2021 konnten die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ihr fünfzigjähriges Jubiläum feiern. Dies gilt auch für die Evangelische Hochschule Ludwigsburg in Trägerschaft der Evangelischen Landeskirche in Württemberg: 1971 entwickelte sich aus der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik in Reutlingen eine Fachhochschule. Diese fusionierte 1998 mit der kirchlichen Fachhochschule in Ludwigsburg, die aus der Kirchlichen Ausbildungsstätte für Diakonie und Religionspädagogik hervorgegangen war.
Die anlässlich des Jubiläums 2022 in der Reihe „Bildungsprozesse in kirchlich-diakonischen Handlungsfeldern“ vorgelegte Festschrift mit dem Titel „Sozial. Evangelisch. Innovativ. 50 Jahre Evangelische Hochschule Ludwigsburg“ beschreibt nicht allein die historische, institutionelle und disziplinäre Entwicklung der landeskirchlichen Hochschule. Vielmehr gibt sie zugleich einen bildungsgeschichtlich interessanten Überblick, wie sich die Hochschullandschaft im Südwesten entwickelt hat.
Teil A
Renate Kirchhoff und Bastian Kaiser sprechen von vier Entwicklungssträngen: den frühen Universitätsgründungen in Heidelberg, Freiburg i. Brsg. und Tübingen, den Fach- und Ingenieursschulen (seit den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts ergänzt um die Berufsakademien und Dualen Hochschulen) sowie den universitären Neugründungen seit dem neunzehnten Jahrhundert (z. B. in Karlsruhe, Stuttgart oder in Folge der Bildungsdebatte der vergangenen Sechzigerjahre in Konstanz, Mannheim oder Ulm). Den vierten Strang bildeten die Hochschulen, die für das Sozial-, Gesundheits-, Erziehungs- und Bildungswesen in Kirche und Gesellschaft ausbilden, deren Wurzeln liegen vor allem in der Gründung sozialer Frauenschulen. Mittlerweile sind aus diesen akademischen Ausbildungsstätten wissenschaftsgeleitete Hochschulen entstanden. Zu den neueren Entwicklungen zählt die Möglichkeit, den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften thematisch begrenzt das Promotionsrecht zu verleihen.
In einzelnen Kapiteln wird die Entwicklung der in Ludwigsburg und Reutlingen vertretenen Fächer nachgezeichnet: Soziale Arbeit, Religions- und Gemeindepädagogik, Heilpädagogik, Pflegewissenschaft sowie Kindheitspädagogik. Die letztgenannte Disziplin, die im 2024 ihr zwanzigjähriges Bestehen im deutschen Hochschulsystem feiern kann, wird in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg angeboten. Besonders hervorzuheben ist das erfolgreiche Integrierte Studienmodell, das die beiden Hochschulen mit sechs evangelisch-württembergischen Fachschulen für Sozialpädagogik anbieten und das den dortigen Auszubildenden eine Doppelqualifikation als Erzieher und Kindheitspädagoge mit Bachelorabschluss ermöglicht.
Weitere Beiträge der Festschrift widmen sich gesellschaftlich-historischen Veränderungen in der studentischen Selbstverwaltung, der Inklusionsforschung oder der Religionspädagogik.
Teil B
Der zweite Teil der Festschrift beleuchtet aktuelle Entwicklungsperspektiven, beispielsweise im Feld der Masterstudiengänge und in der Kooperation von Hochschulen, in der Menschenrechtsbildung, in der Internationalisierung oder Digitalisierung, im Theorie-Praxis-Transfer, in der integrierten Forschung oder im Unternehmentum, das auch im sozialen Bereich aus Hochschulen erwachsen kann.
Claudia Schulz wirbt in ihrem Beitrag vor allem darum, dass sich die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften noch stärker als bisher für Fachkräfte mit Berufserfahrung öffneten: „Gelingt dies, kann die akademische Bildung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften gerade für Menschen mit einem hohen Interesse an der Praxis und ihrer Entwicklung zum Sprungstab werden“ (S. 187).
Teil C
Im abschließenden und kürzesten Teil formulieren der Rektor der Hochschule, Norbert Collmar, sowie die Studiengangsleiterin für Religions- und Gemeindepädagogik, Andrea Dietzsch, ihre Vision für die Weiterentwicklung der Jubilarin: Hochschulen für Angewandte Wissenschaften seien Seismographen für gesellschaftliche und disziplinäre Entwicklungen. Mit der Förderung von Bildungsgerechtigkeit, Durchlässigkeit im Bildungssystem akademischer Teilhabe leisteten sie wesentliche Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung, sie qualifizieren ihre Absolventen dazu, den Bildungs-, Pflege- und Gesundheitsbereich kompetenz mitzugestalten und begleiteten – in Gestalt kirchlicher Hochschule – den Einzelnen über den beruflichen Horizont hinaus bei seiner individuellen und religiösen Identitätsfindung.
Der Band greift über den Rahmen einer institutionsbezogenen Festschrift deutlich hinaus und bietet interessante Einblicke in hochschul- und disziplinpolitische Entwicklungen im Bereich der Sozial-, Gesundheits- und Pflegestudiengänge.
Norbert Collmar, Andreas Dietzsch (Hgg.): Sozial. Evangelisch. Innovativ. 50 Jahre Evangelische Hochschule Ludwigsburg (Bildungsprozesse in kirchlich-diakonischen Handlungsfeldern; 3), Münster (Westf.)/New York: Waxmann 2022, 305 Seiten.