Seit zwanzig Jahren gibt es im Bereich der Elementarbildung ein Nebeneinander von fachschulisher und akademischer Qualifizierung; seit nunmehr zwanzig Jahren gibt es in Deutschland kindheitspädagogische Studiengänge. Veronika Verbeek bürstet in ihrem gleichnamigen Buch die „neue Kindheitspädagogik“ und deren Leitideen gegen den Strich. Seit einen Vierteljahrhundert wurden die frühe Bildung und Erziehung kräft umgebaut. Leitideen wie Akademisierung, Professionalisierung, Kompetenzorientierung, Selbstbildung oder Partizipation machten die Runde. Da Wissenschaft in derselben Zeit immer stärke ihre gesellschaftliche Relevanz nachweisen musste, wurde der Neustart in der Elementarbildung mit griffigen Marketingformeln verkauft: Bildung von Anfang an, die ersten Jahre sind die wichtigsten, der Kindergarten ist der erste Bildungsort – lauten nur einige von ihnen. Mittlerweile beginnen Lebensläufe, etwa von Bundestagsabgeordneten, auch nicht mehr mit der Grund- oder allgemeinbildenden Schule, sondern dem Kindergarten.
In kurzen Abständen folgen neue Leitbilder, denen dann alle folgen müssen. Wer nicht mitmacht, darf nicht mehr mitspielen. Eines dieser Leitbilder lautet Diversität – verkürzt zu eingängigen Slogans: „Würdigung von Vielfalt“, „Vielfalt als Chance“ oder – damit es modern und weltoffen klingt – „Let’s celebrate diversity“ – soll über dem Kindergarten stehen. Slogans verkürzen notwendigerweise. Und, so Verbeek, wird gar nicht bemerkt, wie gerade unter dem Etikett Diversität neue Stereotypisierungen und Exotisierungen gedeihen. Problematisch wird dies erst recht dann, so die Trierer Kindheitspädagogin, wenn die Einseitigkeit und Verkürzung dazu führt, dass Kinder, die es bräuchten, keine pädagogsiche oder entwicklungspsychologische Förderung mehr erhalten, weil alles am Ende auf die Gruppenzugehörigkeit und den Opferstatus marginalisierter Gruppen geschoben werde.
Hier zeigen sich die Widersprüche gesinnungethisher Agendawissenschaft, die den Blick auf die Realität verloren hat. In Lehrbüchern, Broschüren, Leitbildern oder Internetseiten zeige sich Vielfalt, so Verbeek, nur in erkennbar attraktiven jungen Menschen unterschiedlicher Ethnie oder Herkunft. Verbeek spricht, vielleicht nicht ganz glücklich, von einem „positivistischen“ Diversitätsverständnis, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht standhält. Aber wehe, diese Wirklichkeit bricht ein und Vielfalt zeigt sich nicht mehr attraktiv, sondern konflikthaft. Dann meldet sich Überforderung, dann wird schnell nach rechtlchen Lösungen und Eingriffen der Träger oder gleich der Politik gerufen. Dabei wären gerade solche Erfahrungen der beste Ansatz, mit Erziehung zu beginnen. Aber solche kann schmerzhaft sein, wenn man sich zunächst eingestehen muss, dass der eigene Blick auf die Wirklichkeit rosa getönt war und die eigenen Orientierungswerte sich als romantisiert verzerrt erweisen. Agendawissenschaft kann dieser Wirklichkeitbegegnung lange ausweichen. Erzieher und Pädagogen, die in der Praxis stehen, nicht.