Noch einmal gelesen: Guttenbergs Fall

Roland Preuß/Tanjev Schultz: Guttenbergs Fall. Der Skandal und seine Folgen für Politik und Gesellschaft, Gütersloh 2011.

Roland Preuß und Tanjev Schultz haben zum „Bücherherbst“ 2011 einen Band mit dem durchaus doppeldeutigen Titel „Guttenbergs Fall“ vorgelegt. Der einstige Hoffnungsträger der CSU, Karl-Theodor zu Guttenberg, war im Frühjahr desselben Jahres vom Amt des Verteidigungsministers zurückgetreten, nachdem seine juristische Dissertation unter Plagiatsverdacht geraten war. Im Herbst 2011 wurde das Verfahren um seine gefälschte Doktorarbeit gegen Zahlung einer Spende eingestellt.

Die beiden Redakteure der „Süddeutschen Zeitung“ schreiben am Ende ihres Buches: „Ein Comeback braucht Zeit. Der Skandal muss verarbeitet und aufgearbeitet werden. Bei Guttenberg ist da noch einiges zu tun. Er hat die ihm vorgeworfene Täuschung nicht zugegeben, er hat sich seit dem Bayreuther Bericht und bis zur Drucklegung dieses Buches dazu nicht geäußert. Mehrere Anfragen der Autoren dieser Zeilen, über die Plagiatsaffäre zu sprechen, ließ er unbeantwortet. Das lässt die Wunden nicht verheilen“ (S. 177). Inzwischen hat Guttenberg dies nachgeholt, wenn auch in einem eigenen Interviewbuch mit Giovanni di Lorenzo, dem Chefredakteur der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, die entscheidende Passagen als Vorabdruck veröffentlichte, und zwar unter der Titelschlagzeile: „Mein ungeheuerlicher Fehler“.

Ob und in welcher Form das politische Comeback gelingt, ist heute noch nicht abzusehen. Ob die gezeigte Reue echt ist, soll an dieser Stelle ebenfalls nicht verhandelt werden.

Ein schaler Beigeschmack ist allerdings schon heute spürbar: Denn von einer Aufarbeitung des wissenschaftlichen Schadens, den Guttenbergs „Fall“ angerichtet hat, kann längst keine Rede sein. In der Politik ist man schnell zur Tagesordnung übergegangen. Die Plagiatsfälle weiterer Politiker wurden eher als Marginalien abgehandelt, selbst für den Posten des Kultusministers in einer bürgerlichen Koalition scheint eine fragwürdige Dissertation kein Karrierehindernis zu sein. Und auch die Justiz hat die Plagiatsaffäre des oberfränkischen Freiherrn vorrangig als Wirtschaftsdelikt abgehandelt und festgestellt, dass der entstandene wirtschaftliche Schaden eher gering sei.

Größer allerdings ist der kulturelle Schaden, den der Fall Guttenberg und das Verhalten der Unionsparteien, nicht zuletzt der Kanzlerin, angerichtet haben. Nur lässt sich der nicht so ohne Weiteres in Euro und Cent berechnen. Eine Politik, die wissenschaftliches Fehlverhalten und den Diebstahl geistigen Eigentums zum Kavaliersdelikt verniedlicht, untergräbt auf Dauer ihr eigenes Fundament. Sie zerstört auf Dauer jenes Ethos, auf das unser Gemeinwesen unverzichtbar angewiesen ist. Demokratie und Rechtsstaat leben von Werthaltungen und Tugenden, die politikimmanent allein nicht gesichert werden können.

Der Politikredakteur Preuß und sein Kollege aus dem Bildungsressort, Schultz, leisteten journalistisch Schützenhilfe, als Wissenschaftler auf die Plagiate in Guttenbergs Dissertation aufmerksam wurden und erkannten, wie heiß dieser Fall werden würde. Der Stein kam ins Rollen, die Internetgemeinde tat dann mit der Internetseite „GuttenPlag“ das Ihrige dazu. Im Nachgang bleiben zahlreiche Fragen: Warum konnte sich Joschka Fischer, nachdem seien einstige Prügelattacke bekannt geworden war, halten, Guttenberg aber nicht? Warum hat Guttenberg die Gefahren einer Skandalisierung in seinem Fall unterschätzt? Die beiden Journalisten sind der Überzeugung, dass es sich in diesem Fall nicht um einen Medienkonflikt gehandelt habe: „Es liegt daran, dass zu viele Leute in Guttenbergs eigenem Lager zutiefst irritiert sind, von dem was da ans Licht gekommen ist. Guttenberg hat den Rückhalt bei wichtigen politischen Weggefährten verloren – bis hinein in die Bundesregierung“ (S. 26).

Auch die Kanzlerin hat sich anfangs in der Affäre verrechnet: „Merkel zeigt kein Gespür für die Schwere der Täuschungen. Sie unterschätzt die Empörung an den Universitäten“ (S. 86). Der Philosoph Jürgen Habermas fällte Anfang April in der „Süddeutschen Zeitung“ über sie ein vernichtendes Urteil, wie Preuß und Schultz erinnern: „Kühl kalkulierend hat sie für ein paar Silberlinge, die sie an den Wahlurnen dann doch nicht hat einstreichen können, das rechtsstaatliche Amtsverständnis kassiert“ (zitiert nach Preuß/Schultz, S. 86).

Der Ruf der Universitäten mag nicht mehr der beste sein. In einem Land mit hoher und weiter steigender Akademikerquote entwertet man jedoch nicht ungestraft akademische Titel. Dies hätte eine Politikerin wie Angela Merkel wissen können – wenn schon nicht aus Einsicht, dann wenigstens aus Machtinstinkt heraus. Spätestens als Doktoranden Mitte März 2011 einen Offenen Brief an Merkel initiierten, der schon bald vierundsechzigtausend Unterschriften zählte zeigte sich, dass Guttenberg nicht mehr zu halten war.

Eine von Bonn aus gestartete „Erklärung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zu den Standards akademischer Prüfungen“, die der Verfasser selbst mitunterzeichnet hat, wird im Anhang des Bandes neben weiteren Dokumenten zwar abgedruckt, im Buch aber leider nur als Marginalie erwähnt. Dabei handelt es sich bei diesem Dokument um einen jener seltenen Fälle der letzten zwei Jahrzehnte, in denen die von überhasteten Dauerreformen, Fehlsteuerungseffekten, Dgradierung und Unterausstattung gebeutelte Wissenschaft einmal die Kraft zum geschlossenen Widerspruch aufgebracht hat.

Diese Beobachtung lenkt die Aufmerksamkeit auf das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik: Warum sind Wissenschaftler trotz des allseits an den Universitäten spürbaren Unmuts politisch kaum handlungsfähig? Welche Folgen für das Promotionswesen sind aus den Plagiatsaffären der vergangenen Jahre zu ziehen? Wo müssen die Universitäten sich an die eigene Nase fassen, wo muss aber auch die Wissenschaftspolitik umsteuern? Wer Universitäten für Promotionen leistungsabhängige Mittel zuteilt, muss sich nicht unbedingt wundern, wenn deren Zahl steigt, auch wenn die Qualitätsstandards nicht immer eingehalten werden. Gerade angesichts des bevorstehenden, von der Professorenschaft aber noch weitgehend verdrängten Umbaus der Promotion deutschen Zuschnitts, die als eigenständige wissenschaftliche Leistung konzipiert ist, zum konsekutiven dritten Studienabschnitt, der mit einem „PhD“ abschließt, wäre es notwendig, über diese Fragen gezielt nachzudenken.

Was bleibt? – Die Affäre Guttenberg hat die Politik zunächst einmal entzaubert. Nicht mehr der charismatische, glamouröse Shootingstar, der sich selbst inszeniert, sondern der solide Politarbeiter ist in der Union wieder gefragt. Das muss allerdings nicht so bleiben, wenn die etablierten Parteien weitere an Bindekraft verlieren und der Unmut an ihnen wächst. In postdemokratischen Zeiten, die gegenwärtig gern beschworen werden, kann ein Selbstvermarkter wie Guttenberg schnell wieder einmal populär werden.

Vorerst hat die Wissenschaft gesiegt. Der Versuch der politischen Klasse, die Plagiatsaffäre zur privaten Bagatelle herunterzuspielen, die durch die Arbeit des (keinesfalls unumstrittenen) Ministers mehr als aufgewogen werde, ist nicht aufgegangen. Vor einer ehrlichen Aufarbeitung dieser Affäre, die damit nicht nur ein wissenschaftlicher, sondern auch ein politischer Skandal war, hat sich die Politik aber gedrückt. Die bürgerliche Fassade der Politik hat deutlich Risse bekommen. Und so bleibt etwas hängen, nicht nur an Guttenberg – gleich, ob dessen politisches Comeback gelingen wird oder nicht: „Guttenbergs Plagiate waren mehr als nur eine Fußnote in der Geschichte des Landes. Sie waren auch mehr als nur eine kleine Schlamperei. Guttenberg hat die Wissenschaft und die Öffentlichkeit getäuscht. Er hat sich unmöglich benommen. Der Skandal hat Charaktermängel offenbart, vor allem beim Umgang mit berechtigter Kritik“ (S. 27).

Dennoch hat der Fall Guttenberg gezeigt, wie gefährdet das wissenschaftliche Ethos inzwischen ist und wie wenig Wertschätzung wissenschaftliche Leistung noch genießt. Beides zu verteidigen und hochzuhalten, wird künftig nicht zuletzt eine wichtige Bildungs- und Erziehungsaufgabe sein. Das sind wir unserer Tradition schuldig. Ohne den mutigen Kampf um die Freiheit im neunzehnten Jahrhundert und damit auch um die akademische Freiheit und den Schutz geistigen Eigentums wäre unser heutiger Rechts- und Verfassungsstaat, wären auch unsere Universitäten mit ihrer grundrechtlich geschützten Freiheit von Forschung und Lehre nicht denkbar. Wir tun gut daran, dieses Erbe nicht zu verspielen – um der Leistungsfähigkeit und intellektuellen Vitalität unseres Landes willen.

Erstveröffentlichung: Die Schwarzburg 121 (2012), H. 1, S. 25 – 27.

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