Zwischenruf: Gesellschaftlicher Zusammenhalt?

„Vermisst, ersehnt – und umkämpft: Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ – so der Titel des neuen Themenheftes von AMOSinternational, der wichtigsten Fachzeitschriften deutschsprachiger, katholischer Sozialethik. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist gestört – und da bleibt guter Rat teuer. Die Gründe sind vielfältig, von einer ausgrenzenden Coronapolitik bis zum gesinnungsethischen Wokismus. Allerdings hätten Redaktion und Herausgeber selber genügend Grund nach dem eigenen Beitrag am vermissten gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fragen. Denn Wissenschaft und Medien tragen ihren eigenen Anteil daran. AMOSinternational zieht selber Brandmauern hoch und cancelt Autoren, die sich dem Zwang zur Gendersprache widersetzen. Die Fachzeitschrift ist hier ein deutliches Abbild einer Sozialethik, die sich iängst zur gesinnungsethischen Agendawissenschaft gewandelt hat.

Gute Anschauung hierfür bietet auch ein Tagungsbericht der Rottenburger Diözesanakademie. „Mutter oder Schauplatz aller Probleme?“, hat man vor der Bundestagswahl in einer Onlinediskussion zur Migrationskrise gefragt. Die Antworten gaben drei Wissenschafter aus Politik-, Rechts- und christlicher Sozialwissenschaft. Die Anworten fallen wenig überraschend aus: Wir haben Diskursprobleme – Pauschalurteile, Populismus, Polarisierung. Wer hingegen konkrete gesellschaftliche Problemlagen anspricht, diskutiere undifferenziert. Eine rationale Auseinandersetzung, die unterschiedliche gesellschaftliche Positionen miteinander vermitteln will, findet so nicht statt. Für die beteiligten Wissenschaftler sind Ressourcen immer noch in Hülle und Fülle vorhanden. Kein Problem – wir müssen nur die Kommunen besser ausstatten. Von welchen Haushaltsmitteln, bleibt offen. Schon gar nicht wird gefragt, ob die heutige Migrationspolitik überhaupt dem entspricht, was mit dem Asylrecht im Grundgesetz einmal gemeint war: der Schutz vor politischer Verfolgung, nicht ein Einfallstor für Masseneinwanderung.

Bei alldem ist sehr viel interessanter, worüber in der erlauchten akademischen Diskussionsrunde nicht gesprochen wurde: illegale Einwanderung, eine fehlende gezielte Fachkräfteeinwanderung, fehlende Grenzsicherung, Integrationsprobleme, Finanzierungsprobleme in den Sozialversicherungssystemen, ein angespannter Sozialstaat, überforderte Schulen, Deindustrialisierung … – all das gibt es hinter den Türen der Hörsäle und Professorenbüros nicht. Es bleibt dann auch bei moralisierenden Appellen. Konkrete Lösungen, wie illegale Zuwanderung unterbunden, die Migration gesteuert und eine gezielte Fachkräfteanwerbung erreicht werden kann, kommen nicht vor.

Hier zeigt sich eine gesinnungsethische Agendawissenschaft, der jedes Verständnis für den Erhalt der gemeinsamen Grundlagen unseres Zusammenlebens und seiner staatlichen Grundlagen abhandengekommen ist. Die Debatte soll nach der Wahl am 3. Juli fortgesetzt werden. Man wird diesen Sommertag getrost anders verbringen. Der Schauplatz, auf denen sich der gesellschaftliche Zusammenhalt entscheiden wird, ist nicht mehr der immer stärker verengte sozialwissenschaftliche und sozialethische Diskurs universitärer Wissenschaften, die gesellschaftliche Akzeptanz herstellen wollen, aber die Rückbindung an gesellschaftliche Wirklichkeit längst verloren haben. Wir sollten die Signale aus anderen Ländern nicht überhören.

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