Zwischenruf: Ethiker eiert herum

Der Wahlkampfdonner in Thüringen und Sachsen hat sich verzogen, das Ringen um Koalitionen und Machtoptionen hat begonnen. Peter Schallenberg, Moraltheologe in Paderborn und bisheriger Direktor der sich in Abwicklung befindlichen Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach, hat selber im sächsischen Wahlkampf mitgemischt. Wie er in der Wochenzeitung „Die Tagespost“ vom 16. August 2024 schreibt, habe sein Lehrstuhl die Wahlprogramme der sechs aussichtsreichsten Parteien unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse habe er, so Schallenberg, in Vorträgen vor Ort vorgestellt – alles unter der Frage: „Wie christlich ist die sächsische Politik?“. So weit, so gut, auch wenn noch einmal genauer zu fragen bliebe, wie der Paderborner Ethiker christliche Politik im einzelnen definiert.

Liest man seine Kolumne vom 16. August 2024 weiter, reibt sich der Leser, der ein gutes Gedächtnis besitzt, allerdings verwundert die Augen. Denn für Schallenberg sind drei Dinge sehr wichtig: „Erstens sind Bildung und Gesundheit die zentralen Pfeiler des Sozialstaates, weil sie zur Freiheit befähigen. Zweitens steht die Nächstenliebe vor Fernstenliebe, Ehe und Familie vor Staatsvolk, Heimat und nationaler Staat vor Weltstaat, ohne dass der Blick für internationale Gerechtigkeit verloren gehen darf.“ Lassen wir an dieser Stelle einmal außen vor, ob familiäre Bindungen gegen nationale Zugehörigkeit ausgespielt werden können – für Christen sollte beides gleichermaßen wichtig sein. Es geht um den Kontext, über den wir sprechen. Oder sollten familiäre Beziehungen am Ende wichtiger sein als staatsbürgerliche Verantwortung? Wir erleben sehr deutlich, was es bedeutet, wenn Familien- und Clanzugehörigkeit rechtsstaatliche Bindungen aufhebt.

Hier geht es um etwas anderes: Erst am 10. Mai 2024 schrieb derselbe Ethiker in derselben Zeitung, Volk meine nach katholischer Auffassung „zunächst und grundsätzlich die gesamte Menschheit“. Und: „Gott kennt weder Blut noch Abstammung noch Nation.“ – anderes zu behaupten, sei „Unsinn“ oder „überholtes Heidentum“. Richtig ist: Das Neue Testament relativiert familiäre und nationale Bindungen, wenn es um die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft geht. Aber es hebt diese Bindungen nicht auf. Überdies war es schon im Mai eine Unterstellung, das Staatsvolk werde von bestimmten politischen Kräften allein abstammungsmäßig definiert. Ein Blick in das Grundgesetz hätte genügt, um zu sehen, dass sich das deutsche Staatsvolk durch Abstammung und Einbürgerung bildet.

Was im Mai noch relativiert, vielleicht sogar negiert wird, soll jetzt vor dem Weltstaat stehen. Eine konsistente Staatslehre ist das nicht; Schallenberg eiert herum. Die Unentschlossenheit, zu dem zu stehen, was es zur Sicherung verlässlicher staatlicher Grundlagen braucht, zeigt sich in einer Ankündigungspolitik, die schon seit neun Jahren keine überzeugende migrationspolitische Antwort findet. Die Wähler in Thüringen und Sachsen haben gesprochen und ihre Antwort darauf gegeben. Will christliche Ethik ernstzunehmende Antworten auf die politischen Herausfordeungen unserer Tage leisten, benötigt sie wieder ein klares Staatsdenken, wie es einmal zur Tradition katholischer Soziallehre gehörte. Denn diese wusste darum, dass Gerechtigkeit und Gemeinwohl nur auf Grundlage verlässlicher staatlicher Strukturen gesichert werden können. Und es gehört zu den ethischen Verpflichtungen des Christen, an der Sorge um die Grundlagen unseres staatlichen Zusammenlebens aktiv teilzunehmen und diese sichern zu helfen.  

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