Schlaglicht: Ist Gender eine Theorie oder Ideologie? – eine Antwort in freiheitsbetonter Perspektive

Ist Gender eine Theorie oder Ideologie? Über diese Frage wird im publizistischen, politischen oder auch kirchlichen Diskurs heftig, mitunter polemisch und nicht selten emotional gestritten. Möglicherweise ist diese Alternative gar nicht zu entscheiden. Denn wenn wir den dialektischen Charakter der Aufklärung ernstnehmen, lassen sich Ideologien nicht prinzipiell von „Nichtideologien“ abgrenzen. Jede Form der Aufklärung bewegt sich weiterhin auf dem Boden historischer Situativität. Vielmehr bezeichnet „Ideologie“ einen besonderen Modus des Diskursgebrauchs. Jeder Diskurs, der politisch mobilisieren will, gerät in die Gefahr, ideologisch zu werden. Denn wer mobilisiert, spitzt zu, vereinfacht und instrumentalisiert. Im politischen Diskurs werden die konzeptuelle Dimension und analytische Kraft in Anspruch genommener Konzepte leicht reduziert zugunsten ihrer Tauglichkeit dafür, eigene Ansprüche zu untermauern und durchzusetzen. Kein Denksystem ist davor geschützt, dies gilt sowohl für die Kritik als auch die Verteidigung des Bestehenden.

Auch der Genderdiskurs vermag sich gegen eine solche Gebrauchsweise nicht zu wehren. Denn Diskurse sind keine Subjekte. Vielmehr sind es die Diskursakteure, die selbst im Modus der Ideologie an der welterschließenden Funktion des beanspruchten Gespräches festhalten. Übersehen wird dabei schnell der Hang mobilisierender Diskurse, sich selbst gegen Kritiker abzuschotten und reale Widersprüche in der politisch-ethischen Umsetzung zu verdrängen. Es wäre eine sozialethische Aufgabe, solche Prozesse im Blick auf den Genderdiskurs auszuloten. Gendermainstreaming als konzeptionelle Forderung, die aus diesem Diskurs abgeleitet wird, ist zunächst einmal ein partikulares Konzept, das systematisch allenfalls den Rang eines interpretierenden Prinzips beanspruchen kann und dessen Vor- und Nachteile offen diskutiert werden müssten.  Sollen die verhärteten Fronten innerhalb der Genderdebatte aufgebrochen werden, wäre es wichtig, zunächst einmal das Selbstverständnis der jeweils anderen Seite unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen.

Dieser Anspruch an einen fairen Diskurs wird schon durch die Ausdrucksweise „gendergerechte“ Sprache verfehlt. Die Redeweise geht unausgesprochen von der Annahme aus, dass ein überkommener Sprachgebrauch „ungerecht“ sei und unterstellt den Sprechern, die sich sprachpolitisch motivierten Eingriffen in die Freiheit der eigenen Meinungsäußerung nicht beugen wollen, bereits von vornherein eine bestimmte, pejorativ gewertete Intention. Überdies wäre das implizit vorausgesetzte Verständnis von Gerechtigkeit einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Gerechtigkeit wird hier vorrangig gleichheitsbezogen verstanden; der Freiheitsaspekt bleibt unterbestimmt.

In Folge des moralisch-politisch aufgeladenen Genderdiskurses ist keine sprachliche Variante mehr neutral: Dies gilt für das generische Maskulinum wie für alle anderen Alternativen, etwa die durchgängige Verwendung von Doppelbezeichnungen, das große Binnen-I, das generische Femininum, die bevorzugte Verwendung „neutraler“ Pluralformen und was es sonst noch für Schreibweisen gibt. Alle Formen – gleich, welche gewählt wird – transportieren mehr oder weniger bewusst bestimmte weltanschauliche Implikationen. Umso problematischer ist es, wenn immer häufiger der wissenschaftliche Sprachgebrauch durch Herausgeber, Redakteure, Gutachtergremien, mitunter sogar durch Senatsbeschlüsse reglementiert wird – was einen massiven Einschnitt in die individuelle Publikationsfreiheit des eigenen Autors bedeutet. Solche Eingriffe unterlaufen das Freiheitsbewusstsein einer freiheitlichen Gesellschaft und die Achtung der Persönlichkeit des Einzelnen, deren Kernbereich der kollektiven Vereinnahmung entzogen bleiben sollte. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um staatliche Vorgaben handelt oder der Druck durch gesellschaftliche Kollektive erzeugt wird.

Als zentrales Konfliktfeld, auf dem der Streit um die Genderkategorie ausgetragen wird, erweist sich die Sprache, nicht zuletzt in wissenschaftlichen Publikationen. Dies verwundert kaum, wenn man sich deren Bedeutung für Welterschließung und Weltdeutung vor Augen hält. Die geistig-intellektuelle Integrität des kulturell-wissenschaftlichen Produktiven lebt davon, selbst über Inhalt, aber auch Sprachgestalt seines Textes zu entscheiden – nur dann kann vollumfänglich von geistiger Urheberschaft gesprochen werden. Sprachpolitisch motivierte Vorgaben einer vermeintlich „gendergerechten“ Sprache stellen die Freiheit der Wissenschaft in Frage – und delegitimieren damit den wissenschaftlichen Diskurs.

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