Schlaglicht: Streik als öffentliche Geiselnahme?

Die Katholische Soziallehre hat bis heute keine rechte Sozialethik des Öffentlichen Dienstes entwickelt. Ein stabiler und verlässlicher Öffentlicher Dienst ist für die Leistungsfähigkeit des Staates von entscheidender Bedeutung. Die Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst haben Anspruch auf eine faire Bezahlung und sie haben das Recht, dafür zu kämpfen, wie andere Berufsgruppen auch. Warum soll ein Streik im öffentlichen Dienst abwegig sein? So schreibt es Max Weinkamm, ehemals Energiepolitischer Referent im Vorstandsstab der Bayernwerk AG, Geschäftsführer des Kolping-Bildungswerkes Bayern und Sozialreferent der Stadt Augsburg, in der aktuellen Ausgabe von ACADEMIA, der Zeitschrift des Cartellverbandes katholischer deutscher Studentenverbindungen (CV). Der Titel seines Beitrags: „Der Streik als öffentlche Geiselnahme“ (Ausgabe 6/2020, S. 57 f.).

Wie das Gemeinwohl verwirklicht werden soll, ist nicht einfach vorgegeben; hierum muss immer wieder von neuem gerungen werden. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen: Der Dritte Weg der Kirchen kennt kein Streikrecht. Man mag dazu stehen, wie man will. Die Kirche hat allerdings bis heute kein eigenes Modell der Lohnfindung zu Wege gebracht, sondern schließt sich den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst an. Verzichteten die Kirchen darauf, würden sie zahlreiche Fachkräfte verlieren. Auch Weinkamm bleibt die Antwort schuldig, wie auf andere Weise die Gehälter im Öffentlichen Dienst festgesetzt werden sollten. Ein Schiedsgericht – wie vorgeschlagen – könnte über das Verfahren der Lohnfindung wachen. Welche finanzpolitischen Spielräume zur Verfügung stehen, kann nur tarifpolitisch entschieden werden.

Den Streik im Öffentlichen Dienst als „Geiselnahme“ zu verzerren, ist populistische Stimmungsmache. Genauso könnte man sagen, eine Verkäuferin im Einzelhandel nehme die Konsumenten in „Geiselhaft“. Weinkamms Beispiele lassen eine andere Vermutung aufkommen: Man will einen Staat, der das Leben schön macht, aber bitte zu geringen Kosten. Die Erziehung der Kinder bleibt erste Pflicht der Eltern, so steht es im Grundgesetz. Es gibt gute Gründe für Kindertageseinrichtungen. Doch wer staatliche Leistungen will, muss die Berufe im Öffentlichen Dienst ordentlich bezahlen. Alles andere ist  unehrenhaft und vertragsbrüchig. Und dort wo der Staat aus hoheitlichen Gründen Streiks ausschließen will, muss er verbeamten.

Spielt Weinkamm mit seiner Kolumne „Ansichtssache“ auf die diesjährigen Warnstreiks in Kindergärten und im Nahverkehr an? Dann soll er Ross und Reiter nennen. Erst unter dem Druck von Warnstreiks hat die Dienstgeberseite ein Verhandlungsangebot vorgelegt. Ver.di hatte allen Grund zu streiken. Auch eine coronabedingte Nullrunde hätte tarifpolitisch begründet werden müssen. Nicht die Erzieherinnen haben Eltern die Kinderbetreuung verweigert, sondern die Dienstgeberseite wollte sich aus der Verantwortung stehlen.

Dass der Staat nach Gutsherrenart in der Coronakrise irgendwelche Prämien an Pflege-, Gesundheits- oder Bildungsberufe verteilt, zerstört die Tarifautonomie und macht die Lohnfindung zum Spielball der Parteipolitik. Unser Zusammenleben braucht gut funktionierende Institutionen, richtig. Zu diesen gehört auch die Tarifautonomie. Wer diese als „Eigennutz“ verunglimpft, begeht ein Foul.

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