Axel Bernd Kunze rezensiert in Heft 3/2020 der schulpädagogischen Fachzeitschrift „engagement“, das erst in diesen Tagen erschienen ist, den Band
Brigitte Benz, Benedikt Kranemann (Hgg.) (2019): Deutschland trauert. Trauerfeiern nach Großkatastrophen als gesellschaftliche Herausforderung, Würzburg: Echter, 187 Seiten.
Unter anderem geht es um die Frage, inwieweit multireligiöse Trauerfeiern möglich sind:
„Angehörige verschiedener Religionen könnten, wie die Gebetstreffen von Assisi gezeigt haben, zusammenkommen, um zu beten, aber sie könnten nicht zusammen beten. Allerdings, so Haunerland, stehen die Kirchen vor der Wahl: Sie könnten mit ihrer Ritualfähigkeit und ihrer Tradition solche Räume eröffnen und zugleich anderen Religionen die gleichberechtigte Teilnahme daran ermöglichen. Wollten sie sich diesem religionsübergreifenden Dienst in einer zunehmend pluraler werdenden Gesellschaft verweigern, würden sie den Staat in eine ritualproduzierende Rolle drängen, die zwangsläufig staatliche Kompetenzüberschreitungen nach sich ziehen würde. Indirekt klingt zwischen Haunerlands Zeilen durch, dass er eine stärker zivilreligiöse Funktion des Staates durchaus dessen freiheitlichem Charakter gegenüber für abträglich hält.
Der vorliegende Band hält sich mit Antworten zurück und trägt eher den Charakter einer Bestandsaufnahme und Fragensammlung. Man wird aber mit Recht annehmen dürfen, dass uns diese Fragen künftig stärker beschäftigen werden.“
Eine weitere Rezension im selben „engagement“-Heft würdigt den Band:
Konrad Hilpert (2019): Ethik der Menschenrechte. Zwischen Rhetorik und Verwirklichung, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 347 Seiten.
„Und wie steht es um ein Recht auf Bildung? Hilpert betont dessen Bedeutung für soziale und ökonomische Teilhabe, betont aber gleichfalls, dass Bildung sich darin nicht erschöpfe, sondern einen Selbstwert besitze. Das Recht auf Bildung schütze nicht zuletzt, so Artikel 26 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948, die „volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit“, ziele – so Hilpert in eigenen Worten – auf „tiefe und persönlich befriedigende Beziehungen“. Dass Bildung die intellektuelle Integrität des Einzelnen schützt sowie das Leben beziehungs- und anregungsreicher und damit auch genussvoller macht, daran ist immer zu erinnern gegenüber einem auf funktionale Kompetenzen reduzierten Bildungsverständnis – so als sei Bildung nur eine Durchgangsstation zu Aufstieg, Wohlstand und volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. All das ist Bildung auch, aber eben sekundär. An erster Stelle steht die Freisetzung des Einzelnen zur Selbsttätigkeit, weil nur so dem Gemeinwesen am Ende am besten gedient ist.
Hilpert betont die antiautoritärre und antitotalitäre Spitze dieses Rechts: „Über die Weichenstellungen der Bildung und die Förderungsangebote haben nicht irgendwelche Korporationen zu entscheiden, sondern in erster Linie die Eltern. – Auf der anderen Seite soll der Staat nicht das Recht haben, Kinder dem Einfluss ihrer Eltern zu entziehen, es sei denn, die Eltern würden sich der Verantwortung für ihre Kinder entziehen, die Kinder misshandeln oder sie vernachlässigen“ (S. 224). Soweit richtig und nachvollziehbar. Nicht ganz plausibel allerdings ist, warum Hilpert die Gefahr konkurriender, ideologischer Einflussnahmen durch Verziehung dann aber vornehmlich bei staatlichen Jugendorganisationen verortet. Wir brauchen uns nur die beiden deutschen Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts anzusehen, um zu erkennen, welche Zugriffsmöglichkeiten der Staat auf die junge Generation auf diese Weise besitzt. Nicht minder groß sind aber auch die Zugriffsmöglichkeiten des Staates durch das Schulwesen und die staatlichen Lehrpläne (gerade deshalb gehört zum Menschenrecht auch eine gesicherte Privatschulfreiheit). Dies gilt bereits für das demokratische Staatswesen. Denn es bleibt für den Staat, auch in unsrigen Tagen, eine Versuchung, nicht allein die Handlungsfähigkeiten seiner Bürger zu fördern, sondern auch deren Gesinnung und Denkungsart zu steuern. Am Ende stünden nicht Schüler, die gelernt haben, „richtig“ zu denken, sondern solche, die es überhaupt verlernt haben, selbständig zu denken. Die Menschenrechte öffnen vielmehr einen Raum gesellschaftlicher Selbstorganisation und freier Vergemeinschaftung, der eine lebendige Pflege sozialethischer Orientierungswerte jenseits staatlicher Lenkung zulässt.“