Freiheit meint nicht Regellosigkeit. Und nicht jeder, der Regeln, die selbstverständlich gerechtfertigt werden müssen, einfordert, hat ein mangelndes Freiheitsverständnis. Aus einem freiheitlichen Gesellschaftsverständnis heraus verstehe ich Freiheit als eine Freiheit, die produktiv werden soll. Eine solche Freiheit ist etwas anderes als Anarchie, Beliebigkeit oder Willkür. Zu einer solchen Freiheit gehört auch ein Mäßigungsgebot im öffentlichen Raum und der Verzicht auf Ideologisierung. Ideologie ist ein Modus des Diskursgebrauchs – keine Theorie ist davor gefeit. Wenn wir allerdings das Gendern im öffentlichen Raum billigen, wird eine Moralisierung, Polarisierung und Vermachtung des öffentlichen Diskurses die Folge sein. Ein Mehr an Freiheit entsteht dadurch nicht, nur ein permanenter Rechtsfertigungszwang.
Auf diesen Weg schwenkt nun auch das Bistum Hildesheim ein: mit seiner Handreichung zur geschlechtersensiblen Sprache. Alles natürlich nur Empfehlungen, ganz sanft – und ohne administrativen Druck von oben. Denn immerhin haben alle großen Verbände des Bistums mitgearbeitet. Opposition zur Amtskirche ist dieses Mal nicht vorgesehen, alle sind sich wunderbar einig. Der Generalvikar singt das Hohelied von Vielfalt, Wertschätzung, Toleranz und Gleichberechtigung. Man möchte meinen, der himmlische Friede kehre im norddeutschen Diasporabistum zwischen Elbe und Weser, Nordsee und Harz nun ein. Dies wird aber mitnichten der Fall sein.
Mitunter wird das „Gendern“ in der Sprache mit einem Gesslerhut verglichen. Nehmen wir mal an, der Vergleich stimmt (wohlwissend, dass Vergleiche immer hinken): Einem Gesslerhut gegenüber kann man sich nicht „nichtverhalten“. Jede Haltung dem Gesslerhut gegenüber wird als Reaktion gedeutet. Und damit zieht ein Bekenntniszwang ein. … der erste Gesslerhut war ein Machtmittel der habsburgischen Obrigkeit. Heute gibt es leider auch genügend gesellschaftliche Gesslerhüte, für die es gar keine Obrigkeit mehr braucht. Und die Kirche macht bei diesem Spiel munter mit.
Es ist schon mehrfach gesagt worden: Gendersprache ist übergriffig und ausgrenzend. Sie besetzt den öffentlichen Raum mit einer radikalkonstruktivistischen Weltanschauung, moralisiert unseren alltäglichen Sprachgebrauch, zerstört die Schönheit und die Differenzierungskraft unser Sprache – und vermachtet den öffentlichen Diskurs. Jetzt eben auch in der Kirche.
Doch wer ehrlich zu sich selbst ist, sollte erkennen: Gendersprache ist etwas Aufgesetztes, Künstliches, durch politischen Zwang Durchgedrücktes – sonst würde diese auch bei Romanen oder Lyrik funktionieren. Wer wollte Goethes Faust schon „gendergerecht“ lesen?
Angesichts der Zeitgeistigkeit der Kirche, die sich im Bistum Hildesheim nur einmal mehr zeigt, kann jedem, der unsere deutsche Sprache noch liebt, schon jetzt das Grausen packen: vor der Zeit, da auch die Bibel gegendert sein wird, Lektor*innen sich beim Lesen in der Liturgie verhaspeln, wenn sie den Asteriskus mitlesen müssen, und die Psalmen unsingbar werden, weil sie wie eine Behördenvorlage aus der kirchlichen Verwaltung klingen werden.