Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zum Fall Prof. Dr. Martin Wagener: „Die Möglichkeit, solche Meinungen zu äußern, ist für einen lebendigen Meinungskampf und damit für die Demokratie unverzichtbar.“

Die Mitgliederversammlung des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit am 16. Juli 2022 hat eine ausführliche Stellungnahme zum Fall Martin Wagener verabschiedet und sich mit dem Kollegen solidarisiert:

Stellungnahme zum Entzug des Sicherheitsbescheids für Prof. Dr. Martin Wagener

(beschlossen auf der Mitgliederversammlung am 16. Juli 2022 in Frankfurt am Main)


Der Geheimschutzbeauftragte des Bundesnachrichtendienstes (BND) hat Martin Wagener (Professor für Internationale Politik, Sicherheitspolitik und Ostasien am Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung) am 10.5.2022 den Sicherheitsbescheid für seine Lehrtätigkeit am Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung entzogen.  Seine akademische Lehre kann Prof. Dr. Wagener damit nicht mehr erteilen. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit wertet diese Maßnahme als einen eklatanten Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit von Forschung und Lehre, auf das sich auch ein Professor an der Hochschule des Bundes in vollem Umfang berufen kann. Es fordert den BND nachdrücklich auf, die Maßnahme rückgängig zu machen.

Wie Prof. Wagener in seinen beiden Podcasts Nr. 22 und Nr. 23 vom 24.5.2022 [1] berichtet, wurde die Entscheidung des BND aufgrund eines Gutachtens des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) getroffen, dessen Einsichtnahme ihm bislang offiziell verweigert wird. Inoffiziell konnte er das Gutachten aber einsehen, und er nimmt darauf in einem gewissen Maße auch Bezug, wobei bisher unseres Wissens keine seiner Referenzen auf das Gutachten beanstandet wurden. Dieses Gutachten soll ihm extremistische Bestrebungen unterstellen mit dem Argument, er vertrete in seinem Buch »Kulturkampf um das Volk« einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff. Prof. Wagener weist darauf hin, dass er dort wie auch in mehreren öffentlichen Äußerungen einen ethnisch abstammungsmäßigen Volksbegriff explizit abgelehnt habe und dass ein solcher Volksbegriff zudem nicht verfassungswidrig sein könne, weil er sowohl im Grundgesetz als auch in regierungsamtlichen Äußerungen nachweislich Verwendung finde. Das Netzwerk sieht keinen Anlass, an derDarstellung von Prof. Wagener zu zweifeln, und ist besorgt darüber, dass hier offenbar einem Hochschullehrer allein aufgrund seiner wissenschaftlichen Äußerungen von einer staatlichenBehörde die Freiheit der Lehre entzogen wird.

Bereits in der Vergangenheit haben die Verfassungsrechtler Gerd Morgenthaler und Dietrich Murswiek bescheinigt, dass nichts Verfassungsfeindliches in dem obengenannten Buch vorliege. Auch Prof. Wagener selbst legt in seinem Podcast Nr. 23 für das Netzwerk gut nachvollziehbar dar, dass sich aus den vom BfV beanstandeten Passagen seines Buchs keinerlei Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ableiten lassen (also die Absicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder Bestand des Staates zu bekämpfen). Der Standpunkt des BfV erscheint bei einer solchen Sachlage willkürlich.

Willkürlich ist dann auch das Vorgehen des BND, insofern dieser Prof. Wagener – anders als das BfV – durchaus Verfassungstreue bescheinigt, dann aber doch das nicht nachvollziehbar begründete BfV-Gutachten als Handhabe für seine Maßnahme gebraucht: In dem Anschreiben des Geheimschutzbeauftragten an Prof. Wagener, das dieser (mit Einwilligungdes BND) zitiert, heißt es unter anderem: »[…] eine ganze Reihe von Publikationen, die wir im Rahmen unserer Prüfung eingesehen haben […] [erscheinen] vom Verfassungsbogen des Grundgesetzes …. zumindest gedeckt […]. Dies gilt auch für Ihre ablehnende Haltung zur Migrationspolitik oder auch Ihre kritische Haltung zur Rolle des BfV, insbesondere zur Amtsführung des BfV. Die Möglichkeit, solche Meinungen zu äußern, ist für einen lebendigen Meinungskampf und damit für die Demokratie unverzichtbar« (Hervorhebung hinzugefügt). Dieser Sicht der Dinge schließt sich das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit vollumfänglich an. Mit großer Sorge sieht es indes die anschließende Aussage des Anschreibens, wie sie Martin Wagener glaubhaft zitiert: »Aber auch diese Aspekte sind nicht ausreichend, um das Gewicht der BfV-Gutachten auszuhebeln«. Selbst nach der Ansicht des BND scheint es somit nicht die inhaltliche Argumentation des BfV, sondern allein die formale Autorität seines Gutachtens zu sein, das den Ausschluss von Prof. Wagener von seiner Lehrtätigkeit rechtfertigen soll. Die Maßnahme der BND stellt bei einer solchen Sachlage einen rechtswidrigen Eingriff in die Freiheit der Forschung und der Lehre dar.

Aus Sicht des Netzwerkes ist es nicht die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit, eines Eckpfeilers des demokratischen Rechtsstaats, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates gefährdet, sondern ihre Beschränkung. Es fordert den BND und das BfV als Maßstabsgeber des Verfahrens auf, die Wissenschaftsfreiheit von Martin Wagener angemessen zu achten – um der freiheitlich demokratischen Grundordnung willen. [1] Podcast Nr. 22 v. 24.5. 2022: »Etappensieg des Verfassungsschutzes. Oder: die Macht der Intrige«; Podcast Nr. 23 v. 24.5.2022: »Sieben „verdächtige“ Aussagen: Die konkreten Vorwürfe des Verfassungsschutzes« (https://martin-wagener.org).

Quelle: https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/presse/stellungnahmen-und-offene-briefe/

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