Schlaglicht: Wozu noch Politik, wenn es ein „Klimamainstreaming“ gibt?

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts sollte nicht verwundern: „Freiheitsrechte künftiger Generationen müssten geschützt werden“ (F.A.Z.,  30. April 2021, S. 1) Jedenfalls, den nicht, der die akademische Debatte um Menschen- und Kinderrechte, Klima- und Generationengerechtigkeit aufmerksam verfolgt. Seit Jahren wird an den Universitäten die Werbetrommel dafür gerührt, die Menschenrechte beständig auszuweiten. Individuelle Freiheitsrechte sind zu wenig, nein die nachfolgenden Generationen müssen mitbedacht werden. Individuelle Freiheitsrechte müssen ausgeweitet werden – bis zur Unkenntlichkeit. Die internationalen Solidaritätsrechte sollten gleichberechtigt neben den Abwehr- und Sozialrechten stehen. Wer darauf bestand, dass Träger der Menschenrechte nur Individuen, nicht aber Kollektive sein könnten, galt als Ewiggestriger.

Kurz und gut: Solches war aus Karlsruhe irgendwann zu erwarten. Am Ende bleiben auch Juristen Kinder ihrer  Zeit. Selbst auf der Bamberger Generalversammlung (ich war damals ob der verhandeltetn Thematik aus der pädagogischen Sektion in die juristische geflohen) der einstmals konservativen Görresgesellschaft, eine der ältesten Wissenschaftsvereinigungen Deutschlands, war vor Jahren schon die wissenschaftliche Grundlage für das neue Urteil gelegt worden: Die Referentin forderte den Einbezug von Generationengerechtigkeit in die Beurteilung verfassungsrechtlicher Fragen.

Es war Andrea Edenharter, ihr Beitrag am Ende der schwächsten in der Tagungsdokumentation. Angesichts der aktuellen Klimadebatte war die Referentin bereit, einen Bruch mit der gegenwärtigen Rechtsdogmatik zu wagen und Nachhaltigkeitsrechte künftiger Generationen verfassungsrechtlich zu implementieren. Als Unterton schwang ein umweltpolitischer Alarmismus mit. Ein solcher wäre verfassungspolitisch allerdings ein schlechter Ratgeber. Die Aufgabe einer Verfassung ist eine andere: Diese steckt den formalen Rahmen ab, in dem selbst strittige oder komplexe Debatten politisch bearbeitet werden können. Die Frage, welche konkreten umweltpolitischen Mittel dem Ziel der Nachhaltigkeit tatsächlich entsprechen, kann nicht im Vorhinein juristisch entschieden werden. Mit einer ergebnisoffen geführten wissenschaftlichen wie politischen Debatte und einem Staat, der politisch Handlungsspielraum behält, wird einer wirksamen Umweltpolitik besser gedient sein als mit Versuchen, die Justiziabilität der Kinderechte aufzugeben, indem diese in Gestalt internationaler Solidaritätsrechte überdehnt werden.

Nun habe sich das Bundesverfassungsgericht, wie Reinhard Müller am 30. April 2021 in der F.A.Z. kommentiert, für allzuständig erkärt. Wird die Welt dadurch gerechter, eben generationengerechter? Michael Klonovsky bezweifelt dies – jedenfalls dann, wenn man die Staatsverschuldung gegenrechnet, die in Coronazeiten auch schon ganz ohne „Klimamainstreaming“ in ungeahnte Höhen schießen wird. Aber wie beides zusammengeht, wird uns im grün-schwarzen Deutschland dann ganz öffentlich-rechtlich jeden Abend in den Klimanachrichten vor Acht erklärt werden. Noch Fragen? Ja. Wofür brauchen wir noch Politiker, wenn das Bundesverfassungsgericht jetzt selbst Politik gestaltet und die politische Abwägung konkurrierender Maßnahmen sowieso nicht mehr vorgesehen ist. Denn mit der Weltrettung vor der Klammer können alle politischen Maßnahmen gerechtfertigt werden. Dann erübrigt sich aber auch eine Wahl. Lassen wir doch gleich die Verfassungsrichter entscheiden.

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