
(Rogier van der Weyden, 1445)
Das große Zeichen der Osternacht ist das leere Grab, das die Frauen in der Morgenfrühe des dritten Tages nach der Kreuzigung vorfinden. Doch enthält dieses Grab noch keine Osterbotschaft. Das leere Grab bewirkt zunächst Erschrecken, Unverständnis, Irritation und Trauer.
Die österliche Botschaft lebt nicht vom leeren Grab, so wichtig dieses Zeichen auch ist. Was an Ostern geschehen ist, verstehen die Jünger und Frauen erst, als der Auferstandene ihnen persönlich begegnet. Sei es Maria Magdalena, die als „Apostolin der Apostel“ bezeichnet wird, weil sie als erste dem Auferstandenen begegnen durfte. Seien es die Emmausjünger, die den Auferstandenen bei ihrem Gang aufs Land und beim abendlichen Brotbrechen erkannten. Seien es die Jünger in Jerusalem, die sich aus Angst zunächst einmal hinter verschlossene Türen zurückgezogen hatten.
Nach und nach erkennen sie das atemberaubend Neue, das geschehen ist: An Ostern kehrt ein Verstorbener nicht einfach in sein früheres irdisches Leben zurück. Ostern setzt einen völligen Neubeginn, eine Neuschöpfung, in welcher der Tod überwunden ist. Gott vergibt die Sünde der Menschen und setzt einen neuen Anfang.
Der entscheidende Schlüssel zu diesem Verständnis ist das Wort der Schrift. Durch Jesu Wort werden den Jüngern gleichsam die Augen geöffnet und sie verstehen nach und nach die Absicht Gottes. Was sich in der Geschichte Jesu ereignet, ist die Erfüllung der Schrift, der alten Verheißungen Gottes an sein Volk.
Ostern bringt eine neue Wirklichkeit. Die Jünger erfahren den Auferstandenen auf eine ganz neue Weise. Die Osterevangelien machen deutlich, dass diese Erfahrung eine durchaus einschneidende ist, die alles Bekannte auf den Kopf stellt und zunächst einmal Betroffenheit, Bestürzung und Angst auslöst. Das erste Wort des Auferstandenen an seine Jünger ist daher auch: Friede sei mit euch!
Frieden – das ist auch die große Bitte in unseren Tagen. Allzu friedlos und krisenhaft erscheint unsere Welt. Nicht wenige wollen davon am liebsten gar nichts mehr wissen und reduzieren ihren Nachrichtenkonsum. Umso drängender stellt sich die Frage, wie wir als christliche Gemeinde angesichts einer alles andere als heilen Welt von der Osterbotschaft sprechen können.
Im Kommen Jesu in unsere Welt erfüllen sich die uralten Verheißungen der Schrift, bis zum Tod am Kreuz und der Auferweckung von den Toten. Diese Erfüllung ist unwiderruflich. Gott hat einen neuen Anfang gesetzt, indem er in seinem Sohn Teil unserer Geschichte geworden ist. Er hat seinen Sohn nicht im Grab gelassen, sondern zu neuem Leben auferweckt. Diese Treue Gottes, die an Ostern sichtbar geworden ist, gilt der gesamten Menschheit. Jesus Christus ist nicht der Einzige, sondern der Erstgeborene der neuen Schöpfung. In ihm ist uns allen Vergebung der Sünden verheißen, wie Petrus in seiner Rede an das Volk und der Verfasser des ersten Johannesbriefes deutlich machen.
Aber etwas anderes gehört auch zur nachösterlichen Erfahrung: Der Tod ist überwunden, aber noch nicht vernichtet. Auch nach Ostern sterben Menschen in dieser Welt, erfahren sie Krisen und Unheil. Es wäre ein Verrat an den uralten Verheißungen, dies schönzureden. Noch sind nicht alle Opfer der Geschichte gerechtfertigt. Wir Menschen könnten dies auch gar nicht.
Aber im Licht von Ostern wissen wir: Gottes Treue überwindet Grab, Tod und Sünde. Der gekreuzigte, erhöhte und auferstandene Herr lebt, er wirkt in dieser Welt und er wird einst wiederkommen, um Menschheit und Schöpfung zu vollenden. Wer diese Botschaft annimmt, wird gerettet werden.
Friede sei mit euch – das ist die erste Osterbotschaft des Auferstandenen. Die ökumenische Jahreslosung in diesem Jahr 2024 lädt uns ein, selbst zu Friedensbringern zu werden. Sie lautet: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Die Worte sind dem ersten Korintherbrief entnommen.
Ein großes Wort. Und doch: Wir dürfen es wagen, unsere Aufgaben – als christliche Gemeinde wie auch jeder Einzelne persönlich – „in Liebe“ anzugehen und so diese Welt ein wenig friedvoller zu gestalten, weil Gott uns zuerst geliebt hat – in Jesus Christus, seinem Sohn.
(Predigtvorschlag aus: WortGottesFeiern an allen Sonn- und Feiertagen, H. 2/2024)
Allen Lesern von BILDUNGSETHIK wünsche ich gesegnete Kar- und Ostertage, Ihr Axel B. Kunze