegen und Verbandsvertretern über aktuelle bildungs- und schulpolitische Entwicklungen in Baden-Württemberg auszutauschen. So wurde beispielsweise darüber diskutiert, wie die Schule auf die aktuellen integrations- und damit verbundenen religionspolitischen Herausforderungen reagieren soll.
Endlich mal ein Journalist, der nicht dem Zeitgeist hinterhertragt oder sogar vorauseilt und einem seit über 25 Jahren sehr engagierten Lehrer aus der Seele spricht.
Ich frage mich jedes Jahr mehr, warum wir so einen Aufwand für die Notengebung betreiben, wenn am Ende doch jeder ein gutes, überwiegend sehr gutes Abitur erhält. Sarkastisch sage ich immer, man könnte es doch gleich mit der Geburtsurkunde ausgeben, dann hätten wir diese lästige Arbeit gleich vom Hals.
Guter niveauvoller, aber auch etwas fordernder Unterricht ist leider nicht mehr angesagt, wir müssen immer mehr Entertainment betreiben und dazwischen all die diversen Aufgaben von Eltern u.a. übernehmen. Genau so wie er es wunderbar beschreibt.
Danke!
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Der Vortrag von Harald Martenstein mag ja gut gewesen sein. Er ist im Internet nicht mehr zu finden, weder beim Philologenverband noch bei Harald Martenstein. Gutes sollte sich eigentlich länger halten.
Hans Wocken
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