„Beschneidung überdenken!“, fordert Jochen Bittner in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 15. März 2018: http://www.zeit.de/2018/12/religionsfreiheit-beschneidung-grundgesetz-debatte
Nach Island war es nur eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande die Debatte wieder auf den Tisch kommen würde. Es ist schon bezeichnend, wie hier „religiöse Überzeugungen“ gegen „staatliche Freiheitsrechte“ ausgespielt werden. Ist einerseits Religionsfreiheit kein Freiheitsrecht mehr? Und sind andererseits Freiheitsrechte nicht in erster Linie vorstaatlich und nicht „staatlich“? Der „multikulturelle“ Staat, in dem keine Leitkultur mehr gelten darf, muss steuern, weil das Vertrauenspotential im gemeinsamen Zusammenleben schwindet. Wo über Kultur nicht mehr normativ geredet werden darf, wird der Staat selbst zur Norm und zwingt seine Bevölkerung dazu, ihre individuellen Überzeugungen auf ein gemeinsames Einheitsniveau zu nivellieren – so entsteht auch eine „Leitkultur“, die aber aus ideologischen Gründen nicht so genannt werden darf.
Der Bundestag hat nicht, wie Bittner behauptet, religiöse Gebote pauschal über das Grundgesetz gestellt, das eben auch das Recht auf Religionsfreiheit garantiert. Wenn sowohl Religionsfreiheit als auch körperliche Unversehrheit individuelle Freiheitsrechte sind, muss im Konfliktfall zwischen beiden nach einer Lösung im praktischen Vollzug gesucht werden, bei der beide betroffenen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden – etwa in der Form, dass die Beschneidung aus religiösen Gründen weiterhin möglich wird, wenn die Eltern ihre Kinder in einer bestimmten Religion erziehen wollen, dass dabei aber bestimmte Mindeststandards medizinisch-ethischer Art beachtet werden müssen, deren Einhaltung der Staat dann im Rahmen der für alle geltenden Gesetze auch kontrollieren darf.