Zwischenruf: Wo wird der akademische Geist überwintern?

„Shadow banning“ bezeichnet das vollständige oder teilweise Blockieren eines Benutzers oder seiner Inhalte in einer Onlinecommunity, sodass für den Benutzer nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, dass er gesperrt oder gedrosselt wurde. Diese Maßnahme wird üblicherweise als Form von „Cancel Culture“ gewertet. Leider haben solche Formen einer „Cancel Culture“ mittlerweile auch dort Einzug gehalten, wo man sie am allerwenigsten erwarten sollte. Im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit wird „Shadow banning“ sogar als Ausdruck negativer Meinungsfreiheit umgedeutet.

Im Gründungsmanifest des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit vom Februar 2021 wird als gemeinsames Anliegen genannt, „die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen“. Wenn „Shadow banning“ hoffähig wird, vermag ich darin nicht mehr die ursprünglich intendierte „Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas“ zu erkennen. Wenn eine Organisation, der man einmal unter anderen Vorzeichen beigetreten ist, derart ihren Charakter und ihre Zielsetzung verändert, bleibt mitgliederethisch nur noch der Austritt, den ich mittlerweile erklärt habe.

Die Verteidigung der Freiheit  sowie der freiheitlichen Grundlagen unseres Rechts-, Verfassungs- und Kulturstaates im Allgemeinen wie der Wissenschaftsfreiheit im Besonderen werden immer wichtiger. Es wäre Zeit für eine alternative Neugründung, in der sich Wissenschaftler mit einem robusten und starken Freiheitsbewusstsein und dem Willen zu kollegialer Solidarität zusammenfinden. Aber ich habe die Befürchtung, dass die hierfür notwendige kritische Masse an deutschen Hochschulen nicht mehr gefunden werden kann. Möglicherweise wird sich auch das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e. V. unter anderer Führung auf seine freiheitlichen Wurzeln und seinen Gründungsimpuls zurückbesinnen.

Schon 2016 hatte ich in einem Beitrag für die Zeitschrift des Deutschen Philologenverbandes geschrieben, dass der akademische Geist überwintern werde – aber vermutlich außerhalb der Universität. Der akademische Geist muss verteidigt werden oder es gereicht dem gesamten Gemeinwesen zum Schaden.

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