Die folgende Kolumne wurde in der Wochenzeitung „Die Tagespost“ (74. Jg., Nr. 19/2021) vom 14. Mai 2021, S. 28, veröffentlicht. Leider wurde die aktuelle Kolumne nicht, wie bei der „sozialethischen Kolumne“ sonst üblich, auf den Internetseiten der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle online dokumentiert – vermutlich wegen der darin geäußerten Kritik am Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Selbstkritik ist nicht unbedingt die Stärke kirchlicher Akteure. Aus diesem Grund wird die Kolumne noch einmal an dieser Stelle dokumentiert.
Gendern – Sprache als Kampfplatz
Axel Bernd Kunze
Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist künftig der Genderstern Pflicht; im Mündlichen soll er durch eine Pause hörbar gemacht werden. Auch „queere“ Menschen seien „als Teil der sehr guten Schöpfung Gottes wertzuschätzen“.
Anders Friedrich Merz: Im April kritisierte er das „Gendern“ in öffentlich-rechtlichen Medien. Laut Civey hat er eine deutliche Mehrheit der Bürger hinter sich. Franzosen hätten „ein besseres Feingefühl für den kulturellen Wert ihrer sehr schönen Sprache“.
Der Streit trägt Züge eines Kulturkampfes. Jetzt auch vor Gericht: Unterstützt durch den Verein Deutsche Sprache (VDS), klagt ein Mitarbeiter gegen den Genderleitfaden bei Audi. Während die Grünen Audis Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit loben, fühlt sich der VDS-Vorsitzende, Walter Krämer, an Unrechtssysteme erinnert.
Das Diskriminierungsverbot gilt – keine Frage! Doch Sprache ist der falsche Kampfplatz. Schon die unausgesprochene Prämisse der Befürworter des Genderns ist fraglich. Dieses ist weder geschlechtergerecht noch inklusiv, sondern übergriffig und exkludierend. Der öffentliche Raum wird einseitig durch eine radikalkonstruktivistische Theorie besetzt, die gegen linguistische Erkenntnisse grammatikalisches und biologisches Geschlecht ineinssetzt. Sprache, die allen gehört, wird politisiert und moralisiert. Wer anderer Meinung ist, wird ausgegrenzt.
Viel steht auf dem Spiel: Unternehmen oder Organisationen, die sich anmaßen, die Aussprache zu normieren, verhalten sich totalitär. Arbeitnehmer stellen ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Ein Arbeitgeber etwa, der seinen Mitarbeitern eine bestimmte Art zu reden und zu denken aufzwingt, bricht deren Willen und Selbstbewusstsein und verstößt gegen das Personalitätsprinzip.
Ich muss frei und angstfrei sprechen können, ohne sozial oder beruflich Gefahr zu laufen, in ein Minenfeld zu treten. Sprachmanipulation, -kosmetik oder -zerstörung sind der falsche Weg. Zum Abbau realer Diskriminierungen braucht es Politik mit Augenmaß und Klugheit. Und hierzu gehört auch eine kulturethische Verantwortung: Wer Sprache politisch überformt, ihren Gebrauch durch Zwang egalisiert und die Vielfalt grammatikalischer Ausdrucksformen abbaut (Studenten sind nicht Studierende), handelt wider den Geist der Verfassung und zerstört ein zentrales Identitätsmerkmal der deutschen Kulturnation. Wir brauchen eine kraftvolle, schöne, differenzierte Sprache, die gern gesprochen, gelesen und an künftige Generationen weitergegeben wird.
Ideologie ist ein Modus des Diskursgebrauchs. Kein Denksystem, das mobilisieren will, ist davor gefeit. Der Genderdiskurs wird ideologisch, wo er sich gegen Kritik abschottet und reale Widersprüche in der politisch-ethischen Umsetzung verdrängt. Ein Beispiel: Wenn die Grünen im Südwesten schnell auf den Genderstern im neuen Koalitionsvertrag verzichten können, geht es doch mehr um Machterhalt und weniger um das, was man für Gerechtigkeit hält.