Neuerscheinung: Zeichen der Hoffnung

„Maria ist das Gegenbild zu den Skeptikern, die Jesu Vollmacht anzweifeln. Ihre wahre Ehre liegt darin, dass sie Hörerin des Wortes Gottes ist. Entscheidend für das Gelingen unseres Lebens ist nicht eine irdische Rolle, sondern die gläubige Existenz vor Gott.

Und gerade deshalb kann Maria für uns alle das große Hoffnungszeichen sein, gerade auch in diesem Heiligen Jahr, das unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ steht. Die besondere Mutterschaft Mariens könnten wir nicht nachahmen. Aber alle Gläubigen sind Hörer des Wortes Gottes. Hierin wurzelt unsere Berufung zu himmlischer Glückseligkeit. Was an Maria geschehen ist und was wir heute feiern, dürfen auch wir erhoffen: Wir werden in ewiger Vollendung Gott voll und ganz schauen dürfen, mit Leib und Seele.

Das laufende Heilige Jahr trägt das Motto „Pilger der Hoffnung“. Passend hierzu ist das Modell für eine Wort-Gottes-Feier am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel erschienen, aus dem der vorangetellte Auszug genommen ist:

Axel Bernd Kunze: Zeichen der Hoffnung [Lesejahr C. Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel], in: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen 22 (2025), H. 4, S. 699 – 714.

„Das heutige Fest, das auch als Großer Frauentag bezeichnet wird, ist in der Zeit nach dem Konzil von Ephesus (431), auf dem Maria als Gottesgebärerin proklamiert wurde, von Bischof Cyrill von Alexandrien eingeführt worden. Die „Himmelfahrt Mariens“ war ein beliebtes Altarbildmotiv der Barockzeit. Pius XII. bestätigte 1950 feierlich die Glaubensüberzeugung, dass Maria nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen wurde. Bezeugt ist dieser Glaube bereits seit dem sechsten Jahrhundert. Nach apokrypher Überlieferung sollen die Apostel beim Tod Mariens von ihren Missionsorten nach Jerusalem entrückt worden seien; nach dem Hinübergang Mariens soll dem Grab ein wunderbarer Blumenduft entströmt sein. Hierauf geht der Brauch zurück, am 15. August Kräuter und Heilpflanzen zu segnen. Üblich sind ferner feierliche Lichter- und Marienprozessionen. In der Volksfrömmigkeit beginnt heute der Frauendreißiger: eine dreißigtätige Folge von Marienandachten, die bis zum Fest der Schmerzen Mariens am 15. September reicht.“ (ebd., S. 699)

Auf fremden Seiten: Ende der Vereinsfreiheit?

Heute ein Blick in die Schweiz. Der Staat mischt sich in immer mehr gesellschaftliche Lebensbereiche ein und unterwirft diese seiner Steuerung – oder anders gesagt: Der autoritäre Maßnahmenstaat ist auf dem Vormarsch. Das liberale Autorenmagazin „schweizer monat“ widmet sich dem Urteil eines Bundesgerichts, das sich an männlichen Studentenverbindungen an der Universität stört:

Zwischenruf: Politisch, nicht parteipolitisch

„Die Kirche Jesu ist politisch“, meint Ulrich Waschki (KirchenZeitung. Katholisches Magazin für das Bistum Hildesheim, 10/2025). Ja, der Glaube ist politisch relevant. Aber aus dem Evangelium lassen sich nicht einfach parteipolitische Forderungen ableiten. Doch genau dies machen die beiden Großkirchen in Deutschland immer offensiver und verspielen dadurch Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Einzelne parteipolitische Forderungen werden als vermeintlich alternativlos gut dargestelt; wer anders denkt, wird ausgegrenzt. Moralisierung und Polarisierung des innerkirchlichen Diskurses sind die Folge, und dann auch leere Kirchenbänke. Die Kirche hat gerade keine Foren der parteipolitischen Programmbildung. Aus gutem Grund. Die Kirche ist dem Evangelium verpflichtet, nicht einem bestimmten politischen Programm. Wie Christen ihren Glauben und ihre Form der Nachfolge auch politisch verantwortlich leben, kennt vielfältige Formen. Und das ist auch gut so. Denn über die Frage, wie das Gemeinwohl ganz konkret am besten umgesetzt werden kann, müssen auch Christen untereinander streiten können; wenn es sein muss, auch sehr kontrovers.

Neuerscheinung: „Bildungsautomaten?“ erreicht zweite Auflage

Sammelband jetzt in zweiter Auflage erschienen.

Axel Bernd Kunze: Pädagogisches Handeln angesichts der Digitalisierung – Bildungsethische Überlegungen zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Schule, in: Tim Raupach, Florian Fuchs (Hgg.): Bildungsautomaten? Beiträge zur Digitalisierung von Bildung und Lehre (ars digitalis), Wiesbaden: SpringerVieweg 2025, S. 191 – 211.

Rezension: Radikale Sakramentalität

Sakramentalität für die Postmoderne – unter diesem Titel rezensiert Axel Bernd Kunze in der aktuellen Ausgabe von CONCILIUM den folgenden Band:

Stephan Tautz: Radikale Sakramentalität. William T. Cavanaughs politische Theologie der Eucharistie im Gespräch mit radikaldemokratischer Theorie der Macht (Religion – Geschichte – Gesellschaft. Fundamentaltheologische Studien; Bd. 56), Berlin: LIT 2022, 497 Seiten.

Axel Bernd Kunze (Rez.): Sakramentalität für die Postmoderne, in: Concilium 61 (2025), H. 2, S. 225 – 229.

Zwischenruf: Was ist vom neuen Pontifikat zu erwarten?

Habemus Papam! Wie sich das neue Pontifikat entwickeln wird, ist mehr als ungewiss. Es kann ein langes werden, da Leo XIV. noch jung ist. Ich wage dennoch eine Prognose. Das erste Bild auf der Segensloggia – der Papst in Sommermozetta und klassischer Stola mit den vier Evangelisten und dem klassischen Friedensgruß – deutet auf eine stärkere Orientierung an der Tradition hin. Gehen wir mal von Leo XIII. aus.

Leo XIII., der Arbeiterpapst – der mit der katholischen Soziallehre ganz bewusst eine Antwort auf aktuelle Herausfordeurngen auf Basis der kirchlich-theologischen Tradition gesucht hat, Aktualisierung der scholastisch-mittelalterlichen Ausagen für die Gegenwart. Man kann dies „restaurativ“ nennen, ich würde es anders sagen: lebendige Tradition unter den aktuellen Herausforderungen zum Sprechen bringen.

Leo XIII. als theologischer Denker – kein Dogmenpapst, aber ein Weltmeister der Enzykliken, Förderung naturwissenchaftlicher und theologischer Forschung, Gründung katholischer Universitäten (gerade in den USA), Aufruf zum Bibelstudium.

Leo XIII. als Marien- und Herz-Jesu-Verehrer – vielleicht ist der erste Besuch des neuen Papstes bei der Mutter vom Guten Rat nach seiner Wahl eine erste Parallele.

Leo XIII. als Diplomat – klar in der Sache, aber diplomatisch im Auftreten. An der Notwendigkeit einer weltlichen Herrschaft des Papstes hat er unverrückbar festgehalten. Beim Kulturkampf war diese MIschung nicht erfolgreich, aber durchaus in anderen Ländern. Einerseits hat er Katholisken in Italien parlamentarische Mitwirkungen verboten, in Frankreich den Katholiken aber offene Hand bei ihrer Einschätzung der Dritten Republik gelassen.

Wenn Leo XIV. sich in diese Line stellt, könnte das heißen: ein Pontifikat, das sich wieder deutlicher an der Tradition orientiert, diese aber mit aktuellen Herausforderungen kompatibel macht. Mehr Berechenbarkeit und mehr theologische Stringenz. Mehr Diplomatie und mehr Gespür dafür, dass politische Aussagen des Papstes auch theologisch abgesichert sein müssen. In diesem Sinne: zunächst ein Vorschuss an Sympathie für das neue Pontifikat.

Vortrag: Wie lernen Kinder?

Vortrag für die AG Bildung im Verband botanischer Gärten e. V.

Frankfurt am Main – Palmengarten – 10. Mai 2025

Die Neurowissenschaften sind in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten äußerst populär geworden. Neue Teildisziplinen an der Schnittstelle zwischen Hirnforschung sowie Geistes- und Sozialwissenschaften entstanden, so beispielsweise innerhalb der Wirtschaftswissenschaften die Neuroökonomie, innerhalb der Theologie oder Religionswissenschaft die Neurotheologie oder eben innerhalb der Pädagogik die Neurodidaktik.

Erstmals taucht der Begriff Neurodidaktik Ende der Achtzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts beim Fachdidaktiker Gerhard Preiß auf, der damit betonen will, wie wichtig die Ergebnisse der modernen Hirnforschung für die Didaktik und die pädagogische Anwendung sind. Etwas später – Anfang der Neunzigerjahre – wird der Begriff dann von Gerhard Friedrich aufgegriffen und inhaltlich stärker konkretisiert.

Wird nun erklärbar, was bisher nur alltagstheoretisch fassbar war?

Gleich am Anfang muss ich reichlich Wasser in den Wein gießen. – Schon Friedrich betont in seiner Habilitationsschrift Anfang der Neunzigerjahre, dass die Neurowissenschaften keine eigene Didaktik zu begründen vermögen. In der Regel seien neurobiologische Verfahren (etwa bildgebende Methoden, welche Gehirnaktivitäten sichtbar machen sollen) für die pädagogische Anwendung zu unspezifisch. Neuere Erkenntnisse seien eher für die pädagogische Diagnostik zu erwarten, beispielsweise im Umgang mit Lern- und Verhaltensstörungen oder Sprachentwicklungs- und Aufmerksamkeitsstörungen.

Vielleicht können wir es so sagen: Sie helfen uns, das, was Lehren und Lernen ausmacht, noch einmal aus anderer Perspektive zu beschreiben, reichern unser Bild menschlicher Lernprozesse weiter an – ohne dass wir davon aber bestimmte Wunder erwarten könnten.

Die Neurowissenschaften helfen uns, die Eigengesetzlichkeiten des Geistig-Psychischen besser zu verstehen – ohne dass der Mensch damit aber allein auf seine physikalischen, chemischen oder physiologischen Bedingungen zu reduzieren wäre. Hierauf hat Gerhard Roth (gem. mit Nicole Strüber: Wie das Gehirn die Seele macht, Stuttgart 52015, vgl. S. 371) aufmerksam gemacht. Diese Eigengesetzlichkeiten verwundern als solche zunächst einmal nicht, insofern vieles, was wir im menschlichen Leben kennen, zwar körperliche oder naturwissenschaftlichen Grundlagen hat, mit solchen Prozessen aber keineswegs allein erklärt werden kann. Vielmehr führen die Elemente unseres geistig-psychischen Erlebens im Gehirn zu einer gewissen Autonomie geistiger Prozesse, die sich insbesondere bei der Verarbeitung neuer und für das Leben oder Überleben wichtiger Informationen als ordnungstiftende und gestaltende Faktoren zeigen.

Und damit sind wir beim Lernen. Doch was wir als bunte Bilder vom Gehirn kennen, sind nicht einfach Abbildungen, beispielsweise von Lernprozessen. Vielmehr handelt es sich um hochverdichtete Konstrukte, welche die physiologischen Vorgänge, beispielsweise bei Lernprozessen, veranschaulichen sollen.

Die Elektroenzephalographie misst das elektrische Feld, die Magnetenzophalographie Magnetfeld, das aktive Nervenzellen erzeugen.

Bildgebende Verfahren, die funktionelle Studien zu bestimmten Hirnarealen erlauben, sind verschiedene Formen der Tomographie. Sie erzeugen Signale, die sich bildlich darstellen lassen, machen allerdings keine zeitliche Abfolge neuronaler Prozesse deutlich – anders als die Nahinfrarotspektroskopie, die allerdings nur sehr kleine Bereiche des Gehirns abbilden kann.

Neurowissenschaftliche Forschungen können Pädagogik nicht ersetzen, aber sie lassen allgemeine Aussagen darüber zu, was Lernen fördert oder behindert.

Eine mathematische Formel für menschliche Lernprozesse können die Neurowissenschaften also nicht liefern, auch deren Erkenntnisse müssen pädagogisch rekontextualisiert werden, also anschlussfähig gemacht werden an die spezifische Situation,  das lernende Individuum oder die konkrete Lerngruppe. Jede Erzieherin, jeder Erzieher weiß aus eigener Praxis, dass pädagogische Prozesse niemals standardisierbar sind. Jede Situation, jedes Kind ist immer wieder anders.

Ralph Schumacher (Wie viel Gehirnforschung verträgt die Pädagogik? Über die Grenzen der Neurodidaktik, in: Ralf Caspary [Hg.]: Lernen und Gehirn, Hamburg 72012, S. 12 – 22) hat das Verhältnis zwischen Neurowissenschaft und Pädagogik in folgendem Bild verdeutlicht: Die Neurowissenschaft stellt keine Anleitung zum Bau eines Segelbootes zur Verfügung, aber sie gibt Hinweise, wie das pädagogisch zu konstruierende Boot auf dem weiten Meer effizient genutzt werden kann. Lernen steht in einem größeren Kontext, den pädagogische Fachkräfte didaktisch erfassen müssen und der über den Horizont der Neurowissenschaft hinausreicht. Hier sind überzogene Erwartungen, mit den Neurowissenschaften ließe sich gleichsam das Bildungssystem revolutionieren oder effizienter machen, sehr schnell deutlich zurückgenommen worden.

Aber die Neurowissenschaften können wichtige Hinweise liefern, auf die richtigen Bedingungen für gelingendes Lernen zu achten – mit dem Ziel, Kinder gut auf das Leben vorzubereiten, sie stark zu machen und zugleich widerstandsfähig, wenn Belastungen auf sie zukommen. Dabei können aus neurowissenschaftlicher Sicht Erfahrungen bestätigt werden, die schon lange aus pädagogisch-psychologischer Erfahrung oder aus der Reformpädagogik bekannt sind.

Wie lernen Kinder?

Die Suche nach dem berühmten „Nürnberger Trichter“ mag verlockend sein, wird aber pädagogisch erfolglos bleiben. Denn Lernen erfolgt nicht passiv, sondern ist ein aktiver Vorgang der Informationsverarbeitung. Dabei lassen sich Veränderungen im Gehirn des Lernenden nachweisen. Eine besondere, wenn auch keine ausschließliche Rolle, spielt der Hippocampus im Inneren des Gehirns, ein Art „Arbeitsspeicher“ (der Name bedeutet „Seepferdchen“, was an das ungefähre Aussehen dieses Teils des Gehirns erinnert).

Im Hippocampus fließen Informationen verschiedener sensorischer Systeme zusammen, die verarbeitet und von dort zum Cortex zurückgesandt werden. Damit ist der Hippocampus enorm wichtig für die Gedächtniskonsolidierung, also die Überführung von Gedächtnisinhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis. Wir können von einer Struktur sprechen, die Erinnerungen entstehen lässt, während die Gedächtnisinhalte aber an verschiedenen anderen Stellen in der Großhirnrinde gespeichert werden.

Der Hippocampus ist auch für die Koordinierung der verschiedenen Gedächtnisinhalte verantwortlich. Beispielsweise besteht die „innere Karte“, die wir etwa von einer Stadt besitzen, aus zahlreichen Eindrücken, die wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten gewonnen haben. Im Hippocampus werden diese zusammengefügt, und wir können uns so orientieren.

Pädagogisch geht es bei einer neuropsychologischen Sicht auf Lernen nicht in erster Linie um die Suche nach Defiziten. Vielmehr kommt es darauf an, die Rahmenbedingungen für die Aktivität des Lernens möglichst förderlich zu gestalten. Dabei kommt es nicht allein auf die Quantität an – nach dem Motto: möglichst früh, möglichst viel. Dies war ein Denkfehler sogenannter „Hothousing“-Programme, die nach der ersten PISA-Studie in China und den USA um sich griffen.

„Hothousing“ – auf Deutsch: Treibhaus – ist eine Form der Bildung für Kinder, bei der ein Thema sehr intensiv studiert wird, um den Geist des Kindes anzuregen. Das Ziel ist es, normale oder aufgeweckte Kinder zu nehmen und sie auf ein intellektuelles Leistungsniveau zu bringen, das über der Norm liegt. Babys sollten bei diesen Programmen bereits früh mit möglichst vielen Reizen konfrontiert werden.

Es kommt vielmehr auf die Qualität der Lernprozesse an. In den frühen Jahren verändert sich das Gehirn sehr stark, daher darf die frühe Bildung für die Entwicklung des Einzelnen nicht unterschätzt werden. In den ersten zwei Lebensjahren sind die Nervenzellen als gleichmäßiges Netz verbunden, das so aber nicht erhalten bleibt. Die  synaptischen Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen – sozusagen die wichtigen „Datenbahnen“ in unserem Gehirn – nehmen zu. In den weiteren Jahren bis zur Pubertät  verstärken sich einzelne dieser Bahnen, es kommt – um im Bild zu bleiben – zu „Datenautobahnen“, die stärker, schneller und häufiger „befahren“ werden als andere.

Die Verstärkung einzelner Synapsen ist abhängig von Lernprozessen, von der Häufung der Impulse in Bezug auf bestimmte Gehirnaktivitäten, die beim Lernen eine Rolle spielen. Im Erwachsenenalter steht das bis dahin gebildete, mehr oder weniger strukturierte Netz zur Verfügung. Allerdings zeigen neuere Untersuchungen, dass unser Gehirn auch im Erwachsenenalter keineswegs starr ist. Abhängig vom „Input“, das es erhält, baut sich unser Gehirn immer wieder und weiter um. Es wurde mittlerweile nachgewiesen, dass sich im erwachsenen Gehirn im Hippocampus neue Verbindungen zwischen bestehenden Nervenzellen bilden und dass diese Neubildung mit dem Erwerb neuer Gedächtnisinhalte zusammenhängt. Man spricht von synaptischer Plastizität.

Die gespeicherten Informationen werden aber vom Gehirn nicht einfach als Abbild gespeichert, vielmehr handelt es sich um Repräsentationen in Form komplexer neuronaler Muster. Synapsen arbeiten nicht symbolisch, sie kennen nur die Aktivierung oder Hemmung durch Impulse, vereinfacht: Strom fließt oder fließt nicht.

Die Informationen in unserem Gehirn werden vielmehr durch Synapsenstärken repräsentiert. So wie wir bei der Arbeit am Computer nicht sehen, was in den einzelnen Chips abläuft, ist uns die „Arbeit“ unserer Synapsen ebenfalls nicht direkt zugänglich; nur durch aufwendige bildgebende Verfahren ist es der Neurowissenschaft gelungen, einen Teil dieser Vorgänge nachzuvollziehen.

Im Vergleich zur Computertechnik „lernt“ unser Gehirn äußerst langsam und muss durch Übung und Wiederholung beständig unterstützt werden, dafür verarbeitet und speichert es Informationen aber sehr viel komplexer. Denn es genügt nicht, dass wir beim Lernen einfach ein „Abbild“ von etwas speichern. Es kommt auf die Regel dahinter an – nur dann können wir etwas Gelerntes auch unter anderen Bedingungen und in veränderter Form wieder abrufen. Wir kennen nicht allein einen einzigen bestimmten Tisch. Wir erkennen vielmehr das Muster Tisch, auch wenn jeder einzelne von diesen ganz verschieden aussehen kann. Oder: So ist es beim Spracherwerb für Kinder beispielsweise wichtig, nicht allein einzelne Wörter zu lernen, sie müssen die Regel dahinter verstehen und neuronal verarbeiten.

Insgesamt hat die Neuropsychologie darauf aufmerksam gemacht, welch wichtige Rolle Emotionen für ein ganzheitliches, effektives Lernen spielen. Unsere neuronalen Schaltkreise werden nicht unwesentlich durch zwischenmenschliche Erfahrungen bestimmt. Zu erklären versucht wird dies mit Hilfe sogenannter Spiegelneuronen, wie Giacomo Rizzolatti besondere Nervenzellen bezeichnet hat. Ein Spiegelneuron bezeichnet eine Nervenzelle, die im Gehirn beim „Betrachten“ eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster zeigt, als wenn der Vorgang selbst ausgeführt worden wäre – daher auch der Begriff „Spiegel“.

 Allerdings sind Forschungen in diesem Bereich, die zunächst an Primaten vorgenommen wurden, schwer auf den Menschen zu übertragen; die Untersuchung einzelner menschlicher Neuronen ist nur bei ganz bestimmten Krankheitsbildern, etwa Epilepsie, möglich. Erst seit zwölf Jahren gehen Forscher davon aus, dass Spiegelneuronen auch beim Menschen nachweisbar sind. Die Forschungen stehen aber noch sehr am Anfang, die Datenbasis beim Menschen ist noch äußerst gering. Daher bleibt Vorsicht angebracht angesichts der weitreichenden Hypothese, die immer wieder im Zusammenhang mit menschlichen Spiegelneuronen angebracht wurden.

Spiegelneuronen ermöglichen es, mitzuvollziehen, was bei anderen abgeschaut wurde. Für Kinder sind Spiegelneuronen gleichsam die „Eintrittskarte“ in die Welt, weil sie die unbewusste Tendenz zur Imitation begünstigen, z. B. im motorischen Bereich. Über Analogieschluss erfolgte die Annahme, dies gelte auch für Emotionen: Gefühlsbezogene Spiegelneuronen – so die Annahme –, ermöglichten es, sich an der Aktion eines anderen still zu beteiligen, machten empathiefähig, und würden helfen, andere intuitiv – ohne längeres Nachdenken – zu verstehen. Gesicherte Belege für eine solche Annahme fehlen allerdings noch.

Kinder lernen am Modell, am lebendigen und erlebbaren Vorbild des Pädagogen – dessen sollten sich Erzieherinnen und Erzieher immer bewusst sein. Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Einsatz von „Lernrobotern“ die Spiegelneurone quasi ausgeschaltet sind. Aufgabe des Pädagogen ist es, sich in die Kinder hineinzuversetzen und eine Atmosphäre aufzubauen, in der Lernen Freude macht und gelingen kann. Die pädagogische Kunst besteht darin, die rechte Balance zwischen Verstehen und Führen deutlich zu machen.

Für den bekannten Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer zeigt die Gehirnforschung nicht nur, dass wir zum Lernen geboren seien und gar nicht anders könnten, als lebenslang zu lernen. Sie ermögliche uns, die Rahmenbedingungen des Lernens besser zu verstehen. Da alle Handlungen „Spuren im Gehirn“ hinterlassen, so Spitzer – umso intensiver, je häufiger sie ausgeführt werden –, sei es nicht egal, was Kinder den ganzen Tag tun. Kinder lernten deutlich schneller als Erwachsene. Das Gehirn eines Erwachsenen unterscheide sich grundlegend von dem in der Entwicklung begriffenen Kindergehirn. Handeln und Begreifen (im Wortsinn gemeint) spielten nicht nur für das Erlernen konkreter einzelner Dinge eine Rolle, sondern auch beim Erlernen allgemeinen Wissens, auch beim semantischen Gedächtnis, bei unserem Weltwissen, und sogar bei so etwas Abstraktem wie Zahlen. Darum plädiert Spitzer weiterhin für Fingerspiele statt Laptops in den Kindergärten oder für handschriftliches Schreiben und Malen mit dem Bleistift als für das  Tippen auf der Tastatur.

Allerdings sollten neurowissenschaftliche Erkenntnisse nicht mechanisch oder schematisch angewandt werden. Sie sollten in Beziehung gesetzt werden zum weiteren kulturellen Selbstverständnis des Menschen von sich selbst.

Für uns in der Elementarbildung heißt das: Die Neurowissenschaften ersetzen nicht die Didaktik oder die Pädagogik. Sie erweitern unser Bild des menschlichen Lernens – oder anders gesagt: Jedes Lernen hat mit neurowissenschaftlichen Vorgängen zu tun. Aber Lernen ist nicht einfach neurowissenschaftlich erklärbar.

Wie sollten Lernprozesse gestaltet sein?

Welche Hinweise kann die Neurowissenschaft für die Gestaltung einer gedeihlichen Lernatmosphäre und erfolgreicher Lernprozesse geben? Wie schon immer in der Geschichte der Erziehung gilt auch hier: Es kann nicht um fertige Rezepte gehen, womöglich noch für einen Einheitsbrei, der jedem schmeckt – denn jedes Kind ist anders. Formulieren lassen sich aber Prinzipien, an denen sich pädagogisches Handeln orientieren kann.

[1.] Die Neurowissenschaft hat darauf aufmerksam gemacht, dass Lernen gleichfalls ein physiologischer Vorgang ist. Kinder lernen effektiver, wenn sie Erfahrungen machen können, die ihre Sinne in vielfältiger und komplexer Weise ansprechen.

Kinder, die beispielsweise in einem längeren Projekt ein Floß gemeinsam gebaut und dann auch ausprobiert haben, werden mehr gelernt haben als bei vielen kleinen Einzelaktivitäten: von den ersten Überlegungen, dem Erstellen eines Plans über die Informationssuche, die Berechnungen, die Herstellung eines Modells bis zur Bau-, Test- und Reflexionsphase.

[2.] Das Gehirn ist ein „soziales Organ“ – oder anders gesagt: Lernen läuft in entscheidendem Maße über den Einbezug sozialer Interaktionen.

Diese kommen z. B. zum Tragen bei theaterpädagogischen Lernformen, beim Philosophieren mit Kindern oder bei gemeinsamen Bewegungsspielen.

[3.] Die menschliche Beziehung zwischen Kind und Erzieher spielt eine entscheidende Rolle. Kinder lernen effektiver, wenn ihre Interessen und Ideen von der Erzieherin gewürdigt und einbezogen werden, wenn das Gelernte als persönlich bedeutsam eingestuft wird.

Formen der Partizipation sollten daher immer wieder eingezogen werden, genauso wie Dokumentations- und Präsentationsformen, welche die eigene Leistung würdigen.

[4.] Lernen geschieht, wie deutlich geworden ist, durch die Bildung von neuronalen Mustern, ist entscheidend ein Vorgang der Ordnung und Kategorisierung.

Kinder lernen, indem sie vorhandenes Vorwissen mit neuen Mustern verknüpfen, beispielsweise wenn sie ein bestimmtes technisches Können, das bereits vorhanden ist, mit einer neuen Erfahrung verbinden können. Je stärker ein neuer Inhalt anschlussfähig ist an bereits Vorhandenes, desto stärker wird er durch neuronale Repräsentationen verankert.

[5.] Eine wichtige Rolle bei dieser Musterbildung spielen Emotionen.

Begleitende positive Emotionen verstärken die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen – z. B. das Kuscheln beim Vorlesen.

[6.] Unser Gehirn verarbeitet Informationen gleichzeitig in Teilen und als Ganzes.

Verstehen setzt voraus, dass übergeordnete Regelhaftigkeiten erkannt werden: Neues aufnehmen – einordnen – einüben. Hartmut von Hentig hat damit auf diese Weise jede Grundstruktur pädagogischer Lernvorgänge beschrieben.

Beim Lernen sollte ein Verständnis des Ganzen vermittelt werden, damit Kinder die einzelnen Details miteinander verbinden können.

[7.] Lernen geschieht über periphere wie gerichtete Aufmerksamkeit.

Die Aufmerksamkeit kann durch klar strukturierte, rhythmisierte oder bewusst gestaltete Lernumgebungen vertieft werden. Zum  Beispiel kann beim Forschen und Experimentieren (in der naturwissenschaftlichen Frühbildung) die Aufmerksamkeit fokussiert werden, indem das Experiment auf einer Pappunterlage räumlich abgegrenzt durchgeführt wird. Spiele mit sogenanntem „Flitzebogeneffekt“ – wie „Alle Vögel sind schon da“ – schulen Aufmerksamkeit und Reaktionsschnelle.

[8.] Lernen geschieht sowohl bewusst wie unbewusst.

Zur Vertiefung ist es wichtig, dem einzelnen Kind Zeit und Raum zu geben, das eigene Lernen bewusst zu reflektieren, beispielsweise über Portfolioarbeit, eine ausgebaute Feedbackkultur, Tages- und Wochenplanungen oder die Arbeit mit „Stärkeprofilen“.

[9.] Unser Gedächtnis kennt verschiedene Wege, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.

Beim Lernen sollten verschiedene Wege zugelassen werden, damit vielfältige Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Informationen, bereits Gelerntem und neuen Erfahrungen entstehen. Die Verknüpfung von Lerninhalten mit persönlicher Leistung führt dazu, dass diese besser haften bleiben.

[10.] Gleichzeitig sollten beim Lernen die individuellen Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung, der Kenntnisse, Fertigkeiten und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Lernen ist ein individueller, entwicklungsabhängiger Prozess.

Innere Differenzierung, individuelle Förderpläne und kindaktive Lernmethoden nehmen auf diese Erkenntnis Rücksicht.

[11.] Dauerhafte Angst ist ein schlechter Ratgeber – auch beim Lernen (etwas anderes ist die Angst in Alarmsituationen, die mitunter lebensrettend sein kann). In einer unterstützenden, motivierenden, wertschätzenden Umgebung fällt das Lernen leichter. Das heißt aber nicht, dass Kinder unterfordert werden sollten: Es bedarf einer herausfordernden Umgebung für das Lernen. Wer Kindern die notwendige Förderung, aber auch die Forderung, sich anzustrengen, verweigert, nimmt ihnen wichtige Anregungen, ihre eigenen Fähigkeiten im Bestehen der Herausforderung weiter zu entwickeln.

Es geht um eine Atmosphäre „entspannter Aufmerksamkeit“, durch die der Geist zu höher geordneten Funktionen angetrieben wird. Bewegung und entdeckendes Spiel unterstützen Lernvorgänge, was z. B. bei Rhythmik- und Klatschspielen ausgenutzt wird.

[12.] Ein weiterer Punkt schließt direkt an: Ohne Bindung keine Bildung. Kinder müssen sich sicher fühlen, damit sie Neues entdecken können. Die pädagogische Fachkraft ist eine wichtige Wegbegleiterin, die durch einen guten Kontakt zu den Kindern deren Lernen unterstützt und aktiviert.

Die Bedeutung des Kontaktaufbaus wird gleichfalls deutlich, wenn es um die Frage geht, was Kinder lernen und erwerben sollten, damit sie auch mit belastenden Situationen zurechtkommen können. Zuvor genannte Lernprinzipien werden dabei als Schutzfaktoren wiederkehren. 

Statt eines Schlussworts …

Lernen wird durch das Gehirn ermöglicht, aber durch die Umwelt gesteuert. Dabei kennt Lernen viele Wege, nur nicht den Nürnberger Trichter, der den Einzelnen von jeder Lernanstrengung befreien könnte. Neuro- und entwicklungspsychologische Bedingungen machen Lernen auch in dieser Hinsicht nicht neu. Aber sie geben wichtige Hinweise, wie wir die Bedingungen für erfolgreiche Lern- und Bildungsprozesse förderlich gestalten können. Erzieherinnen, Lehrer und Pädagogen sind es gewohnt, interdisziplinär zu arbeiten. Es ist ihr Beruf, psychologische, soziologische, aber auch neuere neurowissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Bildungs- und Erziehungsarbeit einzubinden.

Gastbeitrag: Wissenschaftsfreiheit unter staatlichem Druck

Leserbrief vom April 2025 an die Redaktion der Zeitschrift „Forschung&Lehre“ (hrsg. im Auftrag des Präsidiums des Deutschen Hochschulverbandes) zu Heft 4 mit dem Schwerpunktthema „Freiheit unter Druck“ (der Leserbrief wurde nicht veröffentlicht):

Wissenschaftsfreiheit unter staatlichem Druck

Heft 4/25 ist dem Schwerpunktthema „Freiheit unter Druck“ gewidmet. Freiheit bedeutet das Ausbleiben staatlicher Übergriffe und, in schwerwiegenden Fällen, staatlichen Schutz gegen private Übergriffe. Insofern hätte es nahe gelegen, die immer größeren Repressionen zu thematisieren, denen kritische Wissenschaftler durch Behörden und Aktivisten ausgesetzt sind. Aktuelles Beispiel ist die Diffamierungskampagne gegen die Historiker Benjamin Hasselhorn und Peter Hoeres. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, das sich nicht ohne Grund 2021 als Verein mit inzwischen über 700 Mitgliedern gegründet hat und dessen Vorstand Hoeres angehört, sieht sich bemüßigt, der Leitung der Universität Würzburg in einer Pressemitteilung vorzuwerfen, in diesem Fall „jede Fairness in verfahrensrechtlicher Hinsicht vermissen“ zu lassen. Weitere Beispiele für sich kritisch exponierende Hochschullehrer, die es mit Diffamierungen, amtlichen „Distanzierungen“, Disziplinar- und Strafverfahren, Hausdurchsuchungen oder Kündigungen zu tun bekamen, sind Sucharit Bhakdi, Ulrike Guérot, Stefan Hockertz, Stefan Homburg, Ulrike Kämmerer, Christof Kuhbandner, Michael Meyen, Andreas Sönnichsen und Martin Wagener – jeweils offiziell aus anderen Gründen, aber doch mit erkennbarem Muster (s. auch Egner/Uhlenwinkel, Ordnung der Wissenschaft 2021, 173 ff.). Ende März hat der aufgelöste Bundestag quasi „über Nacht“ das Schlagwort der „Klimaneutralität“ und damit eine allgemein verbreitete, aber keineswegs unumstrittene Wissenschaftsmeinung im Grundgesetz (Art. 143h) verankert. Es ist die Durchsetzung des Prinzips der Alternativlosigkeit in seiner extremsten Form.

Der einzige Beitrag im Themenheft, der die Wissenschaftsfreiheit ernsthaft adressiert, stammt vom Philosophen Gosepath. Während der Corona-Pandemie hätten die einen die politische Interpretation wissenschaftlicher Fragestellungen und Ergebnisse „als längst fällige Übernahme von Verantwortung“ gesehen, die anderen sie aber „als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und als zunehmenden Bekenntniszwang“ wahrgenommen. Immerhin eine Andeutung, aber das war es dann auch.

Die übrigen drei Autoren, der Politikwissenschaftler und DHV-Vizepräsident Korte, der Jurist Gädertz und die Medienwissenschaftlerin Elmer schreiben von der Gefährdung der geltenden Ordnung durch vorgebliche „Feinde“ der Freiheit und Demokratie, namentlich die politische Opposition und Desinformanten. Der „Kampf gegen Desinformation“, prominent etabliert durch den Digital Service Act (DSA) der EU, ist ein Code für die Beschränkung (bisher noch) erlaubter Äußerungen. Obwohl die künftigen Koalitionäre aus CDU und SPD ihn gemäß dem durchgestochenen Sondierungspapier „entschiedener denn je“ führen wollen, ist der daraus resultierende „Druck“ auf die Freiheit, auch diejenige der Wissenschaft, im „Schwerpunkt“ des Hefts 4/25 kein Thema. Diejenigen, die noch die vergangenen Themenschwerpunkte „Verantwortung“ (Heft 4/2024) und „Wissenschaft und Politik“ (Heft 5/2023) als vertane Chancen in Erinnerung haben, sehen sich in ihrer Einschätzung des Hochschulverbandes und seiner Zeitschrift als herrschaftsnahe Institutionen bestätigt.

Professor Dr. jur. Günter Reiner, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Wir danken Herrn Kollegen Günter Reiner für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck. Erstveröffentlichung auf der Internetseite des Autors: https://gunterreiner.de/reiner_leserbriefe.htm