Rezension: Der gläserne Patient bezahlt mit seinen Daten

Andreas Meißner: Die elektronische Patientenakte – Das Ende der Schweigepflicht. Für Risiken und Nebenwirkungen übernimmt niemand die Verantwortung. Mit einem Vorwort von Bernd Hontschik, Neu-Isenburg: Westend 2024, 112 Seiten.

Die Gesundheitspolitik wird zunehmend zum Kampfplatz um grundlegende Freiheitsrechte. Dies zeigt sich an der Auseinandersetzung  um einen WHO-Pandemievertrag, der die Einschränkung zentraler Grundrechte dem natioalen Souverän entzieht. Dies gilt für die elektronische Patientenakte. Die wenigsten wissen, dass Patienten dieser aktiv widersprechen müssen. Denn schließlich sei ja alles nur zu ihrem Bestem. Ein Schelm, der angesichts dieser Widerspruchslösung Böses dabei denkt. Wer widerspricht, sieht sich – wie schon zu Coronazeiten – dem Verdacht ausgesetzt, er habe nur irgendetwas nicht richtig verstanden, sei begriffsstutzig, müsse zu seinem eigenen Vorteil besser an die Hand genommen und belehrt werden. Oder sollten wir besser sagen: bevormundet werden?

Andreas Meißner klärt auf, warum über die elektronische Patientenakte geredet werden muss. Neben massiven Datenschutzbedenken, die allesamt politisch kleingeredet wurden, ist es der fragliche Nutzen, den der Münchner Psychiater anführt: „Es geht um Wirtschaft und Märkte, nicht um Gesundheit“, ist Meißner überzeugt. Die elektronische Patientenakte werde weder die medizinische Versorgung noch die Forschung verbessern – im Gegenteil. Nicht fehlende Daten oder Datenschutzbedenken seien ein Forschungsproblem, sondern Fehlanreize und Fehllenkungen im Wissenschaftssystem. Und gerade letztere würden durch „Big Data“ noch verstärkt.

Andreas Meißner klärt auf – im besten Sinne des Wortes (wobei sein Buch ohne Gendersprache noch besser zu lesen gewesen wäre). Seinem Werk ist weite Verbreitung zu wünschen. Vor allem bei denen, die sich noch nicht näher mit der elektronischen Patientenakte beschäftigt haben oder noch gar nicht um ihr Widerspruchsrecht wissen. Eine freiheitliche Demokratie braucht mündige Patienten. Daher gebührt Meißner nicht allein ein medizinethisches, sondern auch demokratiepolitisches Lob für seinen – so der Klappentext – „Warnruf aus ärztlicher Praxis“.

Rezension: Ein Prozess mit möglicher Präzedenzwirkung

Gabriele Gysi (Hg.): Der Fall Ulrike Guérot. Versuche einer öffentlichen Hinrichtung, Neu-Isenburg: Westend 2023, 95 Seiten.

Auf hoher See und vor Gericht … Wir kennen das bekannte Sprichwort. Die Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hat in erster Instanz ihr arbeitsrechtliches Verfahren gegen ihre Universität verloren. Diese hatte aufgrund von Plagiatsvorwürfen eine Kündigung ausgesprochen. Ein solcher Schritt stellt ein Novum universitärer Plagiatsverfahren dar. Mit dem vorliegenden Band stellt sich der Hausverlag der Angeklagten schützend vor seine Autorin. Herausgeberin und Autorenteam des vorliegenden Bandes erkennen im Vorgehen der Bonner Universität einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Heike Egner schreibt: „Es mag sein, dass wir gerade Zeugen eines Prozesses werden, in dem Wissenschaft sich ingesamt zu etwas wandelt, das durch und durch von Politik gestaltet wird“ (S. 27).

Getroffen werden soll eine Wissenschaftlerin, die sich nicht scheute, deutliche Worte gegenüber einer freiheitsfeindlichen Coronapolitik zu finden. Schon früh hatte Guérot in der WELT im September 2020 ihr Unbehagen an dieser mit deutlichem Gespür für die individuelle Freiheit vorgetragen. „Wer schweigt, stimmt zu“ war der programmatische Titel eines Buches, das es auf die Spiegelbestsellerliste schaffte, durchaus zum Missfallen der Hochschulverantwortlichen in Bonn. Noch stärker wurde der Gegenwind, als die Politikwissenschaftlerin sich eine eigene, pointierte Meinung angesichts des Krieges gegen die Ukraine erlaubte. Man wird wohl nicht zu weit gehen, annehmen zu wollen, dass die Universität Bonn mit der Berufung Guérots deren Impactfaktor, wie es heute so gern heißt, gern einkaufte. Dieser verdankte sich nicht zuletzt dem europapolitischen Engagement der Hochschullehrerin, mit dem man sich gern schmücken wollte. Doch mit ihrer eigenständigen corona- und sicherheitspolitischen Kritik hatte man Schwierigkeiten. Jetzt wurde Guérot unbequem. Das Plagiatsverfahren erschien als günstige Gelegenheit, die unbequem gewordene Denkerin wieder los zu werden.

Es bleibt zu unterscheiden zwischen der berechtigten Überprüfung von Plagiatsvorwürfen und einem arbeitsrechtlichen Verfahren. Erstere sollte objektiv auf Basis transparenter wissenschaftlicher Kriterien durchgeführt werden, wobei in diesem Fall die Autorin eigenes Fehlverhalten längst selber eingeräumt hat. Aber – wie der vorliegende Band deutlich macht – wurden die von Guérot gemachten Angebote zum Gespräch allesamt ausgeschlagen. Für das zweite gelten in Deutschland zu Recht hohe arbeitsschutzrechtliche Hürden. Anders als die Unschuldsvermutung im Rechtsstaat es nahelegt, war für Kritiker die Sachlage schon vor Prozessbeginn klar. Und diese gilt weiterhin – denn Ulrike Guérot hat angekündigt, gegen das Bonner Arbeitsgerichtsurteil in Revision zu gehen.

Und das ist auch gut so. Denn dieser Fall könnte Präzedenzwirkung im Umgang mit „Cancel Culture“ und Wissenschaftsfreiheit hierzulande haben. Es lohnt sich daher, den weiteren Prozessfortgang zu verfolgen. Wer mehr über die (wissenschafts-)politischen Hintergründe dieser polarisierenden Auseinandersetzung wissen will, findet sowohl in den Beiträgen wie im Dokumentationsanhang des vorliegenden Bandes breite Hintergrundinformationen. Und dann gilt hier wie auch sonst: Sapere aude! Der Leser bilde sich seine eigene Meinung.

Zwischenruf: Europa wählen!?

Gib Europa Deine Stimme! – so ein Wahlaufruf der Salesianer Don Boscos für die kommende Europawahl am 9. Juni 2024. Einer von vielen. Einer von vielen, die ähnlich klingen. Doch wofür soll der deutsche Wahlbürger stimmen? Nein, parteipolitisch will man nicht sein. Man ist Zivilgesellschaft, was suggeriert, als würde es noch eine andere Gesellschaft geben. Also bleibt es vage: Wir sollen Europa wählen, Europa unsere Stimme geben … Offenbar kann man Europa auch nicht wählen. Etwa abwählen? Wir wollen nicht kleinlich sein: Wer meint, am 9. Juni 2024 werde über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments abgestimmt, muss umdenken. Es zählen nicht mehr konkrete Parteiprogramme und politische Interessen, sondern Gesinnung. Doch die muss zwangsläufig schwammig bleiben. Hat Europa ein einheitliches Interesse? Denkt und fühlt Europa im Gleichschritt? Wohl kaum. Wir müssen uns nur die unterschiedliche Haltung einzelner EU-Staaten im Nahostkonflikt ansehen. Wer ist Europa – Spanien und Irland mit ihrer Anerkennung eines Palästinenserstaates oder Deutschland, das diesen Schritt nicht geht? Wer europäische Politik auf Gesinnungsformeln verkürzt, kehrt politische Differenzen unter den Teppich. Vielmehr sollte gerade ein Parlament der Ort sein, konfligierende Interessen zu diskutieren, zu abstimmungsfähigen Alternativen zu bündeln und unter dem Anspruch des Gemeinwohls um tragfähige Alternativen zu ringen. Hierfür sollten die Wähler ihre Stimme gebe – ob in Europa oder auf anderen Ebenen. Und das ist auch gut so. Denn freie, gleiche und geheime Wahlen sind eine wichtige Grundlage der Freiheit. Aber nicht, wenn diese zum Gesinnungstest verkommen. Wir müssen über unterschiedliche nationale Interessen, politische Konzepte und zukunftsfähige Lösungen streiten – auch in Europa, gerade um Europa willen. Also: Gib Europa Deine Stimme! Aber nach verantwortlicher Abwägung der zur Wahl stehenden Kandidaten und Programme.  

Gedanken zum Festtag: Fronleichnam

Bone pastor, panis vere,
Jesu, nostri miserere,
Tu nos pasce, nos tuere,
Tu nos bona fac videre
In terra viventium.

(Thomas v. Aquin, 1264, Fronleichnamssequenz)

Pralinen und eine Flasche Wein waren in Bamberg der alljährliche „Preis“ zu Fronleichnam für einen Fensterplatz am Prozessionsweg, erinnert sich die Volkskundlerin Hottelmann-Schmidt an ihre Jugendzeit. Noch heute ist Bamberg für seine prächtige Fronleichnamsprozession bekannt. […]Fronleichnam wird nur dann überzeugend gefeiert werden können, wenn das Fest eingebettet ist in eine zeitgemäße eucharistische Frömmigkeit, die auch das Jahr hindurch das Leben der Gemeinde prägt – beispielsweise eine würdig gestaltete Kommunionspendung oder regelmäßige Gebetsstunden vor dem Allerheiligsten. Die Frage nach der Bedeutung der eucharistischen Gegenwart für das Leben der Gemeinde, geht über die Vorbereitung des Fronleichnamsfestes hinaus und wäre wert, vom Pfarrgemeinderat weiter verfolgt zu werden – auch dann, wenn die Prozessionsaltäre für dieses Jahr wieder auf dem Speicher des Pfarrhauses verstaut sein werden.

(Auszug aus: Axel Bernd Kunze: Pralinen und Wein für einen Fensterplatz, in: Heinrichsblatt, 113. Jg., 11. Juni 2006, S. 28)

Allen Lesern und Leserinnen von „Bildungsethik“ wünsche ich einen gesegneten Fronleichnamsfesttag.

Zwischenruf: Wissenschaftsfreiheit muss umfassend verteidigt werden

Wie ACADEMIA 3/2024  berichtet, wurde der frühere Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), Bernhard Kempen, mit dem Positivpreis für Wissenschaftsfreiheit geehrt. Eine „Cancel Culture“ ist auch hierzulande nicht mehr zu übersehen. In seiner Preisrede habe er betont, dass Wissenschaftsfreiheit jene „Gesamtheit der Umstände“ bezeichne, „unter denen sich Freiheit entfalten könne“.

Es wäre gut gewesen, wenn der eigene Verband unter seiner Ägide auch 2021 und 2022 einer solchen Maxime gefolgt wäre. Die damaligen Auszeichnungen zum „Hochschullehrer des Jahres“ an den Virologen Christian Drosten sowie die Gründer von BioNTech haben sehr deutlich die regierungsamtliche Linie einer freiheitsfeindlichen Coronapolitik gestützt. Zu den Grundrechtseingriffen, etwa in die körperliche Unversehrtheit, die Wissenschafts- oder Berufsausübungsfreiheit, von denen auch zahlreiche Wissenschaftler betroffen waren, hat der DHV hingegen geschwiegen. Kollegen mit abweichenden Meinungen wurden mit Nichtachtung gestraft oder ausgegrenzt. Für diese Verbandspolitik trägt Kempen als langjähriger Präsident eines hochschulpolitischen Spitzenverbandes maßgeblich die politische Verantwortung.

Und so hinterlässt die Preisvergabe des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit mehr als einen schalen Nachgeschmack. Wer angesichts einer zunehmenden Polarisierung, Politisierung, Moralisierung und Emotionalisierung die Wissenschaftsfreiheit robust verteidigen will, sollte auf einem substantiellen Freiheitsverständnis bestehen und die Unteilbarkeit der Grundrechte verteidigen. 2022 rief die Vorsitzende des Netzwerkes, Sandra Kostner, in einem Aufsatz noch alle Befürworter dieser Coronapolitik dazu auf, sich zu fragen, „ob sie wollten, dass andere darüber bestimmen können, welche pharmakologischen Substanzen sie ihrem Körper zuführen. Denn es könnte der Tag kommen, an dem es um Substanzen geht, die sie nicht verabreicht bekommen möchten. Der Geist, der das ermöglicht, ist aus der Flasche. Es ist an uns, ihn dort wieder hineinzubekommen und als Lehre aus den Pandemiejahren künftig darauf zu achten, dass er nicht mehr entweichen kann.“ Dieser Geist ist nun eines Freiheitspreises würdig. Die Opfer einer freiheitsfeindlichen Coronapolitik sind hingegen vergessen.

In memoriam: Klaus Gerstein verstorben

Am 22. Mai 2024 verstarb der langjährige frühere Leiter des Arbeitskreises der Studentenhistoriker, Klaus Gerstein, im Alter von 93 Jahren. Erinnert sei heute noch einmal an die Festschrift anlässlich des neunzigsten Geburtstages des Verstorbenen, an dem der Verfasser dieser Zeilen selbst mitgeschrieben hat: Sebastian Sigler (Hg.): Die Vorträge der 79. deutschen Studentenhistorikertagung Jena 2019 zugleich Festschrift anlässlich des 90. Geburtstages von Klaus Gerstein (Beiträge zur deutschen Studentengeschichte; 36), München: Akademischer Verlag München 2020.

Have, pia anima!

Ein Nachruf findet sich auf den Internetseiten des Arbeitskreises der Studentenhistoriker:

Neuerscheinung: Erklärung oder Boykottaufruf?

Axel Bernd Kunze: Erklärung oder Boykottaufruf? Zur Rolle von Fachgesellschaft am Beispiel des Streits um die Neue Ordnung,

in: Klaus Buchenau/Matthias Fechner (Hgg.): Die Verlorene Wissenschaft. Versuch einer Katharsis nach Corona (Klartext. Schriften zu Politik und Gesellschaft; 2), Stuttgart: ibidem 2024, S. 289 – 307

https://www.academia.edu/119231488/Erkl%C3%A4rung_oder_Boykottaufruf_Zur_Rolle_von_Fachgesellschaften_am_Beispiel_des_Streits_um_die_Neue_Ordnung

Neuerscheinung: Wer ist Jesus für mich?

… so der Titel eines Gottesdienstmodells für den Vierzehnten Sonntag im Jahreskreis:

Axel Bernd Kunze: Wer ist Jesus für mich? [Lesejahr B. Vierzehnter Sonntag im Jahreskreis], in: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen 21 (2024), H. 4, S. 599 – 614.

Das Evangelium des heutigen Sonntags steht zwischen einem Wunderzyklus und der Aussendung der Zwölf. Der Evangelist Markus erzählt zuvor von der Stillung des Seesturmes, der Heilung eines Besessenen in Gerasa und der Erweckung der Tochter des Jarus. Jesus Christus, so zeigen die Erzählungen, ist Herr über Wind und Wetter, über Dämonen und böse Geister, ja, sogar über Leben und Tod. Dann der erste Ortswechsel: Jesus kommt in seine Heimatstadt Nazaret. Hier schlagen ihm Unverständnis und Unglauben entgegen. Der zweite Ortswechsel: Jesus verlässt seine Heimat bald wieder und wendet sich den Dörfern der Umgebung zu. Sowohl die vorangehenden Wundererzählungen als auch den heutigen Evangelienabschnitt durchzieht eine Frage, die das gesamte Markusevangelium bestimmt – bis zur Antwort unter dem Kreuz: die Frage, wer Jesus ist. Dabei wird deutlich: An Jesus scheiden sich die Geister. Er fordert zur Entscheidung heraus – auch uns.

Elementarbildung: Evangelischer Bildungsbericht liegt vor

Das Comenius-Institut in Münster teilt mit, dass der neue Bildungsbericht zu evangelischen Tageseinrichtungen für Kinder nun als Open-Access-Dokument veröffentlicht wurde. Den Link zum Dokument und weitere Informationen finden Sie auf der Comenius-Website unter https://comenius.de/publikation/evangelische-tageseinrichtungen-fuer-kinder-bildungsbericht-2024/.

Der Bericht wird durch eine Fachtagung im September 2024 begleitet.