„Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe!“
(aus Gottfried Kellers „Fähnlein der sieben Aufrechten“
Am 18. Oktober dieses Jahres jährte sich zum zweihundertsten Mal das Wartburgfest, seinerzeit abgehalten anlässlich des dreihundertjährigen Jubiläums der Reformation. Dieses burschenschaftliche Ereignis war das erste große bürgerliche Nationalfest und gab wichtige Anstöße für die deutsche Einigungsbewegung. So heißt es gleich zu Beginn der am 18. Oktober 1817 auf der Wartburg bei Eisenach verabschiedeten Grundsätze: „Ein Deutschland ist, und ein Deutschland soll sein und bleiben.“ Die Beschlüsse von damals formulieren erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte zentrale Grundfreiheiten der Person, die sich später in den Verfassungen von 1848, 1918 und 1949 wiederfinden lassen. Diese Grundsätze des Wartburgfestes haben nichts an Aktualität eingebüßt – im Gegenteil: Angesichts einer schleichenden Aushöhlung der Presse- und Meinungsfreiheit sind sie wieder deutlich aktuell.
Der folgende Beitrag über den christlichen Teil der burschenschaftlichen Bewegung wurde auf einem Gedenksymposium zum zweihundertjährigen Jubiläum des Wartburgfestes gehalten.
DIE CHRISTLICHE BURSCHENSCHAFT
„Was also ist das Ziel der akademisch-freien Universitätserziehung? Männer zu bilden, die geistig befähigt und sittlich würdig sind, auf unser deutsches christliches Volk einen bestimmenden Einfluß auszuüben. Darin ist […] die Ausrüstung für das besondere Fach schon mitbefaßt. Für dieses Ziel mitzuwirken wird also auch die Aufgabe derjenigen Verbindungen sein, welche ein Salz für das akademische Leben sein sollen.“ – so schrieb der Brandenburger Pfarrer Krummacher 1860 in den „Fliegenden Blättern“ des Rauhen Hauses, die sich durch Johann Hinrich Wicherns publizistisches Geschick zur wichtigsten sozialpolitischen Zeitschrift im deutschsprachigen Protestantismus des neunzehnten Jahrhunderts entwickelt hatten. Für Krummacher ist das Verbindungswesen mehr als „ein Spiel mit bunten Bändern und Mützen“. Er entwirft das Ideal einer Burschenschaft, die aufgrund ihrer christlichen Überzeugung Duell und Mensur ablehnt und von drei ernsten Grundsätzen getragen wird – und zwar: Wissenschaftlichkeit, Sittlichkeit und Vaterlandsliebe.
Krummachers Idee lieferte seinerzeit den Impuls zur Gründung der Burschenschaft Alemannia zu Leipzig. Im Gründungstagesbuch schrieb einer der Gründer, Gustav Hüfner: „Da geschah nicht lange nach Anfang des Wintersemesters 1860, daß Arthur Weber […], begeistert durch die Lektüre eines Aufsatzes aus den ‚Fliegenden Blättern‘ des ‚Rauhen Hauses‘ zu Hamburg […], am Freitag, dem 30. November 1860 einigen seiner Freunde, die zufällig bei ihm waren, jenen Aufsatz vorlas und hierdurch den ersten Anstoß gab, eine Vereinigung zu gründen, deren Ziel eine Veredelung des studentischen Lebens sein sollte.“ Durchaus dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend, wandte man sich – so Hüfner in seinem weiteren Eintrag – gegen „banausisches Treiben“ auf der einen, „sterile Plattheit“ und „öden Indifferentismus“ auf der anderen Seite. Die neue Vereinigung sollte durch mehr zusammengehalten werden als „bloße Schulfreundschaft oder gar Landsmannschaft“.
Nur wenig später, am 3. Februar 1861, konstituierte sich dann die Leipziger Burschenschaft Alemannia formal als christliche Burschenschaft. Als deren Ziele legten die Gründungsstatuten fest: „Christlich-deutsche Gesinnung zu erstreben in Läuterung der religiösen Überzeugung und der patriotischen Gefühle. […] Reinheit des Charakters zu bewahren in Wort und That als Grundlage und Ziel des Freundschaftsbundes. […] Wissenschaftlichkeit, erzielt in Erfüllung des academischen Berufs.“ Die Entscheidung, welchen Prinzipien die neue Gemeinschaft folgen sollte, fiel auf einem Kneipabend am 15. Dezember 1860. Nach langen Auseinandersetzungen war man übereingekommen, dass „in dem Begriff Sittlichkeit noch nicht das positive christliche Element enthalten sei“. Am 17. Juni 1861 erhielt die frischgegründete Alemannia die ministerielle Erlaubnis, die Farben Schwarz-Rot-Gold zu tragen. Die Alemannia war die erste Studentenverbindung im Königreich Sachsen, die sich nach den Karlsbader Beschlüssen offiziell wieder zu diesen Farben bekennen konnte.
Im Folgenden soll weniger etwas zur historischen Entstehung und zur verwickelten Geschichte der christlichen Burschenschaft gesagt weden, sondern stärker auf deren kulturethische Ausrichtung eingegangen werden – mit einem Ausblick auf gegenwärtige Herausforderungen.
Kein dogmatisches Bekenntnis
Wir dürfen annehmen, dass in den Anfängen der burschenschaftlichen Bewegung der Gottesbezug als ein selbstverständliches Bekenntnis zu den christlichen Grundlagen deutscher Kultur übernommen wurde. Nicht umsonst war das Wartburgfest, an das wir heute erinnern, eine Lutherfeier. Auf Gott berief sich sowohl ein preußischer König wie Friedrich Wilhelm III. in der Verbindung von Thron und Altar als auch ein burschenschaftlicher Vordenker wie Ernst Moritz Arndt: „Dem Gott, der groß und wunderbar. / Aus langer Schande Nacht uns allen. / Im Flammenglanz erschienen war.“ Nach Aufklärung und Französischer Revolution stellte die Chiffre „Gott“ ein Gegenprogramm dar: ein zivilreligiöses Bekenntnis zum Eingreifen Gottes in der Geschichte. Erst im Zuge der Erweckungsbewegung trat die christlich-konfessionelle Komponente stärker hervor.
Mit der Bezeichnung „christliche Burschenschaft“ grenzte Hans Waitz in seiner „Geschichte des Wingolfsbundes“ die 1836 gegründete Erlanger Uttenruthia und die 1851 gegründete Burschenschaft Germania zu Göttingen von selbigem ab. Die Uttenruthia, als erste nichtschlagende Studentenverbindung in Deutschland gegründet, verstand das Christianum nicht im Sinne eines konfessionellen Bekenntnisses oder als konstitutives Element des Lebensbundes – so heißt es in der Stiftungsurkunde, „Trenkles Thesen“, vom 5. März 1836: „Es muss ein Kanon als Bedingung zur Aufnahme in unsere Gemeinschaft bestimmt und eine Grenze gezogen werden, um zu verhindern, dass in unserer Mitte sich nicht ein Niederschlag von allen möglichen, sonst nirgends brauchbaren Subjekten ansiedle, der ohne zu wissen, was wir wollen, und ohne auch nur im mindesten ein religiöses oder moralisches oder wissenschaftliches Interesse mit uns zu teilen, bloß des allenfalls anständigeren Kneipens willen zu uns sich hält. Der Kanon darf aber nichts spezifisch Christliches als notwendig in dem Aufzunehmenden vorhanden sein müssend voraussetzen, sondern nur negativ gefasst sein.“ Es geht um eine Bereitschaft, sich mit dem Christentum und seiner ethischen Botschaft auseinander zu setzen: „Überall, wo kein Widerstreit gegen die Wahrheit, kein spöttisches oder mitleidiges Belächeln der innersten und heiligsten Angelegenheiten jedes Einzelnen vorhanden ist, soll der Zutritt zu unserer Freundschaft offen stehen. Es sollen die Strebenden und Suchenden hier einen Anschließungspunkt und Förderung ihres Strebens finden können.“
Im Rahmen des Richtigen können verschiedene religiöse Bekenntnisse nebeneinander stehen. Der Einzelne bleibt aber herausgefordert, zwischen ihnen eine subjektive Entscheidung zu treffen. In den Thesen Christoph Ernst Luthardts, angenommen von der Uttenruthia am 30. Juli 1853, die im Verbindungsbrauch jeweils theologisch zeitgenössisch neu interpretiert worden sind, liest sich dies folgendermaßen: „Wohl wissend, daß die Zeit des studentischen Lebens, die der Entwicklung und werdenden Entscheidung ist, verlangt die Verbindung von dem Neueinzutretenden nicht ein bestimmtes dogmatisches Bekenntnis außerdem, daß er ein christlicher Student sein wolle; und nicht eine gewisse Stufe der Christlichkeit, sondern nur ernstes und gewissenhaftes Ringen und Streben. Wo sie dieses sieht, glaubt sie auch an die Zukunft. Überhaupt hält sie sich an das Wort des Herren: Wer nicht wider mich ist, ist für mich; fordert das Erste und glaubt das Zweite.“
Die Uttenruthia übernahm aus dem Erlanger Burschenbrauch von 1817 den Wahlspruch „Frisch, fromm, froh, frei!“, lehnte aber die Bezeichnung als „Burschenschaft“ für sich ab. Günter W. Zwanzig verweist in seiner Darstellung zur Frühgeschichte des Schwarzburgbundes auf einen Brief Luthardts an den Erlanger Professor Karl von Raumer, „in dem er das Primat des Christlichen damit begründet, dass für jeden seine Nationalität und Konfession geschichtlich gegeben sei“, weshalb das Bekenntnis in der Verbindung so formuliert werden sollte, dass auch ein katholischer Christ oder ein französischer christlicher Student dieses unterschreiben könne. Zwanzig wertet die aktuellen Grundsätze des Schwarzburgbundes vom 3. Juni 2006 so, dass hier ein „Heimatprinzip“ im Vordergrund stehe – so seine Lesart von Artikel 5, in dem es heißt: „Das Bekenntnis zum Vaterland findet im Schwarzburgbund seinen Ausdruck in der Liebe zu unserer Heimat, in der Pflege unserer Kultur und Sprache und insbesondere im Einstehen für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung im Rahmen eines vereinten Europa.“
Pflege eines christlich-burschenschaftlichen Wertekanons
Im Jahre 1836, dem Gründungsjahr der Uttenruthia, begründete Theodor Fliedner in Kaiserswerth eine Diakonissenanstalt. Das Ereignis steht stellvertretend für die Begründung einer organisierten Diakonie als christliche Antwort auf die soziale Frage des neunzehnten Jahrhunderts. Viele Mitglieder des Schwarzburgbundes und der christlich-burschenschaftlichen Bewegung waren hieran beteiligt. Dies gilt auch für die Göttinger Germania, die sich am 9. August 1851 offiziell als „christlich deutsche Burschenschaft“ gründete. In Göttingen hatte sich unter Leitung des Theologieprofessors Friedrich Ehrenfeuchter, der 1849 auf eine ordentliche Professur für die sich damals neu formierende Praktische Theologie berufen wurde, ein Verein für innere Mission gebildet. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Vereinsmitglieder sollte auch der Burschenschaft Germania beitreten.
Deren Gründer, sechs Göttinger Studenten, waren während der vorbereitenden Beratungen über eine Satzung am 5. Dezember 1850 darin übereingekommen, Duell und Mensur „niemals zuzulassen“. Als Ziel formulierten sie die „Wiedervereinigung des deutschen Volkes zu einem Träger christlichen Sinnes und damit mittelbar die Aufgabe der Herstellung der deutschen Kirche, des deutschen Reiches, deutscher Wissenschaft und Kunst durch den christlichen Geist“. Von den Mitgliedern verlangte man ein ehrliches Wollen, keine Festlegung auf ein irgendwie dogmatisch gefasstes Christentum. Diese Haltung führte 1866 schließlich zum Abbruch des Kartells mit dem Wingolfsbund, das man ein Jahr nach der Gründung – 1852 – eingegangen war.
1862 schlossen die Göttinger Germania und die eingangs genannte Leipziger Burschenschaft Alemannia ein Kartell als vertragliche Grundlage ihres Freundschaftsverhältnisses. Auch wenn das Kartell bereits 1866 formal abgebrochen wurde, als die Alemannia stark zusammengeschmolzen war, besteht das besondere Freundschaftsverhältnis mit wechselnder Intensität bis heute: „Das Bündnis verstand und versteht sich […] als Wahrer eines christlich-burschenschaftlichen Wertekanons, der sich direkt auf die Urburschenschaft bezieht und mit seiner besonderen Prägung eine spezifische Strömung in der burschenschaftlichen Bewegung darstellt.“ – so in einem Festbeitrag zum hundertfünfzigjährigen Jubiläum des Kartellabschlusses. Ähnliches gilt für die Burschenschaft Rheno-Germania zu Bonn von 1860 bzw. 1904, die seit ihrer Stiftung bis heute ebenfalls sowohl mit Germania als auch Alemannia in freundschaftlichem Verkehr steht, mit der letztgenannten seit 2000 vereint im Cartell Christlicher Burschenschaften.
Die Burschenschaft Germania war am 19. Mai 1860 in Bonn von ausgetretenen Wingolfiten gegründet worden. Während die übrigen Wingolfsverbindungen der Bonner Germania reserviert gegenüber standen, bemühte sich die Göttinger Germania um ein freundschaftliches Verhältnis, das 1861 offiziell wurde. Der Erlanger Vorort des Wingolf bekundete schriftlich sein Missfallen – dieser Umstand begünstigte es, dass die Kontaktaufnahme der Leipziger Alemannen in Göttingen auf fruchtbaren Boden fiel. Letztlich blieb das Drängen des Wingolf, sich von der Alemannia zu lösen, ohne Erfolg. Im Sommersemester 1863 kam es stattdessen zur Gründung eines Fünfbundes zwischen fünf christlichen Verbindungen außerhalb des Wingolf: Uttenruthia Erlangen, Tuiskonia Halle, Germania Bonn, Alemannia Leipzig und Germania Göttingen. Ulrich Bahrs urteilte 1900: „Hätte damals die Göttinger Germania ihr Verhältnis zum Wingolf gelöst, so wäre wohl sicher ein ansehnlicher Bund zustande gekommen […] Diesen Schritt wollte aber die Germania nicht thun, ihres alten idealen Großbundesgedankens willen.“ Ein solcher entstand erst 1887 als Schwarzburgbund im thüringischen Schwarzburg. Die Göttinger Germania trat diesem erst 1893 bei – nicht zuletzt, um der Gründung einer eigenen christlichen SB-Verbindung in Göttingen, das damals bloß 715 Studenten zählte, zuvorzukommen: „Gemeinsam war die christliche Grundlage des Verbindungslebens. Unterschiedlich dagegen war die Auffassung des vaterländischen Prinzips“. Dieses war in der Göttinger Germania stark durch Ernst Moritz Arndts Verbindung von Christentum und Deutschtum geprägt.
Gegenwärtige Herausforderungen an eine christliche Identität
Heute stellt sich die Frage, wie dieses Erbe in einer zunehmend pluraler gewordenen Gesellschaft verstanden und bewahrt werden kann. Dabei geht es nicht um ein konfessionelles Bekenntnis. Die christliche Identität besitzt für unser Gemeinwesen eine weitergehende kulturethische Bedeutung: für Politik und Kultur, für Bildung und Wissenschaft, für unser Zusammenleben in Staat und Gesellschaft. Nicht zuletzt die Trennung von religiöser und politischer Sphäre – nach der unnachahmlichen Formel: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ – bei gleichzeitiger Kooperation beider Gewalten wäre bedroht, und damit ein wichtiges Moment, das sich in der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte äußerst produktiv ausgewirkt hat. Ob wir diese Tradition angesichts der demographischen Entwicklung, säkularer Tendenzen auf der einen und vermehrter Einwanderung auf der anderen Seite bewahren können, ist auf längere Sicht keineswegs ausgemacht. Wir sollten uns des erreichten Besitzstandes an kulturellen Selbstverständlichkeiten nicht allzu sicher sein: Verdunsten christlicher Erlösungsglaube und christlich-religiöse Praxis in unserem Land, wird über kurz oder lang auch das kulturethische Fundament unserer christlich-sozialethischen Orientierungswerte brüchig werden.
Die für die Moderne geltende Autonomie der Bildung setzt eine eigene religiöse Praxis nicht zwingend voraus, das zeigt das Selbstverständnis der christlichen Burschenschaften. Gleichwohl wird von umfassender Persönlichkeitsbildung nur dann gesprochen werden können, wenn der Einzelne in der Lage ist, sich selbst und die Welt um sich mit Bezug auf religiöse Sprachformen wahrzunehmen und zu werten. Religiöse Lernprozesse bleiben unverzichtbarer Bestandteil des allgemeinen Bildungsauftrags – nicht im Sinne religiöser Rede, sondern im Blick auf die Befähigung zum Reden über Religion. Wer Religion nicht versteht, erfährt diese als etwas Bedrohliches und gerät in den Zwang, sie politisch zähmen, einhegen oder sogar neutralisieren zu müssen. An dieser Stelle haben christliche Burschenschaften, verstanden als akademische Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften, einen entscheidenden Bildungsauftrag gegenüber ihren Mitgliedern. Leider sind Wissenschaftliche Abende ad Christianum in den Semesterprogrammen keine Selbstverständlichkeit mehr.
Die religiöse Entscheidung bleibt Sache des einzelnen Bundesbruders. Die Gemeinschaft unterstützt die freie geistige Auseinandersetzung des Einzelnen, im Ringen um die höchsten Ziele und Inhalte des Lebens. Doch wird ein Verständnis für religiöse Phänomene und ein gereiftes Urteil im Hinblick auf religiöse Fragestellungen auf Dauer nur dann erhalten bleiben, wenn zumindest ansatzweise der Kontakt mit gelebter Religion, mit religiösen Überzeugungen und Gewissheiten erhalten bleibt – ob man diese nun persönlich teilt oder nicht. Eine Ethosbildung, die bewusst von Formen gelebter Religion und Sittlichkeit abstrahieren wollte, würde auf Dauer an motivationsbildender Kraft verlieren. Daher ist es meines Erachtens auch kein Widerspruch, wenn beispielsweise eine christliche Burschenschaft als nichtkonfessioneller Bund wie in Bamberg seit einigen Jahren an der Großen Fronleichnamsprozession teilnimmt. Religiöses Bekenntnis, Selbstvergewisserung über die eigene Identität im gemeinsamen Zusammenleben der Stadt sowie die kulturethische Pflege der eigenen Tradition sind in Bamberg an einem Tag wie Fronleichnam sicher nicht zu trennen. Und diese Elemente werden auch im Raum einer christlichen Burschenschaft nicht künstlich zu trennen sein.
Die Pflege jener kulturethischen Bedeutung des Christentums, auf dem unser Gemeinwesen aufruht, kann nicht davon absehen, dass dieses Christentum immer nur in konfessioneller Ausprägung zu haben ist. Heute geht es weniger darum, freiheitsbedrohende Übergriffe der Kirche abzuwehren, als vielmehr darum, Freiheitseinschränkungen durch einen übergriffig werdenden Säkularismus zu verhindern. Das Gleichgewicht zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit gerät nicht selten zu Lasten der ersteren ins Trudeln. Oder allzu schnell wird Toleranz in religiösen Dingen mit einer Privatisierung von Religion gleichgesetzt, in deren Zuge Religion als potentieller Störfaktor nach Möglichkeit aus dem öffentlichen Leben herausgedrängt wird.
Akademische Bildungsgemeinschaften sollten den Einzelnen befähigen, seine Freiheit im Denken und Handeln zu differenzieren und verantwortlich einzusetzen. Hinter dieser Bildungsaufgabe steht ein durchaus postsäkulares Programm, wie der Medienwissenschaftler Norbert Bolz betont – ein Schlussgedanke, der vielleicht gar nicht so schlecht zum zweihundertjährigen Jubiläum des Wartburgfestes passt: Denn „der freie Geist verletzt nicht nur das Tabu der Exzellenz, sondern auch das Tabu der Transzendenz. Sein Mut zur Wahrheit sprengt den Funktionalismus, die ausweglose Immanenz der sozialen Systeme. Und wenn man sieht, wie die ‚Weltgesellschaft‘ jedes Wort des Widerstands, jede Geste des Protests mühelos ins eigene Funktionieren einbaut, muss man zu dem Schluss kommen: Transzendenz ist heute der einzige subversive Begriff. Die konkrete Utopie jedes Außenseiters ist der systematische Paradigmenwechsel. Der freie Geist jedoch zielt auf die Metanoia des Einzelnen. Kehre um, du musst dein Leben ändern – oder doch wenigstens: dein Denken.“
[…] Die Vorträge sollen 2018 in einer Festschrift erscheinen, herausgegeben von Harald Lönnecker und Klaus Malettke. Darunter auch Beiträge zum christlichen Teil der burschenschaftlichen Bewegung: https://bildungsethik.wordpress.com/2017/10/23/jubilaeum-200-jahre-wartburgfest/ […]
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