Mit der Verleihung der staatlichen Anerkennung oder – im Fall der Teilzeitausbildung – dem schulischen Abschlusszeugnis neigt sich ein langer Ausbildungsweg dem Ende entgegen. Das wollen wir heute gemeinsam mit Ihnen feiern. Im Namen der Schulleitung heiße ich Sie alle herzlich willkommen.
Und es gibt guten Grund, heute Abend zu feiern. Nicht nur, weil Pädagogische Fachkräfte wie Sie in Krippe, Kindertagesstätte, Grundschulbetreuung oder Jugendhilfe in Zeiten wie den unsrigen händeringend gesucht werden. Sie haben einen anspruchsvollen, individuell wie gesellschaftlich bedeutsamen, herausfordernden, aber auch erfüllenden und ganzheitlichen Beruf gewählt.
Als künftige Pädagogische Fachkräfte haben Sie nicht allein den Auftrag, eine verlässliche Betreuung sicherzustellen. Die Tätigkeit von Erzieherinnen und Erziehern ist ein wichtiger Bildungs- und Erziehungsberuf. Sie ermöglichen Kindern in den frühen Jahren wertvolle Erfahrungen, praktisch, ganzheitlich und fördernd. Sie erschließen den Kindern in den frühen Jahren ihrer Entwicklung Alternativen; sie eröffnen ihnen Bildungsräume im besten Sinn.
In der Kindertagesbetreuung sind Sie familienunterstützend tätig. Doch wird der Erziehungsauftrag von Kindertageseinrichtungen bei verlängerten Betreuungszeiten immer bedeutsamer. Kindertagesstätten sind wichtige Instanzen der Erziehung und Werteerziehung. Diese Aufgaben erfordern weitreichendes pädagogisches, psychologisches und sozialwissenschaftliches Fachwissen. In den Abschlussprüfungen haben Sie unter Beweis gestellt, dass Sie dieses im Rahmen ihrer anspruchsvollen Ausbildung erworben haben.
Sie benötigen aber auch zeitliche und personelle Ressourcen. Doch diese sind in Zeiten eines deutlichen Fachkräftemangels oft knapp. Deshalb ist es wichtig, dass Sie auch den Blick auf sich selbst nicht vergessen. Nicht umsonst stand im Handlungsfeld „Berufliches Handeln fundieren“ die Auseinandersetzung mit Fragen des Selbst- und Zeitmanagements, mit der Bedeutung regelmäßiger Selbstreflexion und Instrumenten der Gesundheitsprävention am Ende dieses Schuljahres. Hans-Joachim Laewen und Beate Andres, die Leiter des „infans“-Instituts, sprechen in ihrer Ethik der Kindheitspädagogik am Ende davon, wie wichtig zwei Prozesse sind, die beständig zusammenspielen sollten: die individuelle Achtsamkeit für die eigene Person und die Öffnung zum Team – mit dem Ziel, dass sich die Kinder in der KiTa „gut aufgehoben“ erfahren, so der Titel des Buches „Zur Praxis einer professionellen Ethik“.
Der Band, der 2022 erschienen ist, markiert eine wichtige Veränderung: Laewen und Andres zählen zu den Ersten, die eine eigenständige Ethik der Kindheitspädagogik entwickelt haben. Jede Profession benötigt nicht allein eine Handlungsethik gegenüber ihrer Zielgruppe auf der einen und den gesellschaftlichen Erwartungen auf der anderen Seite. Sie braucht auch eine Ethik des Denkens und der wissenschaftlichen Theoriebildung: Die ethischen Prinzipien und Leitlinien müssen aus der Tradition des eigenen Faches und des eigenen Handlungsfeldes hergeleitet werden. Dieses Jahr steht ein Jubiläum an: Vor zwanzig Jahren wurden die ersten kindheitspädagogischen Studiengänge in Deutschland eröffnet. Dass mittlerweile Bemühungen um einen eigenen Ethikkodex für Kindheitspädagogik und Kindertagesbetreuung sichtbar werden, könnte darauf hindeuten, dass sich die noch junge Disziplin der Kindheitspädagogik zunehmend von ihren Wurzeln in der Sozialen Arbeit emanzipiert und verselbständigt.
Themen für eine eigenständige Ethik der Kindertagesbetreuung gibt es zuhauf. Die Folgen des Fachkräftemangels zeigen sich nicht allein darin, dass Träger ihre Betreuungszeiten einschränken. Auch das Selbst- und Berufsverständnis Pädagogischer Fachkräfte bleibt davon nicht unberührt.
Das Berufsethos Pädagogischer Fachkräfte basiert auf dem Bildungs- und Erziehungsauftrag gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen, deren Selbstbestimmungsfähigkeit und Mündigkeit gefördert werden sollen. Diese Arbeit ist äußerst anspruchsvoll und bedarf einer hohen Fachlichkeit. Sie bedarf der Zeit und der Hinwendung, damit das einzelne Kind, der einzelne Jugendliche in seiner Entwicklung gesehen wird, damit die Fachkraft individuell auf die Persönlichkeit eingehen kann und gezielt Bildungsprozesse anzuregen vermag. Allerdings ist durchaus zu sehen, dass der steigende Bedarf an Kindertagesbetreuung und der schwer zu deckende Fachkräftebedarf gerade dazu führen, dass der Bildungs- und Erziehungsauftrag Pädagogischer Fachkräfte unter Druck gerät.
Dass Kinder und Jugendliche in pädagogischen Moratorien aufwachsen und sich bilden können, ist eine Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Nur zwei historische Wegmarken will ich exemplarisch nennen: Schon Wilhelmine Canz, die Gründerin der Stiftung Großheppacher Schwesternschaft, wusste darum, wie wichtig die pädagogische Arbeit mit jüngeren Kindern ist. Hundertfünfzig Jahre später: In der Bildungsreformdebatte nach den ersten PISA-Studien Anfang der 2000er Jahren wurde stärker bewusst, wie wichtig eine gut ausgebaute und ausgestaltete Elementarbildung für die Verwirklichung eines Rechts auf Bildung ist.
Damit sich Kinder angemessen entwickeln können, bedürfen sie stabiler Beziehungen, notwendiger Förderung und einer bildungsbegleitenden Unterstützung. Wenn dies gesichert ist, profitieren davon die Heranwachsenden, dann aber auch die gesamte Gesellschaft. Erziehungs- und Bildungsdefizite in Kindheit und Jugend und damit einhergehende Folgen, z. B. für die Emotionsregulation oder soziale Integrationsfähigkeit, können sich umgekehrt biographisch langfristig auswirken, mitunter über eine ganze Bildungsbiographie.
Mit einer qualitativen Ausbildung Pädagogischer Fachkräfte leisten die Fachschulen einen wichtigen Beitrag, den Bildungsauftrag von Kindertagesstätten zu sichern. Wichtig dabei sind ein durchlässiges und anschlussfähiges Angebot unterschiedlicher Ausbildungsgänge, die Bewerberinnen und Bewerber mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen einen Einstieg in das Berufsfeld ermöglichen – in Kombination mit einer Theorie-Praxis-Verzahnung, die umfassende Kompetenzen für die vielfältigen Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsaufgaben vermittelt. Die hohe Bildungs- und Erziehungskompetenz Pädagogischer Fachkräfte sichert auch künftig Attraktivität, Professionalität und Ansehen des Berufsbildes.
Schulen sollen vieles leisten. Fast kein Fach, das nicht schon von irgendeiner Lobbygruppe gefordert worden wäre: Klimakunde und Konsumerziehung, Datenschutzunterricht oder Ernährung. Selbst das Unterrichtsfach Glück gibt es bereits. Über eine Frage aber wird erstaunlich wenig diskutiert: Warum ist es überhaupt sinnvoll, sich zu bilden?
Wenn wir auf diese Frage keine Antwort mehr wissen, werden Motivation zur Bildung und Freude am Lernen nur schwer zu wecken sein. Bildung würde dann auch kaum als Genuss und Bereicherung des eigenen Lebens erfahren werden können. Bildung, die mehr sein will als Anpassung an äußere Erwartungen, braucht ein Sinnfundament, das innerpädagogisch allein nicht gelegt werden kann. Um einen solchen Lebenssinn muss sich jeder selbständig mühen. Wir können den Einzelnen, das Kind, den Jugendlichen, dabei aber pädagogisch begleiten. Wer sich bildet, soll sein Leben aktiv gestalten, sich nicht einfach nur treiben lassen oder äußeren Erwartungen oder Zwängen entsprechen. Dies gelingt nur, wenn Bildung mehr sein will als Wissensvermittlung, wenn sie den Einzelnen als sittliches und religiöses Subjekt ernst nimmt.
Die Diagnose „bildungsarm“ wird schnell ausgesprochen. Heranwachsende können aber auch in anderer Hinsicht „arm“ sein: Das Buch ist langweilig, der Museumsbesuch ätzend, das Spiel voll öde. Es mag einfach sein, sich mit solchen Antworten zu begnügen – pädagogisch und erzieherisch stehlen wir uns damit aus der Verantwortung. Gerade Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu nehmen, an sittlichen Beanspruchungen lernen und reifen zu können, kann nicht minder Ausdruck einer mangelnden Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation sein.
Bildung wird nicht über Konvention, Routine oder bloße Wissensaneignung hinausgehen, wenn nicht gleichzeitig die Frage nach dem tieferen Sinn menschlichen Daseins gestellt wird: Was trägt unser Leben? Auf welche Verheißungen können wir unser Leben gründen? Was dürfen wir für uns und unsere Welt erhoffen?
Ob eine Antwort auf diese Fragen gelingt, kann niemand garantieren – hier zeigt sich die Dramatik, mitunter auch tiefe Tragik menschlicher Existenz. Doch können Sie als Erzieherinnen und Erzieher pädagogisch dazu beitragen, dass Heranwachsende Orte vorfinden, wo die Suche nach Sinn möglich ist, wo Sinn- und Wertfragen gestellt werden dürfen. Bildung hat nicht Funktion, sondern Bedeutung, nicht Zweck, sondern Wert. Dies können Kinder und Heranwachsende dort erfahren, wo religiöse Fragen und Sinnfragen pädagogisch nicht ausgeklammert werden. Es ist aus der Mode gekommen: Aber man kann auch von Charakter- und Herzensbildung sprechen.
Liebe Absolventinnen und Absolventen, ich wünsche Ihnen für die erzieherischen Aufgaben, die vor Ihnen liegen, alles Gute, bleibende Freude an der Arbeit mit den Ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen und nicht zuletzt Gottes Segen. Gehen Sie mit den Kindern und Jugendlichen auf Sinnsuche. Begleiten Sie die Heranwachsenden dabei, sich den Fragen des Lebens zu stellen, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und eigenständige und selbstbestimmte Persönlichkeiten zu werden.
Sie dürfen sich mit dem erfolgreichen Abschluss Ihrer Ausbildung Erzieher oder Erzieherin und – wie es seit einigen Jahren heißt – zugleich Bachelor professional nennen. Hierzu gratuliere ich Ihnen im Namen der Schulleitung wie des gesamten Kollegiums, aber auch ganz persönlich auf das Herzlichste.
Das letzte Wort an dieser Stelle soll dem gehören, der 1524 – also vor fünfhundert Jahren – „An die Ratsherrn aller Städte deutschen Landes [schrieb], daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“. Martin Luthers Worte sind bleibend aktuell, vielleicht sogar überdeutlich aktuell. Was Luther in der Sprache seiner Zeit ausgedrückt hat, wird auch Ihre Aufgabe sein, da Sie sich für einen pädagogischen Beruf entschieden haben. Wovon er damals schrieb, das gilt es auch heute mit den Mitteln, dem pädagogischen Wissen und unter den Herausforderungen unserer Zeit umzusetzen:
„Nun besteht das Gedeihen einer Stadt nicht allein darin, daß man große Schätze sammelt, feste Mauern, schöne Häuser, viele Kanonen und Harnische herstellt. Vielmehr, wo es viel davon gibt und es kommt in die Hände wahnsinniger Narren, so ist das ein um so schlimmerer und um so größerer Schaden für diese Stadt. Vielmehr das ist einer Stadt Bestes und ihr allerprächtigstes Gedeihen, ihr Wohl und ihre Kraft, daß sie viele gute, gebildete, vernünftige, ehrbare, wohlerzogene Bürger hat, die dann sehr wohl Schätze und alle Güter sammeln können, sie erhalten und recht gebrauchen. […] Nun, solche Männer müssen aus Knaben werden, und solche Frauen müssen aus Mädchen werden. Es ist also darum zu tun, daß man kleine Knaben und Mädchen dazu recht unterrichte und aufziehe.“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Und so wünsche ich uns allen einen festlichen und klangvollen Abend, gute Begegnungen und eine frohe Feier.
(aus einer Schulleitungsrede zur feierlichen Zeugnisübergabe)