
Wie schön wäre es gewesen, wir könnten uns nach dem endemischen Ende von Corona, auch wenn sich deutsche Politiker immer noch nicht ganz damit anfreunden können, über eine wiedergefundene „Normalität“ freuen. Doch es steht in diesem Herbst nicht gut um unser geliebtes Vaterland. Insofern werden auch die Schlussworte dieses Jahres politische sein müssen.
Denn man muss nicht unbedingt Pessimist sein, um deutliche Krisenphänomene zu erkennen. Eine aggressive Impfnötigungspolitik hat das Land gespalten. Eine Politik des billigen Geldes in der Eurozone hat die Inflation auf Rekordhöhe getrieben. Die Energiestabilität ist in Gefahr; wir reden über Mangellagen und Blackouts. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat erhebliche sicherheitspolitische Defizite Deutschlands sichtbar gemacht. Zugleich steigt erneut der Migrationsdruck. Der Fachkräftemangel in zahllosen Branchen ist unübersehbar. Die Staatsverschuldung steigt. Und der Staat greift immer stärker steuernd in gesellschaftliche Bereiche ein. Die Wissenschaftsfreiheit an unseren Hochschulen ist durch „Cancel Culture“ und Löschkultur in Bedrängnis; nicht grundlos hat sich ein Netzwerk Wissenschaftsfreiheit gegründet. Und auch in weiteren gesellschaftlichen Bereichen verengt eine Identitätspolitik Handlungs- und Diskursräume, ist ein schwindendes Freiheitsbewusstsein zu bemerken. Bezüge auf die eigene religiöse oder nationale Tradition sollen aus dem öffentlichen Raum verschwinden, wie exemplarisch die beschämende Debatte um die Kuppelinschrift des (halb) wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses zeigt.
Mittlerweile steht sogar das politische und soziale Vertrauen in unseren demokratischen Rechtsstaat auf dem Spiel. Entsprechende Umfragen zeugen von einem tiefen Vertrauensverlust in unsere Funktionseliten, der so schnell sicher nicht zu heilen sein wird. Nur zwei warnende Stimmen will ich exemplarisch zu Wort kommen lassen – zunächst Sandra Kostner, Gründungsvorsitzende des schon genannten Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit, im Oktober im Magazin „Cicero“ in einer Bilanz zur deutschen Coronapolitik:
„Noch haben wir es in der Hand, den Umdeutungsbestrebungen von Freiheit Einhalt zu gebieten. Und noch haben wir die Möglichkeit, die entstandenen sozialen Wunden zu heilen, bevor sie zu einer erheblichen Belastung für die Gesellschaft werden. Dazu muss die Politik der Ausgrenzung, Diffamierung und Nötigung endgültig beendet werden. […] Ferner müssen wir uns gegenseitig wieder als Menschen wahrnehmen, was zuallererst bedeutet, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dies erfordert die Bereitschaft, Verständnis und Empathie für die Beweggründe Andersdenkender aufzubringen. Empathie ist ein zentraler Schritt zur Versöhnungsbereitschaft, und diese muss von allen Seiten aufgebracht werden – insbesondere jedoch von denjenigen, die sich aktiv an der Verächtlichmachung und Ausgrenzung von vermeintlichen Sündenböcken beteiligt haben. Vor allem sie sollten sich fragen, warum sie sich von Politik und Medien gegen Mitmenschen aufhetzen ließen und ob sie wollten, dass sie in einer Situation, in der es politisch opportun erscheint, als gesellschaftlicher Blitzableiter dienen müssen. Ferner sollten sie sich überlegen, ob sie wollten, dass andere darüber bestimmen können, welche pharmakologischen Substanzen sie ihrem Körper zuführen. Denn es könnte der Tag kommen, an dem es um Substanzen geht, die sie nicht verabreicht bekommen möchten. Der Geist, der das ermöglicht, ist aus der Flasche. Es ist an uns, ihn dort wieder hineinzubekommen und als Lehre aus den Pandemiejahren künftig darauf zu achten, dass er nicht mehr entweichen kann.“
Oder Susanne Schröter, Ethnologin an der Universität Frankfurt und ebenfalls aktiv im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, in ihrem neuen Buch „Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass“ (Freiburg i. Brsg. 2022):
„Wenn ein Land wie Deutschland seine Bundeswehr finanziell austrocknet, ideologisch delegitimiert und einer unwilligen Bürokratie überlässt, dann hängt die Existenz eines freiheitlichen Staates, inklusive der in ihm geltenden Freiheitsrechte, allein von der Friedfertigkeit autoritärer Staaten ab. Dass man sich darauf nicht verlassen kann, sollte deutlich geworden sein. Der Staat muss seinen Bürgern aber auch innenpolitisch ermöglichen, von ihren Freiheitsrechten Gebrauch zu machen. […] In einer freien Gesellschaft muss der Bürger Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen und selbst für sein eigenes Wohlbefinden sorgen. […] Der Westen tut gut daran, sich zu erinnern, was seine eigenen Wurzeln sind und worauf sein Gesellschaftssystem basiert, das den Bürgern bis zum heutigen Tag die freie Entfaltung ihrer Potenziale und Neigungen ermöglicht. Nur wer die Freiheitsrechte im eigenen Land stark macht, kann freiheitlich nach außen wirken – wer die Freiheit leichtfertig aufgibt, verspielt sein wichtigstes Gut.“
Was können wir diesen krisenhaften Entwicklungen und warnenden Diagnosen entgegensetzen? Einigkeit und Recht und Freiheit – seit hundert Jahren unsere Nationalhymne. In diesem Dreiklang sind Werte versammelt, die nichts an Aktualität verloren haben. Im Gegenteil. Wir sollten uns deutlich zu ihnen bekennen und diese vorleben, als Staatsbürger wie Pädagogen zugleich. … damit ein gesellschaftliches Ethos lebendig bleibt, das eine humane Zukunft garantiert. Denn die Freiheit wird nur verteidigt werden, wenn sie auch mit Leben gefüllt wird. In diesem Sinne geht auch die streitbare bildungsethische Debatte weiter.
Ich wünsche allen Lesern und Leserinnen meines Weblogs eine gesegnete Adventszeit und – gerade in Zeiten wie diesen – zuversichtlichen Beschluss des Jahres. Herzlichen Dank für allen pädagogischen Austausch und alle bildungsethische Auseinandersetzung.
Ihr Axel Bernd Kunze