Ein Land ohne Freiheit(sbewusstsein) ist auf Dauer nicht lebenswert. Doch das Freiheitsbewusstsein schwindet in bedenklichem Maße – und die wenigsten merken es. Und brauchen wohl auch keine Freiheit. Dass in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen, die einmal von ihrem Selbstanspruch her parteipolitisch neutral waren (ich meine nicht: wertneutral), eine parteipolitische Politisierung einzieht, ist nur ein Ausdruck dafür.
Die fehlende Aufarbeitung der freiheitswidrigen Coronapolitik und Ausgrenzung Andersdenkender während der Coronajahre sind nur zwei der Ursachen. Die Früchte ernten wir jetzt. Hochschullehrer, die tief in dei Coronapolitik verstrickt waren, wie Drosten oder Kempen werden uns weiterhin als moralische Vorbilder vorgezeigt. Ihre Ehrungen als „Hochschullehrer des Jahres“ oder Verteidiger der Wissenschaftsfreiheit werden immer fraglicher, je mehr Details über den politischen Druck auf das Robert-Koch-Institut ans Tageslicht kommen. Es steht zu befürchten dass sich das gesellschaftliche Klima unter der neuen Bundesregierung verschärfen wird, vor allem wenn die bleibenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht gelöst werden können. Der kommende Koalitionsvertrag wird aller Voraussicht nach ein Weiter-so beinhalten und – wie wir bei der Klimaneutralität gesehen haben – die Entwicklungsfesseln für unser Gemeinwesen sogar noch verfassungsrechtlich zementieren.
Ich habe früher in einem DFG-Forschungsprojekt gearbeitet, an dessen Wiege der sogenannte PISA-Schock stand und in dem vieles schon akademisch diskutiert und vorgedacht wurde, was heute immer deutlicher wird. Ich will nur einen Punkt nennen: Es kommt nicht mehr auf die Initiative des Einzelnen an. Alles wird in Rechtsansprüche gegenüber den Staat umgedeutet, der alles zu richten und zu erfüllen hat. Wo Freiheitsräume in Leistungsansprüche umgedeutet werden, geht die Freiheit verloren. Vorerst fährt unser Land auf Reserve, taumelt im „Rausch der Dekadenz“ (Josef Kraus) und verspielt zunehmend die notwendige Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft, die es bräuchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Wer es sehen wollte, könnte sehen, was sich pädagogisch an unseren Schulen oder Hochschulen abspielt. Diese vermitteln nicht allein Wissen und Kompetenzen; sie sollten auch aufzeigen, wie diese gewertet sowie lebensdienlich und gemeinwohlförderlich eingesetzt werden können. Kurz: Es geht um Erziehung im weitesten Sinne. Aber über Erziehungsfragen zu reden, ist unbequem, man verschließt lieber die Augen. Denn über Erziehung zu reden, bedeutet, über unsere gemeinsamen Orientierungswerte zu reden. Wer erziehen will, braucht eine Vorstellung von gelingendem Menschsein, von dem, wohin er erziehen will. Und so haben wir die Bezugsdisziplin für Lehrer auf Bildungswissenschaft verkürzt. Doch es geht in einem Bildungssystem, das zur Freiheit befähigen will, immer um einen doppelten Auftrag: zu Bildung und Erziehung.
Was bleibt? Gegenwelten – nicht Utopien! – werden immer wichtiger – als kulturethsiches Langzeitgedächtnis, als Arche, als Ort, wo die analytischen Kräfte geschärft werden können. Denn diese werden wir noch dringend brauchen. Wir brauchen Orte, an denen eine Vorstellung überdauert, was Freiheit eigentlich ist und sein soll.