Im vergangenen Jahr sorgte ein sogenannter „Kreuzerlass“ des bayerischen Ministerpräsidenten für Aufmerksamkeit: In allen Landesbehörden muss seitdem sichtbar ein Kreuz hängen. Über das Ansinnen der bayerischen Landesregierung wurde kontrovers gestritten. Namhafte Vertreter der wissenschaftlichen Theologie in Bayern haben mit einer ökumenischen Erklärung ihre Zustimmung ausgedrückt. Die Unterzeichner berufen sich darauf, dass der liberale Rechts- und Verfassungsstaat grundsätzlich das Recht hat, sich zu den ethischen Wurzeln seiner Grundwerte zu bekennen und einen entsprechenden, politisch belastbaren Gedächtnisraum zu fördern. Nicht jeder muss die politische Stoßrichtung einer solchen öffentlichen Erklärung teilen. Aber im wissenschaftlichen Diskurs sollte zumindest das Für und Wider der Debatte wahrgenommen werden, zumal wenn diese so strittig geführt wird wie im vorliegenden Fall. In der Einleitung zum Band „Gender -Nation – Religion“ geschieht dies allerdings nicht. Hier wird das Vorgehen des Freistaates Bayern allein als Beleg dafür genommen, wie weit eine „Form des Populismus inzwischen in die sprichwörtliche ‚politische Mitte‘ eingedrungen ist“ (S. 19). Eine Öffentliche, gesellschaftlich relevante Theologie, die zur politischen Urteilsbildung anregen will, wird alternative Beurteilungen, die der eigenen Position widersprechen, nicht einfach ausblenden dürfen. Andernfalls werden möglicherweise Stimmungen erzeugt, überwiegt am Ende der Affekt. Für eine Theologie, die ihrer Diskursverantwortung gerecht werden will, gehört es, das Selbstverständnis und die Bandbreite der unterschiedlichen, durchaus gegensätzlichen Positionen zunächst einmal unvoreingenommen wahrzunehmen. Erst dann werden Akteursstrategien und Diskursverflechtungen in ihrer gesamten Breite und Tiefe verstehbar und vergleichbar.
Sammelrezension für das Themenheft „Populismus und Religion“ der Zeitschrift „Concilium“ zu folgenden Titeln:
Marianne Heimbach-Steins, Maren Behrensen, Linda E. Hennig (Hgg.): Gender – Nation – Religion. Ein internationaler Vergleich von Akteursstrategien und Diskursverflechtungen (Religion und Moderne; Bd. 14), Frankfurt a. M.: Campus 2019, 210 Seiten.
Stefan Orth, Volker Resing (Hgg.): AfD, Pegida und Co. Angriff auf die Religion? (Edition Herder Korrespondenz), Freiburg i. Brsg.: Herder 2017, 203 Seiten.
Thomas Wabel, Torben Stamber, Jonathan Wieder (Hgg.): Zwischen Diskurs und Affekt. Politische Urteilsbildung in theologischer Perspektive (Öffentliche Theologie; Bd. 35), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018, 212 Seiten.
Axel Bernd Kunze (Rez.): Affektiv-emotionaler Überschuss, in: Concilium55 (2019), H. 2, S. 237 – 241.