Zwischenruf: Braucht es verbeamtete Lehrer?

Es gibt Themen, die in „schöner“ Regelmäßigkeit immer wiederkehren. In diesem Sommer hat der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, einmal mehr gefordert, Lehrer nicht mehr zu verbeamten. Sehen wir einmal davon ab, dass Lehrer Landesbeamte sind und damit gar nicht in die bundespolitische Zuständigkeit fallen – aber schon länger kratzt mittlerweile selbst die Union kräftig am Kulturföderalismus. Vor allem zwei Themen lassen das Thema immer wieder hochkochen: haushaltspolitische Gründe – wer nicht mehr verbeamtet wird, bekommt keine Pension und wird sozialversicherungspflichtig. Und vermeintlich pädagogische Gründe: Ohne verbeamtete Lehrkräfte werde das Schulsystem innovativer, dynamischer, marktwirtschaftlich steuerbarer usw.

Keine Rede ist hingegen vom Streikrecht. Der Katzenjammer wird schnell kommen, wenn das erste Mal großflächige Streiks die Schulen lahmlegen, womöglich noch vor oder in Prüfungszeiten. Man kann sich leicht vorstellen, wie schnell dann ein zweiter Dauerbrenner hochkommt: die Einschränkung des Grundrechts auf Streik für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Lehrer setzen hoheitliche Verwaltungsakte – und hierfür braucht es eine Unabhängigkeit, welche der Staat durch Verbeamtung garantiert. Auch wenn es zu Recht gleichfalls angestellte Lehrer gibt, obliegt die Ausübung hoheitlicher Befugnisse im freiheitlichen Rechts- und Verfassungsstaat Beamten, die in einem besonderen Treueverhältnis zu diesem Staat stehen.

Zwei Besonderheiten zeichnen das deutsche Bildungswesen aus, die eine Verbeamtung dringlich machen: Zum einen gibt es eine enge Koppelung zwischen Bildungs- und Berechtigungswesen. Deutsche Lehrkräfte verteilen mit den Bildungstiteln starke Berechtigungen, welche – etwa im Rahmen des Tarifrechts – Auswirkungen auf die gesamte Berufsbiographie haben können. Zum anderen kennt Deutschland den Sonderweg einer strikten Schulpflicht und einer flächendeckenden staatlichen Schulaufsicht. Dies setzt durchgängig geregelten Unterricht und verlässliche Prüfungen voraus: zwei Aufgaben, die streikfrei bleiben sollten, wenn wir unsere eigene Verfassung ernstnehmen wollen.

Es steht zu befürchten, dass angesichts der finanziellen Nöte in öffentlichen Haushalten und Sozialversicherungen das Thema nicht allein dem Sommerloch zugeschrieben werden kann. Ja, wir brauchen eine deutliche haushalts- wie sozialpolitische Konsolidierung in Deutschland. Die Probleme werden immer größer, je länger sich die politisch Verantwortlichen einer nachhaltigen Finanz-, Sozial- und Haushaltspolitik verweigert. Doch braucht es zur Lösung zweierlei: eine Reduzierung der Staatsausgaben und der Staatsquote einerseits sowie eine an den Grundprinzipien des Verfassungsstaates ausgerichtete Begrenzung der Staatsaufgaben. Hoheitliche Akte gehören zum Kernbereich des Staates. Vieles andere, womit der Staat mittlerweile Wirtschaft und Gesellschaft seiner Steuerung und Kontrolle unterwirft, hingegen nicht.

Tagungsbericht: Wissenschaft, Wahrheitsfrage, Metaphysik

Wissenschaft, Wahrheitsfrage, Metaphysik:

Bamberger Sondierungen, 2.-3. 8. 2025,

veranstaltet von Jan Dochhorn und unterstützt vom Lehrstuhl Prof. Dr. Peter Bruns (Institut für Katholische Theologie, Otto-Friedrich Universität Bamberg)

Ein Tagungsbericht von Jan Dochhorn

Eine kleine Tagung, in Bamberg veranstaltet zuerst in Räumlichkeiten des Fachbereichs Theologie und dann im Haus der Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg, hat den Versuch gewagt, einer Krise des Wahrheitsbegriffs in der Wissenschaft durch Rekurs auf die metaphysische Tradition beizukommen. Ausgangspunkt ist die Wahrnahme einer Einengung von Wissenschaftsfreiheit, konstatiert wird eine Verformung wissenschaftlicher Diskurse durch nominalismusaffin-postmodernistische sowie materialistische Theoreme, und erprobt wird die Option, durch Fachwissenschaft hindurchblickend eine Perspektive auf ein Sinnganzes von Welt und Leben zu gewinnen, damit von daher der Wissenschaft wieder Anhalt in einem gesicherten Wahrheitsbegriff gegeben und der Wissenschaftsfreiheit neue Weite erschlossen werde. Ein Tagungsband ist das beabsichtigte Resultat. 

Die Vorträge waren im Einzelnen:

1. Harald Schwaetzer, Transzendentale Transzendenz. Individuum und Existenz: Unter Bezug auf die Transzendentalphilosophie des Neukantianers und Exis­­tenzphilosophen Heinrich Barth wird herausgearbeitet, dass ein ur­teilendes Subjekt nicht urteilen kann, ohne dass dem Urteilen eine dem Subjekt wie der Welt vorgängige Logos-Wirklichkeit zugrundeliegt. Deren Gewahrwerden im Modus existentieller Beobachtung transzendentaler Transzendenz erlaubt methodisch eine gültige Geisterkenntnis im metaphysischen Sinne.

2. Jan Dochhorn, Orientierungskrise in der Wissenschaft und die metaphysische Fragestellung: Wissenschaft befindet sich in einer sokratischen Situation: Sie ist insbesondere gegenwärtig der Frage ausgesetzt, was sie eigentlich ist. Diese Frage ist ontologischer und damit metaphysischer Natur.

3. Matthias Scherbaum, Das Ende der Metaphysik, oder: Was ist Materialismus? Un­zeit­­­gemäße Betrach­tungen zu einer Prima Philosophia: Materialismus ist ein Phänomen der Philsophie seit der Antike; erst neuzeitlich verbindet er sich mit Empirie und Technizismus. Seine erkenntnistheoretischen Grundlagen sind fragwürdig, sein Erfolg schwer erklärbar.

4. Salvatore Lavecchia, Geist als augenblickliche, ’sphärische‘ Einheit von Individualität und Gemeinschaft, Mitte und Umkreis, Schau und Produktivität. Anregungen aus Plotin, Enn. V 8.4.4-11: Dem Verhältnis von Einem und Geist entspricht die produktiv individualisierte, vielfältige Einheit des Erkennens für jeden in dem Einen.

5. Meik Gerhards, Wissenschaft aus Religion: Die Vorsokratiker hatten Mythisches als Voraussetzung, und sokratisches Fragen erfolgte nicht ohne Religion; es zielt bei aller Dekonstruktion des voreiligen Wissens auf das Gegenteil von Relativismus ab.

6. Axel Bernd Kunze: Schafft sich der Kulturstaat seine eigenen Grundlagen? – Überlegungen aus bildungsethischer Perspektive: Gegen Axel Honneths Kritik am Böckenförde-Diktum wird festgestellt: Der Staat ruht auf kulturellen Voraussetzungen auf, nicht umgekehrt; die Freiheit des Subjekts ist sein unantastbares Prärogativ.

Neuerscheinung: Zwanzig Jahre Kindheitspädagogik in Deutschland

2024 war es zwanzig Jahre her, dass in Deutschland eigenständige Studiengänge für Kindheitspädagogik entstanden. Aus Anlass dieses Jubiläums nimmt sich die Zeitschrift „Katholische Bildung“ des Themas an. Der Sozialethiker und Erziehungswissenschaftler Axel Bernd Kunze nimmt eine Standortbestimmung der noch jungen Disziplin vor:

Axel Bernd Kunze: Zwischen Sozialpädagogik und Elementarbildung – Bildungsethische Gedanken anlässlich zweier Jahrzehnte akademischer Kindheitspädagogik, in: Katholische Bildung 126 (2025, Heft 9/10 (September/Oktober), S. 221 – 232.

„Katholische Bildung“ ist die Verbandszeitschrift des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen e. V. (VkdL).

Auf fremden Seiten: Menschenwürde und Lebensrecht

„Die Verfassungsrichter-Kandidatin Brosius-Gersdorf ist gescheitert, die Begriffsverwirrung um den Menschenwürde-Begriff hält trotzdem an. In diesem Streit geht es nicht nur um das ungeborene Leben – sondern um unseren Wesenskern.“

Der Theologe Jan Dochhorn nimmt in einem Beitrag für das Onlinemagazin „Publico“ zur Diskussion um die gescheiterte Kandidatur der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für ein Richteramt am Bundesverfassungsgericht. Dabei geht es ihm um den Menschenwürdebegriff, der metaphysischer Grundlegung bedürfe, und die Notwendigkeit, zwischen Menschenwürde und Lebensrecht zu differenzieren.

In memoriam: Altrektor Prälat Prof. Dr. Hierold +

Die Otto-Friedrich-Universität Bamberg trauert um ihren verstorbenen Altrektor,

Hochwürdigsten Herrn Prälaten Professor Dr. Alfred Egid Hierold,

der am 3. September 2025 im Alter von dreiundachtzig Jahren verstorben ist. Er war von 1992 bis 2000 Rektor der Bamberger Universität gewesen.

Der Verstorbene war auch als Stiftungsfestredner für die örtliche Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg tätig gewesen. Seine Verbundenheit mit ihr zeigte er im vergangenen Jahr durch seine Teilnahme als Ehrengast an der Einweihung und Segnung des frisch renovierten Alemannenhauses.

Die Universität würdigt den Verstorbenen in einem Nachruf auf ihren Internetseiten:

https://blog.uni-bamberg.de/menschen/2025/nachruf-hierold/

R. I. P.

Verein Selige Märtyrer von Dachau: Neue Seligsprechungen

Dachau (01.09.2025). Fünf weitere ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau werden am Samstag, dem 13. Dezember 2025, seliggesprochen. Sie gehören zu einer Gruppe von 50 Franzosen, die 1944 und 1945 als Opfer des Nationalsozialismus das Martyrium erlitten. Kardinal Jean-Claude Hollerich vertritt Papst Leo XIV. bei der Zeremonie in der Kathedrale Notre-Dame de Paris. Victor Dillard, Pierre de Porcaro, Henri Euzenat, René Boitier und Jean Bernier und die anderen hatten im Zweiten Weltkrieg verbotene Seelsorge für Landsleute betrieben, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden waren. Zwei starben in Dachau. Zwei weitere erlebten noch die Befreiung, erlagen aber kurz darauf den Folgen der unmenschlichen Haftbedingungen. Einer wurde aus Dachau ins KZ Mauthausen verlegt und dort im Außenlager Gusen getötet. Ab dem 13. Dezember wird damit 62 Selige Märtyrer von Dachau geben.

Quelle: Pressemitteilung des Vereins Selige Märtyrer von Dachau e. V.

https://www.selige-kzdachau.de/index.php/neuigkeiten/2025/5-neue-selige-aus-frankreich

Rezension: Gefängnisseelsorge

Gefängnis. Soziale und theologische Aspekte – lautet das neue Themenheft der internationalen Fachzeitschrift CONCILIUM vom Juli 2025. Darin rezensiert Axel Bernd Kunze zwei Titel zur Gefängnisseelsorge:

Axel Bernd Kunze (Rez.): Freiraum im Gefängnis, in: Concilium 61 (2025), H. 3, S. 325 – 329.

Rezension zu:

  • Frank Stüfen: Freiheit im Vollzug: Heiligungs- und befreiungsorientierte Seelsorge im Gefängnis, Zürich: Theologischer Verlag 2020.
  • Katharina Scholl: Kontrolle und Subversion. Raum für Seelsorge im Gefängnis (Praktische Theologie heute; 197), Stuttgart: W. Kohlhammer 2024.

Zwischenruf: Zehn Jahre nach „Wir schaffen das“

„Wir schaffen das.“ Der Zustand unseres Landes zehn Jahre später ist ernüchternd. Anders als Erzbischof Heße in der Hildesheimer Kirchenzeitung (Nr. 16/2025, S. 38 f.) meint, ist der Satz nicht „zukunftsgerichtet“, sondern Ausdruck einer unpolitischen Haltung. Zum einen: Statt über unterschiedliche Positionen im Umgang mit Migration zu diskutieren, werden die Differenzen moralisierend abgewiesen. Aktion ersetzt das politische Urteil. Wer nicht aktivistisch mitmacht, wird aus dem öffentlichen Diskurs kommunikativ ausgeschlossen. Wollen wir „das“, was immer damit genau gemeint ist, überhaupt? Ist dieses „Das“ überhaupt im Interesse unseres Zusammenlebens? Merkels Entscheidungen in der Migrationspolitik entzogen sich der parlamentarischen Legitimation. Zum anderen: Der Satz verweigert jegliche Bereitschaft zur politischen Gestaltung. Eine populistische Parole ersetzt das tiefere Nachdenken über die Grundlagen des Staates und über das, was es braucht, diese zu erhalten. Wer ist mit diesem „Wir“ gemeint? Wohl nicht eine Politik, die sich um die notwendigen Ressourcen für die Erhaltung unseres Zusammenlebens sorgen sollte. Die Probleme eines überforderten Bildungsproblems oder eines strukturell überlasteten Sozialstaates, um nur zwei Beispiele zu nennen, sind überdeutlich, werden aber verdrängt – auch von Erzbischof Heße.