Zwischenruf: Der Gottesdienst muss weitergehen – auch ohne öffentliche Versammlung!

„Man redet lang und viel“, so Christian Geyer am 30. März 2020 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung [1]. Und verfehlt dann doch, was in herausfordernden Zeiten wie den gegenwärtigen zu sagen wäre. Nicht zum ersten Mal in der aktuellen Krise nimmt der Journalist scharfzüngig, aber durchaus treffend die Stellungnahmen seiner „Kollegen“ aus dem theologischen Feuilleton auseinander.

Aus Infektionsschutzgründen sind öffentliche Versammlungen verboten, auch in Kirchen, nicht aber Gottesdienste an sich. Und diese sollten weiterhin stattfinden, genauso wie das Osterfest in zwei Wochen. Sollte man meinen. Denn nichts gibt mehr Halt als ein Ritus, der auch in Krisenzeiten weitergeführt wird. Nichts entspricht dem sakramentalen Charakter der Kirche mehr als Priester, die stellvertretend und fürbittend den heiligen Dienst vollziehen. Und nichts ist tröstlicher als das Bewusstsein, dass es in der Liturgie eben doch immer um mehr geht als um das, was sich gerade hier und jetzt soziologisch erklären lässt. Gefragt sind jetzt nicht ein pastoralsoziologischer Kult um die Gemeinde, auch keine spirituellen Banalitäten oder niedrigschwelligen Trivialritualisierungen. In Krisenzeiten braucht es nicht spirituelles Toastbrot, sondern geistliches Schwarzbrot.

Vielfach war es die Kirche mit ihrer jahrhundertealten Kontinuität, die in Krisenzeiten Halt und Orientierung zu geben vermochte. Und was hören wir von Theologen jetzt? Da werden von Liturgiewissenschaftlern „Geistermessen“ kritisiert  [2] – als würde nicht jede Messe, und sei der Kreis der Mitfeiernden auch noch so klein, nicht privatissime, sondern gerade in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche gefeiert, der irdischen wie der himmlischen. Da wird gefordert, das Osterfest zu verschieben [3] – als sei der Auferstehungsglaube so etwas wie ein Pfarrfest, das man nur feiern kann, wenn die Gemeinde auch tatsächlich zu Bier und Bratwurst zusammenkommt. Da kommt aus der Schweiz der theologische Vorschlag für ein priesterloses Gedächtnismahl [4] – als sei das Sakrament nur ein kirchenpolitisches Vehikel, mit dem man, die Gunst der Stunde nutzend, die eigene theologische Privatmeinung durchsetzen könne. Da ätzt eine Theologin gegen einen „Retrokatholizismus“ [5] – als wolle man den Gemeinden nicht nur die öffentlichen Gottesdienste, sondern auch noch die private Volksfrömmigkeit nehmen. Und schließlich werden von Theologen, die sonst nicht oft genug fordern können, die Kirche müsse mit der Zeit gehen, im Internet übertragene Gottesdienste skandalisiert [6] – ohne sich vorstellen zu können, dass diese für viele Hochbetagte die letzte Möglichkeit sind, gemeinsame Gottesdienste überhaupt noch wahrzunehmen. Die Päpste früherer Zeiten hatten weniger Berührungsängste mit neuer Medientechnik und haben diese sehr offensiv für ihre Zwecke eingesetzt.

„Ihr macht uns die Kirche kaputt …“ [7] – möchte man da ausrufen, wenn dieser Buchtitel nicht schon längst besetzt wäre. Die Vorschläge zeugen weder von religionsgeschichtlichen Kenntnissen noch von pastoraler Sensibilität. Vielen Theologen scheint der Halt abhandengekommen zu sein. Beständige Dekonstruktion als theologisches Lieblingsspiel …

Doch eine Kirche, die gerade jetzt „zeitgemäß“ sein wollte (in Anlehnung an eine Formulierung des schon zitierten Christian Geyers in der Frankfurter Allgemeinen vom 25. März 2020 [8]), braucht anderen theologischen Rat. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, welchen Halt Tradition zu geben vermag: nicht als leere Form, sondern als Tabernakel, als ein Schatzkästlein geistlicher Nahrung, die auch in Zeiten der Dürre sättigt und am Leben erhält. Dies mögen für den einen Formen der Volksfrömmigkeit sein, etwa das Rosenkranz- oder Angelusgebet, für den anderen das Stundengebet  [9], und für den dritten die Mitfeier eines Gottesdienstes im Internet – alles Formen, auch ohne öffentliche Versammlung die kirchliche Verbindung zu pflegen und aus der Kraft der Liturgie zu leben. Hierfür sollten die Bischöfe Hilfestellung geben, wie es ein Erfurter Hirtenbrief mit seinen Vorschlägen zum häuslichen Nachvollzug der Kar- und Osterliturgie versucht. [10]

Es gehört zum juridischen Charakter des römischen Katholizismus, dass Bischöfe nun von der Sonntagspflicht dispensieren – das soll auch so bleiben. Gleichzeitig wäre es aber auch wichtig, die Priester anzuhalten, das gottesdienstliche Leben auch ohne öffentliche Versammlung in den Kirchen weiterzuführen. Kirche ist Heilsanstalt. Und als solche ist sie immer größer als die Gemeinde vor Ort, so wichtig die Kirchengemeinde vor Ort pastoral auch ist.

Mit welch unterschiedlicher Haltung der Coronakrise liturgisch begegnet wird, kann ein Vergleich verschiedener Gottesdienstankündigungen deutlich machen. In meiner Wohnortpfarrei erscheint der wöchentliche Pfarrbrief weiterhin; doch wo sonst immer der kirchliche Kalender mit den Gottesdienstzeiten abgedruckt wurde, steht nur noch der dürre Hinweis „Wegen der Corona-Krise müssen alle Gottesdienste bis einschließlich Sonntag, 19. April entfallen.“ – … müssen jetzt alle Gottesdienste „entfallen“!? Oder gilt dies nicht vielmehr nur für die öffentliche Mitfeier!?

Zwei Beispiele wie es auch anders geht: Der Verfasser ist häufig im nordenglischen Durham zu Gast. Die dortige römisch-katholische Pfarrei St. Cuthbert führt weiterhin alle Eucharistiefeiern auf, und zwar als „No Public Mass“. [11] Offensichtlich ist den englischen Priestern nicht bewusst, welchen liturgischen und geistlichen Flurschaden sie damit nach Ansicht deutscher Theologieprofessoren anrichten. Und im Rundbrief des Rektorats Canisianum der Priesterbruderschaft St. Petrus in Saarlouis liest sich die gegenwärtige Situation folgendermaßen: Auch hier wird die volle Messordnung abgedruckt – mit dem Hinweis: „Bitte berücksichtigen Sie die Bestimmungen des Bistums Trier, ob die Hl. Messen mit Beteiligung der Gläubigen gefeiert werden können.“ Ein klares Signal: Das liturgische Leben der Kirche geht weiter – auch in Zeiten der Krise.

An deren Ende wird sich zeigen, ob der gemeinsame Gottesdienst vermisst wurde oder nicht. Hoffen wir, dass er vermisst wird – weil es um die Verehrung Gottes geht. Wäre es anders, sollte dieses ein alarmierender Weckruf an die kirchlich Verantwortlichen sein.

[1] Christian Geyer: Man redet lang und viel. Der Kirchenreformdiskurs verfehlt die Debatte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 76 v. 30.03.2020, S. 11.

[2] Albert Gerhards, Benedikt Kranemann, Stephan Winter: Privatmessen passen nicht zum heutigen Verständnis von Eucharistie, in: katholisch.de, 18.03.2020, https://www.katholisch.de/artikel/24874-privatmessen-passen-nicht-zum-heutigen-verstaendnis-von-eucharistie.

[3] Clemens Leonhard: Ostern doch noch verschieben?, in: feinschwarz.net. Theologisches Feuilleton, 30.03.2020, https://www.feinschwarz.net/ostern-doch-noch-verschieben/.

[4] Daniel Bogner: Diese Krise wird auch die Kirche verändern, in: katholisch.de, 26.03.2020, https://www.katholisch.de/artikel/24963-diese-krise-wird-auch-die-kirche-veraendern.

[5] Julia Knop: „Ein Retrokatholizismus, der gerade fröhliche Urständ feiert“ – Julia Knop warnt vor kirchlichen Rückschritten angesichts Corona, in: Theologische Schlaglichter auf Corona, 26.03.2020, https://theologie-aktuell.uni-erfurt.de/warnung-vor-retrokatholizismus-knop/.

[6] Vgl. Johannes Loy: Winzige Gemeinde im Dom – dafür eine große im Netz, in: Westfälische Nachrichten, 20.03.2020, https://www.wn.de/Muensterland/4174192-Internet-Gottesdienste-Winzige-Gemeinde-im-Dom-dafuer-eine-grosse-im-Netz.

[7] Daniel Bogner: Ihr macht uns die Kirche kaputt … … doch wir lassen das nicht zu!, Freiburg i. Brsg. 2019.

[8] Christian Geyer: Jetzt ganz zeitgemäß. Die Messe ohne Volk, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 72 v. 25.03.2020, S. N 3.

[9] Wer mag kann auch dies via Internet in Gemeinschaft tun, etwa über den Livestream des Erzbischöflichen Priesterseminars Salzburg (t1p.de/priesterseminarsalzburg), über den täglich die Laudes und die Vesper „gestreamt“ werden.

[10] Kar- und Ostertage anders, bewusster erleben als sonst. Brief von Bischof Ulrich Neymeyr an die katholischen Christen in Vorbereitung auf Ostern (30.03.2020), in: https://www.bistum-erfurt.de/presse_archiv/nachrichtenarchiv/detail/kar_und_ostertage_anders_bewusster_erleben_als_sonst/.

[11] https://www.stcuthberts-durham.org.uk/archives/274.

 


Anmerkung der Redaktion

Der vorliegende Beitrag wurde als Leserbrief zum zitierten Beitrag von Clemens Leonhard (30.03.2020) vom Debattenportal „feinschwarz.net – Theologisches Feuilleton“ für eine Veröffentlichung abgelehnt. Früher stand ein Feuilleton einmal für den streitbaren Meinungskampf: Gekämpft wurde mit dem scharfen Schwert des freien Wortes um das bessere Argument. Und es gab Zeiten – aber es sind nicht die unsrigen – da übersetzte man Polemik noch mit Streitkunst – oder wie es die „Fliegenden Blätter“ einmal ausgedrückt haben: „Was ist Polemik? Eine öffentliche und moralische Balgerei zwischen zwei gebildeten Menschen, wobei statt Blut Tinte fließt.“ Aber ein solcher Streit hat in der Theologie gegenwärtig keine Heimat mehr. Auf Dauer bekommt dies einer Disziplin nicht. Streit belebt; alles schon von vornherein besser zu wissen, verödet die Debattenkultur. Es gibt „Banalitäten“, auch in der Kirche oder der Theologie. Dies ist nicht zu ändern. Darüber nicht reden zu wollen, schafft das Phänomen aber nicht aus der Welt. Über die Wertung könnte man sich dann immer noch streiten – ja, „könnte“, wenn es denn gewollt wäre. Bei „feinschwarz“ ist dies offenbar nicht der Fall, auch wenn es im Impressum heißt, man wolle „pluralen und pluralitätsfähigen Diskussionen“ Raum geben. Die Antwort der Redaktion erweckte den Eindruck, man wüsste schon im Voraus, welche Vorschläge „bedenkenswert“ seien – und welche besser gar nicht erst das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollten. Das könnte man auch als „Vor-Urteil“ bezeichnen, ist aber leider kein Einzelfall. Häufig ist innerhalb der theologischen Debatte zu beobachten, wie etikettiert, aber nicht mehr argumentiert und analysiert wird. Ein Feuilleton, das ohne Debatte und ohne Streitkultur auskommen will, ist intellektuell kalter Kaffee und verzichtbar. Ob etwas „bedenkenswert“ ist oder nicht (das gilt selbstverständlich auch für die Position des Verfassers dieser Zeilen) entscheidet sich erst in der offen geführten Debatte. Wir sollten uns wieder an das Wort Voltaires erinnern: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen.“

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