Was haben Kasachstan, Kuba, Nordkorea, Russland, Turkmenistan, Usbekistan, Weißrussland und bald auch Berlin gemeinsam? Richtig: In allen Ländern ist der internationale Frauentag am 8. März gesetzlicher Feiertag. „Die Berliner befinden sich jedenfalls in guter Gesellschaft“, wie die Frankfurter Allgemeine ironisch schrieb. Bisher waren es christliche Feste oder für unsere Verfassungsordnung zentrale historische Ereignisse, die als Grundlage für gesetzliche Feiertage dienten (der erste Mai als Tag der Arbeit kann als Ausnahme gesehen werden, wurde in der Bundesrepublik dann aber als Bekenntnis zu den Grundlagen einer auf sozialen Ausgleich bedachten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gedeutet).
Mit dem internationalen Frauentag wird erstmals ein Gedenktag zum gesetzlichen Feiertag erhoben, der sich einer ganz bestimmten politisch-weltanschaulichen Tradition verpflichtet sieht. Der 1921 auf einer kommunistischen Konferenz in Moskau beschlossene Tag erinnert an einen Aufstand von Soldatenfrauen und Bäuerinnen im revolutionären Petrograd des Februar 1917. Der Reformationstag am 31. Oktober als christlicher Feiertag ist in der Berliner Feiertagsdebatte politisch nicht mehrheitsfähig gewesen, Gleiches gilt für einen nationalen Gedenktag am 18. März in Erinnerung an die demokratische Märzrevolution 1848 oder am – historisch mehrfach besetzten – 9. November.
Wir werden den christlichen Referenzrahmen unserer Staats- und Gesellschaftsordnung nicht schadlos durch andere Traditionen ersetzen können. Ein Gemeinwesen, das sich dauerhaft auf andere Traditionen oder Erzählungen festlegen wollte, würde auf Dauer auch seine Kultur und Moral verändern. Es steht mehr auf dem Spiel als liebgewordene „Folklore“, wenn wir Sankt Martin durch ein „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ ersetzen, Weihnachtsgrüße zu unspezifischen „season’s greetings“ degradieren oder Ostern zum „Hasenfest“ herabstufen. Gerade Feiertage sind Erinnerungsorte, die nicht allein für jene von Bedeutung sind, die eine christliche Gottesdienstpraxis pflegen wollen. Weihnachten, Karfreitag oder Allerheiligen etwa stehen auch innerhalb der säkularisierten Gesellschaft für bestimmte Erzählungen und Werte, die nicht einfach austauschbar sind. Weihnachten steht beispielsweise für eine Friedensvision, die nicht allein dem Recht des Stärkeren folgt – weil Gott selbst sich in diese Welt als kleines Kind herabgelassen hat. Der Karfreitag hält die Erinnerung wach, dass menschliches Leben auch im Leid seine unvergleichliche Würde behält und dass das Schwache unsere Solidarität verlangt – weil Gott seine Solidarität am Kreuz gezeigt hat. Allerheiligen schließlich steht für die Hoffnung, dass am Ende auch die vielen Namenlosen, deren Lebenswerk vielleicht keine großen Spuren hinterlassen hat, gerechtfertigt werden.
Die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses aus diesem Monat ist ein deutlicher Einschnitt in der Feiertagskultur unseres Landes, der die Säkularisierung unserer Großstadtkultur augenfällig werden lässt. Setzt sich diese Linie fort, sind weitere Feiertage dieser Art denkbar. Gute Chancen hätte etwa der Weltfriedenstag am 1. September, der Internationale Kindertag am 20. September oder der Internationale Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Der Einsatz für die Menschenrechte, für das Wohlergehen von Kindern oder die Sicherung des Friedens ist sicherlich der Anstrengung wert – doch Vorsicht! Alle diese Ziele vermögen für sich genommen noch kein funktionsfähiges gesellschaftliches Ethos zu begründen, sondern setzen dieses bereits voraus. Menschen- oder Kinderechte müssen ausgelegt und angewandt werden, dabei kann es zu ethischen Konflikten kommen, die der sittlichen Bearbeitung bedürfen – und hierfür braucht es die Fähigkeit und die moralische Kraft zu sittlicher Urteilsbildung. Gleiches gilt für die Frage, wie der brüchige Friede im Verkehr zwischen Staaten, Gruppen und Einzelnen politisch am besten gesichert werden kann. Ohne eine lebendige Kultur sozialethischer Orientierungswerte werden wir diese ethischen Konflikte nicht bestehen.
Nicht selten wird die Leitkulturdebatte mit Verweis darauf, Kultur unterliege historischer Veränderung, für beendet erklärt. Diese Erkenntnis ist trivial. Doch mit dem Wandel kultureller Prägungen, Routinen, kollektiver Vorlieben, Gewohnheiten oder Alltagspraktiken werden sich auf Dauer auch gesellschaftliche Orientierungswerte wandeln. Daher braucht jedes Staatswesen einen offen und fair geführten gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie das gemeinsame Zusammenleben gestaltet werden soll – aber eben auch darüber, was im Zusammenleben nicht geduldet wird. Wir sollten uns des erreichten Besitzstandes an kulturellen Selbstverständlichkeiten, die uns im Alltag den Rücken freihalten und die Entfaltung von Freiheit erst ermöglichen, nicht allzu sicher sein: Verdunsten christlicher Erlösungsglaube und christlich-religiöse Praxis in unserem Land, werden über kurz oder lang auch das kulturethische Fundament unserer christlich-sozialethischen Orientierungswerte und die notwendige Vertrauensbasis im gemeinsamen Zusammenleben brüchig werden.
Bei alldem tragen wir eine soziale Verantwortung für Werte und Normen, Sitte und Brauchtum, Sprache und Wissenschaft, Kunst und Kultur oder Tradition und Religion, die weit über unsere eigene Gegenwart hinausreicht: Denn wie künftige Generationen leben, denken und handeln werden, wird wiederum davon beeinflusst werden, wie wir heute leben, denken und handeln.