Christiane Thiele, evangelische Theologin sowieso Studentenpfarrerin in Halle an der Saale, hat im „Deutschlandfunk“ vorgeschlagen, den Pfingstmontag zu streichen – zugunsten des Versöhnungstages Jom Kippur. Neu ist der Vorschlag nicht: Er wurde zuvor schon durch den Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf, Vertreter der liberalen Theologie, ins Spiel gebracht. Wenn man die aktuelle Stimmungslage im Land bedenkt, steht zu befürchten: Steter Tropfen höhlt auch hier den Stein.
Was auffällt, ist zunächst einmal die Begründung. Bei Lichte besehen, geht es der umtriebigen Theologin gar nicht um das Judentum. Ein allgemeines Versöhnungsfest soll es werden. Denn Versöhnung sei für alle Menschen wichtig. Religiöse Inhalte werden aufgelöst in einen schwammigen Humanismus, der irgendwie für alle zustimmungsfähig sein soll, außer natürlich für AfD-Wähler, konservative Traditionalisten und solche unverbesserlichen Stammtischbrüder, die das christliche Abendland noch nicht wie Kardinal Marx verabschiedet haben.
Im Kern geht es wieder einmal um ein Projekt, Identität auszulöschen, die eigene kulturelle Prägung unseres Gemeinwesens zu verneinen und irgendwie progressiv zu wirken. Der sattsam bekannte Kirchensound in Dauerschleife: Vielfalt ist gut. Die christliche Feiertagskultur oder was von ihr überhaupt noch übrig ist, taugt nur noch als Verschiebemasse. Auf einen Feiertag mehr oder weniger kommt es nicht an, Hauptsache, die liberale Seele hat ein gutes Gewissen. Orientierungswerte sind sowieso austauschbar, die Kirchen haben nichts mehr zu sagen, ein allgemeiner Humanismus wird es schon richten.
Die Coronakrise hat die Sprachlosigkeit der Kirchen mehr als deutlich werden lassen. Dass die Kirchen ihren Teil zum Infektionsschutz beitragen, ist richtig und lässt sich theologisch begründen. Dass sie theologisch sprachlos werden und ihren liturgischen Heilsdienst selber für entbehrlich erklären, hat der Staat nicht gefordert. Dafür sind die Kirchen selbst verantwortlich. Dass die Bundeskanzlerin am Ende des Stillstands von Geschäften und Friseurläden sprach, nicht aber von Gottesdiensten, haben die Kirchenverantwortlichen sich selbst zuzuschreiben – oder wie es Peter Hahne auf wunderbare Weise ausgedrückt hat: „EDEKA statt EKD“.
Am Ende könnte selbst den gutmütigsten Gläubigen auffallen, dass sie Gottesdienst und Predigt gar nicht brauchen – jedenfalls dann nicht, wenn die Kirchen nur das erklären, was der politische Mainstream immer schon sagt, von Mülltrennung über Klimarettung bis Gendergerechtigkeit.
Nur ein aktuelles Beispiel sei genannt: Nach langen Wochen des Schweigens gibt es eine erste sozialethische Auseinandersetzung mit der „Coronakrise“ – endlich, möchte man ausrufen. „Solidarität in der Corona-Gesellschaft“ heißt das Heft, das innerhalb der sogenannten Grünen Reihe der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle erschienen ist, verfasst von der Freiburger Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer und ihrem Mitarbeiter, Lukas Schmitt. Zunächst wird seitenlang referiert, was jeder Zeitungsleser nach drei Monaten Coronakrise mehr als zur Genüge weiß. Dann eine Seite Schlussfolgerungen – mit folgendem Dreiklang: 1. Christliche Sozialethik könne angesichts der aufgezeigten Ambivalenzen keine fertigen Lösungen anbieten. 2. Sie müsse dabei auch erkennen, dass die Strategie der tastenden Schritte und des Fahrens auf Sicht die neue Normalität sei. 3. Im Hintergrund der vielfältigen gesellschaftlichen Diskurse stünden die beiden existentiellen Fragen: „Was ist der Mensch?“ und „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ – Ja, ist das alles!? Kein Wort zu Vorrangregeln, zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel, zu den grundrechtlichen Konflikten im Rahmen der Pandemievorsorge, zur Rolle des Staates, zu einer sozialethisch gebotenen Krisenvorsorge, zur strittigen Frage der Lastenverteilung nach Ende des Stillstands, zu den damit verbundenen wirtschaftsethischen Implikationen, zu angemessenen Reaktionen auf die zu erwartenden Steuerausfälle und Staatsschulden …
Kommen wir auf die Feiertagsfrage zurück. Wenn es schon darum geht, einen allgemein konsensfähigen Feiertag zu schaffen … – warum nehmen wir nicht den 5. Oktober? Welttag des Lehrers! Der ist religiös neutral, und Bildung ist mindestens so gut wie Vielfalt – wer wollte etwas dagegen haben!? Immerhin hat das erzwungene „Homelearning“ doch vor Augen geführt, wie systemrelevant Lehrer sind. Und wer immer noch nicht überzeugt ist, sollte bedenken: Der 5. Oktober lässt sich in Deutschland wunderbar durch einen Brückentag mit dem Tag der Deutschen Einheit verbinden. Einem Herbsturlaub steht damit nichts mehr im Wege, ganz ohne störende religiöse, identitätsstiftende Bezüge. Was will man mehr.
Allen einen gesegneten Pfingstmontag, solange wir ihn noch haben!
Literaturhinweis:
Axel Bernd Kunze: Woraus lebt ein Gemeinwesen? Sozial- und bildungsethische Überlegungen zu den kulturellen Grundlagen des Staates, in: Alexander Dietz, Jan Dochhorn, Axel Bernd Kunze, Ludger Schwienhorst-Schönberger: Wiederentdeckung des Staates in der Theologie, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020 [erscheint voraussichtlich im Herbst 2020].
Ganz herzlichen Dank für das Schlaglicht „Wort zum Pfingstmontag“! Der Text ist gut und wirkt auf mich geradezu „ein Stück befreiend“. Als „noch aktiver katholischer Religionslehrer an einer Münchner Berufsschule“ kann ich mich inhaltlich „voll anschließen“ und ich weiß auch von etlichen KollegInnen, daß wir hierbei nicht allein sind!
Herzliche Grüße
Dr. Hans-Michael Tappen
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