Unser Gastautor hat angesichts der neueren Entwicklung um das Münchner Missbrauchsgutachten einen Anschlusskommentar verfasst.
Ein Gastbeitrag von Stefan Martin
Die Dinge beginnen sich zu klären. Während die Juristen und Anwälte um Professor Mückl weiterhin Ihren Arbeitsauftrag erfüllen und den Panzer des (Kirchen)rechts schützend vor den Papst emeritus halten, spricht Benedikt selbst erstmals von „übergroßer Schuld in die wir hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht.“
In dieser schwersten Kirchenkrise der vergangenen Jahrzehnte gilt es mindestens drei Dinge voneinander zu trennen: 1. Die Frage nach der moralischen Schuld Benedikts 2. Die Frage nach dem kirchenrechtlichen Tatbestand 3. Die Frage nach der Verantwortung Benedikts als damaligem Erzbischof von München und Freising für die Vorfälle sexuellen Missbrauchs unter seiner Ägide.
Ob Benedikt moralische Schuld auf sich geladen hat, weiß Gott der Herr allein. Ich jedenfalls maße mir nicht an, darüber zu urteilen. Die Frage, ob sein Verhalten einen Tatbestand im kirchenrechtlichen Sinn darstellt, wurde von Mückl et al. in ihrer 82seitigen Stellungnahme und den ergänzenden Erläuterungen vom 08. Februar mit einem eindeutigen Nein beantwortet. Für mich als Katholiken und Nicht-Juristen stellt sich damit die Frage, was ein Kirchenrecht wert ist, wenn es Exhibitionisten unverhohlen schützt. Das Kirchenrecht ist ein stumpfes Schwert, wenn es im „Entblößen des Geschlechtsteils vor vorpupertären Mädchen und der Vornahme von Masturbationsbewegungen“ keine Form der Täterschaft erkennt. Geradezu perfide aber wird es, wenn sich ein ehemaliges Kirchenoberhaupt hinter ebendiesem Kirchenrecht versteckt um sich seiner Verantwortung zu entziehen. Es grenzt an Schizophrenität, wenn die Anwälte von Benedikt in der Erklärung vom 08. Februar zwar auf der einen Seite betonen, dass Benedikt die exhibitionistischen Handlungen „nicht verharmlost, sondern ausdrücklich verurteilt“, und im gleichen Atemzug bekräftigen „dass es sich nach dem damals geltenden Recht nach Einschätzung der kirchenrechtlichen Berater bei Exhibitionismus nicht um eine kirchenrechtliche Straftat handelte, da die einschlägige Strafvorschrift derartige Verhaltensweisen tatbestandlich nicht erfasste.“
Ja was denn nun? Entweder die Kirche ist gewillt das Verhalten auffällig gewordener Priester zu sanktionieren indem sie ihnen die weitere seelsorgerliche Tätigkeit einstweilen untersagt und – nicht minder wichtig – die Taten bei einem weltlichen Gericht zur Anzeige bringt, oder aber sie versteckt sich weiterhin hinter einem Kirchenrecht das seinen Namen nicht verdient.
Hier sind wir an einem entscheidenden Punkt angekommen: Der Frage der Verantwortung des Papstes und der Bischöfe bei Vorfällen ähnlicher Art, wie sie in der Vergangenheit hundertfach zu Tage getreten sind. Hier muss endlich ein Paradigmenwechsel her, das muss schnellstmöglich zur Chefsache gemacht werden! Vertuschen, abstreiten und sich hinter dem Kirchenrecht verstecken ist der sichere Weg zum schnellen und vollständigen Kollaps des „Systems Kirche“. Was hat den damaligen Erzbischof von München und Freising denn daran gehindert seine Mitarbeiter anzuweisen, ihm Fälle sexuellen Missbrauchs unverzüglich vorzulegen? Offensichtlich war das nicht gewünscht. Benedikt ist seiner Verantwortung in diesem Punkt schlichtweg nicht nachgekommen. Dies auch öffentlich auszusprechen, und das Kirchenrecht Kirchenrecht sein zu lassen, wäre das Gebot der Stunde.