Mit Ablauf des 74. Jahrgangs hat das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken seiner Fachzeitschrift „Lebendiges Zeugnis“ eingestellt. Die Zeitschrift stand in Tradition der 1884 gegründeten Akademischen Bonifatius-Korrespondenz; künftig soll es eine Kooperation zwischen dem Bonifatiuswerk und der Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“ geben.
In der letzten Ausgabe der nun eingestellten Zeitschrift vom Dezember 2019 waren die Autoren aufgerufen, ihr Verständnis davon darzulegen, wie ein „lebendigem Zeugnis“ der Kirche heute aussehen sollte. Axel Bernd Kunze, promovierter Sozialethiker und habilitierter Erziehungswissenschaftler, mahnt in seinem Beitrag (Lebendiges Zeugnis, S. 40 f.):
Sorge muss bereiten, wenn Kirche selbst sich nicht mehr getraut, zu ihrer Identität zu stehen. Viele ihrer Angebote erwecken den Eindruck, man wolle nicht den Anschluss verlieren und sich irgendwie im Gespräch halten. Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber. Die Folge ist eine spürbare Banalisierung, am Ende bleibt eine gesinnungsethische Schrumpfform von Christentum übrig.
Mir sagte ein Freund kürzlich, bei ihm wachse immer stärker das Bedürfnis nach Werktagsmessen, da er sich dort keine „dummen Predigten“ anzuhören brauche. Ich weiß, dass viele Priester große Sorgfalt auf die Vorbereitung ihrer Predigten legen. Aber es gibt so etwas wie eine unbewusste Milieubindung, die unsere Sprache (auch mein Berufsstand ist davor nicht gefeit) eintönig, austauschbar und einseitig werden lässt. Ich habe mir dies bei einer Martinspredigt im Herbst gedacht. Recht besehen, ging es nicht um den Heiligen, sondern um eine versteckte politische Botschaft: Wie schön ist es, dass auch Muslime am Martinsspiel teilnehmen. Mag sein. Aber statt Kirchenjahresbezug wieder einmal ein bekannter „Kirchensound in Endlosschleife“: Das Leben ist bunt, Vielfalt gut – der Anlass der Verkündigung wird letztlich austauschbar. (Axel Bernd Kunze)
Eine Kirche, die glaubwürdig und lebendig Zeugnis geben will von dem, wofür sie steht, braucht – so Kunze weiter – theologische Klarheit, Freimut und ein gesundes Maß an Kreativität. Die gegenwärtigen Strukturreformen in den deutschen Bistümern spiegeln dies nicht immer wider.
Ein Bistum, das schon seit längerem deutliche Sturkturreformen durchläuft ist Hildesheim. Dessen Oberhirte Heiner Wilmer, jüngster Bischof in Deutschland, skizziert im selben Heft so etwas wie das Programm seiner noch jungen Amtszeit: „Unser Zeugnis in der Diaspora“:
Bis vor kurzem konnte man noch ohne Schwierigkeiten die Diasporasituation der Christinnen und Christen einer volkskirchlichen Mehrheitssituation gegenüberstellen. So gab es auf der einen Seite die geordnete volkskirchliche Situation und auf der anderen Seite die schwierig-herausfordernde Diaspora, in der es schwer, aber nicht unmöglich war, eine ‚Miniatur‘ des Volkskirchlichen zu gestalten. (Heiner Wilmer)
Dieses Kirchenmodell ist an seine Grenzen gestoßen. Die Kirche insgesamt muss sich in Deutschland auf eine „postmoderne“ Diasporasituation einstellen. Notwendig, so Wilmer, sei „eine neue Architektur kirchlichen Zeugnisses“:
Christsein ist ein Weg des Werdens und damit ein Weg der Bildungsprozesse. (Heiner Wilmer)
Ob diese Bildungsanstrengung der Kirche gelingt, wird sich erst noch erweisen müssen … Gegenwärtig bleiben, auch im Beitrag Wilmers, die Konturen einer Kirche, die sich in einer postchristlichen Gesellschaft wird behaupten müssen, noch mehr als vage – zumal keiner weiß, wie sich die kulturell-religiösen Gewichte aufgrund vermehrter Migration künftig verteilen und vor allem konkret ausgestalten werden.
Martin Wrasmann, bis zu seinem Ruhestand vor etwas mehr als einem Jahr im Bistum Hildesheim zuständig für die Weiterentwicklung pastoraler Strukturen, vulgo: Kirchenschließungen, zieht im theologischen Feuilletion „Feinschwarz“ zunächst einmal ein ernüchternde Bilanz:
Die Kirche im Dorf erlebt in ihrer gesellschaftlichen Relevanz einen gewaltigen Marginalisierungsprozess, d. h. der Kirche im Ort wird keine oder wenig Kompetenz in Fragen z. B. von Bewahrung der Schöpfung, Grundsicherung oder sozialer Entwicklung zugesprochen.
Vielleicht liegt gerade hier ein Problem, warum das Zeugnis der Kirche so wenig lebendig wirkt: Wer nach religiösen Antworten sucht, erwartet möglicherweise gerade etwas anderes als Gendersternchen, Klimapanik und Sozialstaatsrhetorik, eben den gegenwärtigen Mainstream der politischen Einheitskoalition, die überall den Ton angibt. Will die Kirche lebendig Zeugnis geben, braucht sie in allererster Linie Kompetenz in Glaubensfragen – und dann meinetwegen auch sozialethische Kompetenz, aber in theologisch reflektierter Form. Stattdessen werden vielerorts die Gottesdienste immer weiter zusammengestrichen und Kirchen geschlossen, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, wie liturgisches Leben auch ohne Priester weiterbestehen kann. Leise beschleicht einen der Verdacht, dass die Administration in den Großpfarreien soviel Ressourcen frisst, dass man dann bei den Gottesdiensten „spart“. So wird es nicht gelingen, auf neue Weise Kirche in der Diaspora zu leben … Unserem Land wäre anderes zu wünschen.