„Wie der Rechtsstaat ausgehöhlt wird“ – lautet „DIE WARNUNG“ Hans-Jürgen Papiers. Der Verfasser des gleichnamigen Buches hat dem Recht in hoher Funktion gedient. Immerhin war er einmal Präsident des Bundesverfassungsgerichts gewesen. Seine Warnung scheint alles andere als aus der Luft gegriffen – jedenfalls dann, wenn man genau hinschaut: Wer sich einen klaren Blick für die institutionelle Ordnung unseres Gemeinwesens bewahrt hat und sich diesen nicht von aktuellen politischen Aufgeregtheiten im Gewand postrealsozialistischer Antifarhetorik trüben lässt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus – wenn die Lage denn nicht so ernst wäre. In atemberaubender Geschwindigkeit gerät unser Rechtsstaat aus der Façon. Vielleicht wird er weniger ausgehöhlt. Vielleicht ist es eher so, dass der Rechtsstaat nach und nach zerbröselt – vor aller Augen, unter aktivem Zutun der bürgerlichen Mitte.
Die Vorgänge vor kurzem im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass mittlerweile nicht nur kleine Ecken abgestoßen werden. Der Rechtsstaat zeigt ganze Abbruchkanten. Gespenstisch hätte früher das Bild einer Bundeskanzlerin angemutet, die vom fernen Pretoria aus dekretiert, dass die demokratische Wahl eines bürgerlichen Ministerpräsidenten durch ein Landesparlament „rückgängig gemacht“ werden muss. Das Machtwort wirkt. Der Amtsinhaber kapituliert unter dem politischen, medialen, gesellschaftlichen und auch gewalttätigen Druck der sogenannten „Zivil“-Gesellschaft.
Weniger prominent, aber nicht minder bezeichnend, ist ein Vorgang, der sich derzeit im Bistum Münster abspielt. Wie Generalvikar Klaus Winterkamp auf einer Tagung der Mitarbeitervertretungen angekündigt hat, werde das Bistum Münster künftig keine AfD-Mitglieder im leitenden Kirchendienst dulden. Ein aktueller Fall sei der Bistumsleitung derzeit nicht bekannt. Wie die Alternative für Deutschland politisch zu bewerten ist, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Für das Bistum Münster betrieben zumindest Teile der Partei eine „demokratie- und menschenverachtende Politik“. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist eine andere Äußerung des Generalvikars, die etwa von der bistumseigenen Kirchenzeitung „Kirche und Leben“ zitiert wird: „Ob meine Meinung zu dieser Frage vor einem Arbeitsgericht Bestand hat, weiß ich nicht. Ich spreche hier als Theologe, der auch für den Sendungsauftrag der Kirche steht.“ Einige Gegenfragen sollten kritische Mitarbeitervertreter, Journalisten oder Leser an dieser Stelle dann doch stellen: Gehören Rechtssicherheit und Rechtsschutz für kirchliche Mitarbeiter künftig nicht mehr zum Demokratie- und Menschenrechtsverständnis der Kirchenleitung? Steht der theologisch zu beurteilende Sendungsauftrag der Kirche künftig grundsätzlich über dem Recht oder außerhalb des Rechtsstaates? Wenn die Kirchenleitung dies künftig so sehen wollte, wäre über den Autonomieartikel der Weimarer Reichsverfassung noch einmal neu nachzudenken. Bisher leisten die Diözesanbischöfe vor Amtsantritt einen Eid auf die Verfassung und tragen damit Sorge, dass diese auch in ihrem Amtsbereich eingehalten wird. Man mag dies als Petitesse oder bloße Formalie abtun. Nein, diese Verpflichtung im Rahmen des Konkordatsrechts zählt zum wesentlichen Fundament jenes kooperativen Staats-Kirche-Verhältnisses, wie es für Deutschland typisch ist. Wo der Rechtsstaat ins Wanken gerät, werden über kurz oder lang auch die weitreichenden Beteiligungsrechte der Kirche innerhalb unseres Gemeinwesens ins Wanken geraten. Was der Münsteraner Generalvikar sich mit seiner Äußerung leistet, ist einmal mehr das, was man als Bärendienst bezeichnet.
So manches Bärenfell wurde schon zerteilt, bevor der Bär erlegt war. Dann wars nicht nur ein Bärendienst, sondern auch ein Schuß in den schon brennenden Ofen.
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