Zwischenruf: Weniger Leistung, mehr politischer Einfluss

A13 für Grundschullehrer. Es gibt verschiedene Bundesländer, die diesen Weg gehen. Darunter jetzt auch Hamburg – beschlossen war die Gehaltsangleichung der Primar- und Sekundarstufen I-Lehrer schon länger, in diesem Monat wird sie vollständig verwirklicht. Der Stadtstaat geht aber noch einen Schritt weiter: Neben der Höhergruppierung gibt es künftig auch noch den Studienrat an Grundschulen.

Die GEW schreibt sich dies als Erfolg auf ihre Fahne. Wer könnte auch etwas dagegen haben!? Schließlich geht es doch um „unsere Kinder“, um Bildung, um die Bildungsrepublik. Kurz: Es geht um etwas unhinterfragt Gutes, bei dem sich alle einig sein sollten. Doch sollten Lehrer- und Beamtenverbände durchaus kritische Fragen stellen. Wieder einmal werden bewährte Traditionen des Staates abgebaut, ohne dass gefragt wird, ob das Neue tatsächlich besser ist und halten kann, was die Politik verspricht.

Es gibt traditionell zahlreiche Kriterien, die eine Höhergruppierung rechtfertigen können, etwa Ausbildung, Weiterqualifizierung, Leistung, Dienstalter, Erfahrung und Führungsverantwortung – oder, so ist das in einer Marktwirtschaft: eine höhere Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen. In Zeiten des Fachkräftemangels sind höhere Gehälter kein Allheilmittel, aber sie können sich als Folge ergeben. Niemand hätte etwas dagegen, wenn Grundschullehrer, die sich weiterqualifizieren oder besondere Aufgaben übernehmen, auch höher eingruppiert würden. Und besonderen Förder-, Unterstützungs-, Erziehungs- oder Unterrichtsbedarf gibt es an Grundschulen allemal. Denn um die grundlegenden Kulturtechniken im Lesen, Schreiben und Rechnen am Ende der vierten Klasse steht es nicht unbedingt zum Besten, wie jüngste Bildungsstudien zeigen.

Doch um all das geht es der Hamburger Schulverwaltung nicht. Beförderungen werden nach politischem Gutdünken vergeben. Nicht mehr sachliche Erfordernissse, transparente Kriterien oder fachliche Leistungen entscheiden, sondern kontingente politische Prioritäten, wechselnde parteipolitische Vorlieben oder Lobbyisteneinfluss. Wo Leistung immer weniger zählt, die politische Tagesordnung aber umso mehr, wird der Öffentliche Dienst am Ende zur parteipolitischen Verfügungsmasse, damit aber unattraktiver. Wo es nicht mehr um nachvollziehbare Leistung geht, sondern egalitaristisches Denken zum bildungspolitischen Selbstzweck wird, werden nicht mehr zwingend die besseren Absolventen für einen Bildungsberuf begeistert. Und es sollte nicht vergessen werden: Wo tagespolitische Aspekte eine immer größere Rolle spielen, können Besitzstände auch schneller wieder einkassiert werden.

Für leistungsfähige Grundschulen und eine angemessene Anerkennung der dort geleisteten Arbeit ist mit alldem noch keineswegs gesorgt.

Was hier in Hamburg passiert, könnte Schule machen – auch in anderen Berufsgruppen des Öffentlichen Dienstes. Damit steht auch gesellschaftlich einiges auf dem Spiel: Denn für einen leistungsfähigen Öffentlichen Dienst bleibt es wichtig, dass sich dieser eine bestimmte Distanz gegenüber politischen Moden und Stimmungsschwankungen der Tagespolitik bewahrt.

Tagung: Pädagogiklehrertag 2023

„Didaktik der Sozialpädagogik – Entwicklungslinien, Diskurse und Herausforderungen“ – lautet einer der Hauptvorträge beim diesjährigen Pädagogiklehrertag. Weitere Informationen finden sich auf den Seiten des Verbands der Pädagogiklehrer und Pädagogiklehrerinnen:

https://www.pu-fortbildung.de/

Auf fremden Seiten: In Sachsen-Anhalts Schulen soll nicht mehr gegendert werden …

… wenn es nach dem Willen der christdemokratischen Eva Feußner geht. Widerspruch kommt von SPD und Grünen. „Gendern ist Vorbereitung auf das Erwachsenenleben“, heißt es von Seiten der grünen Opposition. Dies zeigt, wohin der Zug der Zeit fährt, wenn er schul- und kulturpolitisch nicht doch noch entgleist. Und das wäre wichtig, wenn unser zentrales Kulturgut Sprache nicht weiter unter die Räder der Politisierung, Emotionalisierung und Moralisierung geraten soll. Es ist gut, dass es in einzelnen Ländern deutlichen Widerstand gegen das Gendern in Schulen gibt. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Genderkritiker ihre Linie auch durchhalten (der Verzicht, Gendersprache auch als Rechtschreibfehler zu werten, spricht nicht dafür) und ob diese nicht von den Verfechtern der Gendersprache gegen den Willen des Souveräns und gegen demokratische Beschlüsse unterlaufen werden.

Widerspruch gegenüber bayerischen Digitalisierungsideen: „Kümmert euch endlich um die Kinder, nicht um Tablets!“

„Kümmert euch endlich um die Kinder, nicht um Tablets!“, so Professor Zierer, Erziehungswissenschaftler an der Universität Oldenburg, zur Ankündigung von CSU-Generalsekretär Huber, bis 2028 alle Schülerinnen und Schüler mit Tablets auszustatten. Als „Bildungspolitischen Aktionismus“ bezeichnet Klaus Zierer das Versprechen der bayerischen Regierungspartei, in den nächsten fünf Jahren über 1,6 Millionen Schülerinnen und Schüler an gut 6.400 Schulen in Bayern mit Tablets auszustatten. Hier werde ohne wissenschaftliche Evidenz über wichtigere pädagogische Herausforderungen hinweggegangen. Das folgende Statement des Augsburger Ordinarius hinterfragt den parteipolitischen Kurs und begründet die Kritik mitempirischen Forschungsergebnissen.

Zum Weiterlesen:

https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=2001

Veröffentlichung zur Medienpädagogik und Didaktik: Gestörte Kommunikation

Axel Bernd Kunze: Gestörte Kommunkation. Eine bildungsethische Spurensuche in flüchtigen Zeiten, in: Harald Kuypers (Hg.): Pädagogisch Handeln. Festschrift für Prof. Dr. Volker Ladenthin [zum 70. Geburtstag] (Pädagogik in Europa in Geschichte und Zukunft; 22), Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft Dr. Thomas Schirrmacher 2023, S. 119 – 129.

… jetzt einsehbar im Wissenschaftsportal Academia.edu.

https://www.academia.edu/105022387/Gest%C3%B6rte_Kommunikation_Eine_bildungsethische_Spurensuche_in_fl%C3%BCchtigen_Zeiten

Zwischenruf: Gendern – oder: Abschied von der Bildungsnation

Wer heute die Stuttgarter Zeitung gelesen hat, sieht, dass es ganz andere Baustellen im Bildungssystem gibt, über die wir uns dringend Gedanken machen sollten, als über vermeintliche sprachliche Diskriminierung, die mit Sprachzerstörung bekämpft werden soll. Nach den Sommerferien müssen Lehrer im neuen Schuljahr zwei Klassen leiten. Ein Drittel der Grundschüler hat in Baden-Württemberg mittlerweile Sprachförderbedarf. Die grundlegenden Kulturleistungen werden am Ende der Grundschule von immer mehr Schülern nicht beherrscht. Die Berufsschule verlassen nur noch 78 Prozent der Schüler, ein historischer Tiefstwert, in Baden-Württemberg mit einem Abschluss. Die Erziehungsschwierigkeiten nehmen zu.

Die Folgeprobleme der geschilderten Ergebnisse der neuesten Bildungsstudie in Baden-Württemberg kann sich jeder ausmalen. Und der Lehrerberuf wird durch solche Befunde auch nicht attraktiver werden. Also: Abschied von der Bildungsnation – auf ganzer Linie. Die Forderungen nach sprachlichem Gendern lenken herrlich von der Bildungsmisere im Land ab.

Aber ob Hochschule oder Schule: Es ist einfacher, sich über Politaktivismus zu verständigen und Gesinnungsschnüffelei zu betreiben, als sich über Bildungs- und Erziehungsfragen ernsthaft auseinandersetzen – und dann auch wirklich Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Generation zu übernehmen. Es bleibt zu hoffen, dass das Gendervolksbegehren erfolgreich sein wird. Aber ich bleibe mehr als skeptisch: Entweder knickt das sogenannte Bürgertum ein oder man wird ein unerwünschtes Ergebnis beim Volksentscheid „rückgängig machen“.

Volksbegehren: Rund 15.000 Unterschriften für „Stoppt Gendern in Baden-Württemberg“

14.549 Unterschriften hat die Initiative „Stoppt Gendern in Baden-Württemberg“ gesammelt. Die Mobilisierung für dieses Volksbegehren war außerordentlich hoch und dynamisch. Das Alter der Unterstützer reicht von 16 bis 102. Zustimmung kommt aus allen Kommunen im Südwesten. Dies alles stimmt zuversichtlich, wenn es im kommenden Jahr gilt, für einen Volksentscheid zu mobilisieren. Denn trotz Unterstützung aus der CDU- und F.D.P./DVP-Fraktion ist eine parlamentarische Mehrheit für das Anliegen nicht in Sicht.

Wer für den Erhalt unseres zentralen Kulturgutes, einer einheitlichen, von Politisierung und Ideologisierung freien Sprache, eintreten will, sollte das „Stoppt Gendern in Baden-Württemberg“ oder ähnliche Initiativen in anderen Bundesländern unterstützen.

Weitere Informationen:

Rezension: Pädagogische Konstanten im digitalen Zeitalter

Elisabeth Peerenboom-Dartsch würdigt im aktuellen Heft der „Katholischen Bildung“ sehr eingehend den von Ralf Lankau herausgegebenen Band „Unterrichten in Präsenz und Distanz“ (Weinheim: Beltz Juventa 2023):

Elisabeth Peerenboom-Dartsch: Warum pädagogische Konstanten im digitalen Zeitalter eine existentielle Bedeutung haben. Reflexionen und Anmerkungen zum Werk von Ralf Lankau (Hg.): „Unterricht in Präsenz und Distanz. Lehren aus der Pandemie.“, in: Katholische Bildung 124 (2023), Heft 7/8 (Juli/August), S. 180 – 192.

In der Rezension heißt es: „Axel Bernd Kunze lässt in seinem Beitrag ‚Schule braucht pädagogisches Verständnis – Reflexionen nach mehr als zwei Coronajahren‘ die Zeit der Pandemie Revue passieren und fasst die pädagogischen Versäumnisse zusammen – die es aber auch schon vor Corona gab. […] Kunze führt aus, warum die immer neu geführte Bildungsdiskussion über Strukturprobleme nicht zielführend sein kann, vielmehr gehe es grundlegend um ‚das vorherrschende Verständnis von Erziehung‘, also auch um Fragen zum eigenen Selbstverständnis und um ein ‚kollektives Werterepertoire‘ (S. 86 f.). Das pädagogische Proprium der Schule sei zu verteidigen.“

Neues Projekt: Die pädagogische Wende

Über die notwendige Besinnung auf das Erziehen und Unterrichten: Das Projekt „Die pädagogische Wende“, das ein pädagogisch fundierte, zeitgemäße Verortung von Erziehung und Unterricht anstrebt und vom Medienpädagogen Ralf Lankau geleitet wird, ruft dazu auf, Onlinebeiträge einzureichen – auf der Projektseite heißt es:

  • Wie lassen sich, unter den gegenwärtigen Bedingungen, Bildungseinrichtungen an den Bedürfnissen der Lernenden gemäß den Entwicklungsstufen (anthropologische Ontogenese) des Menschen ausrichten?
  • Wie lässt sich erkennen und realisieren, dass pädagogisches Arbeiten notwendig personengebunden, individuell und interpersonal ist?
  • Wie erreichen wir eine Stärkung der Erziehung, die Widerständigkeit nicht einebnet oder ausschließt, sondern mit dem Ziel der Mündigkeit auf die Entwicklung stabiler Persönlichkeitsstrukturen in sozialen Zusammenhängen zielt?
  • Mit welchen Unterrichtsformen gelingt die Auseinandersetzung mit kulturellen Beständen (zu denen auch die Digitaltechnik zählt), sodass die Schülerinnen und Schüler als selbstbestimmte daraus hervorgehen?
  • Mit welchen Verschiebungen von (schulischen) Bildungs- und Erziehungsvorstellungen geht das digitale Lernen einher?
  • Wie stellt sich die Umsetzung einer digitalen Schulorganisation (Klassenbuchführung, Stundenplanung, Kommunikation) aus einer pädagogischen Perspektive dar?
  •  Inwiefern kommt pädagogischen Reflexionen über das Verhältnis von Bildung, Erziehung und Digitalisierung im Schulalltag Relevanz zu?

Für diese und weitere Fragen suchen wir Grundlagentexte, Erfahrungsberichte, Beispiele aus der Praxis, Werkstattkonzepte (analog und digital mit Open Source-Anwendungen, ohne Learning Analytics und Profilierung), Dokumentationen von Workshops zu Theater, Musik, Kunst, Hackatons u.v.m.

WEITERE INFORMATIONEN:

https://die-pädagogische-wende.de/call-for-papers/