Offener Brief: Genderideologie und Kirche

„Bildungsethik“ weist gern auf den folgenden Offenen Brief hin, der sich gegen die zunehmende Gendersprache in der Kirche ausspricht (Kontakt zur Initiatorin über die Redaktion von „Bildungsethik“):

Offener Brief an die Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche in Deutschland

Genderideologie und Kirche                                                                       

Köln, im November 2021

Liebe Pfarrerinnen und Pfarrer,

liebe Mitarbeiter der Evangelischen Kirche,

liebe Verantwortliche in der Kirchenführung,

nun hat der Asteriskus also auch in die Gemeindeblätter und Mitteilungen unserer Kirchen Einzug gehalten. Das ist bedauerlich! Es ist ein Irrtum, zu glauben, unsere Sprache vergesse die „Frauen und andere Geschlechter“. Das ist sprachwissenschaftlich falsch, geht an der Realität vorbei und sollte deshalb auch nicht in einem Gemeindebrief verbreitet werden. Ich mag wohl annehmen, dass Sie in guter Absicht handeln, wenn Sie einen Sprachcode verwenden, den sie für gerechter halten als die bestehende Grammatik. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass Sie anders darüber denken, wenn Ihnen die sprachtheoretischen Zusammenhänge klar wären und Ihnen bewusst wird, woher diese Ideologie kommt, was sie bezweckt und vor allem auch, was sie bewirkt.

Wenn ich persönlich gemeint bin wie in einer Anrede, möchte ich auch persönlich angesprochen werden und nicht mit einem Adverb, „innen“ – im Gegensatz zu außen – , mitgemeint sein (Liebe Leserin, lieber Leser/Liebe Leserinnen und Leser). In sachlichen und allgemeinen Kontexten ist der Hinweis auf mein Geschlecht und mögliche andere Geschlechtlichkeiten jedoch deplatziert, sachfremd und auch sexistisch: Wir sind Bürger, wir sind Christen. Und wenn wir wählen gehen, und wenn wir beten, spielt unser Geschlecht keine Rolle. Ich glaube, das hätte Jesus genau so gesehen.

Sprache dient der Kommunikation. Sie muss funktionieren und verstanden werden. Und gerade das leistet die sogenannte „geschlechtergerechte“ Sprache nicht. Um als Kommunikationsmittel zu funktionieren und verständlich zu sein, müsste sie das auf allen Ebenen tun. Wenn wir den Genderideologen folgen und konsequent gendern, müssten wir auch negativ konnotierte Begriffe mit einbeziehen und fortan von „Mörderinnen und Mördern“, „Terroristinnen und Terroristen“ usw. sprechen und ebenso Komposita wie auch Suffigierungen von Adjektiven, die generisch enden, so bezeichnen. Dabei würden dann so perverse Konstruktionen herauskommen wie „aufklärer * innen * isch“, künstler – innen – isch und dergleichen mehr. Auch das Präsens wird generisch verwendet. Es steht für die Gegenwart, die Zukunft und auch für allgemeine Aussagen. Bleibt also festzuhalten: Das generische (inklusive) Maskulinum ist der deutschen Grammatik inhärent. Es ist weder auszumerzen noch wegzudenken, weil unsere Sprache dann nicht mehr funktioniert. Nur das generische Maskulinum – und keine andere grammatische Form – ist inklusiv und meint Frauen wie Männer und ebenso nicht-binäre Identitäten gleichermaßen, wie es auch alle geschlechtlichen Identitäten nicht mitmeint, eben darum, weil es den Menschen in den Blick nimmt und nicht sein Geschlecht (Art. 1 GG).

Gendertechniken zur Sichtbarmachung eines Geschlechts stehen im Widerspruch zu unserem Grundgesetz, weil sie den Menschen als Rechtssubjekt aus dem Auge verlieren.

Sekundäre Attribute wie Geschlecht und sexuelle Orientierung, die für den Kern des Menschseins nicht wichtig sind, werden in den Vordergrund gestellt und damit sachliche Bezüge oder wichtige Anliegen, die vorgebracht werden sollen, verdrängt.

Neben dem sprachwissenschaftlichen Aspekt zählt für mich aber auch vor allem der gesellschaftspolitische Effekt des Genderns. Durch das Gendern werden weite Bevölkerungsschichten ausgegrenzt, bildungsferne Schichten und vor allem Migranten. Bei einem Anteil von einem Viertel der Bevölkerung ist es problematisch, wenn von einer elitären linksfeministischen Elite eine Symbolsprache eingeführt werden soll, die weite Teile der Bevölkerung nicht verstehen. Gendern ist somit das Gegenteil von Inklusion und Integration. Gendern bedeutet vielmehr Ausgrenzung, ist ein Integrationshemmnis und dazu angetan, die gesellschaftliche Spaltung noch zu vertiefen.

Die feministische Sprachideologie basiert auf zwei gravierenden Denkfehlern, erstens der unwissenschaftlichen Gleichsetzung von grammatischem Geschlecht (Genus) und biologischem (Sexus) und zweitens der im 21. Jahrhundert nicht mehr haltbaren Unterstellung, den Mann als einen Patriarchen anzusehen. Dem liegt ein völlig antiquiertes Gesellschaftsbild zugrunde, das Frauen zu (schwachen) Opfern stilisiert, die von einer dominanten Männerwelt unsichtbar gemacht werden sollen. Die krude und bereits vor vierzig Jahren wissenschaftlich durch nichts bewiesene Behauptung, dass ein angehängtes Suffix die Welt gerechter und frauenfreundlicher machen würde (Luise Pusch), mag vielleicht in den 80er Jahren noch gezogen haben. Heute ist das Anachronismus. Heute haben sich Frauen an die Weltspitze der Politik gearbeitet, können sie berufliche Felder erobern, die ihren Müttern und Großmüttern noch verwehrt waren. Der Mythos von der unsichtbaren Frau in der Sprache ist jedoch geblieben und wird als eine wirksame sprachpolitische Erzählung linker Eliten auf das generische (inklusive) Maskulinum als Übeltäter projiziert.

Natürlich ist noch nicht alles perfekt in unserer Gesellschaft, natürlich gibt es noch vieles zu tun. Aber die Frage ist doch, ist die Zerstörung der sprachlichen Strukturen das geeignete Mittel dazu? Diese Frage jedoch wird von den Verfechtern der Sprachideologie nicht gestellt, statt dessen mit den männerfeindlichen Ideen von Luise Pusch ein ideologischer Wiedergänger neu belebt, und die scheinbare Ungerechtigkeit in unserer Sprache als Alibi für eine moralisierende Bewegung genutzt, der an nichts weniger liegt als an Gerechtigkeit, aber alles daran, unsere auf dem Boden der christlich-jüdischen Kultur gewachsenen Wertegemeinschaft umzuformen in eine irrationale, spiritualistische Ideologie (vgl. G. Gracia, NZZ 18.6.21).

Ich mag wohl glauben, dass die meisten (außer den Ideologen selbst) es gut meinen in dem Bemühen, eine „gerechte“ Sprache zu benutzen. Aber dazu braucht man weder Sterne noch Gender-Gaps. Es reicht, die Sprache von gewaltsamer Kommunikation zu befreien, wie sie sich z.B. in Komposita wie „Asyltourismus“, „Asylantenflut“ und anderen findet. Die wenigsten werden jedoch wissen, aus welchem Geist diese Ideolgie geboren wurde. Von Luise Pusch stammen folgende Zitate:

„das Femininum sei echt zu schade, um damit ‚Schwanzträger‘ zu bezeichnen (Pusch 1990, S. 95) und    „Wir Frauen wissen nicht so genau, warum die Männer da sind…Sie sind halt da, und das ist schlimm genug. Wir fragen uns wohl, wie wir ihnen am besten entkommen und ihre monströsen Hervorbrin- gungen überleben können“ (Pusch 1992, S. 245).

Das ist Misandrie in ihrer schlimmsten Ausprägung. Ich finde eine solche Einstellung nicht nur männer-, sondern auch menschenfeindlich.

Natürlich gibt es Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft. Diese gilt es zu benennen, anzuprangern und zu versuchen, sie zu ändern. Das ist eine gesellschaftliche Verpflichtung, für jeden einzelnen von uns, für die Politik und allen voran auch für die Kirchen. Aber zu glauben, ein Sternchen würde das schon richten, ist Sprachmagie, ist Aberglaube. Eingriffe in die Grammatik einer Sprache können keine gesellschaftlichen Veränderungen bewirken. Das muss der handelnde und denkende Mensch schon selber tun. Und kryptische, immer erst erklärungsbedürftige Symbole sind auch nicht das geeignete Mittel, um darauf aufmerksam zu machen.

Nicht das generische Maskulinum ist der Feind, sondern radikale Kräfte, Ideologen, deren Ziel es ist, unsere Gesellschaft zu spalten. Ihre Sprachsymbolik mit dem Adjektiv „gerecht“ in Verbindung zu bringen, ist Euphemismus, ist Heuchelei. Im Übrigen, wenn das so wäre, wenn gesellschaftliche Ungerechtigkeiten also in der Grammatik einer Sprache und im Gebrauch des generischen Maskulinums sichtbar und – wie uns glauben gemacht werden soll – mit seinem Verbot getilgt würden, dann müsste das ja im Umkehrschluss bedeuten, dass Länder, die kein generisches Maskulinum in der Sprache führen, besonders human und frauenfreundlich sind. Dann wären Länder wie die Türkei, wie Ungarn unsere Vorbilder in Sachen Frauenfreundlichkeit, Diversität und Gerechtigkeit.

Wir können so sprechen, wenn wir immer noch glauben, durch Sprachsymbolik die Welt zu bessern. Führen wir uns jedoch vor Augen: Die sogenannte „gendergerechte“ Sprache ist eine Ideologie. Die Kirche sollte sich dies bewusst machen und dann entscheiden, ob sie Ideologen folgen will. Die Zerstörung der Sprache ist die Zerstörung unserer kulturellen Identität, einer Kultur, die in hunderten von Jahren als gemeinschaftliche Leistung aller geschaffen wurde.

Nachsatz

Im Anschluss an einen Vortrag über deutsch-jüdische Dichter las ich die Unterlagen aus meinem Seminar über Rose Ausländer, Paul Celan und Hilde Domin noch einmal. Ich lese, wie diese Dichter, denen das Schlimmste von Nazi-Deutschland angetan wurde, was ein Mensch wohl erleben kann, voller Sehnsucht zurückgekehrt sind in die deutsche Sprache. Und mir fällt ein Zitat von Reich-Ranicki ein, dem vielfach Geflohenen, dem oftmals Heimatlosen, als er gefragt wurde, was sein Zuhause sei, und er sagte: Meine Heimat, das ist die deutsche Sprache. Das bewegt mich tief, mich bewegen die Worte unserer Dichter und Denker, und ich weiß: Ich will nicht, dass dies alles verloren geht, zerstört wird von Ideologen.

Deshalb werde ich nicht schweigen über das, was ich weiß und was ich denke, um nicht mitschuldig zu werden an Diskriminierung, Spaltung und Sprachzerstörung. Ich will und werde mich mit der Kraft meines Herzens dafür einsetzen, dass unsere Kultur und unsere Sprache in ihrer ganzen Schönheit erhalten, gesprochen und geschrieben wird.

Dr. Anne Meinberg (Literaturwissenschaftlerin)

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